Ein Problem hatte das andere abgelöst. Jetzt konnte er so viel Krach verursachen, wie er wollte, über das Dröhnen der Maschinen würde ihn niemand hören. Doch im Gegenzug war er auf diesem Schiff gefangen. Wenn er es nicht irgendwie schaffte, Beweise für die Waffenlieferung zu finden und damit von Bord zu kommen, bevor sie das offene Meer erreichten, war er dazu verdammt, als blinder Passagier bis zum Zielhafen mitzufahren. Eins nach dem anderen, dachte er sich.
Er hob die Axt an und schlug erneut damit zu. Wieder und wieder ließ er die schwere Klinge auf das Vorhängeschloss niedersausen. Da er jetzt nicht mehr auf die Geräusche achten musste, die er verursachte, konnte er mit aller Kraft zuschlagen. Trotzdem sah er sich immer wieder um, falls einer der patrouillierenden Wachen zufällig in seine Richtung kam. Nach sieben Schlägen gab das Schloss nach. Der Bügel brach in zwei Hälften, und es fiel scheppernd zu Boden. Adam zog an der Stange, die die Tür verriegelte. Sie öffnete sich, und Adam betrat den Innenraum.
Die Lampe, die den Laderaum des Schiffes mit ihrem schummrigen Licht erhellte, war die einzige Lichtquelle. Die Ladung des Containers lag in völliger Dunkelheit. Adam zog sein Handy aus der Hosentasche und schaltete die Taschenlampe ein. Im Lichtkegel tauchte ein Stapel Säcke auf, die im Innenraum aufgeschichtet worden waren. Adam zog einen von ihnen zu sich heran. Das UNICEF-Logo war darauf zu sehen. Hatte De Laurent die Waffen in den Säcken versteckt? Adam musste es überprüfen. Er benutzte die scharfe Kante der Feueraxt, um ein Loch in das Plastikgewebe zu schneiden. Ein Rinnsal goldener Weizenkörner rieselte daraus hervor. Adam leerte den Sack auf dem Boden des Containers aus, doch außer dem Getreide enthielt er nichts. Fehlanzeige. Adam dachte nach. Er konnte ja wohl kaum die ganze Ladung aufschneiden und überprüfen. Was wäre, wenn er mit seinem Verdacht völlig danebenlag? Dann würde er tonnenweise Weizen verschwenden, der für bedürftige Menschen bestimmt war. Vielleicht musste er anders an die Sache herangehen. Er musste sich in De Laurent hineinversetzen. War es wirklich die beste Methode, die Waffen in einzelnen Säcken zu verstauen? War das nicht viel zu aufwendig? Adam sah sich den Stapel an. Es war doch möglich, dass diese Säcke eine Art Hülle bildeten, in deren Mitte die Waffen versteckt worden waren. Es gab nur eine Methode, diese Theorie zu überprüfen. Adam kletterte auf den Stapel und begann, die oberste Schicht abzutragen, indem er die Säcke so sanft wie möglich zu Boden gleiten ließ. Es war mühsame Arbeit. Jeder einzelne wog mindestens fünfzig Kilogramm, und Adam musste sich mit den Händen abstützen und gleichzeitig mit den Füßen schieben, um sie überhaupt vom Fleck zu bewegen. Nach zehn Minuten hatte er die oberste Reihe abgetragen. Er hielt inne und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Nach einer kurzen Pause nahm er die Arbeit wieder auf. Er bugsierte drei weitere Säcke auf den Boden. Als er den letzten Sack von seinem Platz bewegt hatte, kam darunter ein Zwischenraum zum Vorschein. Adams Arm würde gerade so hineinpassen. Er legte sich auf den Bauch und steckte seinen Arm in das Loch. Als dieser vollkommen darin versunken war, streckte er seine Finger aus … und berührte Metall.
