Adam erstarrte. Im ersten Moment dachte er, De Laurent würde ihn einfach kaltblütig abknallen, doch dann kam ihm die Gewissheit, dass dieser nicht abdrücken würde. Das war nicht Roccos Art. Er würde sich nicht selbst die Hände schmutzig machen. De Laurent deutete mit dem Pistolenlauf an, dass Adam sich in einen der Sessel am Kaminfeuer setzen solle. Adam gehorchte. Rocco nahm in dem Sessel Platz, der auf der anderen Seite des Feuers stand. Er blickte Adam mit einem angedeuteten Kopfschütteln an, dann blickte er auf die Pistole in seiner Hand.
»Ich hasse diese Dinger«, begann De Laurent und betrachtete die Waffe wie ein Museumsstück von allen Seiten. »Als reines Objekt sind Pistolen ausgesprochen hässlich.« Er legte die Waffe auf einen Beistelltisch, auf dem noch ein halb volles Brandyglas von dem Zusammentreffen der Verschwörer stand.
»Weißt du, das hier ist mir ausgesprochen zuwider. Ich habe gehofft, wir können uns wie Gentlemen unterhalten.«
»Sie haben meine Eltern auf dem Gewissen.« Plötzlich war Adams Zorn wieder da. Er hatte ihn all die Wochen im Internat unterdrückt, als er in die Rolle des Lorenz Euler geschlüpft war, doch jetzt war er wieder Adam Cassel, und er spürte, wie sein Blut kochte.
De Laurent hob beschwichtigend die Hände. »Ich weiß, du bist wütend auf mich. Du hast allen Grund dazu. Doch ich möchte dich darum bitten, dass du dir anhörst, was ich zu sagen habe, bevor du dir ein Urteil über mich bildest.«
Adam blieb stumm. Er musste all seine Beherrschung aufbringen, um De Laurent nicht an die Kehle zu springen.
»Deine Eltern waren gute Menschen. Wirklich. Du wirst es vielleicht nicht glauben, doch sie lagen mir sehr am Herzen. Ich mochte deinen Vater sehr, und deine Mutter war meiner Frau eine gute Freundin.«
»Sprechen Sie nicht über sie!«, zischte Adam.
»Ihr Tod war ein Fehler. Ein Missverständnis. Ich wollte nicht, dass sie sterben.«
»Was reden Sie denn da? Sie haben doch den Befehl dazu gegeben.«
De Laurent blickte ins Feuer. »Meine Organisation zieht es vor, im Geheimen zu arbeiten. Wir hatten eine undichte Stelle. Einen Maulwurf. Ich habe Bruno angewiesen, den Maulwurf zu finden und auszuschalten. Hätte ich gewusst, dass die Spur zu deinen Eltern führt, wäre ich möglicherweise anders verfahren.«
Er spricht von Blue Fox, dachte Adam, dem Informanten, der meinem Vater Dokumente zugespielt hat.
»Wer war dieser Maulwurf?«, fragte Adam.
»Das bleibt mein Geheimnis.«
»Woher wussten Sie, dass ich Adam Cassel bin?«, fragte Adam.
»Oh, für wie dumm hältst du mich?«, fragte De Laurent mit einem Lachen. »Mir entgeht nichts, was mit meiner Familie zu tun hat. Besonders nicht, wenn es um meine Tochter geht. Ich habe überall meine Quellen, die mir Dinge von Interesse zuflüstern.«
»Sie lassen sie im Internat überwachen?«
»Natürlich. Manche Schüler sind für den Austausch von Informationen gegen Bezahlung sehr empfänglich. Einer davon hat mir von dir berichtet.«
Adam dachte nach. Wer könnte ihn verraten haben? Dann fiel es ihm ein. Natürlich! Es gab nur einen, der infrage kam.
»Gregg Maitland«, sagte Adam. »Kein Wunder, dass er auf einmal so stinkfreundlich zu mir war.«
Rocco schmunzelte. »Gregg?«, sagte er ungläubig. »Wie kommst du denn auf diese Idee? Nein, nein. Es stimmt, dass ich Gregg gern als Schwiegersohn gehabt hätte. Verbindungen zur US-Regierung hätten für meine Organisation äußerst nützlich werden können. Doch Claire hat nun mal ihren eigenen Kopf.«
»Wenn nicht Gregg, wer dann?«
»Jonathan Berger. Dein Zimmergenosse.«
Adam sah Rocco ungläubig an.
