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„Und wie sie duftet“ – Eine Rose für eine ehemalige Nonne

Es war, was Big Chief einen Deal nennen würde, eine Art Tauschgeschäft. Robin hatte die Glaskugel genommen und kräftig geschüttelt, sodass es ordentlich geschneit hatte über dem Herrn Jesus, der vollkommen unter der weißen Flockenpracht versunken war. Der Herr Jesus hatte sich über die weißen Flocken gefreut; jedenfalls hatte das so ausgesehen. Der Schnee war ja auch nicht kalt und Jesus brauchte darunter nicht zu frieren.

Im Gegenzug für Robins große Schüttelei und den überaus prachtvollen, wenn auch künstlichen Schnee hatte der Herr Jesus versprechen müssen, Robin bei seinem Besuch bei Schwester Basilea zu begleiten. Deshalb beulte sich Robins Hosentasche jetzt gewaltig. Denn Robin hatte den Glaskugeljesus hineingestopft zwischen die Münzen, die von seinem Farbeneinkauf übrig geblieben waren. Allzu viele waren es nicht, aber Robin hoffte doch, dass sie noch für eine Blume reichen würden.

In Murphys kleinem Laden, in dem es alles gab, was das Herz begehrte, kippte Robin die Münzen auf die Theke. Keuchend zählte Murphy das Geld zusammen. „Reich bist du nicht, mein Junge“, schnaufte er, als hätte ihn das Zählen aus der Puste gebracht, „aber für eine Blume reicht es allemal. Was für eine willst du?“

Diese Frage konnte Robin selbst nach einer schlaflosen Nacht, in der er über dieses und jenes und auch über Blumen nachgedacht hatte, nicht beantworten. Hilflos zuckte er mit den Schultern. „Das weiß ich leider nicht!“

„Mmmh“, brummte Murphy und kratzte sich am Kinn. „Für wen soll die Blume denn sein?“

Darauf hätte Robin natürlich eine Antwort gewusst, aber da er schlecht sagen konnte: „Ich besuche eine alte Frau, die einmal eine Nonne gewesen ist“, murmelte er nur leise etwas vor sich hin. Das konnte Murphy sicher nicht verstehen, erstaunlicherweise genügte es ihm aber.

„Dann nimmst du am besten eine Rose“, sagte Murphy mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete. „Sie darf aber nicht rot sein. Auf keinen Fall darf sie rot sein! Eine rote Rose wäre viel zu verfänglich. Am besten nimmst du, mmmh, lass mich nachdenken, am besten nimmst du eine weiße!“

Robin verstand zwar nicht, was an seinem Besuch bei Schwester Basilea verfänglich sein sollte, er wusste auch nicht, was das Wort überhaupt bedeutete. Konnte er sich bei Schwester Basilea denn verfangen und in ihrem Haus hängen bleiben wie eine Mücke in einem Spinnennetz kleben blieb? Eine Rose war allerdings eine ausgezeichnete Idee. Noch dazu eine weiße! Darauf hätte er auch selbst kommen können, wo es doch so naheliegend erschien: Weiß war weder Orange noch war es Grün. Es war auch nicht Rot und auch nicht Blau. Kein Union Jack. Keine Trikolore. Oder etwa doch? Kam Weiß nicht in beiden Fahnen vor?

Aber egal. Im Augenblick hatte Robin keine Zeit, weiter darüber nachzudenken. Weiß war jedenfalls eindeutig mittendrin. Und darüber hinaus: Hatte Schwester Basilea nicht nach Rosen geduftet, als er sie gestern in der Kirche getroffen hatte?

„Danke!“

„Nichts zu danken, mein Junge!“ Murphy fegte die Münzen in die Ladenkasse und zwinkerte Robin zu. „Viel Spaß mit deiner Rose“, sagte er, „und vergiss nicht: Bei Murphy’s findest du alles, was dein Herz begehrt.“

Mit einer Rose in der Hand, noch dazu einer weißen, fühlte sich Robin gleich bedeutend wohler, obwohl sie ihn mit ihren Dornen in die Finger stach. Nie dürfe man mit leeren Händen kommen, hatte Mum gesagt. Sie hatte es betont. Nun kam er nicht mit leeren Händen. Und noch etwas beruhigte ihn: Mit jedem Schritt drückte der Herr Jesus gegen Robins Oberschenkel, als wollte er ihm dadurch zu verstehen geben, dass er mit ihm ging. Schließlich war es auch so ausgemacht.

