Kapitel 9

Die Schmerzen ließen langsam nach. Stück für Stück konnte Leyo seine Glieder bewegen, seine Finger, seine Zehen. Sein Arm schmerzte immer noch höllisch, auch wenn ein ALIS-Militärarzt die aufgeplatzten Nähte mit einer Medi-Drohne zugelötet hatte. Das musste der Moment gewesen sein, in dem er endgültig das Bewusstsein verloren hatte.

Schwerfällig setzte er sich auf und rieb sich die pochenden Schläfen. Alles tat ihm weh, als hätte er einen höllischen Muskelkater im gesamten Körper. Außerdem fühlte er sich widerlich in dem vollgebluteten Hemd und den feuchten Hosen, vom Gestank ganz zu schweigen.

Sein Blick glitt hilflos in der Zelle auf und ab. Der karge Raum war nur wenige Quadratmeter groß und erinnerte ihn schmerzlich an den Wandschrank, in den ihn seine Mutter als Kind eingesperrt hatte, wenn er sich ihrer Meinung nach unverschämt verhalten hatte. Was ständig passiert war. Die Zelle war allerdings nicht aus Holz, sondern mit glattem Kunststoff ummantelt. Sie beinhaltete eine karge Pritsche, eine Toilette und ein in die Wand eingelassenes Waschbecken, sonst gar nichts. Nun, nicht ganz, über ihm blinkte das rote Licht einer Kamera.

Leyo blinzelte zu dem Fischauge hinauf. Wie spät mochte es sein? Wie lange war er schon hier? Was war mit seinem Schiff, mit seinem Auftrag? Verdammt, wie hatte das alles so beschissen schiefgehen können?

Er ließ sich auf die Pritsche sinken und vergrub das Gesicht in den Händen. Er brauchte einen Plan, dringend, außer er wollte die nächsten Jahre in einer solchen Zelle verbringen. Das Zeug war ihm zweifellos untergeschoben worden, aber wie sollte er das beweisen? Er hatte nur Nec und das Schiff, sonst nichts. Er kannte nicht einmal den Namen des Fremden, der ihn angeheuert hatte.

Wie ein verdammter Anfänger, Leyo. Ganz toll.

Hilflos trat er gegen die Kunststoffverkleidung, brüllte den Frust hinaus. Es tat gut. Er schlug mit der Faust gegen die Wand, prügelte auf das Waschbecken ein, machte seinem ganzen Zorn Luft.

Als er kurz innehielt, um zu Atem zu kommen, knackte es über ihm in einem unsichtbaren Lautsprecher. »Könntest du das bitte unterlassen?«

»Ich kenne meine Rechte«, rief Leyo in Richtung von Ranjels Stimme. »Ich habe das Recht auf –«

»Du hast gar nichts«, unterbrach ihn Ranjel beflissen. »Wir befinden uns hier in einer militarisierten Zone, in der du ein Mitglied von ALIS bedroht und angegriffen hast. Dein Fall fällt unter Militärrecht.«

Leyo schnaubte. »Ich hab’ niemanden angegriffen, ich habe nur –«

»Spar dir die Spitzfindigkeiten. Ich schicke eine Patrouille runter, die dich zum Verhör abholt. Kein Ärger diesmal, klar?«

Er seufzte. »Klar.« Er hockte sich auf die Pritsche und wartete, bis sich eine Öffnung in der Tür aufschob.

Ein Stoffbündel plumpste in seine Zelle. »Ziehen Sie die an.«

Erleichtert schlüpfte Leyo aus seinen urin- und blutgetränkten Kleidern, die er angewidert zu Boden fallen ließ, und zog die frischen Sachen über. In der grauen Einheitskluft aus Hemd und Hose mit dem ALIS-Logo auf der Brust fühlte er sich zwar wie ein Sträfling, aber immer noch besser als in dreckigen Kleidern. »Fertig.«

»Ihre Hände.«

Ergeben streckte Leyo seine Arme durch die Öffnung und spürte, wie sich enge Plastikbänder um seine Handgelenke schlangen.

»Zurücktreten.«

Die Tür ging auf, zwei Wachen packten Leyo beidseitig an den Armen und zerrten ihn nach draußen. Diesmal wehrte er sich nicht, es hatte ohnehin keinen Sinn. Er versuchte sich zumindest den Weg einzuprägen, doch das war schier unmöglich. Jeder Gang, in den sie einbogen, sah gleich aus, jede Etage war identisch aufgebaut.

