Die Sonne versank rotglühend hinter den Hügeln und der erste Mond schob sich über die Silhouette des Geisterwracks, als Leyo endlich Kalubs End erreichte. Seine Muskeln brannten noch immer, die Stelle am Arm juckte wie ein frischer Wespenstich und er fühlte sich elend. Im Shuttle von Kasdan bis hierher hatte er ein wenig geschlafen, aber er war dennoch erschöpft. Außerdem quälte ihn das schlechte Gewissen so sehr, dass ihn nicht einmal das Nikotin entspannte. Der beinahe leere Tabakbeutel dokumentierte, wie hingebungsvoll er es trotzdem versucht hatte.
Drei volle Tage war er fort gewesen, ohne ein Wort, ohne eine Entschuldigung. Liska und Amjan würden ihn umbringen. Zurecht.
Während er vom kleinen, staubigen Shuttlehafen in Richtung ihrer Hütte schlenderte, ging er im Kopf alle möglichen Alternativen durch, die er den beiden erzählen konnte. Die Wahrheit schied aus, zumindest die ganze. Liska war schwanger und Amjan arbeitete für die Regierung – beiden konnte er unmöglich verraten, was Ranjel von ihm verlangte. Und was auf dem Spiel stand. Er musste das einfach durchziehen, möglichst schnell, möglichst unauffällig. Amjan und Liska mussten davon nichts erfahren.
Und wenn doch, dachte Leyo, hattest du die längste Zeit eine Familie.
Die Angst saß so tief in seiner Brust, dass er kaum Luft bekam. Sie würden ihm das nie verzeihen, bestimmt nicht. Er war zu weit gegangen. Die einzige Chance, die er jetzt hatte, war, alles zu bereinigen, bevor es noch schlimmer wurde.
Du bist so ein erbärmliches Arschloch, Leyo. Du verdienst sie nicht. Keinen von ihnen.
»Sei still.« Er presste die Lippen zusammen und ballte die Hand zur Faust. Er liebte seine Familie, mehr als alles andere, und er würde nicht zulassen, dass jemand sie ihm wegnahm. Er würde um sie kämpfen.
Dieses Mal brannte Licht in der Stube, Leyo sah es schon von Weitem. Er hatte das Gefühl, gegen einen Sturm zu ringen, der ihm entgegen toste. Je näher er dem Haus kam, desto anstrengender wurde jeder Schritt, desto enger zog sich seine Kehle zusammen und desto härter schlug sein Herz gegen die Rippen.
Er streckte die Hand nach der Klinke aus. Umfasste sie. Es war nicht abgesperrt. Zögerlich öffnete er die Tür. Amjan und Liska saßen vor einem Spielbrett am Küchentisch und starrten ihn an, als hätten sie gerade einen Geist gesehen.
»Hey.« Leyo zwang sich ein Lächeln auf die Lippen. »Ist etwas später geworden. Sorry.«
Liska löste sich als Erste aus ihrer Trance. Sie stand auf, stieß ihren Stuhl beiseite und warf sich Leyo in die Arme. Er war so perplex, dass er fast nach hinten gefallen wäre, und hielt sich in letzter Sekunde am Türrahmen fest.
Ein Schluchzen schüttelte Liskas Körper, sie presste Leyo an sich und ließ ihn dann los, um ihn anzusehen. Ihre weichen Locken umschlossen ihr Gesicht wie ein voluminöses Herz und sie war so wunderschön, dass Leyo sie am liebsten geküsst und nie wieder losgelassen hätte. Das zornige Funkeln in ihren Augen belehrte ihn jedoch eines Besseren.
»Du Arschloch!« Sie versetzte ihm einen Schlag gegen die Brust. »Du mieses, ignorantes Arschloch!« Sie schlug wieder zu, härter diesmal. Leyo keuchte auf, wehrte sich aber nicht. »Was fällt dir eigentlich ein, he? Einfach so abzuhauen, ohne ein einziges Scheißwort! Ich glaube, du spinnst!«
»Liska ...« Amjan versuchte, sie zu sich zu ziehen, doch sie schlug seren Arm weg.