Die Union Street, in der sich Schwester Basileas Haus befand, lag in einem Teil von Portamena, in den Robin selten – um nicht zu sagen, niemals – kam. Die Straßen glänzten, als hätte jemand sie zunächst aufgeräumt und danach gründlich mit Seife geschrubbt. Ganz anders sah es in Robins Viertel aus, wo der Wind beständig den Müll über die Gehwege und ab in den Rinnstein blies. Papiertüten, Getränkedosen, Bierflaschen, manchmal sogar Windeln – und nicht immer waren sie leer. Die Häuser in der Union Street wirkten auch viel größer. Sie bestanden aus drei Stockwerken und obenauf hockte ein spitzes Dach wie ein kleiner Hut. Hier gab es Vorgärten, manche waren gepflastert, andere mit Rasen bepflanzt, und Hinterhöfe, in denen die Leute Gemüse oder Blumen anpflanzten und ihre Wäsche trockneten. Der größte Unterschied aber bestand darin: Niemand hier hatte seine Bordsteine angemalt. Nur die vor Schwester Basileas Haus, 32, Union Street, leuchteten unverkennbar – in strahlendem WEISS.

An Schwester Basileas Tür gab es keine Klingel. Nur einen Türklopfer. Ein mit Messing beschlagener Löwe trug einen Ring im Maul. Robin schlug ihn gegen die Tür.

Es dauerte nicht lange und sie stand da. Schwester Basilea breitete die Arme aus, als wollte sie Robin einfangen, (ob er wirklich bei ihr kleben bleiben würde?) und ungezählte Petersilienblätter kräuselten sich in ihrem Gesicht. Es waren sicher noch viel mehr als gestern – obwohl Robin da schon darüber gestaunt hatte –, als wäre ihr Gesicht ein üppiges Gemüsebeet. „Wie schön, dass du kommst“, rief sie, „allerdings habe ich auch nie daran gezweifelt!“

„Hier“, sagte Robin schnell, und er hielt ihr die Rose hin. „Für Sie!“

„Oh!“ Schwester Basilea nahm Robin die Rose aus der Hand und schnupperte daran. „Eine Rose“, stellte sie fest, als wäre es nicht offensichtlich „Und wie sie duftet! Vielen, vielen Dank! Aber wie hast du bloß herausgefunden, dass Weiß meine Lieblingsfarbe ist?“

„Weil es auch meine ist“, sagte Robin, obwohl er das bis gerade eben nicht gewusst hatte.

„Da siehst du es wieder“, sagte Schwester Basilea und sie klang sehr zufrieden. „Ich sagte doch schon, dass wir uns eine Menge zu erzählen haben. Aber tritt ein, Love!“ Und sie schob die Tür weit auf und machte einen Schritt zur Seite.

Auf dem Boden im Flur lagen, über blanke Holzdielen gebreitet, weiche Felle. Robin streifte die Schuhe von den Füßen und fühlte den warmen Flaum, als er in die Diele trat.

„Geh schon voraus ins Wohnzimmer“, sagte Schwester Basilea und wies Robin mit ausgestreckter Hand den Weg. „Ich gieß rasch den Tee auf und steck die Rose in die Vase.“ Und sie verschwand hinter einer Tür, die vermutlich in die Küche führte.

Im Wohnzimmer schlug Robin wohlige Wärme entgegen. Im Kamin prasselte ein lustiges Feuer, ganz wie es Schwester Basilea versprochen hatte. Knisternd purzelten ein paar Holzscheite zusammen, als Robin eintrat. Auf dem Kaminsims standen wie in einer Galerie eine Reihe gerahmter Fotografien, auf denen Robin eine Menge fröhlicher Gesichter entgegenlachten. Offenbar kannte Schwester Basilea viele Menschen, die sie mochte. Und die wiederum sie mochten.

„Meine Familie“, sagte Schwester Basilea erklärend, als sie mit einem Tablett zurückkam und Robin vor den Bildern stehen sah. „Die Kinder meiner Schwestern. Meine Eltern. Meine Freunde.“

Auf dem Tablett thronte eine dickbauchige Teekanne, auf der sich Blümchen rankten. Daneben standen ein Milchkännchen, eine Zuckerdose und zwei Tassen aus hauchdünnem Porzellan, auch in Blümchenmuster. Veilchen vielleicht oder Primeln, das wusste Robin nicht genau, weil er sich nicht auskannte mit Blumen. Zwei Silberlöffel lagen auf den Untertassen. Auf einem Teller türmten sich Kekse, aus denen Schokoladenstückchen hervorguckten, als wären auch sie lachende Gesichter. Auf einem anderen Teller stapelten sich Sandwiches. Und in einer Vase steckte eine Rose, eine weiße Rose. Robins Rose.

