Kapitel 8

»Also gut, noch einmal von vorne.« Amjan setzte ein begütigendes Lächeln auf und berührte Kaprina sacht am Arm. »Was genau wurde gestohlen?«

Die Frau schniefte und wischte sich mit dem schmutzigen Ärmel über die Augen. »Mein Schmuck«, flüsterte sie. »Ein Erbstück, verstehen Sie? Meine Mutter hat ihn mir zur Hochzeit vermacht, so wie ihre Mutter vor ihr. Es ist ein Collier aus Tinanitperlen, dazu eine Brosche und ein Armreif.«

Amjan nickte, schob den unnützen Papierkram vom Schreibtisch, um etwas Platz zu schaffen, und machte sich Notizen. Ser verkniff sich ein genervtes Schnauben. Auf anderen Planeten der Galaxis waren die ALIS-Behörden mit hochmoderner Technik ausgestattet, hier schrieb ser mit einem zerkauten Bleistift auf Recyclingpapier, nachdem das einzige Tablet vor einem Monat den Geist aufgegeben hatte. Ser hatte längst ein neues beantragt, aber die bürokratischen Mühlen mahlten sehr langsam. »Seit wann ist der Schmuck weg?«

»Heute Morgen hab ich’s bemerkt«, antwortete Kaprina erstickt. »Da waren Kratzer an der Schublade. Ich dachte, es seien Ratten, aber als ich einen Blick hineinwarf ...« Sie schluchzte und sah Amjan aus rotverweinten Augen an. »Der Schmuck, das ... das war alles, was ich noch hatte, verstehen Sie? Es war das letzte Andenken an meine Mutter und ...« Ihre Stimme versagte und Amjan nickte mitfühlend.

»Das tut mir leid. Gab es Hinweise auf einen Einbruch?«

»Nein, aber ... das Schloss an der Tür ist schon länger kaputt und die Fenster ... na ja, Sie wissen ja. Mein Mann und ich sind tagsüber auf den Feldern, das ist im Ort kein Geheimnis.«

»Haben Sie jemandem von dem Schmuck erzählt?«

»Nein, bestimmt nicht. Warum auch?«

»War er eingesperrt? In einem Safe oder ...?«

Kaprina stieß ein Lachen aus. »Als könnten wir uns einen Safe leisten. Eine Schublade im Schrank hat einen doppelten Boden, darunter habe ich den Schmuck immer versteckt. Niemand auf der Farm wusste davon, es war unser Geheimnis.« Sie deutete in Richtung Tür. »Wenn Sie wollen, dann zeige ich Ihnen das Fach. Sie könnten Fingerabdrücke nehmen oder andere Spuren oder ...«

Amjan seufzte. Kaprina wirkte so ehrlich verzweifelt, dass es wehtat, ihren Tatendrang enttäuschen zu müssen. Aber in den Jahren auf Ranun hatte ser gelernt, realistisch zu bleiben. »Ich fürchte, das würde nichts bringen. Sie sehen ja, ich bin allein hier, ich habe kein Personal, kein Labor, keine Ausrüstung ...«

»Aber irgendetwas müssen Sie doch tun.«

»Ich kann das Büro in Cardie anfunken und die zentrale Verwaltungsstelle in Kasdan. Vielleicht taucht Ihr Schmuck irgendwo auf dem Schwarzmarkt auf. Aber um ehrlich zu sein ...« Ser musterte sie betrübt. »Ich würde mir keine zu großen Hoffnungen machen.«

Kaprina fiel in sich zusammen und verschränkte die Hände im Schoß. »Das war alles, was ich noch hatte. Alles, verstehen Sie?« Hilflos sah sie Amjan an. »Sie sind doch bei ALIS, Sie können Leute anfordern und ...«

»ALIS wird keine Verstärkung schicken«, erwiderte Amjan ernst. »Ich bitte seit Jahren um mehr Personal, aber niemand hört mir zu. Dieser Planet geht ALIS und der Regierung am Arsch vorbei. Die werden uns nicht helfen.«

»Dann soll ich mich damit abfinden?« Ihre Stimme schwoll an und sie sprang aus dem Stuhl auf. »Soll ich mich einfach so bestehlen lassen?«

»Ich sehe, was ich tun kann«, beschwichtigte Amjan sie. »Ich möchte nur, dass Sie realistisch bleiben und sich keine falschen Hoffnungen machen.«

Kaprina ließ den Kopf hängen und stand auf. »Ich verstehe. Trotzdem danke für ... also ... dass Sie mir zugehört haben.«

Schwerfällig trottete sie zur Tür und verschwand dann nach draußen. Amjan sah ihr betrübt hinterher. Ser hatte eine vage Idee, was mit dem Schmuck geschehen sein konnte, aber das würde Kaprina bestimmt nicht gefallen.