»Lass mich! Ich bin noch nicht fertig!« Aus ihren schwarzen Augen schienen Funken zu sprühen und ihre Finger gruben sich in Leyos Arm. »Hast du eine Vorstellung, was wir durchgemacht haben? Ich war kurz vor einem Nervenzusammenbruch!« Sie schlug ihn wieder, aber ohne große Kraft. Tränen liefen über ihre Wangen und brachen ihre Stimme. »Du bist so ein Arsch, Leyo. So ein Riesenarsch.«
»Ich weiß.« Er schloss Liska in die Arme und zog sie an sich. Am liebsten hätte er mit ihr geweint, doch er beherrschte sich mühsam. »Es tut mir so leid, Süße. Wirklich. Das kommt nie wieder vor, versprochen.«
»Das will ich dir auch geraten haben.« Sie schluchzte und sah ihn trotzig an. »Das nächste Mal reiße ich dir nämlich wirklich den Arsch auf. Und das wird verdammt wehtun.«
»Danke für die Warnung.« Er küsste sie sacht auf die Stirn, ehe er sie beiseiteschob, um auch Amjan in den Arm zu nehmen. Seren Umarmung war anders, fester, stiller, aber nicht minder intensiv. Amjan war die Ruhe selbst, doch sie kannten sich so lange, dass Leyo trotzdem jede Regung und jede emotionale Färbung an sem bemerkte. Und gerade spürte er sere Anspannung sehr deutlich.
»Du bist uns eine Erklärung schuldig«, murmelte Amjan, während ser sich von Leyo löste. Seren Gesichtsausdruck war gefasst, aber Leyo glaubte, eine Spur Melancholie in seren Augen zu erkennen. »Wieso hast du uns angelogen?«
Leyo schluckte. Der Zeitpunkt der Wahrheit war gekommen. »Es tut mir leid«, wiederholte er. »Ich dachte nicht ... also ...«
»Du dachtest, wir merken es nicht«, ergänzte Liska bitter und verschränkte die Arme vor der Brust. »Beschissene Ausrede. Neuer Versuch.«
Leyo zögerte. Wie viel wussten die beiden bereits? Hatte er eine Chance, die Situation weniger dramatisch erscheinen zu lassen, als sie war? Er hatte ihnen schon genug wehgetan, er wollte es nicht noch schlimmer machen.
Amjan gab ihm schließlich den entscheidenden Hinweis. »Wer war der Kerl in der Bar? Was hast du in Kasdan gemacht?«
Leyo seufzte und deutete auf das abgewetzte Sofa. »Wollen wir uns setzen? Ist eine längere Geschichte.«
Liska ließ sich sofort in die Kissen plumpsen, Amjan hingegen blieb stehen und verschränkte die Arme vor der Brust. Ser ist echt sauer auf dich, dachte Leyo schmerzlich. Es würde dauern, das Vertrauen wiederherzustellen, das er so leichtfertig verspielt hatte.
»Also?« Liska hob die Augenbrauen. »Wir hören.«
»Ja, der Kerl in Rubhas Bar ...« Leyo setzte sich neben sie und kratzte sich verlegen den Bart. Er musste sich dringend wieder rasieren. »Er hat mir einen Job angeboten. Eine kleine, runde Sache, nichts Besonderes. Ich sollte nur ein paar Waren von Kasdan nach Sima 9 bringen und zurückkommen, das ist alles.« Unsicher blickte er zwischen Liska und Amjan hin und her. Amjans Miene blieb undurchdringlich, Liska schlug mit einem Seufzer die Augen nieder.
»Ich weiß«, murmelte Leyo, »wir hatten eine Abmachung, aber ... Scheiße, es war einfach ein blöder Tag. Ich hab mich in der Bar schrecklich gelangweilt, Sheftas Bande ist mir auf die Nerven gegangen und dann kam dieser Kerl mit dem Angebot und den achthundert Credits und –«
»Achthundert Credits?« Liska keuchte. »Ich glaub, mein Karfaun pfeift.«
Leyo grinste. »So ging’s mir auch. Es klang echt nach einer simplen Sache und wir ... na ja, wir hätten das Geld gut brauchen können. Oder nicht?« Schweigen antwortete ihm und er räusperte sich verlegen. »Auf jeden Fall ... bin ich nach Kasdan gefahren und hab dort die Ware abgeholt. Das lief alles wunderbar. Eigentlich hätte ich schon vor zwei Tagen zurück sein sollen, aber ... es kam was dazwischen.«
»Nicht zufällig das hier?« Liska stupste ihn gegen den verletzten Arm, der nur noch ein wenig ziepte.
