Kapitel 13

»He, unsere Schlafmütze wacht auf.«

Leyo stöhnte leise, streckte seine Glieder und fühlte sich alt und verbraucht. Sein Nacken war steif, sein Arm eingeschlafen. Tolle Voraussetzungen. Er versuchte zu blinzeln und als er die Augen öffnete, sah er nichts. Nur Schwärze. Kurz packte ihn die Panik, blind geworden zu sein, doch im nächsten Moment begriff er, dass er nur eine Augenbinde trug.

»Kannst das Ding jetzt abnehmen.«

Leyo wurde das Tuch vom Kopf gezogen und er blinzelte behutsam in das grelle Sonnenlicht. Er erahnte das Shuttle, den Piloten und Marlo neben sich. Wie lange war er weg gewesen? Seinen Kopfschmerzen und dem Druck in seiner Blase nach zu urteilen eine ganze Weile.

Marlo schenkte ihm ein dünnes Lächeln. »Alles okay?«

»Hm«, brummte Leyo. »Hättest mich vorwarnen können?«

»Sorry. Anweisung vom Boss, er ist misstrauisch, was neue Mitarbeiter angeht. Du kannst froh sein, dass er dich so schnell eingeladen hat.« Marlo zog eine Wasserflasche aus seinem Rucksack und reichte sie Leyo. Der trank gierig einige Schlucke und zuckte dann mit den Schultern.

»Colay und ich kennen uns schon eine ganze Weile, weißt du. Ich hab’ zwar nie zu seinem engsten Kreis gehört, aber ... nun ja. Er achtet auf seine Leute.«

»Stimmt«, bekräftigte Marlo. »Ohne ihn säße ich immer noch in einem schmierigen Puff in Kasdan und hätte das hier nicht.« Er fuhr seine markante Wangenpartie mit dem schwarzen Bartschatten nach. »Also reiß dich zusammen, wenn du mit ihm redest, okay?«

»Klar, was denkst du von mir?«

»Nur das Schlimmste.«

»Siehst du?« Leyo grinste. »Kann also nichts schiefgehen. Können wir kurz anhalten? Ich muss dringend pinkeln.«

Marlo verdrehte die Augen, gab dem Piloten aber die Anweisung, das Hovercraft zu stoppen. Leyos Beine kribbelten, als er ausstieg. Er streckte sich ausgiebig und ließ den Blick schweifen. Steppe, Sand und Fels, soweit das Auge reichte. Keine auffälligen Landmarken, keine Silhouetten, die verrieten, wo sie gerade waren, nichts, was Leyo half, sich zu orientieren. Wobei, in der Ferne glaubte er, eine alte Vicariummine aufragen zu sehen. War es die in der Nähe von Kalubs End? Oder eine der vielen anderen? Er konnte es nicht sagen.

Leyo dehnte seinen Nacken und erleichterte sich hinter einem Felsen, dann kletterte er ins Hovercraft zurück. Am liebsten hätte er noch eine Zigarette geraucht, aber er wollte Colay nicht unnötig warten lassen.

Der Pilot startete wortlos und Leyo blickte nach draußen. Einöde, Steppe und ein paar wilde Karfaune, die vor dem Knattern des Hovercrafts davonliefen. Hin und wieder erspähte Leyo ein Becken, das vielleicht einmal ein See oder Flussbett gewesen war, sonst gab es hier nichts außer Sand und Sonne.

Das Hovercraft glitt über die nächste Kuppe und in der Ferne erkannte Leyo einen grünen Punkt, der rasch näher kam.

Colays Anwesen war noch imposanter, als er es in Erinnerung gehabt hatte. Ein riesiges, von Mauern und Stacheldraht umzäuntes Landhaus mit einem überraschend grünen Garten, einem eigenen Space-Landeplatz und einer kleinen Armee vor der Haustür. Nein, dieser Mann wurde nicht gerne überrascht.

Das Hovercraft kam wenige hundert Meter vor dem Eingangstor zum Stehen. Leyo zählte insgesamt vier Bewaffnete mit vollautomatischen Knarren, eine Drohne, die über dem Platz kreiste, und ein halbes Dutzend Sicherheitskameras. Marlo näherte sich dem Anwesen, wechselte einige Worte mit der diensthabenden Wache und wies dann auf das Hovercraft. Die Wache, eine Frau, wie Leyo vermutete, nickte und winkte ihn zu sich.

»Legen Sie bitte alle metallischen Gegenstände in diesen Schacht.« Sie deutete auf eine Klappe neben der Eingangstür.

Leyo zog seine Jacke aus, nahm die Pistole mitsamt Holster ab und tat, wie ihm geheißen. Auch seinen Gürtel und seine Tasche warf er in den Schacht.