Ser packte die Dokumente auf dem Schreibtisch zusammen, nahm Gürtel und Pistole vom Haken und wollte sich gerade auf den Weg machen, da ging die Tür erneut auf und Liska trat ein.

»Hey.« Amjan strahlte ihr entgegen. »Das ist ja eine ...« Ser unterbrach sich, als ser ihre verkniffene Miene erkannte. »Was ist passiert?«

Liska kaute auf ihrer Unterlippe. »Tut mir leid, dass ich hier so hereinplatze, aber ... Hast du Leyo heute schon gesehen?«

»Nein. Sagtest du nicht, er wolle nach Kasdan?«

»Das hat er behauptet, ja.« Grimmig sah sie Amjan an. »Er hat uns angelogen.«

»Inwiefern?«

»Ich war gerade bei Rubha«, erwiderte Liska, »weil ich wissen wollte, wann Leyo zurückkommt.«

»Und?«

Sie holte tief Luft und sah Amjan eindringlich an. »Sie wusste nichts von irgendeiner Lieferung. Leyo hat ihr erzählt, er müsse aus privaten Gründen nach Kasdan und bräuchte ein oder zwei Tage frei.«

Verwirrt starrte ser Liska an, hinter serer Stirn begann es zu arbeiten. Was zum Henker hatte das zu bedeuten? »Seine Mutter wohnt doch in Kasdan«, warf ser hoffnungsvoll ein, »vielleicht wollte er –«

»Leyo hasst seine Mutter, das weißt du.«

»Schon, aber –«

»Und selbst wenn er sie besucht – warum lügt er uns dann an?«

Darauf hatte auch Amjan keine Antwort. »Ich weiß es nicht. Er wird schon seine Gründe haben.«

»Seine Gründe?« Liska schnaubte, ihre Unterlippe zitterte. »Wir sind seine Familie, verfluchter Dreck, und er lügt uns einfach an? Verschwindet nach Kasdan und sagt uns keinen Ton, wo er ist und was er dort tut? Das ist doch scheiße!«

»Ich weiß.« Amjan schloss Liska in den Arm und zog sie an sich. Es verstörte sen, diese taffe Frau so aufgewühlt zu sehen. »Es gibt bestimmt eine ganz einfache Erklärung. Wenn er morgen zurückkommt, dann –«

»Du meinst, falls er zurückkommt.«

Amjan schluckte. »Natürlich kommt er zurück. Was sollte er denn – ?«

»Keine Ahnung.« Ein Schluchzen begleitete ihre Worte. »Vielleicht hat er irgendwo ein Schiff geklaut und ist auf und davon.«

Amjan schüttelte den Kopf. »Das würde er nie tun, Liska. Er liebt dich. Uns. Unser Baby. Er würde nicht einfach so verschwinden.«

»Nein? Bist du dir da sicher?«

»Ja, bin ich.« Ser fixierte Liska eindringlich und küsste ihr eine Träne von der Wange. Sie hatte ihr Haar gestern Abend gewaschen und die kleinen, weichen Locken dufteten nach Olivenöl. »Es wird alles gut, versprochen. Denk an das Baby und versuch dich ein wenig zu entspannen, okay?«

»Entspannen?«, echote Liska. »Wie stellst du dir das vor mit den ganzen Dreckshormonen in meinem Körper?«

»In zwei Stunden bin ich hier fertig, dann komm ich vorbei und wir kochen eine Kleinigkeit, okay?«

»Hm.« Liska schniefte und rang sich ein dünnes Lächeln ab. »Danke. Tut mir leid, dass ich so ausflippe, aber –«

»Du musst dich nicht entschuldigen.« Amjan schloss sie noch einmal fest in den Arm. Am liebsten hätte ser ihr den Schmerz einfach genommen und ihn selbst geschultert. Es gab nichts Schlimmeres für sen, als einen geliebten Menschen leiden zu sehen. Lieber steckte ser ein halbes Dutzend Kugeln ein, als hilflos Liskas Tränen zu ertragen. »Ich rede noch einmal mit Rubha, vielleicht war das alles nur ein Missverständnis. Dann komme ich heim, ja?«

Liska nickte bedrückt, überwand sich aber zu einem Lächeln. »Ich bin so froh, dass du da bist. Ehrlich. Nur mit Leyo würde ich durchdrehen.«

Amjan erwiderte ihr Lächeln. »Erinnere mich daran, ihm ordentlich den Kopf zu waschen, wenn er wieder auftaucht. Niemand bringt meine Liebste ungestraft zum Weinen.«