»Ja, unter anderem. Ich hatte gefälschte Papiere für die Waren und maskierte Signaturen, aber irgendwas ging offenbar schief und der Zoll hat mich rausgewunken.«
Amjan gab einen erstickten Laut von sich, sodass Leyo sofort fortfuhr: »Die haben mich ewig festgehalten und am Ende die Waren beschlagnahmt, aber mich haben sie wenigstens gehen lassen.«
»Einfach so?« Amjan wirkte nicht überzeugt. »Obwohl du gegen Handelsbestimmungen verstoßen hast?«
»Die konnten mir keinen Vorsatz nachweisen«, erklärte Leyo. »Und die diensthabende Offizierin war nicht mehr so motiviert, mich zu überführen, nachdem ich ihr ein paar hundert Credits zugesteckt hatte.«
Liska schüttelte den Kopf. »Du bist so ein Hohlkopf, Leyo. Ehrlich. Wenn ich nicht so verdammt froh wäre, dass du wieder da bist, würde ich dich augenblicklich vor die Tür setzen.«
Leyo sah sie schuldbewusst an. »Ich weiß, es war dumm von mir. Ich hab einfach ... es war eine Kurzschlussreaktion. Kommt nie wieder vor. Versprochen.«
»Darum geht es doch gar nicht.« Amjan löste sich aus serer Starre und trat auf ihn zu. »Wenn dir das so wichtig war, warum hast du uns nicht davon erzählt? Warum hast du uns angelogen?«
»Ich ...« Leyo schluckte. »Ich weiß nicht, ich ... Wir hatten eine Abmachung und ...« Er rang hilflos die Hände. »Keine Ahnung, ich hab mich scheiße gefühlt, deswegen. Ich hab euch versprochen, dass ich nichts Illegales mehr mache, und ich wollte mich daran halten. Wirklich. Ich hatte einen schwachen Moment und ...« Er atmete tief durch und sprach dann in einem Satz aus, was ihn gerade am meisten quälte: »Ich hatte Angst, euch zu verlieren.«
Liska seufzte tief, kroch über das Sofa zu Leyo und legte die Arme um seinen Hals. Sanft schmiegte sie ihre Wange an seine. »Du bist so ein Schaf, Leyo. Wir lieben dich, verdammt. Das weißt du doch.«
Leyo unterdrückte ein Schluchzen und zog sie an sich. »Ich weiß. Und ich frage mich, womit ich das verdiene.«
Amjan nahm auf seiner anderen Seite Platz und lehnte den Kopf gegen Leyos. Eine ganze Weile saßen sie einfach nur so da, hielten einander fest und Leyo spürte, wie die Nervosität langsam aus seinen Gliedern sickerte. Alles war gut. Nein, halt. Gar nichts war gut. Aber es würde gut werden. Dafür musste er sorgen.
Amjan brach schließlich das Schweigen. »Hör zu Leyo, ich will die gute Stimmung nicht verderben und bin verdammt froh, dass es dir gut geht, aber ... wir sind eine Familie. Und wir müssen uns darauf verlassen können, dass du uns nicht anlügst. Und dass du uns erzählst, wenn du unzufrieden bist.«
Leyo nickte betreten. »Ich weiß. Es ist nur ... Ich meine, ihr habt ja recht. Unser Kind braucht eine Familie und Stabilität und –«
»– kein Elternteil, das sich tagelang verkrümelt, wenn es der Hafer sticht.«
Leyo sah Liska ungnädig an. »So war das nicht.«
»Aber sie hat recht, Leyo«, warf Amjan ein. »Wir müssen uns auf dich verlassen können. Wir müssen dir vertrauen.«
Leyo schwieg und starrte betrübt auf den Boden. Der Vorwurf, der in Amjans Worten mitschwang, fühlte sich an wie ein weiterer Streifschuss, vor allem, weil er zutraf. Er hatte ihr Vertrauen missbraucht. Und er würde es wieder missbrauchen. Das war einfach nicht fair.
