Nachdem Max das Krankenhaus verlassen hatte, rief Max seinen ehemaligen Kollegen Böhmer an.
»Du sagtest, ich soll dir Bescheid sagen, wenn ich dich hier brauche.«
»Was ist los?«
»Ich weiß jetzt, warum Keskin dich herschicken wollte.«
»Ach, und warum?«
»Sie möchte sichergehen, dass Jana in meiner Nähe nicht das gleiche Schicksal ereilt wie Hauptkommissar Bernd Menkhoff.«
»Was? Das kann doch nicht …«
»Doch, Horst, es kann. Und deshalb tu mir bitte den Gefallen und komm her. Vielleicht hat sie ja recht.«
»Spinnst du jetzt auch schon? Was soll das denn heißen?«
»Jana ist niedergeschlagen worden. Was, wenn derjenige es noch mal versucht und dann erfolgreicher ist? Also bitte, komm und kümmere dich um Jana.«
»Moment mal, Herr Bischoff. Wenn ich diesen Weg auf mich nehme, dann werde ich …«
»… dann wirst du dich um Jana kümmern. Du erinnerst dich an unser Gespräch wegen Hauptkommissar Zerbach? Wenn du herkommst, um in dem Fall mitzumischen, wird er wahrscheinlich ausflippen. Aber gegen einen fürsorglichen Polizeibeamten und Freund, der sich um seine Kollegin sorgt, kann er nichts einzuwenden haben.«
»Und du glaubst im Ernst, der erfährt nicht innerhalb kürzester Zeit, dass ich dein Expartner bin?«
»Das ist mir egal. Du kommst nach Klotten, um dich um Jana zu kümmern, und das ist nichts, wogegen er irgendetwas haben kann.«
»Ich bin gegen Mittag da«, brummte Böhmer, dann legte er auf.
Max stieg in sein Auto und machte sich auf den Weg zurück nach Klotten. Er fuhr direkt zum Haus von Melanie Dobelke. Ihr Mann öffnete und verzog das Gesicht, als er Max vor der Tür stehen sah. »Was wollen Sie denn schon wieder? Warum lassen Sie sie nicht in Ruhe?«
»Da Sie zu Hause sind, unterhalte ich mich auch gern mit Ihnen. Ist das okay?«
»Ähm … ja, sicher«, sagte Pung überrascht.
»Gut, wo wollen wir reden?«
Er sah nach hinten in den Flur und nickte Max zu. »Also gut, ich komme raus, dann können wir ein paar Meter gehen. Melli ist irgendwo im Keller und räumt auf, aber sie kann jeden Moment raufkommen und muss ja nicht mitbekommen, dass wir uns unterhalten. Sie hat es immer noch nicht verkraftet, dass sie glaubt, Peter gesehen und mit ihm gesprochen zu haben.«
»Sie sagten, Ihre Frau ist irgendwo im Keller?«, fragte Max, als Pung kurz darauf in einer dicken Jacke nach draußen kam und die Tür hinter sich zuzog. »Das hört sich an, als sei er recht groß.«
»Ja, das Haus ist von 1899 und hat drei Kelleretagen mit insgesamt dreihundert Quadratmetern und zudem einen geheimnisvollen Bruchsteinkeller. Es war früher mal ein Weingut. Dort unten kann man sich wirklich verlaufen.«
»Wow!«, sagte Max und war zufrieden, dass Torsten Pung ein wenig lockerer zu werden schien.
»Sie sagten eben, dass sie glaubt, Peter gesehen zu haben. Heißt das, Sie glauben es nicht?«
Sie wandten sich nach links und schlenderten den Weg entlang.