Liska verdrehte die Augen und schlug sem spielerisch gegen die breite Brust. »Spar dir die Sprüche. Am Ende wirst du ihm sowieso alles vergeben, sobald er zweimal mit den Augen kl‍impert, und ich darf ihn zusammenscheißen.«

»Diesmal nicht«, beteuerte Amjan und legte die Arme um Liskas Taille. »Was hältst du davon, wenn wir ihn einfach aus dem Schlafzimmer verbannen? So für einen Monat?«

Liska gluckste. »Denkst du, das halten wir durch?«

»Ich geb’ mir Mühe.«

»Klingt gut.« Sie stieß ihre Nasenspitze gegen Amjans und löste sich behutsam aus serer Umarmung. »Ich geh dann mal. Bis nachher.«

Amjan nahm sere Jacke vom Haken und folgte Liska nach draußen. Der Staub vom Vortag hatte sich kaum gelegt, der Himmel war grau und trübe, was die drückende Hitze noch unerträglicher machte. Amjan hasste das Wetter. Der aufgewirbelte Sand kroch in die Ritzen der Beinprothese und verklumpte die Scharniere, sodass jeder Schritt quietschte und knarzte. Ser musste sie heute Abend dringend reinigen und ölen, wenn ser vermeiden wollte, dass die Mechanik blockierte.

Auf dem Weg zu Rubhas Saloon kam ser am Gemischtwarenladen vorbei und winkte Liskas Mutter zu, die gerade die Auslage arrangierte und seren Gruß erwiderte. Ein Apfel entkam dabei ihren Fingern und rollte zu Boden.

»Warte, Mam, ich mach das.« Amjan hob den Apfel auf, polierte ihn mit dem Hemdärmel und reichte ihn Tanjala. Sie bestand darauf, dass Amjan und Leyo sie Mam nannten, mittlerweile ging sem das ganz unbedarft über die Lippen. Nicht zuletzt, weil ser mit zwei Vätern aufgewachsen war und nie einen Menschen in seinem Leben Mam genannt hatte.

Klein und zierlich, wie sie war, ging Tanjala Amjan gerade bis zur Schulter. Zu ihrer aschgrauen, stark gelockten Haarkrone trug sie selbstgenähte, farbenfrohe Kleider, die bereits etwas verblichen waren, aber immer noch aus der Masse herausstachen.

»Ach, danke, das ist lieb.« Tanjala nahm den Apfel strahlend entgegen und setzte ihn auf die Spitze der Pyramide. Sie musste sich sichtlich konzentrieren, das Zittern in ihrer Hand zu unterdrücken, doch am Ende saß der Apfel genau da, wo er sollte. »Na, was meinst du?«

»Sieht gut aus.« Amjan lächelte. »Hast du keine Angst, dass die Halbstarken dein Kunstwerk mit einem Tritt zu Fall bringen?«

»Das wagen sie nicht. Die Kinder wissen genau, dass ich die Süßigkeiten wegsperre, wenn sie mich ärgern.« Tanjala lachte und zwinkerte Amjan zu. Ihre Mimik war in den letzten Jahren zunehmend erlahmt. Es waren nur subtile Anzeichen, aber wer Tanjala gut kannte, bemerkte durchaus, wie sich ihre Krankheit immer weiter ausbreitete. Auch motorisch war sie nicht mehr so geschickt wie früher und überließ die schwierigen Aufgaben lieber ihrem Mann. Die Medikamente halfen, den Verlauf zu verlangsamen, aber ganz aufhalten konnten sie ihn nicht. Parkinson war keine Krankheit, die sich heilen ließ, zumindest nicht hier, am Rande der Galaxis, weit weg von teuren Hightech-Kliniken. »Brauchst du irgendwas, mein Herz?«

Amjan schüttelte den Kopf. »Nein, alles gut. Ich war nur auf dem Weg –«

Ein Klingeln unterbrach sen, die Tür des Gemischtwarenladens glitt auf und Arifa trat heraus, an der Hand ihre kleine Tochter, die begeistert an einem Lolli nuckelte.