»Gut.« Die Frau nickte knapp. »Gehen Sie durch.«

Er passierte die Schranke und der Metalldetektor gab ein leises, aber offenbar harmloses Piepsen von sich. Trotzdem tasteten die Wachen ihn noch einmal von oben bis unten ab und verifizierten mit dem Handscanner, dass es wirklich nur die Nieten an seiner Jeans gewesen waren. Auch Marlo musste das gesamte Prozedere über sich ergehen lassen, ehe man sie beide einließ. Den Gürtel bekam Leyo zurück, seine Waffe hingegen nicht.

Ein sorgfältig geharkter Weg führte durch den Garten hinüber zur Villa, vorbei an Kakteen, Palmen und sogar an Rosensträuchern. Leyo konnte sich nicht erinnern, auf Ranun jemals so kräftig blühende Rosen gesehen zu haben, noch dazu in so vielen leuchtenden Farben. Ein feiner Regen ging von einer automatisierten Sprinkleranlage aus und ein Android beschnitt die Sträucher.

Leyo folgte Marlo zum Haupteingang, dessen Tür sich automatisch vor ihnen öffnete. Die Luft im Haus war angenehm kühl und duftete nach Zitrusfrüchten. Ein Serviceandroid nahm ihnen die Mäntel ab und wies mit einer angedeuteten Verbeugung auf eine Tür am anderen Ende der Eingangshalle, von der aus eine breite Treppe ins Obergeschoss führte. Leyo fragte sich unwillkürlich, ob Colay in diesem riesigen Anwesen allein lebte und wenn ja, wie schrecklich einsam sich das anfühlen musste.

»Verzeihung.« Ein Mensch in Hemd und Anzughosen trat Leyo und Marlo in den Weg und nickte ihnen freundlich zu. Er hatte weiße Haut, kurzes, gepflegtes graues Haar und trug einen akkurat gestutzten Oberlippenbart. »Der Hausherr möchte seinen Gast allein empfangen. Sie können drüben im kleinen Salon warten.«

Leyo warf Marlo einen fragenden Blick zu, der zuckte nur mit den Achseln und klopfte ihm auf die Schulter. »Viel Erfolg. Bis dann.«

Leyo zögerte. »Ist das wirklich nötig? Ich meine ...«

Der Butler nickte bedächtig. »Ich wurde ausdrücklich darum gebeten.«

»Na schön. Dann gehen wir.«

Leyo folgte dem Butler zu einer doppelflügligen Tür, die in einen großen, hellen Raum führte. Die Decke und die Seitenwände waren überwiegend verglast und gestatteten einen herrlichen Blick auf die grüne Parkanlage. Behutsam trat Leyo näher. Er war allein und nutzte die Gelegenheit, um sich etwas umzusehen. Der Salon strahlte einen antiken Glanz aus, eine Mischung aus Eleganz und Vergänglichkeit. Die schwarzen Ledersessel waren von Rissen überzogen, die Regalstreben zum Teil verrostet, das Holz der Dielen dunkel und fleckig. Trotzdem wirkte nichts davon ungepflegt, im Gegenteil. Jeder Kratzer, jede Unregelmäßigkeit schien gewollt und bewusst platziert.

Leyo atmete tief durch, um den Druck auf seinen Lungen zu lindern – was hätte er jetzt um eine Zigarette gegeben? –, und inspizierte die Fotos und Gemälde an den Wänden. War Ranun wirklich einmal so grün und fruchtbar gewesen wie auf den Bildern? Das musste verdammt lange her sein ... Hundert Jahre bestimmt, wenn nicht mehr. Eines der Fotos band seine Aufmerksamkeit. Es zeigte eine Gruppe von drei Kindern, die in einem Sandkasten spielten. Vielleicht im Garten des Anwesens. Er musste lächeln. Das schwarzhaarige, sommersprossige Mädchen ganz rechts, das mit verschränkten Armen am Rand des Sandkastens saß und den anderen mit trotzigem Gesichtsausdruck zusah, hätte er überall wiedererkannt.

»Sie hat sich kaum verändert, was?«

Leyo zuckte zusammen. Er hatte niemanden den Raum betreten hören und fühlte sich ertappt, obwohl er nur das Foto angesehen hatte. Zögerlich drehte er sich um. Colay hatte das unbestrittene Talent, einen Raum allein durch seine Präsenz vollständig auszufüllen. Seine Gesten, seine Bewegung, alles an ihm strahlte Erhabenheit aus. Wie ein Monarch, der durch die Menge seiner jubelnden Anhänger schritt, oder ein Kriegsheld, der mit grimmiger Genugtuung durch das Blut seiner Feinde watete.