»Leyo?« Liska legte den Kopf schief. »Was ist los? Da ist doch noch was.«
»Ich bin nur müde«, brummte er und küsste Liska auf den Scheitel. »Und meine Schuldgefühle fressen mich auf. Ich fühl mich so mies und ... keine Ahnung. Ich hab’ euch zwei gar nicht verdient.«
»Jetzt hör auf.« Liska stupste ihn von der Seite. »Selbstmitleid steht dir nicht. Du hast Scheiße gebaut, wir verzeihen dir. Aber wir müssen einfach sicher sein können, dass das nicht wieder passiert.«
»Wird es nicht«, versprach Leyo hastig. »Das war mir eine Lehre. Ich gehe morgen zu Rubha und –«
»Rubha hat dich gefeuert«, warf Amjan ein. »Sie war auch nicht besonders erfreut darüber, dass du auf einmal tagelang fort warst und ihr ins Gesicht gelogen hast.«
Leyo zuckte mit den Schultern. »Egal, ich finde was anderes.«
Amjan und Liska wechselten einen Blick. »Leyo«, begann Liska und sah ihn ernst an. »Wenn du unzufrieden bist mit der Situation, dann ... sag uns das. Bitte. Du redest nie über solche Dinge und plötzlich bist du von einem Tag auf den anderen verschwunden und ...« Sie rang die Hände. »Ehrlich, ich hatte Angst, du kommst nie wieder.«
»Unsinn.« Erschrocken schüttelte Leyo den Kopf. »Ich würde niemals ... Nein. Ich liebe euch. Und unser Baby. Ich ...« Er sah zwischen Liska und Amjan hin und her und senkte den Blick. »Ihr glaubt mir nicht.«
»Doch, das tun wir«, erwiderte Amjan ernst. »Wir wollen nur, dass du glücklich bist.«
Ein warmes, weiches Gefühl flutete Leyos Brustkorb und er zog erst Amjan, dann Liska an sich. »Ich bin glücklich«, flüsterte er. »Mehr als ich es je in meinem Leben war. Und ich schwöre euch, ich werde dieses Glück nie wieder auf die Probe stellen.«
Amjan küsste ihn heftig und sie versanken zu dritt in einer innigen Umarmung. Leyo musste nach Luft schnappen, so sehr überwältigten ihn seine Emotionen. Er war der größte verdammte Glückspilz in der Galaxis, so viel stand fest. Nur gönnte ihm sein Kopf dieses Glück gerade noch nicht. Zurecht, wie er sich erinnerte.
Morgen, dachte er. Morgen erzähle ich es ihnen. Sie haben genug durchgemacht, fürs Erste.
»Hast du Hunger?«, fragte Liska und sah ihn an. »Wir haben noch ein halbes Omelett übrig.«
Leyo horchte auf seinen knurrenden Magen und nickte. »Ja, das wäre zauberhaft.«
Er stand auf, streifte seine Jacke ab – ALIS hatte seine Kleider freundlicherweise für ihn gewaschen – und warf einen Blick in den Vorratsschrank. Verdammt, er hatte wirklich Hunger. Zusätzlich zu dem halben Omelett nahm er noch einen Kanten Brot und einen Apfel heraus und begann genüsslich zu essen.
Amjan und Liska sahen ihm schweigend dabei zu.
»Wollt ihr nichts?«
Amjan schüttelte den Kopf und stand auf. »Wir hatten schon. Iss du nur.«
Leyo spülte den letzten Bissen mit etwas Milch hinunter und schielte dann zu Amjan hinauf, ser immer noch wie ein Bodyguard neben ihm stand. »Alles okay?«
Amjan nickte mit einem schiefen Lächeln. »Ja, sicher.«
»Stehst du da, um sicherzugehen, dass ich nicht wieder abhaue?«
»Möglich.«
Leyo erhob sich und legte die Arme um seren massigen Körper. »Es kommt nie wieder vor«, raunte er. »Versprochen.«
»Dann ...«, Amjan blinzelte, »... hast du uns alles erzählt? Alles, was passiert ist?«
»Ja.« Leyo spürte Beklemmung in sich aufsteigen. »Wieso fragst du?«
Amjans Finger strichen sacht seinen nackten Arm entlang, von der Schulter bis zum Handgelenk, das von den Plastikhandschellen immer noch rötlich schimmerte. Leyo beugte sich nach vorne, wollte sen küssen, da ergriff Amjan unvermittelt seinen Unterarm und drückte ihn kraftvoll mit der Oberseite auf den Tisch.
Leyo schrie auf. »Au! Was zum ...?«
»Und das?« Amjan deutete grimmig auf die rot schimmernde Stelle unterhalb der Armbeuge.