»Entschuldigst du mich kurz, Mam?« Ser nickte Tanjala zu und folgte dann Arifa über die Straße. »Arifa? Hast du einen Moment?«

Sie blieb stehen und nickte überrascht. »Sicher. Was –?« Ihre Miene verfinsterte sich schlagartig. »Oh nein. Was hat Sami angestellt? Ist es wegen der Sache auf dem Friedhof?«

Amjan hob abwehrend die Hände. »Nein, nein, alles gut, ich schätze, der Junge hat seine Lektion gelernt. Es geht um etwas anderes. Leyo war doch an dem Abend bei dir, nicht wahr?«

»Ja, er hat Sami nachhause gebracht. Wieso?«

»Kam er dir irgendwie ... seltsam vor?«

Arifa gluckste. »Du meinst seltsamer als sonst?«

»Ja, ich weiß nicht ... angespannt, nervös, gestresst ...«

Arifa überlegte einen Moment, dann schüttelte sie den Kopf. »Er war ziemlich erschöpft nach der Sache mit Sami, aber sonst ... nein, eigentlich nicht. Wieso fragst du?«

Amjan zögerte, unschlüssig, ob ser Arifa die Wahrheit erzählen sollte, doch dann entschied ser sich dafür. Arifa war zwar kein Teil ihres Polyküls, gehörte aber dennoch zur erweiterten Familie. »Leyo ist gestern nach Kasdan aufgebrochen. Uns hat er erzählt, er würde eine Lieferung für Rubha abholen. Und Rubha hat er gesagt, er hätte etwas Privates zu erledigen.«

Arifa stieß einen spöttischen Laut aus, irgendwo zwischen Belustigung und Verbitterung. Ihre Tochter zerrte derweil ungeduldig an ihrer Hand. »Das ist so typisch für Leyo. Und du wunderst dich, warum ich es nicht mit ihm ausgehalten habe?«

»Das ist kein Scherz, Arifa. Ich mache mir Sorgen.«

»Das musst du nicht. Ich wette mit dir um eine Flasche guten Whisky, dass er sich in Kasdan durch ein halbes Dutzend Bordelle gevögelt und völlig vergessen hat, was er eigentlich erledigen wollte. Warte ein, zwei Tage, dann kommt er reumütig zurückgekrochen.«

»Du irrst dich. Er hat sich geändert.«

»Leyo ändert sich nie, Amjan.« Arifa nahm ihre Tochter auf den Arm und unterband damit ihr Quengeln. »Er ist, wie er ist. Dafür kann man ihn lieben oder hassen, aber man muss es akzeptieren.« Sie senkte die Stimme und ein Grinsen huschte über ihre Lippen. »Glaub mir, ein Teil von mir würde heute noch bereitwillig mit ihm durchbrennen, wenn er mich darum bitten würde. Aber zum Glück ist es nur ein kleiner Teil.«

»Du wärst bei uns immer willkommen.« Ser zwinkerte ihr zu und winkte der Kleinen, die sen jetzt neugierig betrachtete. »Danke für deine Ehrlichkeit. Falls dir noch irgendwas einfällt, lass es mich wissen, ja?«

»Werde ich. Grüß Liska von mir. Und macht euch keine allzu großen Sorgen!«

»Ich gebe mir Mühe.« Amjan war schon ein paar Schritte gegangen, da hielt Arifa sen auf.

»Amjan.« Unter den Protesten ihrer Tochter kam sie zurück und schenkte sem ein Lächeln. »Eines wollte ich dir noch sagen. Egal, was passiert ist: Leyo liebt euch, dich und Liska. Er tut das nicht, um euch zu verletzen, er denkt die Dinge nur bisweilen nicht zu Ende.«

»Ich weiß.« Amjan erwiderte ihr Lächeln. »Trotzdem danke. Tut gut, das zu hören.«

»Abgesehen davon ...« Sie bückte sich ächzend, um das Spielzeug ihrer Tochter aufzuheben, das zu Boden gefallen war. »Ich wäre dir sehr verbunden, wenn du Sami nicht erzählen würdest, dass sein Vater verschwunden ist. Er reimt sich da sicher nur was zusammen und ... Nun ja, er ist sowieso ziemlich aufgekratzt zur Zeit.«

»Kein Problem. Bleibt zu hoffen, dass Leyo bald wieder auftaucht und das ganze Thema hinfällig wird.«

»Das hoffe ich auch. Sag mir Bescheid, wenn er zurück ist, ja?«

»Klar. Mach’s gut.«

Unter dem anhaltenden Protest ihrer Tochter machte Arifa sich auf den Heimweg, während Amjan die Straße hinunter Richtung Saloon marschierte.

Fast zehn Jahre war ser nun hier stationiert und hatte diesen Flecken erstaunlich lieb gewonnen, obwohl sere Versetzung in dieses trockene Verwaltungsamt offiziell als Maßregel erfolgt war. Ser machte eben das Beste daraus. Anfangs war es hart gewesen, die misstrauischen Menschen von Kalubs End davon zu überzeugen, dass ser auf ihrer Seite stand, aber mittlerweile war ser ein Teil ihrer Gemeinschaft.