»Nein, ich … ach, es ist schwierig. Ich habe von der ganzen Sache damals nichts mitbekommen. Ich bin nicht in Klotten aufgewachsen. Melli schon, obwohl sie in Bonn geboren wurde und erst 1987 mit ihren Eltern hierhergezogen ist. Da war sie zehn.«
»Wie lange kennen Sie sich?«
»Rund zehn Jahre. Zwei davon sind wir verheiratet.«
»Und was lässt Sie daran zweifeln, dass Peter Kautenberger wieder aufgetaucht ist?«
»Mein gesunder Menschenverstand. Was sagt Ihrer dazu?«
»Das ist was anderes. Aber Melanie ist Ihre Frau.«
»Ja, doch alles, was die damalige Zeit betrifft, ist schwierig. Ich glaube, sie hat Peter Kautenberger sehr geliebt, und als er so plötzlich verschwunden ist, hat es ihr das Herz gebrochen. Und zwar so sehr, dass die Wunde jetzt wieder aufgerissen ist, wo diese Geschichte hochkocht und bis ins kleinste Detail wieder und wieder durchgekaut wird. Vor allem, wenn dieser Zerbach bei uns auftaucht, sollten Sie sie mal erleben. Beim ersten Mal hat sie am ganzen Leib gezittert. Sie macht total dicht, wenn sie ihn sieht. Ich glaube, bei den Ermittlungen damals war er schon genauso ein Arschloch wie jetzt. Irgendetwas muss passiert sein, denn sie weigert sich, noch mal mit ihm zu reden.«
»Hm«, brummte Max und überlegte, dass diese Schilderung nicht zu dem passte, was Zerbach ihm erzählt hatte. »Kommen wir noch mal auf Peter Kautenberger zurück. Was wissen Sie über ihn?«
Pung zuckte mit den Schultern. »Nur das, was Melli mir erzählt hat. Hier im Ort redet fast niemand über ihn.«
»Und was hat sie erzählt?«
»Nun, dass sein Vater Winzer war, wie viele andere hier. Er muss ein ziemlicher Arsch gewesen sein, weil Peters Mutter mit einem anderen weggezogen ist und sogar ihren Sohn zurückgelassen hat. Das muss Peter damals ziemlich mitgenommen haben. Alles in allem sagt Melli, er war im Ort recht beliebt, bis er anfing, von diesem Mist mit dem Wein zu reden.«
»Was genau hat er darüber gesagt?«
»Das weiß ich nicht. Ich denke, niemand im ganzen Ort weiß das so genau. Aber alle wissen, dass es um Weinpanscherei ging und dass kein Winzer hier das tun würde.«
»Man könnte also sagen, Peter hat es sich damals hier mit allen im Ort verscherzt.«
»Aber so richtig.«
»Und dann verschwindet er von einem Tag auf den nächsten ohne Ankündigung.«
»Genau. Und es liegt auf der Hand, dass einer oder mehrere aus dem Ort dafür gesorgt haben, dass er damit aufhört, diese Anschuldigungen herumzuposaunen.«
Max nickte. »Ich hätte es nicht besser formulieren können. Aber es konnte niemandem etwas nachgewiesen werden. Und – noch wichtiger – es wurde nie eine Leiche gefunden.«
»Genau. Das bedeutet aber auch nicht zwangsläufig, dass er über zwanzig Jahre lang irgendwo als Gespenst gelebt hat und jetzt wieder hier auftaucht und seiner ehemaligen Freundin einen Besuch abstattet.«
Max blieb stehen, Pung machte noch zwei Schritte, blieb ebenfalls stehen und wandte sich dann Max zu.
»Herr Pung, darf ich Ihnen eine recht persönliche Frage stellen?«
»Fragen können Sie immer …«
»Glauben Sie wirklich nicht, dass Peter Kautenberger wieder da ist, oder wollen Sie es nicht glauben und haben in Wahrheit Angst davor, weil Sie wissen, wie sehr Ihre Frau damals in ihn verliebt war?«
Für einen Moment arbeitete es in Pung, das war deutlich an seinem Gesicht abzulesen, dann sah er Max offen an und sagte: »Ich denke, es ist eine Mischung aus beidem.«