Schweiß brach auf Leyos Stirn aus. »Nichts«, nuschelte er. »Ein Stich vielleicht oder ...«
»Verkauf mich nicht für blöd, Leyo«, knurrte Amjan. »Denkst du, ich erkenne eine Chipnarbe nicht, wenn ich sie sehe? Ich bin bei ALIS, schon vergessen?«
»Nein«, murmelte Leyo. Verdammt, so viel zum Thema, sie würden morgen darüber reden. »Das ist nichts. Ich –«
»Nichts?« Liska schnaubte. »Leyo, es reicht. Wenn du nicht mit uns sprichst, hole ich meinen Chipscanner aus der Garage und finde heraus, was ich wissen will. Aber dann kannst du gleich deine Koffer packen und verschwinden.« Sie zog die Stirn in Falten. »Auch meine Geduld hat ein Ende, weißt du. Selbst mit dir.«
Leyo starrte auf seinen Arm, dann zu Amjan und Liska, die ihn mit versteinerter Miene musterten. »Gut«, murmelte er lahm, »ALIS hat ... mich nicht einfach so gehen lassen. Sie wollten, dass ich etwas für sie erledige, im Tausch gegen meine Freiheit.«
Amjan sog scharf die Luft ein. »Und weiter?«
»Ich ...« Leyo suchte nach den richtigen Worten, beschloss dann aber, es so unkompliziert wie möglich auszusprechen. »Ich soll Colay ausspionieren.«
Stille schlug ihm entgegen. Amjan und Liska starrten ihn mit aufgerissenen Augen an. »Colay«, japste Liska, die als Erste ihre Stimme wieder fand. »Den verdammten Verbrecherboss.«
»Er ist nicht so schlimm«, verteidigte sich Leyo. »Ich hab’ vor einigen Jahren schon mal für ihn gearbeitet. Ich heuere einfach bei ihm an, sammle die Infos, die ALIS will, und bin raus. Eine simple Sache.«
»Simple Sache?« Amjans Stimme schwoll an, sere Wangen unter dem dichten Bart färbten sich rot. »Meine Fresse, Leyo, hast du irgendeine Vorstellung davon, worauf du dich da einlässt?«
Leyo riss seinen Arm los. »Welche Wahl hatte ich denn? Die haben mich reingelegt, verdammt! Das war ein abgekartetes Spiel.«
»Und du bist ihnen fröhlich grinsend in die Falle getappt.« Liska schüttelte den Kopf und stand dann energisch auf. »Komm, wir gehen rüber in die Werkstatt. Ich habe einen Extraktor, der dürfte den Chip entfernen, ohne das Signal zu kappen.«
»Und dann?«
»Du tauchst unter«, antwortete Liska kühl. »Lange genug, damit ALIS die Sache vergisst. Ein oder zwei Jahre vielleicht.«
Leyo starrte sie an. Er hatte das Gefühl, innerlich zu Eis zu erstarren. »Nein«, stieß er heiser hervor. »Bitte, tu mir das nicht an. Ich hab’ das alles nur gemacht, um bei euch sein zu können, um euch nicht zu verlieren. Wenn du mich jetzt wegschickst, dann ...«
Verzweifelt riss Liska die Arme hoch. »Was sollen wir denn sonst tun? Sollen wir warten, bis ALIS hier auftaucht oder bis Colay uns die Daumenschrauben anlegt?«
»Gebt mir einen Monat«, flehte Leyo. »Nur diesen einen Monat. Wenn ich die Infos kriege, dann kaufe ich mich bei ALIS frei und alles ist gut.«
»Und wenn nicht?«
Leyo ließ den Kopf sinken. »Dann ist sowieso schon alles egal. Dann könnt ihr mich entweder ans Ende der Galaxis schicken oder in den Knast.«
Schweigen schlug ihm entgegen. Liska und Amjan sahen einander an und Amjan nickte schließlich: »Gut. Ein Monat. Aber eines muss dir klar sein, Leyo.« Ser fixierte ihn mit einem Blick, der ebenso entschlossen wie traurig war. Er brach Leyo beinahe das Herz. »Wenn du mich, Liska oder unser Baby mit deinem Scheiß in Gefahr bringst, dann liefere ich dich persönlich bei ALIS ab, gefesselt und geknebelt, wenn es sein muss. Ich –« Sere Stimme zitterte und ser holte so tief Luft, als müsse ser sonst ertrinken. »Ich liebe dich, aber irgendwann ist das Maß voll. Ehrlich.«
Leyo nickte stumm. Er dachte an den harmonischen Abend vor einigen Tagen und fragte sich, wie die Dinge so drastisch hatten schieflaufen können.