Zugegeben, der Ort bot einen krassen Kontrast zu der militärisch straff geführten Raumstation, auf der Amjan aufgewachsen war, und anfangs hatte ser vor allem die Nachteile gesehen: Nahrungsknappheit, schlechte technische Ausstattung und Desorganisation. Mittlerweile wusste ser aber auch die Vorzüge zu schätzen. Abgesehen von ein paar miesen Individuen, wie Sheftas Skorpionen, hielten die Menschen hier zusammen, zeigten sich solidarisch mit anderen und achteten nicht nur auf den eigenen Profit. Sie hatten aus der Not eine Tugend gemacht. Amjan griff nur da ein, wo es nötig war, schlichtete Streits, vermittelte und bot Lösungen an. Manchmal war es frustrierend, dass ser nicht mehr tun konnte und bei echten Konflikten ziemlich allein auf weiter Flur stand. Zum Beispiel, wenn es um Sheftas Bande ging. Dennoch: Es gab schlechtere Orte in der Galaxis.

Ser erreichte den Saloon und schob die Schwingtüren auf. Rubha stand persönlich hinter der Bar und sah hoch. Ihre Reibeisenstimme übertönte problemlos das Jaulen der Musikbox. »Ah, Sheriff, nett, dich hier zu sehen. Whisky?«

Amjan schüttelte den Kopf. »Nein, danke.« Ser sah sich im Schankraum um. Die üblichen Verdächtigen, abgerissene Gestalten, die ihre Sorgen in billigem Fusel und Bier ertränkten. An einem der Tische hockte Piet, Kaprinas Ehemann, zusammen mit zwei anderen. Der Weg war also nicht umsonst gewesen.

Amjan nahm zunächst an der Bar Platz und sah Rubha dabei zu, wie sie die Gläser spülte. Sie ging auf die Siebzig zu, doch in Kalubs End würde niemand wagen, sie eine alte Frau zu nennen. Sie rauchte, soff und schlug zu wie die Jungen, und im Schießen machte ihr keiner etwas vor. Das mittlerweile ergraute schwarze Haar hatte sie zu einem dicken Zopf geflochten, der ihr über den Rücken fiel, und die Augen waren dunkelrot geschminkt.

»Dein Mann immer noch nicht aufgetaucht?«, fragte sie beiläufig und Amjan schüttelte den Kopf.

»Nein. Ich dachte, du könntest mir vielleicht weiterhelfen.«

Rubha schnaubte und spuckte Kautabak in einen Zinnbehälter. »Wohl kaum. Falls er sich bequemen sollte, zurückzukommen, kannst du ihm ausrichten, dass er gefeuert ist. Kann keine Mitarbeiter brauchen, die sich einfach mal für ein paar Tage verkrümeln und mir eiskalt ins Gesicht lügen.«

Amjan schluckte, widersprach Rubha aber nicht. Leyo hatte die Arbeit hier gehasst, er würde kaum traurig sein. »Hat er ... irgendwas zu dir gesagt? Ich meine, warum er –?«

»Nein«, brummte Rubha. »Meinte, es sei was Privates. Hab nicht nachgefragt, interessiert mich doch nicht, wo er seinen Schwanz reinsteckt.« Sie grinste und offenbarte eine breite Zahnlücke. »Nichts für ungut.«

Amjan ignorierte die Spitze. »Sonst nichts? Wann er zurückkommt oder –?«

»Schätzchen, du bist doch mit ihm verheiratet, solltest du das nicht am besten wissen?«

Amjan schwieg – der Schlag hatte gesessen. Dass Leyo einfach so verschwand, ohne ein Wort, ohne einen Hinweis darauf, was er in Kasdan vorhatte, fühlte sich beschissen an. Was hatte Leyo ihnen verschwiegen – und warum? Wieso vertraute er ihnen nicht? Was hatte er zu verbergen?

Mühevoll verdrängte Amjan den Gedanken daran, dass Liska mit ihrer Vermutung recht haben könnte. Nein, Leyo würde nicht einfach abhauen. Er würde sie nicht im Stich lassen.