»Er hat dich und Claire auf Schritt und Tritt verfolgt und mir jeden Tag Fotos geschickt. Er wusste zwar nicht, wer du wirklich bist, doch ich habe dich sofort erkannt. Wenn du glaubst, dass ich mich von einer anderen Haarfarbe täuschen lasse, dann irrst du dich.«
Jonathan hatte ihn verraten. Adam konnte es nicht glauben.
»Ich wusste, dass du kommst, und ich weiß, dass du deine Eltern rächen willst. Das verstehe ich auch. Wenn jemand meiner Familie etwas antun würde, würde ich auch nicht ruhen, bis ich ihn zur Strecke gebracht hätte. Sieh mal, ich bin Geschäftsmann. Ich glaube, wir können ein Arrangement treffen, das uns beiden nützt. Bruno?«
Adam stutzte, als Rocco den Namen seines Bodyguards rief. Bruno öffnete die Tür und betrat den Billardsalon. Adam stand auf. Er fand sich Angesicht zu Angesicht mit dem Mörder seiner Eltern.
De Laurent erhob sich ebenfalls. Er stellte sich hinter Adam und flüsterte ihm ins Ohr. »Das ist der Mann, der deine Eltern ermordet hat«, begann De Laurent. »Ich mache dir ein Angebot. Du kannst dein altes Leben wiederhaben. Weltreisen, Designerkleidung, schnelle Autos, alles, was du dir wünschst. Du wirst Teil der Familie De Laurent. Teil der Organisation. Ich werde dich wie einen Sohn behandeln. Claire ist in dich verliebt. Sie wird dir gehören. Das alles wird eines Tages dir gehören. Der Landsitz, mein Vermögen, meine Tochter.«
Adam schluckte. Er dachte an die Zeit zurück, als sein Leben ein einziger Luxusurlaub gewesen war. Als er keine Sorgen gehabt hatte. Als er jeden Tag genossen hatte. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als dass es wieder so war wie früher. Und Claire? Er liebte sie doch. Wenn er seinen Hass für Rocco überwinden könnte, wäre er frei, um ihre Liebe zu erwidern. Er schloss die Augen und dachte an ihren Kuss. Ihren Tanz auf der Party. Das Feuerwerk, das ihr Gesicht erleuchtet hatte.
Adam spürte einen harten Gegenstand in seiner Hand. Er öffnete die Augen wieder. Rocco hatte die Pistole in seine Hand gelegt. Er umschloss Adams Hand mit seiner, hob sie an und zielte mit der Pistole direkt auf Bruno.
»Alles, was du tun musst, ist abzudrücken.«
Bruno stutzte.
Adam blickte ihn an.
Jetzt hatte er es in der Hand. Er konnte seine Eltern mit einer einzigen Fingerbewegung rächen. Er musste nur abdrücken.
Adam zitterte. Er versuchte, sich das Bild seiner Eltern ins Gedächtnis zu rufen. Wie sie in ihrem eigenen Blut dalagen. Wie sein Vater sein letztes Wort ausgehaucht hatte: Lauf!
Er richtete die Pistole auf Bruno. Er ließ den Hass in sich hochsteigen. Er musste es tun. Er musste seine Eltern rächen.
Sein Zeigefinger bewegte sich nicht. Adam spürte nicht einmal, wie ihm die Tränen über die Wangen liefen.
Er schrie auf. »Aaaaaaah!«
Seine Hand öffnete sich. Die Pistole fiel zu Boden.
Adam sank auf die Knie. Er vergrub sein Gesicht in den Händen. Er hatte es nicht getan. Er hatte seine Eltern nicht gerächt. Er hatte es nicht geschafft, kaltblütig ein Leben auszulöschen. Er hatte versagt.
De Laurent hob die Waffe auf und wog sie in seiner Hand. Adam blickte zu ihm auf.
»Adam, Adam«, seufzte er. »Dein Vater wäre enttäuscht von dir.«
Bruno trat zu ihnen, und Rocco händigte ihm die Waffe aus.
»Ich will meine Gäste nicht länger warten lassen«, sagte er zu seinem Bodyguard. »Du weißt, was zu tun ist.«
Bruno nahm die Pistole, hielt sie an ihrem Lauf fest und schlug Adam damit in den Nacken.
Dunkelheit umgab ihn.