»Da rein.« Eine Tür neben ihnen glitt auf und Leyo wurde in einen kargen Verhörraum geführt. In der Mitte befand sich ein in den Boden eingelassener Tisch, daneben zwei gegenüberliegende Stühle. Mehrere Kameras beobachteten das Geschehen und Leyo war sicher, dass der große Spiegel zu seiner Rechten in einen gut bemannten Kontrollraum führte.

Seine Eskorte bugsierte ihn auf jenen Stuhl, der Hartplastikschellen an den Armlehnen besaß, um seine Hände im Zweifelsfall daran zu ketten. Sie verzichtete darauf, postierte sich aber in Habachtstellung an der Wand neben ihm.

Ranjel betrat den Raum wenige Augenblicke später, in der Hand einen Kaffeebecher und eine Wasserflasche. Letztere platzierte sie vor Leyo. »Wie fühlst du dich?«

»Geht so«, brummte Leyo und schraubte mühsam die Flasche auf. Mit gefesselten Händen war das gar nicht so einfach. »So gut wie es einem in einer winzigen Zelle mit Schmerzen in allen Muskeln gehen kann.«

»Du wirst entschuldigen, wenn sich mein Mitgefühl in Grenzen hält«, gab Ranjel spöttisch zurück. »Dein Arm?«

»Tut weh, aber geht.«

»Eine Schusswunde?«

»Kneipenschlägerei. Ist etwas eskaliert.«

Ranjel hob einen Mundwinkel. »Aha. Gut, ich denke, du weißt, was Sache ist. Wir haben in deinem Schiff –«

»Es ist nicht mein Schiff.«

»– in dem Schiff, an dessen Steuer du saßt, insgesamt dreieinhalb Kilo Boost gefunden, ein synthetisches Amphetamin, das auf der Liste der verbotenen Substanzen steht. Es war in den Ladekammern der Hoverbikes platziert, die – wie wir bei näherer Betrachtung feststellen mussten – obendrein gefälscht waren.« Sie lehnte sich über den Tisch und stützte den Kopf auf die Hände. »Möchtest du etwas zu deiner Verteidigung vorbringen?«

Leyo zuckte mit den Schultern. Er fühlte sich elend und schlapp, definitiv nicht in der Verfassung, mit einer ALIS-Offizierin zu diskutieren. Sonst war er nicht auf den Mund gefallen, aber gerade wirkte das alles so sinnlos. Was hätte er jetzt für eine Zigarette gegeben. »Ich habe nur Befehle befolgt. Du kennst das sicher.«

»Natürlich.« Sie nippte an ihrem Kaffee. »Du bleibst also dabei, dass du nichts von den Drogen wusstest?«

»Ja.« Leyo sah sie gequält an. »Ich bin Pilot, ich prüfe nicht jede Ecke meiner Ladung, bevor –«

»Das solltest du aber, wenn du Geschäfte mit zwielichtigen Leuten machst«, fiel Ranjel ihm ins Wort. »Dann würde dir so etwas«, sie deutete um sich, »erspart bleiben.«

»Danke für die Lebensweisheit. Hättet ihr mich einfach in Ruhe gelassen –«

»Ich mache nur meinen Job, Leyo. Also, du kennst das Spiel. Gib uns die Drahtzieher, dann hast du vielleicht eine Chance, mit einem blauen Auge davonzukommen.«

Leyo senkte den Blick und schwieg. Es war ehrlos, andere zu verpfeifen, ehrlos und feige. Andererseits hatten sie ihm eiskalt ins Gesicht gelogen, kein Wort von den Drogen erzählt und obendrein die Signaturen schlampig gefälscht. Er hatte wenig Mitgefühl mit Leuten, die ihren Job schlecht machten, insbesondere dann, wenn sie ihn dadurch in die Scheiße ritten.

»Ich kenne die Drahtzieher nicht«, murmelte er träge und nestelte zur Ablenkung an einem Faden seines grauen Pullovers. »Die Person, die mir das Schiff anvertraut hat, heißt Nec. Ich hab’ sie am Hafen von Kasdan getroffen. Das ist alles, was ich weiß.«

»Und das soll ich dir glauben?« Ranjel lachte. »Du bist seit zwanzig Jahren im Geschäft und willst mir weismachen, du würdest blind irgendwelche Aufträge von Leuten annehmen, die du nicht kennst?« Leyos verdutzter Gesichtsausdruck entlockte ihr ein Lachen. »Glaubst du wirklich, wir hätten dich nicht im Visier gehabt die letzten Jahre? Du warst gut, du hast kaum Spuren hinterlassen und die Beweislast war zu dünn für eine Anklage. Aber gib dich nicht der Illusion hin, du wärst unter dem Radar geflogen.«