»Hier.« Rubha schob Amjan einen doppelten Whisky zu. »Geht aufs Haus. Kann’s nicht leiden, wenn meine Kundschaft wie ein Häuflein Elend am Tresen hängt.«

Amjan zögerte, dann leerte ser das Glas auf einen Zug und schauderte. Billiges Gesöff, das die Bezeichnung Whisky kaum verdiente. Aber immerhin brannte es die Sorgen aus, für einen Moment. »Danke, das war gut.«

»Weiß ich doch.« Sie grinste. »Jetzt krieg dich ein, dein Mann taucht schon wieder auf. Brauchst du noch was?«

»Nein, danke. Obwohl ... was trinkt Piet?«

»Bier, wenn er sich’s leisten kann.«

»Dann gib mir zwei.«

Amjan nahm Rubha die beiden Gläser ab und marschierte durch den Schankraum hinüber zu Piets Tisch. Ser stellte ihm das volle Bier hin und ließ sich neben ihm auf einen freien Stuhl sinken. »Siehst aus, als könntest du noch eins vertragen.«

Piet blickte misstrauisch auf. Er war ein sehniger kleiner Mann mit einer krummen Nase und dunklen Augen, die eng beisammen standen. »Wie komm’ ich zu der Ehre?«

»Wir müssen uns unterhalten«, antwortete Amjan. »Am besten unter vier Augen.«

»Hab’ ich was angestellt?«

»Keine Ahnung. Hast du?«

Piet schnaubte und gab seinen Kumpanen ein Handzeichen. »Lasst uns kurz reden.«

Die Farmer verschwanden in Richtung Bar und Piet musterte Amjan mit kritischem Blick. »Also, was willst du?«

»Deine Frau war heute bei mir«, sagte Amjan und nahm einen Schluck Bier.

»Ich weiß. Wegen ihres Schmucks.«

»Genau. Um ehrlich zu sein ... mir kommt die Sache seltsam vor.«

Piets Augen verengten sich zu Schlitzen. Er rutschte auf seinem Stuhl hin und her und machte auf Amjan den Eindruck einer scheuen Katze, die gleich davonlaufen oder dem Gegenüber ins Gesicht springen würde. »Inwiefern?«

»Es gibt keine Einbruchspuren und der Schmuck war in eurem Schlafzimmer an einem Ort, wo ihn niemand vermuten würde. Kaprina sagt, sie hätte nie jemandem davon erzählt, und sonst scheint nichts zu fehlen.«

»Wir haben ja auch nichts.«

»Trotzdem. Woher sollte ein Dieb wissen, dass dieser Schmuck existiert? Oder wo er sich befindet?«

»Keine Ahnung.« Piet starrte auf sein Bier. »Vielleicht hat Kaprina geplaudert.«

»Sie verneint das.«

Piet stieß ein Knurren aus und fixierte Amjan mit grimmiger Miene. »Worauf willst du eigentlich hinaus, Sheriff, he?«

»Weiß nicht.« Amjan nahm seelenruhig einen weiteren Schluck von serem Bier und senkte die Stimme. »Was meinst du: Wenn ich die bekannten Schwarzmarktgrößen aus der Umgebung abklappere – wie hoch ist die Chance, dass sie sich an dein Gesicht erinnern?«

Piets Kiefer malmten, er grub die Fingernägel in die Tischplatte. »Was willst du damit sagen?«

»Du hast Schulden, und zwar jede Menge, die Farm läuft nicht mehr gut und –«

»Willst du behaupten, ich hätte meine Frau bestohlen?«

Amjan verschränkte unbeeindruckt die Arme vor der Brust. »Wie gesagt, ich kann mich umhören. Das ist keine große Sache.«

Piet atmete tief durch, rang mit sich, dann ließ er den Kopf hängen. »Ich hatte keine Wahl«, murmelte er. »Shefta und ihre Bande von Dreckschweinen wollten hundert Ruq, damit sie mich und Kaprina in Ruhe lassen. Sie haben gesagt, sie zünden die Scheune an und ruinieren unsere ganze Ernte, wenn ich nicht zahle.«

Amjan sog scharf die Luft ein. »Warum bist du nicht gleich zu mir gekommen?«

»Zu dir?« Piet schnaubte. »Was kannst du denn gegen die ausrichten, he? Gar nichts. Die wischen mit dir den Boden auf.«

»Und wenn schon, wir hätten –«

»Spar dir die Moralpredigt«, unterbrach ihn Piet mürrisch. »Du und deinesgleichen, ihr habt uns hier noch nie unterstützt. Du magst ja ’n netter Mensch sein, aber eine Hilfe bist du nicht.«

Amjan schwieg und umklammerte das Bierglas. Die Worte trafen sen härter, als ser zugeben mochte, vor allem, weil sie der Wahrheit entsprachen. Als einzelne Person konnte ser gegen Shefta und ihre Bande von Arschlöchern nicht viel ausrichten. Ser tat sein Bestes, doch häufig genügte das nicht. »Du hast recht«, murmelte ser. »Ich bin euch da keine große Hilfe. Aber deine Frau ist völlig fertig wegen des Schmucks, sie ist in meinem Büro in Tränen ausgebrochen. Ist nur fair, wenn du ihr die Wahrheit sagst.«