„Ich habe Sandwiches mit Gurke und welche mit Ei“, sagte Schwester Basilea. „Setz dich und greif zu.“

Schwester Basilea stellte das Tablett auf einen niedrigen Holztisch und schenkte den Assam ein. Und ehe Robin sie daran hindern konnte, hatte sie Milch in seinen Tee gekippt und außerdem zwei Zuckerstückchen hinterdrein versenkt.

Sie reichte ihm die Tasse und zwinkerte Robin zu, als wäre nichts geschehen. „Dein Auge sieht wirklich wüst aus“, sagte sie, „hoffentlich wird es bald besser; das wünsche ich dir sehr. Aber nun erzähl mir, was dich gestern zum heiligen Sebastian geführt hat. Ausgerechnet zu diesem Schmerzensmann mit seinen vielen Pfeilen. Das würde ich gerne wissen. Da bin ich richtig neugierig!“

Sie setzte sich Robin gegenüber in einen großen grünen Sessel, der aussah, als hätte er Ohren, und blickte Robin aufmunternd an. Robin starrte in seinen Tee. Die Milch kräuselte sich in dem haselnussbraunen Assam und färbte ihn hell. Jetzt glänzte er beinahe so grau wie der Stein, auf dem Siobhan gesessen hatte. Wie der Stein, der einmal Robins eigener geheimer Stein gewesen, aber ab sofort vielleicht ein gemeinsamer war.

Robin nahm einen Löffel und rührte den Tee um. Dann nippte er an dem nicht länger haselnussbraunen Tee, seinem Assam mit Milch und mit Zucker. Der Tee schmeckte mild und süß. Und weitaus besser, als Robin befürchtet hatte. Er schmeckte sogar ziemlich viel weitaus besser, als Robin befürchtet hatte, er schmeckte, mmmh, ausgesprochen wunderbar.

Robin stellte seine Tasse ab. Er sah Schwester Basilea an. Ihre Augen funkelten freundlich, und um ihr Gesicht lag ein rötlicher Schimmer, als glühten ihre Wangen.

Nun gut, dachte Robin, vermutlich bin ich genau deswegen hier. Um mich mit ihr zu unterhalten. Auch über die Dinge, die ich nicht verstehe. „Ich wollte herausfinden“, sagte er, „wie das alles geht.“

„Wie was alles geht?“, fragte Schwester Basilea.

„Das mit dem Opferbringen“, sagte Robin, „damit es aufhört. Denn es stimmt doch, dass man ein Opfer bringen muss, damit es alles aufhört?“

Schwester Basilea stellte ihre Teetasse ab. Sie sah Robin durchdringend an, und Robin wusste nicht, ob sie etwas in ihm sah, was er selbst nicht sah und auch nicht kannte. Und gerade als er schon nicht mehr wusste, wohin er schauen sollte und in seinem Sessel hin und her wackelte, sagte sie doch endlich etwas.

„Ich habe dir ja bereits gesagt, dass ich mich mit Opfern nicht besonders gut auskenne. So ganz stimmt das allerdings nicht, schließlich war ich einmal eine Nonne. Aber vielleicht ist es sinnvoll, wenn ich dir zunächst ein bisschen mehr von mir erzähle? Denn bestimmt fragst du dich, warum ich hier sitze und mit dir Tee trinke, statt in der Kirche zu knien und zu beten, wie es sich für eine Nonne gehört, auch wenn ich eine ehemalige Nonne bin.“

Robin sah auf den Boden. Genau das hätte er sie jetzt gefragt!