Genau dieser Mann schenkte Leyo nun ein entwaffnendes Lächeln. »Verzeihung, ich wollte Sie nicht erschrecken. Möchten Sie etwas trinken?«

Leyo überwand seine Schockstarre und nickte. »Ja, sehr gerne.«

»Whisky? Rum? Gin?«

»Gin klingt gut.«

»Mit Gurke und Zitrone?«

»Wenn es keine Umstände macht.«

Colay drückte einen Knopf in der Wand und die Gegensprechanlage sprang an. »Artie, bringen Sie uns zwei Gin mit Gurke und Zitrone. Auf Eis.« Er deutete auf die beiden schwarzen Ledersessel. »Bitte. Setzen Sie sich.«

Leyo nahm Platz und zwang sich, die Beine auszustrecken, statt sich auf sie zu setzen. Sein Puls vibrierte und seine Nerven lagen blank. Keine gute Ausgangslage, um zu verhandeln. Er betrachtete Colay einen Augenblick. Seit ihrer letzten Begegnung war er sichtlich gealtert. Falten hatten sich tief in sein sonnengebräuntes Gesicht gegraben und ließen die unansehnliche Narbe schärfer hervortreten, die sich von der Stirn über seine Nasenwurzel bis zur Wange zog. Sein Bart war ergraut und teils von weißen Mustern durchzogen, die künstlerisch aussahen, vermutlich aber nur dem natürlichen Alterungsprozess geschuldet waren. Auch sein schwarzes Haar, das er im Nacken zusammenband, hatte sich zurückgezogen und offenbarte eine hohe, gefurchte Stirn und die Spuren einer Metallplatte, die unter seiner rechten Schläfe saß.

Er nahm Leyo gegenüber Platz, und mit seiner aufrechten, kontrollierten Haltung zwang er ihn, sich ebenfalls aufzurichten, um nicht wie ein Halbstarker im Sessel zu lümmeln.

»Es überrascht mich, Sie wiederzusehen«, sagte Colay und griff nach einer Zigarrenkiste, die neben ihm auf einem Beistelltisch stand. »Sie hatten Ihren Abschied damals sehr klar kommuniziert.«

»Ich weiß«, erwiderte Leyo, »und ich bereue es nicht. Meine Unabhängigkeit war mir wichtig, ich wollte sie mir bewahren.«

Colay zog eine Zigarre aus der Kiste, schnupperte daran und drehte sie in den Fingern. »Ja, das hat meine Tochter auch zu spüren bekommen, als Sie sie geschwängert und sitzengelassen haben.«

»Ich habe Arifa nicht sitzengelassen«, entgegnete Leyo pikiert. Das hatte ihm gerade noch gefehlt, dass Colay mit dem Finger in seiner Wunde bohrte. »Es war vielmehr umgekehrt.«

»So?«

»Nun ja, wir wollten eben ... unterschiedliche Dinge. Das haben wir, zugegeben, etwas spät bemerkt, aber wir waren jung und verliebt. Ich habe nicht den Eindruck, dass es Arifa geschadet hat. Sie etwa?«

Colay lachte und hielt Leyo die Zigarrenkiste hin. »Die Person, die diese Frau aus dem Gleichgewicht bringen kann, muss noch geboren werden. Auch eine?«

Leyo nahm eine der Zigarren aus dem Etui. Sie dufteten herrlich nach aromatischem Tabak und er war jetzt schon froh, hierher gekommen zu sein. Gin und Zigarren – der Tag konnte kaum besser werden.

»Wie geht es meinem Enkel? Ich hörte, er kommt unglücklicherweise sehr nach Ihnen.«

»Ich würde das nicht als Unglück bezeichnen«, erwiderte Leyo beflissen. »Ich habe eine Menge guter Eigenschaften, wissen Sie?«

»So?«

»Ich bin kompetent, loyal, diskret, redegewandt ...«

»Und vorlaut, um das nicht zu vergessen.«

Leyo zuckte mit den Schultern. »Sie haben mich eingeladen, also werden Sie einen Grund dafür haben. Sicher war es nicht die Sehnsucht nach Ihrem ehemaligen Schwiegersohn.«

»Nein, eher nicht.« Colay lächelte und schnitt die Zigarre mit einem scharfen Messer an. »Es hieß, Sie würden einen Job suchen.«

»Stimmt.« Leyo nickte. »Marlo ist sehr zufrieden mit Ihnen als Arbeitgeber, und ich gebe viel auf sein Wort.«