»Spinnst du?« Piet starrte sen an, seine Stimme zitterte. »Einen Scheiß werde ich. Kaprina ist alles, was ich noch habe! Wenn sie erfährt, dass wir Schulden haben, dass alles vor die Hunde geht, dann ist sie auf und davon, zusammen mit den Kindern. Das halt ich nicht aus, verdammt! Ich liebe sie!«

Amjan seufzte. »Ich bin mir sicher, sie würde es verstehen. Vielleicht hätte sie den Schmuck sogar freiwillig verkauft, wenn du sie gefragt hättest.«

»Sie hing so daran«, brummte Piet bedrückt. »Die Sachen gehörten ihrer Mutter, weißt du? Sie hat das Collier bei unserer Hochzeit getragen und wollte alles unserem Kind schenken, sobald ...« Er unterbrach sich und vergrub stöhnend das Gesicht in den Händen. »Scheiße, ich bin so ein erbärmliches Arschloch.«

Amjan klopfte ihm sacht auf die Schulter. »Das wird schon wieder. Du solltest wirklich mit deiner Frau reden, sie hat die Wahrheit verdient.«

»Und dann? Shefta und ihre Saubande kommen bestimmt wieder, und ich kann die nicht ewig bezahlen.«

»Ich lass mir was einfallen«, versprach Amjan. »Ich weiß noch nicht, was, aber die gehen mir arg auf die Nerven.«

»Wem nicht. Ich hoffe ja, die Gerüchte stimmen. Dann müssen wir uns von denen bald nicht mehr auf der Nase rumtanzen lassen.«

Amjan runzelte die Stirn. »Gerüchte?«

»Heißt, dass es wieder Arbeit gibt«, erwiderte Piet. »Die haben eine neue Vicariumader gefunden, drüben, bei der alten Abbaustelle. Cal war schon da, er sagt, da sind Dutzende Militärs und ein Haufen Androiden, die im Boden rumstochern.«

»Ehrlich? Davon weiß ich gar nichts.«

»Sind auch nur Gerüchte. Aber was sollten die da sonst tun? Das Ding ist ja eigentlich tot.« Er knackte mit den Fingerknöcheln. »Ah, endlich wieder Arbeit, das wär’ was. Und wenn’s nur Schufterei wäre, mir egal, Hauptsache, was zu tun und ein bisschen Geld in die Kasse.«

»Hm«, machte Amjan und beschloss, der Sache unbedingt nachzugehen. Weder ALIS noch die Regierung hatten sem Informationen diesbezüglich zukommen lassen, vermutlich war es also nur ein Fehlalarm, aber wenn nicht ... Der Gedanke ließ seren Herz hoffnungsvoll flattern. »Ja, bisschen Arbeit wär’ klasse. Apropos, ich muss wieder los.« Ser trank sein Bier aus, rülpste ordentlich – zu Piets Freude – und wandte sich dann zum Gehen.

Kurz bevor Amjan die Tür erreichte, hielt Rubha sen zurück: »He, Sheriff.«

»Hm?«

Rubha nickte in Piets Richtung. »Hör nicht auf sein paranoides Geschwätz. Die Vicariumadern sind tot, vermutlich reißen sie gerade das letzte bisschen Metall und Stahl ab, das noch da ist.«

»Befürchte ich auch. Ich seh’s mir trotzdem bei Gelegenheit mal an.«

»Nur zu. Übrigens, dein Macker hat vorgestern Abend hier mit irgendeinem fremden Typen geredet, ehe er nach Kasdan abgehauen ist. Hat mir einer meiner Stammgäste erzählt, ist mir eben wieder eingefallen.«

Amjan wurde hellhörig. »Was für ein Typ?«

»Keine Ahnung. War wohl nicht von hier und hat sich mit Shefta und ihren Leuten angelegt. Wäre fast eskaliert, aber am Ende sind die abgezogen und Leyo hat hier an der Bar mit dem Kerl geplaudert. Keine Ahnung worüber.«

Amjan atmete tief durch und sortiere sere Gedanken. Ein Fremder im Saloon. Kasdan. Wie passte das zusammen? Wo war Leyo? Warum war er mir nichts, dir nichts abgehauen? Und wie sollte ser das Liska erklären?

Komm einfach zurück, flehte Amjan in Gedanken. Am besten noch heute.