Weil du ein undankbarer, ignoranter Schafskopf bist, der nie das tut, was er sollte.
Wieder wurde es still in der Wohnstube. Leyo pulte apathisch Sand unter seinen Fingernägeln hervor, Amjan schlurfte im Raum auf und ab und Liska kaute auf ihrer Unterlippe. Am Ende brach sie das Schweigen, ohne Leyo eines Blickes zu würdigen. »Ich gehe ins Bett. Hab’ die Schnauze voll für heute.«
Amjan strich ihr im Vorbeigehen über die Schulter. »Ich komme gleich nach.« Ser warf Leyo einen fragenden Blick zu und der stand schwerfällig auf.
»Ich ... muss den Kopf freikriegen. Ich gehe noch eine Runde spazieren.«
Er hatte die Tür schon fast erreicht, da rief Liska ihm nach: »Du ... kommst wieder, oder?«
Ihre Stimme klang so bedrückt, dass Leyo nicht anders konnte, als ihr ein tröstendes Lächeln zu schenken. »Klar. Mach dir keine Sorgen.« Er warf ihr einen Handkuss zu und huschte durch die Tür nach draußen. Er schaffte ein paar hundert Meter bis zu den Ausläufern der Steppe, bevor er weinend zusammenbrach.
*
Irgendwann kamen keine Tränen mehr und die Kälte hatte sich so tief in Leyos Körper gefressen, dass er sie kaum noch wahrnahm. Er hatte keine Ahnung, wie lange er durch die Prärie gelaufen war, der Himmel war mittlerweile bewölkt und die Monde nicht zu sehen. Mit zitternden Fingern kramte er das letzte Bisschen Tabak aus seinem Beutel und drehte daraus eine kümmerliche Zigarette, obwohl er genau wusste, dass das Nikotin seinen Schmerz nicht betäubte. Er steckte sie an und nahm einen tiefen Zug.
Wie lange hockte er jetzt schon auf der Türschwelle und traute sich nicht, hineinzugehen? Eine Stunde? Länger? Gerade hatte er große Empathie für seinen Sohn, der nach der waghalsigen Aktion am Geisterwrack partout nicht nachhause gewollt hatte. Was hatte er noch zu ihm gesagt? Über echte Beziehungen und die Arbeit, die man in sie investieren musste? Wie beschissen heuchlerisch.
Er schnippte die Zigarette weg und sah zu, wie sie im Sand erlosch. Er war eine Heimsuchung als Vater – genau wie als Ehemann. Ein Wunder, dass es Amjan und Liska so lange mit ihm ausgehalten hatten. Jeder vernünftige Mensch wäre –
Leyo zuckte zusammen, als die Tür hinter ihm aufging. Amjan trat nach draußen, in einer Hand eine Flasche, in der anderen zwei Gläser. Wortlos setzte ser sich neben Leyo, schraubte die Flasche auf und goss ein.
Leyo schenkte sem ein zaghaftes Lächeln. »Du verschwendest deinen guten Whisky an mich?«
»An schlechten Tagen soll man keinen schlechten Whisky trinken«, erklärte Amjan und reichte Leyo sein Glas. »Weisheit meines Vaters. Der hatte wenig Ahnung, aber vom Trinken verstand er was.«
Leyo umklammerte das Glas und wagte nicht, Amjan anzusehen. Der Whisky war ein Friedensangebot, so viel war ihm klar. Dennoch, die Wut und die Enttäuschung in seren Augen konnte Leyo nicht vergessen, allein der Gedanke daran tat weh.
Er wäre nie auf die Idee gekommen, seine Gefühle für Amjan und für Liska gegeneinander abzuwägen, er liebte sie beide auf eine völlig unterschiedliche Weise. Liska war ein Wirbelwind, genauso herzlich und impulsiv wie Leyo selbst. Er liebte ihr Feuer, ihre Leidenschaft und die Tatsache, dass sie über denselben Unsinn lachen konnten.