Leyo presste die Lippen aufeinander und starrte frustriert auf seine Hände. Schlimm genug, dass er sich hatte reinlegen lassen wie ein Frischling, jetzt musste ihm Ranjel das auch noch unter die Nase reiben. »Ich weiß nichts. Das ist die Wahrheit. Glaub es oder nicht.«

»Tja.« Ranjel schlug die Beine übereinander. »Schlecht für dich.«

»Spar dir deine Drohungen.«

»Ich präsentiere dir nur die Fakten.«

»So?«

Ranjel grinste. Es schien ihr ein diebisches Vergnügen zu bereiten, ihn vorzuführen, zumindest wirkte sie verdammt zufrieden mit sich. Kein Wunder, in den letzten zwanzig Jahren war sie immerhin bis zur Commander aufgestiegen. Ohne die nötigen Ellbogen und etwas Narzissmus schaffte man das nicht.

»Ich will dir die Lage erläutern«, erklärte sie beflissen und zählte an den Fingern ab. »Wir haben: Verwendung abgelaufener Signaturen und Maschinencodes, Transport gefälschter Hightechware, Besitz von nicht unerheblichen Mengen Amphetamin mit Handelsabsicht –«

»Ich wusste nichts von dem Zeug«, brauste Leyo auf. »Das hab’ ich doch schon –«

»– Bedrohung und Angriff auf ALIS-Streitkräfte, Widerstand gegen die Festnahme –«

»Ihr habt mich mit Tasern beschossen, verdammt!«

»Und zuletzt Falschaussage vor einer offiziellen Exekutivoffizierin der Föderation.« Sie tippte ihr Abzeichen an. »Das macht insgesamt«, sie rechnete im Kopf, »je nach Laune des Gerichts sechs bis acht Jahre Gefängnis.«

Leyo blieb der Protest im Hals stecken. Er starrte Ranjel an, wartete darauf, dass sich ihre Worte als Scherz entpuppten, doch dem war nicht so. Mit kühler, selbstzufriedener Miene musterte sie ihn und trommelte mit den Fingerspitzen auf den Tisch.

»Das ist ... nicht dein Ernst.«

»Ich habe die Gesetze nicht gemacht, Leyo.«

»Ich ... ich kann nicht in den Knast!«

»Wieso? Angst davor, alte Bekanntschaften zu treffen?«

»Ich habe Familie!«

Ranjel schnaubte. »Und das entbindet dich von den Gesetzen der Föderation?«

»Nein, aber ...« Leyo rang die Hände und sank dann hilflos in sich zusammen. »Scheiße, können wir nicht ... irgendeinen Kompromiss finden? Bitte.« Er wusste, er hörte sich erbärmlich an, aber gerade fühlte er sich auch so. Die Vorstellung, die nächsten acht Jahre hinter Gittern zu verbringen, raubte ihm schier den Verstand. Er würde sein Baby nicht im Arm halten können. Würde weder seine ersten Worte, noch seine ersten Schritte miterleben. Und was war mit Liska und Amjan? Würden sie auf ihn warten?

Wenn sie klug sind, sicher nicht.

Ranjel sah ihn immer noch mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Ich will die Drahtzieher. Liefere mir die Informationen, dann können wir über eine Milderung des Strafrahmens –«

»Ich habe keine Informationen!«, schrie Leyo verzweifelt. Er sprang von seinem Stuhl auf, die beiden Wachen hinter ihm strafften sich. »Warum kapierst du das nicht? Ich weiß gar nichts! Die haben mich nach Strich und Faden reingelegt, das ist alles.«

Ranjel seufzte. »Tja, dann fürchte ich, kann ich dir nicht helfen. Du wirst auf ein mildes Urteil hoffen müssen. Es sei denn ...« Sie verstummte und tippte sich nachdenklich gegen das Kinn. Eine Weile saß sie schweigend da, dann nickte sie, als hätte sie einen Entschluss gefasst. »Nun, einen Versuch ist es wert.« Sie ließ die Schultern kreisen und gab den Wachleuten ein Zeichen. »Wegtreten.«

Angespannt sah Leyo zu, wie beide den Raum verließen. Ranjel stand auf, trat an ein in die Wand eingelassenes Relais und drückte einige Tasten. Mit lautem Surren senkte sich ein Schott über den Einwegspiegel. Ein weiterer Knopf, und das rote Lämpchen der Deckenkameras erlosch.

