Epilog

Regen prasselte auf die Windschutzscheibe. Der Himmel über der Stadt war wolkenverhangen, und Blitze zuckten in der Ferne. Ein schwarzer Wagen mit getönten Scheiben fuhr eine sechsspurige Straße entlang. An diesem Nachmittag herrschte wenig Verkehr, und der Wagen huschte wie ein Phantom durch die große Stadt. Ein glatzköpfiger Mann saß am Steuer des Wagens. Im Wageninneren hatten ein junger Mann und eine junge Frau Platz genommen. Der Mann kaute nervös auf seiner Unterlippe und blickte aus dem Fenster auf die Laubbäume, die die Allee säumten und nach dem kalten Winter langsam die ersten Knospen bildeten. Die Frau beobachtete mit finsterer Miene die Regentropfen, die an der kugelsicheren Scheibe hinabperlten.

Der Wagen überquerte eine Brücke, die einen breiten Fluss überspannte, und bog kurz danach links ab. Am Fuße eines Gebäudekomplexes fuhr der Wagen eine Einfahrt hinab, die zu einem unterirdischen Parkplatz führte. Dieser bestand aus mehreren Etagen, und der Wagen glitt die Rampen hinab, bis er das unterste Parkdeck erreicht hatte. Dort fuhr er auf ein Stahltor zu, das in eine Wand eingelassen war. Neben dem Tor ragte eine Säule empor, in die eine Gegensprechanlage eingelassen war. Der Fahrer betätigte den Schalter des Fensterhebers und ließ die Scheibe herunter. Er drückte auf den Knopf der Gegensprechanlage und blickte in eine kleine Kameralinse, die über dem Knopf eingelassen war. Ein Lautsprecher unter dem Knopf erwachte knisternd zum Leben.

»Das Auge sieht alles«, sagte eine Stimme.

»Und das Auge kennt keine Gnade«, antwortete der Fahrer.

Das Knistern des Lautsprechers erstarb. Die Stahltür hob sich und gab den Blick auf einen Raum frei, in den der Wagen gerade so hineinpasste. Zwei Neonröhren in der Decke spendeten grünlich-fahles Licht. Der Fahrer ließ den Wagen vorsichtig in den Raum gleiten. Sofort schloss sich die Stahltür hinter ihm. Jonathan Berger, der junge Mann auf dem Rücksitz, wandte sich an seine Mitfahrerin.

»Sind wir da?«, fragte er. Es gelang ihm nicht, die Unsicherheit in seiner Stimme zu verbergen. Die Frau antwortete nicht. Im selben Moment drang ein mechanisches Geräusch von außen zu ihnen herein. Irgendwo, in den Tiefen des Gebäudes, setzte sich eine Maschine in Gang. Der Boden erzitterte, und Jonathan spürte ein Gefühl im Bauch, als würde er leichter werden. Ihm wurde klar, dass sie sich in der Kabine eines Aufzugs befanden, der den Wagen noch tiefer unter die Erde beförderte.

Minuten später kam der Aufzug mit einem Rums zum Stehen. Durch die Windschutzscheibe war eine zweite Stahltür sichtbar, die sich nun hob. Der Wagen fuhr aus dem Aufzug hinaus und glitt über einen Privatparkplatz, auf dem es genau zehn Parkbuchten gab. Jonathan pfiff leise, als er sah, was für Autos in diesen Parkbuchten abgestellt worden waren. Er sah einen Maybach, einen Rolls Royce, einen Aston Martin und sogar einen Koenigsegg.

»Krasse Schlitten«, murmelte er.

Der schwarze Wagen bog in die einzige freie Parkbucht ein, und der Fahrer stieg aus. Er öffnete der jungen Frau die Tür, während Jonathan allein ausstieg.

»Danke, Bruno«, sagte die Frau.

Sie ging zu einer Tür, die sich am Ende des Parkplatzes befand. Dort legte sie ihre Handfläche auf eine schwarze Scheibe, die in die Wand eingelassen war, und blickte in die Linse einer Kamera. Kurz darauf öffnete sich die Tür mit einem Klicken. Die Frau ging hinein, dicht gefolgt von Jonathan und Bruno. Ein kurzer Gang mündete in einen großen Raum, der von einem langen Tisch dominiert wurde. An diesem Tisch saßen neun Personen. Der zehnte und letzte Stuhl war frei. Die Frau ging auf den Stuhl zu und setzte sich hin. Bruno und Jonathan stellten sich hinter sie.

Ein Mann, der am Kopf des Tisches saß, begann zu sprechen. »Da wir nun alle vollzählig sind, können wir beginnen«, sagte er auf Englisch.

An der Wand leuchtete ein Bildschirm auf. Darauf war ein großes Auge zu sehen, aus dem ein Blutstropfen rann.

»Das Auge sieht alles«, murmelten die Teilnehmer. »Und das Auge kennt keine Gnade.«

Der Mann, der zuerst gesprochen hatte, ergriff wieder das Wort. »Unsere Organisation hat leider in den letzten Tagen einen schweren Rückschlag hinnehmen müssen. Das Projekt Agamemnon endete in einem katastrophalen Fehlschlag. Wir haben den Tod eines unserer Mitglieder zu beklagen. Rocco De Laurent war einer unserer wertvollsten Operatoren. Glücklicherweise haben wir bereits einen Nachfolger gefunden, den ich Ihnen nun vorstellen möchte.«

Er deutete auf die Frau, die in dem schwarzen Wagen gesessen hatte. »Ich präsentiere Ihnen Claire De Laurent. Seine Tochter.«

Claire stand auf. Sie zeigte nicht den geringsten Hauch von Nervosität. Im Gegenteil, sie ließ ihren Blick mit fester Miene über die Anwesenden schweifen. »Mein Vater war ein gnadenloser Kämpfer für unsere Sache. Er hat mir in seinem Testament das Manifest unserer Organisation hinterlassen. Ich stehe voll und ganz hinter unseren Zielen.«

Die Teilnehmer des Treffens murmelten anerkennend.

»Doch bevor wir seine Arbeit fortführen, gibt es eine Pflicht, die wir erfüllen müssen. Einer unserer Leitsätze ist es, beim Umgang mit unseren Feinden keine Gnade walten zu lassen und an denen Rache zu üben, die sich uns in den Weg stellen. Wir schulden es meinem Vater, dass sein Tod gesühnt wird.«

Den letzten Satz hatte sie mit einer solchen Bitterkeit gesagt, dass die Anwesenden verstummten.

Claire blickte jeden Einzelnen von ihnen an. »Ich weiß, wer für den Tod meines Vaters verantwortlich ist. Und ich möchte vor Ihnen allen einen Schwur ablegen, dass ich alles tun werde, um ihn auszuschalten.« Wieder hielt Claire inne, bis ihre Worte verhallt waren. »Der Mann, der seinen Tod verursacht hat, wird es bereuen, dass er je unseren Weg gekreuzt hat. Ich erkläre ihn hiermit zu einem offiziellen Widersacher unserer Organisation. Habe ich Ihre Unterstützung?«

Die Anwesenden hoben nacheinander die Hand.

»Dann ist es beschlossene Sache«, sagte Claire.

»Adam Cassel muss sterben.«