Sofort rappelte er sich auf und begann, mit neuem Elan die Lücke freizuräumen. Es dauerte eine halbe Stunde, bis er die vier Schichten, die die Metallplatte verdeckten, entfernt hatte. Doch als er endlich den letzten Sack vom Stapel heruntergeschoben hatte, blickte er auf eine grünlich graue Metallkiste. Sie hatte etwa die Größe eines Kleinwagens, und war ringsherum in die Getreidesäcke eingebettet wie das Dotter in einem Eiweiß. An der Seite war sie mit einem großen Vorhängeschloss abgesperrt.
Adam kletterte von dem Getreidestapel herunter und ergriff die Axt, die er am Boden des Containers zurückgelassen hatte. Damit kletterte er wieder auf die Kiste hinauf. Mit Schwung ließ er sie auf das Vorhängeschloss niedersausen. Zehn Schläge später war sein Bügel durchtrennt. Adam legte die Axt ab. Sein Puls raste. Mit zitternden Händen öffnete er den Metalldeckel und klappte ihn nach hinten. Erschöpft ließ er sich auf die Fersen sinken. Im Inneren der Kiste lagen, vorsichtig in Schaumstoff eingebettet wie Pralinen in einer Schachtel, genug Antipersonenminen, um einen ganzen Landstrich unbegehbar zu machen. Das war der Beweis, den er gesucht hatte. De Laurent schmuggelte im großen Stil verbotene Waffen. Adam nahm sein Handy aus der Tasche und öffnete die Kamera-App. Er schoss einige Fotos der Minen. Für den Transport waren diese sicher entschärft worden, dennoch war er äußerst vorsichtig, als er ein Exemplar aus dem Schaumstoffbett hob und es so drehte, dass man das Logo des Herstellers und die Seriennummer lesen konnte. Er machte weitere Fotos und öffnete dann seine E-Mail-App. Aus der Galerie wählte er die besten Bilder aus, dann hängte er diese an eine E-Mail an, die er an Yasemin adressierte. Er drückte auf Senden. Verdammt, kein Netz! Hier im Laderaum hatte sein Handy natürlich keinen Empfang. Er musste ans obere Deck zurückkehren. Adam steckte sein Handy wieder ein, kletterte von dem Getreidestapel herab und verließ den Container. Es hatte keinen Sinn, ihn wieder zu verschließen. Das würde ihn nur Zeit kosten, die er nicht verschwenden durfte. So schnell er konnte, rannte er die Treppen des Laderaums hinauf. Er kletterte die Leiter empor und fand sich auf dem Deck des Frachters wieder. Hastig blickte er sich um, doch es war keiner der Wachmänner zu sehen. Er lief zum Rand des Schiffes und blickte über die Reling. Die Agamemnon war kurz davor, das Festland hinter sich zu lassen und aufs offene Meer hinauszufahren. Adam kramte sein Handy hervor. Die Signalanzeige hatte einen einzigen Strich. Er öffnete das E-Mail-Programm und drückte erneut auf Senden. Ein Icon erschien auf dem Display, das sich im Kreis drehte.
»Mach schon«, flüsterte Adam dem Handy zu, als würde er dadurch den Sendevorgang beschleunigen. Selbst wenn die E-Mail erfolgreich verschickt würde, musste er ja noch einen Weg finden, zurück aufs Festland zu kommen. Sollte er einfach über Bord springen? Er blickte über die Reling. Der Wind war stärker geworden und peitschte ihm dicke Regentropfen ins Gesicht. Unter ihm schäumte das Wasser und warf große Wogen an den Bauch des Schiffes. Da hineinzuspringen, bedeutete den sicheren Tod. Er blickte aufs Handy. Das Icon drehte sich immer noch sorglos weiter, als hätte es alle Zeit der Welt.
»Komm schon, komm schon!«, beschwor Adam das Handy.
Er blickte sich um. War das die Lösung? Hinter ihm hing ein Rettungsring in einem Gehäuse. Wenn er sich diesen umlegte und ins Wasser sprang, dann …
»Hey!«, rief eine Stimme neben ihm. Adam drehte sich zu ihr um. Der Lauf eines Sturmgewehrs traf ihn an der Schläfe.
Er fiel in ein schwarzes Loch.