Adrenalin schoss durch Leyos geschundenen Körper, er umklammerte die Flasche vor sich mit beiden Händen. Eine mickrige Waffe, aber besser als nichts. Er würde sicher nicht zulassen, dass –

»Herrje, dein Blick – ein Anblick für Götter.« Ranjel kicherte. »Lass die Flasche in Ruhe, ich tu dir nichts.«

Leyo verengte die Augen zu Schlitzen. »Was soll das dann?«

»Ein bisschen Privatsphäre ist immer gut«, erwiderte Ranjel launig. Unverwandt fixierte sie ihn und wurde ernst. »Was ich dir jetzt mitteile, ist vertraulich. Wenn es diesen Raum verlässt, landest du schneller in einem Gerichtssaal als du ›im Zweifel für den Angeklagten‹ sagen kannst. Verstanden?«

Leyo lockerte seine verkrampften Finger ein wenig. Die Anspannung wich Neugier. »Verstanden.«

»Gut. Meine Vorgesetzten wären vermutlich nicht erfreut, wenn sie davon erführen.« Ranjel marschierte im Zimmer auf und ab, ihren Kaffeebecher immer noch in der Hand. Sie sah Leyo nicht an, während sie sprach. »Möglicherweise gibt es da eine Option, die uns beiden zum Vorteil gereichen könnte. Eine Möglichkeit für dich, deinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen und dem Gefängnis zu entgehen. Aber nur, wenn du dich kooperativ zeigst.«

Leyo seufzte. Das klang gar nicht gut. »Ich höre.«

»Ich nehme an, Colay ist dir ein Begriff?«

»Natürlich. Er ist auf Ranun bekannter als die Gouverneurin.«

»Dachte ich mir.« Ranjel lächelte. »Du kannst dir vorstellen, dass ALIS sehr großes Interesse an diesem Mann hat. Seine Machenschaften sind uns schon lange ein Dorn im Auge, aber leider ist der Kerl gut und weiß genau, wie er taktieren muss.«

Leyo zuckte mit den Schultern. Er versuchte, beiläufig auszusehen, ahnte aber, dass das nur bedingt funktionierte. Dafür saß die Nervosität zu tief und er ertappte sich dabei, ständig mit den Fingern auf der Tischplatte zu trommeln.

»Colay hat irgendetwas vor«, fuhr Ranjel fort. »Er heuert Söldnercorps an, aus entlegenen Ecken der Föderation. Außerdem wurde vor einigen Tagen im Horva-System ein Schiff überfallen. Die Angreifer erbeuteten hochspezifische Maschinenteile, die für sich genommen keinen großen Wert besitzen, sofern man keinen konkreten Nutzen für sie hat. Wir nehmen an, dass Colay hinter dem Überfall steckt. Ein Cyberangriff auf die Zentralrechner der Sanwa Mining Corporation geht vermutlich auch auf sein Konto.«

»Und weiter? Was hat das mit mir zu tun? Ich arbeite nicht für Colay.«

»Noch nicht.« Ranjel lächelte geheimnisvoll. »Genau da kommst du nämlich ins Spiel. Wir versuchen seit Jahren, Spitzel in Colays Reihen einzuschleusen, aber der Kerl ist vorsichtig, geradezu paranoid. Er prüft seine Leute sehr genau und lässt nichts durchsickern. Von daher brauchen wir einen Außenseiter. Jemanden, den er nicht verdächtigt.«

Leyo starrte Ranjel an. »Du willst, dass ich ... Colay ausspioniere? Du bist doch nicht bei Trost.«

»Ein fairer Deal. Du tust ALIS einen kleinen Gefallen und wir vergessen, dass du jemals hier warst.«

»Einen kleinen Gefallen?«, echote Leyo. »Das ist Selbstmord. Wenn Colay rausfindet, dass ich für euch arbeite, reißt er mich in Stücke und meine Familie ebenso. Der Kerl ist unberechenbar, er –«

»Dann sorgst du besser dafür, dass er es nicht herausfindet.«

»Nein.« Leyo verschränkte die Arme vor der Brust. »Das wäre lebensmüde.«

»Schön.« Ranjel seufzte und legte die Hand auf das Relais, mit dem sie die Abschottung aktiviert hatte. »Deine letzte Chance. Sobald ich diesen Knopf hier drücke, ist das Angebot vom Tisch. Überleg es dir besser noch einmal. Du findest heraus, was Colay plant, und lieferst uns alle Beweise und Informationen, die wir brauchen, um ihn festzusetzen. Dafür kannst du wieder nachhause zu deiner Familie und wir vergessen die acht Jahre Gefängnisstrafe.«