Amjan und er hingegen – sie waren wie Seelenverwandte. Grundverschieden in vielen Dingen, aber innerlich verbunden. Leyo musste unwillkürlich lächeln, als er an die Zeit zurückdachte, in der sie sich kennengelernt hatten. Liebe auf den ersten Blick sah anders aus, und vermutlich war das der Grund, warum sie sich heute so nahe waren. Sie hatten gegeneinander, umeinander, miteinander gekämpft. Das konnte er von keinem anderen Menschen in seinem Leben behaupten.
Amjan stieß seren Glas gegen Leyos und riss ihn damit aus den Gedanken. Synchron legten sie den Kopf in den Nacken und ließen den Whisky ihre Kehle hinunterrinnen. Es tat gut. Nicht nur der Alkohol, sondern Amjans Gesellschaft. Das Wissen, dass ser hier war. Dass ser sie beide nicht aufgab.
»Danke«, murmelte Leyo fahrig. Erst jetzt hob er den Blick und sah Amjan an. »Ich ... Es tut mir leid. Alles.«
»Ich weiß.« Ser legte den Arm um Leyo und zog ihn an sich. »Ich kann dir sowieso nicht böse sein. Wobei ...« Ser seufzte. »Verglichen mit allem, was du dir bisher geleistet hast, kommt die Aktion definitiv unter die Top Drei.«
Leyo grinste schief. »Noch vor dem Abend, an dem wir den Sekretär der Gouverneurin mit Gin abgefüllt haben, damit er uns die Codes ihres Privatkreuzers verrät?«
»Ja. Definitiv davor.«
»Und vor der Sache mit dem Karfaun-Züchter, der –«
»Treib’s nicht zu weit, Leyo.«
»Na gut.«
Sie grinsten einander an und schwiegen. Amjans Finger glitten sacht über Leyos Rücken und er schmiegte sich ein wenig fester an sen. Am liebsten hätte er den Moment eingefangen und festgehalten, irgendwo in ein Glas gesperrt, damit er ihn hervorholen konnte, wann immer ihn Zweifel überkamen. Wie hatte er dieses Leben jemals in Frage stellen können? Wie hatte er glauben können, Action und Adrenalin könnten diese tiefe innere Zufriedenheit ersetzen, die ihn gerade durchströmte?
Von Amjan kam ein leises Glucksen.
»Was?«
»Ach, nichts. Ich dachte nur gerade an etwas, das Arifa vor zwei Tagen zu mir gesagt hat.«
»Was hat sie denn gesagt?«
»Sie meinte: Leyo ist, wie er ist. Dafür kann man ihn lieben oder hassen.« Ser grinste. »Ich fürchte, damit hat sie recht.«
Leyo hob die Augenbrauen. »Und, zu welcher Fraktion gehörst du?«
»Das weißt du doch.«
»Hm. Aber ich will es hören.«
Amjan stellte seren Glas beiseite, neigte sich zu Leyo und küsste ihn. Sehnsüchtig drängte Leyo sich gegen sen, erwiderte den Kuss, grub die Hand in Amjans Haar. Er schmeckte den rauchigen Whisky auf seren Lippen, roch den aromatischen Mandelduft des Bartöls und verstärkte instinktiv seinen Griff, um sen noch fester an sich zu ziehen.
Behutsam löste Amjan sich aus ihrem Kuss und lächelte. Sere Stimme war kaum mehr als ein raues Flüstern. »Ich liebe dich. Und wenn es mein verdammter Ruin ist.«
Leyo vergrub das Gesicht in Amjans Halsbeuge und hauchte einen Kuss darauf. Er konnte die Gefühle, die gerade in ihm tosten, unmöglich in Worte fassen, aber er hoffte, dass Amjan ihn auch so verstand. Wie immer.
Eine Weile schwiegen sie beide, bis Amjan leise fragte: »Wollen wir reingehen? Es ist echt kalt hier draußen.«
Leyo lächelte und nickte. Sein Rücken tat weh von der unbequemen Sitzposition und er fühlte sich mit einem Mal steinalt. »Schläft Liska schon?«
»Ja, sie war völlig am Ende.« Amjan hob fragend die Augenbrauen, während ser den Whisky und die Gläser einsammelte. »Was ist mit dir? Bist du müde?«
Leyo zuckte mit den Schultern. »Nicht sehr.«
»Sofa?«
»Küchentisch?«
Amjan grinste. »Was immer du willst.«