Das Feuer im Kamin knackste. Schwester Basilea stand auf und legte einen Scheit Torf nach. Der Torf verbreitete einen angenehmen, süßlichen Duft. „Lass mich überlegen“, murmelte Schwester Basilea, „wo fange ich an?“

Sie setzte sich wieder in den Ohrensessel und nippte an ihrem Tee. „Vielleicht so: Ich bin lange Zeit Nonne gewesen und den Namen, den sie mir damals im Kloster gaben, war Schwester Basilea von der Schmerzenspforte. Jesus hatte ein Opfer gebracht, wir sollten auch ein Opfer bringen, hieß es. Deshalb mein Name. Immer ging es darum zu leiden. Als ob Jesus gewollt hätte, dass wir alle immerzu leiden, obwohl er es doch schon gemacht hat – für uns! Und eines Tages bin ich aus dem Kloster fort. Ich musste ganz von vorne anfangen, weil ich diesen Jesus liebte. Und ihn wollte ich nicht verlieren, diesen Jesus, der für mich gelitten hat – weshalb es ein für alle Mal reicht.“ Sie schwieg und schenkte Robin Tee nach und auch sich selbst.

„Liegt es also daran“, fragte Robin vorsichtig, denn er wollte nichts Falsches sagen und sie auf keinen Fall beleidigen, „dass Sie gestern in der Kirche sagten, Ihr Name sei ein Irrtum? Ich meine, ein richtiger Irrtum mit zwei R nach dem I und nicht wie in Nordirland, weil Nordirland doch kein Irrtum ist, nicht wahr?“

Schwester Basilea sah Robin erstaunt an. Dann lachte sie leise und schüttelte sehr langsam und entschieden den Kopf. „Nein, Robin, Nordirland ist KEIN Irrtum. Aber mein Name ist es schon, zumindest die zweite Hälfte mit der Schmerzenspforte.“

Namen sind so wichtig, dachte Robin. Aber vielleicht kam es darauf an, von welcher Seite aus man die Dinge betrachtete?

„Aber du hast mich gefragt, ob wir ein Opfer bringen müssen, damit es alles aufhört“, fing Schwester Basilea wieder an. „Dass Jesus am Kreuz gestorben ist, bedeutet tatsächlich, dass es aufhört. Aufhört damit, dass wir die Schuld auf andere schieben. Die Dinge, die uns selbst und anderen schaden, vertuschen. Und wegsehen. Denn am Kreuz schaust du der Liebe ins Gesicht.“

Das klang gut und schön und war dennoch nicht zu verstehen. Robin versuchte es noch einmal. So hatte er es schließlich in der Schule gelernt. „Aber deshalb können wir doch trotzdem ein Opfer bringen“, sagte er, „so wie es Patrick Pearse verlangt hat in seiner Rede ‚Ein unfreies Irland wird niemals friedlich sein‘. Und der heilige Sebastian! Er hat es doch auch gemacht. Und natürlich: der Herr Jesus! Der Herr Jesus erst recht.“ Und wieder dachte Robin, wie der Herr Jesus an Vater Duncans Kette hing und hin und her baumelte. In jeder Geschichtsstunde hing er an Vater Duncans handtellergroßem Kreuz und baumelte hin und her, wie er auch in der Kirche an einem Kreuz hing. Ganz groß hing er dort, sogar mit echten Haaren. Immer war Jesus an ein Kreuz genagelt, sooft Robin ihn sah. Nur in der Glaskugel – fiel es Robin plötzlich ein und auf – hielt der Herr Jesus die Arme frei und ausgebreitet, als wollte er die ganze Welt umfangen. Und die Glaskugel steckte noch immer in Robins Hosentasche. Sie zwickte ihn.

„Wenn du Jesus am Kreuz hängen siehst, siehst du auch, dass Gott mittendrin ist in allem Kummer und Schmerz und ganz tief unten. Dann brauchst du nicht mehr wegzulaufen, weder vor dir selbst noch vor den anderen. Du musst dich auch nicht länger verteidigen und deine eigene Verletzlichkeit beschützen. Denn am Kreuz trägt einer die ganze Last der Welt, und dieser Eine ist Gott selbst, der alle Menschen liebt.“

All das kam Robin wunderlich und mit einem Mal sehr wahr vor. Er merkte es daran, dass etwas in ihm zu klingeln begann. Als gäbe es in ihm einen Raum, in dem seit Jahren ein kostbares Instrument ruhte und darauf wartete, dass jemand kam und über seine ungenutzten Saiten zupfte. Eine Harfe zum Beispiel. Und wie nun Schwester Basilea von Gott und von der Liebe sprach und wie es alles am Kreuz aufhörte, ging die Tür zu diesem Raum einen Spaltbreit auf und jemand spielte auf dem Instrument eine bislang nie gehörte, traumhaft schöne Melodie.