»Das ist Erpressung!«

»Falsch, es ist ein Deal. Einer, den ich dir aus reiner Freundlichkeit anbiete, um der alten Zeiten willen. Ich könnte dich auch sofort vor das nächste Militärgericht zerren.«

Leyo rang nach Luft. Dieses Miststück! Sie wusste genau, was für ihn auf dem Spiel stand und setzte ihm genüsslich die Pistole auf die Brust. Entweder ging er für Jahre in den Knast oder er legte sich mit einem der gefährlichsten Männer der Föderation an. Noch dazu mit einem, der in den letzten Jahren mehr für Ranun und die Menschen dort getan hatte als ALIS und die Regierung zusammen. Das war nicht fair!

»Mein Lieber, ich habe nicht ewig Zeit«, säuselte Ranjel. »Ich habe um vier-dreihundert eine Besprechung auf der Brücke und will jetzt eine Antwort.«

Leyo fluchte leise. Sie setzte ihn bewusst unter Druck, raubte ihm die Möglichkeit, in Ruhe über alles nachzudenken und abzuwägen. Verdammt, wie war er nur in diesen Mist hineingeraten? Warum war er nicht einfach zuhause geblieben, wie er es versprochen hatte? Du bist so beschissen dämlich, Leyo.

»Was soll ich schon sagen?«, murmelte er und hob hilflos die Arme. »Natürlich will ich nicht in den Knast.«

»Also machst du mit?«

»Ich habe doch keine Wahl.«

»Schön, dass du das so siehst.« Ranjel grinste. »Warte kurz hier, ich bin gleich zurück, dann klären wir den Rest.«

Leyo sah ihr zu, wie sie nach draußen verschwand, und ließ den Kopf auf seine Arme sinken. Er steckte richtig tief in der Scheiße – und das alles nur wegen seines aufgeblasenen Egos.

Du hast das verdient, raunte ihm eine boshafte Stimme zu. Das kommt davon, wenn man Abmachungen bricht.

Er dachte an Liska und Amjan, an ihr Baby, und ihm wurde schlecht bei dem Gedanken daran, welcher Gefahr er die drei aussetzte, indem er Ranjels Angebot annahm. Wenn er stattdessen ins Gefängnis ging ... Nun, sie würden zurechtkommen. Sie würden ihn irgendwann vergessen, ihr Leben ohne ihn führen, ihr Baby allein großziehen. Seine Brust zog sich so schmerzhaft zusammen, dass er kaum noch Luft bekam. Schon der Gedanke tat furchtbar weh. Er konnte das nicht. Es war nicht seine Schuld, dass der Coup so schrecklich schiefgelaufen war, Nec und dieser fremde Bastard hatten ihn reingelegt. Er würde nicht zulassen, dass die seine Familie zerstörten, dass sie ihm alles wegnahmen, was er liebte.

Ich schaffe das, dachte Leyo und holte tief Luft. Ich ziehe das durch – und dann ist alles gut. Dann werde ich nie, nie, nie wieder irgendeinen illegalen Job annehmen.

Die Tür ging auf und Ranjel kam zurück, in der Hand ein kleines kastenförmiges Gerät. »Und? Hast du’s dir überlegt?«

Leyo nickte. »Ich mache bei deinem Scheißspiel mit. Aber wehe, du versuchst, mich übers Ohr zu hauen. Ich kann verdammt nachtragend sein.«

»Na, da sind wir schon zwei.« Ranjel zwinkerte. »Im Übrigen bin ich nicht nur nachtragend, sondern auch vorsichtig. Deswegen sollten wir die Modalitäten gleich klären.«

»Guter Plan.«

»Du hast einen Monat Zeit, uns die Informationen zu liefern, die wir brauchen. Gelingt dir das nicht, platzt unser Deal. Klar soweit?«

»Einen Monat?« Leyo keuchte. »Du spinnst doch. Wie soll ich das machen?«

»Lass dir was einfallen. Die Zeit drängt, wir wissen nicht, was Colay vorhat, aber es sieht nach etwas Größerem aus. Deswegen wirst du dich beeilen.«

»Toll.« Leyo ließ sich in seinem Stuhl zurücksinken. »Das ist ein verdammtes Kamikaze-Kommando.«

»Möglich. Kommt ganz auf dich an. Die Bedingungen sind nicht verhandelbar. Aber, wenn du doch noch aussteigen willst ...« Ihre Hand huschte zum Knopf auf dem Relais und Leyo fluchte.