*

Leyo kam nicht. In den frühen Abendstunden löschte Amjan das Licht in der Amtsstube und machte sich träge auf den Weg nachhause. Selbst wenn Leyo die ganze letzte Nacht in Kasdan gefeiert hatte, hätte er spätestens jetzt zurück sein müssen. Irgendetwas war passiert, davon war Amjan überzeugt, und es machte sen nervös, nichts tun zu können.

Ihre Hütte am Rand von Kalubs End lag ruhig und dunkel da, als Amjan sich näherte. Ein mulmiges Gefühl zog sere Eingeweide zusammen. Wo war Liska? Sie war nicht in der Garage, ser hörte weder Motorengeräusche noch Werkzeug. Aber auch in der Stube brannte kein Licht. Hatte sie sich hingelegt?

Amjan sperrte die Tür auf – das Schloss klemmte wie immer – und betrat den Wohnbereich. Das Erste, das ser sah, war ein geborstener Teller, der am Boden lag. Das Zweite war Liska. Sie kauerte in einer Ecke, die Arme um die Beine geschlungen, und weinte hemmungslos.

»Scheiße.« Amjan war sofort bei ihr und zog sie in seren Arm. Liska zitterte am ganzen Körper, sie schluchzte so heftig, dass sie kaum Luft bekam, und vergrub das Gesicht sofort an seren Schulter und in serem Bart. Sie umklammerte sen wie eine Ertrinkende und Amjan hielt sie einfach nur fest. Ser streichelte ihr übers Haar, küsste sie und wiegte sie in seren Armen, bis sie ruhiger wurde und nach Luft schnappte. Besorgt sah ser sie an. »Besser?«

Liska nickte. Ihre Atmung stabilisierte sich langsam, abgesehen von einem heftigen Schluckauf. »Tut mir leid«, murmelte sie. »Ich hab’ ... ich wollte nicht ...«

»Was war los?«

»Keine Ahnung.« Liska hob hilflos die Arme. »Ich hab’ ... ich wollte Abendessen machen. Ich hab’ geschaut, was da ist, und ... da standen noch Milch und Mehl von vorgestern. Leyo hat ... er hat mir Pfannkuchen gemacht, bevor ...« Sie schluchzte erneut. »Scheiße, ich hab’ ... ich hab’ total die Nerven verloren. Dann fiel auch noch der beschissene Teller runter und ... fakke, ey.« Sie vergrub stöhnend das Gesicht in den Händen. »Diese Scheißdreckshormone.«

Amjan streichelte sie sanft und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. »Alles gut. Komm, hoch mit dir.« Ser zog sie behutsam auf die Beine und legte ihr den Arm um die Hüfte, um sie zu stützen.

»Ich hasse ihn«, stieß Liska hervor. »Ich bringe ihn um, wenn er sich hier nochmal blicken lässt. Ich reiß ihm seinen verdammten Arsch auf und ...« Ihre Worte erstickten in einem heftigen Schluchzen und Amjan strich ihr tröstend durchs Haar.

»Er kommt wieder«, versprach ser. »Und wenn ich ihn eigenhändig hier herein schleifen muss.«

»Und wenn nicht?« Liska sah sen aus rotverweinten Augen an. Ein Anblick, der Amjan so wehtat, dass ser am liebsten geschrien hätte. »Wenn er die Schnauze voll hatte von uns?«

»Das glaub ich nicht.« Amjan zog sie zu sich und sah sie ernst an. »Wir warten noch bis morgen Abend, und wenn er bis dahin nicht aufgetaucht ist, mache ich mich auf den Weg nach Kasdan, okay? Ich finde ihn. Und ich hole ihn zurück.«

»Ich komme mit«, erwiderte Liska. »Ich bleibe sicher nicht alleine hier. Das macht mich fertig. Ich muss irgendwas tun.«

Amjan wollte protestieren, doch das Funkeln in Liskas Augen belehrte sen eines Besseren. Liska war keine Frau, die man beschützen musste. Im Gegenteil. Sie war eine Frau, der man ihren Willen ließ, wenn man nicht zerfetzt werden wollte. »Einverstanden. Dann brechen wir gemeinsam auf.«

»Danke.« Liska schlang die Arme um seren Hals und küsste sen heftig. Sie drängte sich gegen sen, schob die Zunge tiefer in seren Mund und grub die Hände in sere Schultern. Amjan zögerte noch, da hatte Liska bereits damit begonnen, sen auszuziehen.

»Ähm, bist du sicher, dass du ...?«

»Oh ja.« Liska nickte heftig. »Mein Hormonhaushalt ist komplett im Arsch und ich brauche dringend Entspannung. Also zieh dich aus und lass uns ficken.«

Amjan lachte. Ser hob sie auf seine Arme und erwiderte ihren Kuss. »Was immer du willst.«