„Und deshalb haben Sie …?“ Dennoch konnte es Robin immer noch nicht glauben, dass die Frau vor ihm tatsächlich einmal eine Nonne gewesen sein sollte und einfach damit aufgehört hatte. Und dass sie ihren Namen geändert hatte obendrein. Einfach so die Schmerzenspforte wegradiert, weil ihr das mit der Schmerzenspforte nicht gefallen hatte. Weil sie es nicht mehr für stimmig hielt.

„Darf man das denn?“

Schwester Basilea lachte. „Du meinst, erst eine Nonne sein und dann keine mehr?“ Sie fischte einen Keks vom Keksteller und biss hinein, dass es krachte. Ein paar Keksbrösel rieselten auf ihren Rock. „In gewisser Weise bin ich vielleicht immer noch eine Nonne, auch wenn ich nicht mehr in einem Kloster lebe. Und kein Foto vom Papst an der Wand hängen habe.“ Schwester Basilea pickte die Keksbrösel auf und schob sie sich in den Mund. „Außerdem“, sie schluckte die Krümel runter, „was man macht und was man denkt, bedeutet noch lange nicht, dass es richtig ist. Menschen kommen nun mal nicht in Backförmchen auf die Welt, wir sind alle wunderbar verschieden. Aber aus lauter Angst, aus der Reihe zu tanzen und nicht dazuzugehören, tun wir lieber das, was die Anderen tun. Und am Ende bekämpfen wir die, die es noch mal anders tun. Die anders sind. Und wir nennen sie auch so: die Anderen. Du hoffst, wenn du tust, was alle tun, bist du richtig und wirst geliebt. Aber das stimmt nicht. Du verlierst bloß dich selbst und deine einzigartige Einzigartigkeit. Die Liebe aber blüht, wo wir einander erlauben, wir selbst zu sein.“

Robin dachte an die Bordsteine vor ihrer Haustür und wie Mum angefangen hatte, sie grün zu pinseln. „Aus lauter Liebe“, hatte sie gesagt. Aber vielleicht war es doch eher Angst gewesen, weil auch Mum befürchtete, dass sie sonst nicht dazugehörten? Aber gehörten sie denn wirklich dazu, wenn ihre Bordsteine die gleichen Farben trugen wie all die anderen Bordsteine auch, zumindest wie die Bordsteine ringsum? Denn ein paar Häuserreihen weiter wechselten die Farben. Dann glänzten die Bordsteine blau und rot in den Farben des Union Jack. Oder orange wie bei Wilhelm von Oranien.

„Aber ist das nicht furchtbar schwer?“, murmelte Robin.

„Natürlich ist es schwer“, sagte Schwester Basilea, „aber du bist nicht allein. Jesus ist ja nicht am Kreuz hängen geblieben. Er lebt.“

Als hätte sie ein Stichwort gegeben, drückte der Glaskugeljesus besonders heftig gegen Robins Bein. Robin versuchte, ihn tiefer in die Tasche zu schieben und rutschte im Sessel hin und her.

„Hast du etwas mitgebracht?“, fragte Schwester Basilea.

„Ach, nein“, wehrte Robin ab, „das ist nur eine Kleinigkeit. Von daheim!“ Kleinigkeit war gut! Wie sollte Robin Schwester Basilea erklären, dass der Herr Jesus in seiner Hosentasche steckte und ihn zwickte und zwackte?

„Zeig doch mal!“, sagte Schwester Basilea. Der Herr Jesus konnte nicht länger in der Hosentasche bleiben. Robin zog die Glaskugel hervor und stellte sie auf den Tisch neben die Sandwiches, die Kekse und die Zuckerdose, genau zwischen die Teetassen. Schwester Basilea sah den Herrn Jesus an und der Herr Jesus blickte, mit ausgebreiteten Armen, zurück.

„Schau an“, rief Schwester Basilea entzückt, „du hast Jesus mitgebracht! Mitten in mein Wohnzimmer. Was für eine Ehre!“

Robin musterte Schwester Basilea, ob sie sich über ihn lustig machte. Aber sie wirkte vollkommen ernst.

„Es ist überaus nett von dir, Robin, dass du Jesus den weiten Weg zu mir getragen hast. Dafür danke ich dir sehr! Obwohl sich durchaus die Frage stellt, ob nicht eher er dich hergetragen hat. Magst du auch noch ein paar Kekse?“