»Nein, verdammt. Ich mach es.«

»Sehr gut. Gib mir deinen Arm.«

»Wozu?«

Sie wedelte mit dem Gerät in ihrer Hand. »Denkst du, ich überlasse das dem Zufall? Ich muss dafür sorgen, dass du tust, was wir vereinbart haben, und dich nicht einfach in einen fremden Quadranten absetzt. Deswegen bekommst du diesen hübschen Chip. Er wird uns immer und überall über deinen Aufenthaltsort informieren und gibt ein Warnsignal ab, sobald du versuchst, ihn zu entfernen. In diesem Fall fügen wir deinem Portfolio Fahnenflucht hinzu, was dir ein paar weitere Jahre einbringen dürfte. Immerhin«, sie lächelte süffisant, »bist du Wiederholungstäter.«

Leyo schnaubte. »Ich bin damals nicht desertiert. Ich habe –«

»– Befehle deines Vorgesetzten verweigert. Ich weiß, ich war dabei. Mit deiner unehrenhaften Entlassung bist du noch gut davongekommen.« Sie hob einen Mundwinkel, wurde aber sofort wieder ernst. »Wie auch immer. In einem Monat vereinbaren wir einen Treffpunkt, und sofern du deinen Job erledigt hast, wirst du den Chip los. Alles klar?«

Resigniert starrte Leyo auf das Gerät und streckte die Arme von sich. »Gut. Mach schnell.«

Ranjel setzte das Gerät an, drückte einige Knöpfe und ein kurzer, stechender Schmerz schoss Leyos Arm hinauf. Er keuchte, doch nur einen Augenblick später war er schon wieder verschwunden. Nur ein roter Fleck und eine feine Narbe am Unterarm blieben an der Stelle zurück, an der Ranjel ihm den Chip implantiert hatte.

»Sehr schön.« Sie nickte zufrieden. »Er funktioniert einwandfrei.«

»Kann ich dann gehen?«, fragte Leyo dumpf und Ranjel lachte.

»Immer mit der Ruhe. Ich muss ein paar Vorkehrungen treffen, das wird noch etwas dauern. Das Schiff kannst du wiederhaben, daran haben wir keinen Bedarf. Am besten bringst du es einfach zurück, damit deine ach so verschwiegenen Kontaktleute keinen Verdacht schöpfen.«

»Und die Waren?«, brummte Leyo. »Die werden merken, dass sie nie angekommen sind.«

»Lass das unsere Sorge sein. Bleib du einfach dabei, dass du alles wie gewünscht abgeliefert hast.«

Er runzelte die Stirn. »Dir ist schon klar, dass –?«

»Leyo, ich weiß, was ich tue. Vertrau mir.«

Nur über meine kalte tote Leiche, dachte Leyo verbittert, nickte aber stumm. Er hatte keine Wahl, als darauf zu hoffen, dass Ranjel keine Dilettantin war. Immerhin brauchte sie ihn, sie wäre sicher nicht so dumm, ihn in eine weitere Falle laufen zu lassen.

Sie deaktivierte die Schotts, die Kameras sprangen an und auf ihren Wink hin kehrten die beiden Wachen in den Raum zurück. »Bringt den Herrn wieder auf seine Zelle«, befahl ihnen Ranjel. »Und gebt ihm eine Ration zu essen. Dann wartet auf weitere Anweisungen.«

Die beiden salutierten und führten Leyo zu seiner Zelle zurück. Sere Gedanken rasten unkontrolliert durch seinen Kopf. Die ganze Situation gefiel ihm nicht, irgendetwas war hier faul. Ranjel war überraschend schnell mit diesem ausgeklügelten Plan um die Ecke gekommen, fast so, als ...

Leyo riss die Augen auf. Verdammt, hatten die ihn mit Absicht geködert? War das Ganze von Anfang an geplant gewesen, ein abgekartetes Spiel? Der Fremde mit der Laserwaffe, der Auftrag, die Drogen ... Wahrscheinlich lachte Ranjel sich gerade vor Freude ins Fäustchen.

Wütend starrte Leyo auf die rote Stelle an seinem Arm. Wenn das alles hier vorbei war, das schwor er sich, würde ALIS die Rechnung dafür kassieren. Oder Ranjel. Oder wer auch immer ihm das eingebrockt hatte. So leicht ließ er sich nicht verarschen.