»Woher kennen Sie ihn?«

»Wir sind ... in derselben Straße aufgewachsen, wenn Sie so wollen.«

»Im selben Bordell.«

»Ja, das meinte ich.«

»Arbeitet Ihre Mutter dort noch?«

Leyo hob die Augenbrauen. »Finden Sie’s raus. Aber bis dahin würde ich gerne über das Jobangebot reden.«

Colay steckte ein Streichholz an und entzündete seine Zigarre. »Welches Jobangebot?«

»Das, das Sie mir gleich unterbreiten werden.«

Colay stieß einen Laut aus, irgendwo zwischen Husten und Belustigung, während er an seiner Zigarre paffte. Der schwere Duft von Tabak füllte den Raum. »Da wissen Sie mehr als ich.«

»So? Dann haben Sie mich nur eingeladen aus Sehnsucht nach alten Zeiten? Oder um mit mir Zigarre zu rauchen und Gin zu trinken? Würde mich wundern, wenn Sie sich so leichtfertig Zeit stehlen ließen. Ich schätze, Sie hätten Besseres zu tun.«

Colay paffte stumm und blies einen Rauchring gegen die Decke. Leyo schnitt ebenfalls eine Zigarre an, entzündete sie und nahm einen Zug. Kein Vergleich zu dem billigen Kraut, das er bei Liskas Eltern kaufte. Voll, schwer und aromatisch, mit einer intensiven Note, die tief in seine Lungen drang.

»Schön.« Colay rang sich ein Lächeln ab. »Ich schätze, Sie haben mich erwischt. Wenn Sie wirklich vorhaben, für mich zu arbeiten, dann erwarte ich, dass Sie das langfristig tun. Ich muss meinen Untergebenen vertrauen können. Und ich kann keine Leute brauchen, die ihren Job nach wenigen Wochen oder Monaten hinwerfen, weil er ihnen zu langweilig geworden ist.«

»Verständlich. Ich habe nicht vor, in Kürze zu kündigen, das versichere ich Ihnen. Ich brauche eine dauerhafte Perspektive, für mich und meine Familie. Etwas, das Geld bringt, und das mich fordert. Ich bin kein Halbstarker mehr, der nach blindem Abenteuer sucht, so wie damals, als ich gegangen bin. Mein Leben hat sich verändert, ich habe mich verändert. Ich denke, es wäre eine gute Gelegenheit für einen Neuanfang.«

»Hm. Für Sie vielleicht. Ich sehe noch nicht, was für mich dabei rausspringt.«

»Ich bin seit über fünfzehn Jahren im Schmuggelgeschäft und nie erwischt worden. Ich denke, das spricht für sich. Ich bin gut, ich kenne die Zollvorschriften, die Handelswege und die Kontrollpunkte. Ich weiß, wie man Signaturen maskiert und Warenscheine fälscht. Und ich bin genügsam, was die Bezahlung angeht. Ich wette, diese Kombination finden Sie in der Galaxis nicht so schnell ein zweites Mal. Zumal Sie mich an den Eiern haben, um es vorsichtig auszudrücken. Wenn ich Mist baue, leidet meine Familie – und das würde ich nie riskieren.«

Es klopfte und Artie brachte zwei Gläser, gefüllt mit Eiswürfeln und Gin, auf denen eine Gurken- und eine Zitronenscheibe schwammen. Er platzierte sie wortlos zwischen Colay und Leyo und glitt dann aus dem Raum.

Colay nahm das Glas an sich und schwenkte es nachdenklich. »Ein guter Punkt. Aber Sie werden verstehen, dass mir das nicht genügt. Mein ... Geschäft lebt davon, dass ich meinen Leuten vertrauen kann. Darauf lege ich großen Wert. Und Sie mögen vielleicht der Vater meines Enkels sein, aber das macht Sie noch nicht zu einem loyalen Mitarbeiter.«

Leyo zuckte mit den Schultern und griff seinerseits nach dem Gin. Das Glas war eiskalt und brachte seine Finger zum Kribbeln. »Und wie lösen wir dieses Dilemma?«

Colay prostete ihm zu und schon der erste Schluck Gin erschien Leyo wie eine Geschmacksexplosion. Selten hatten Wermut, Zitrone und Schärfe so angenehm miteinander harmoniert.

»Was halten Sie davon, wenn Sie eine Kleinigkeit für mich erledigen? Als Vertrauensbeweis, sozusagen.«

»Klingt gut. Woran hätten Sie gedacht?«

Colay stand auf und ging langsam im Raum auf und ab, den Blick unverwandt auf Leyo gerichtet, die Zigarre im Mundwinkel. Jetzt erweckte er wirklich den Eindruck eines Autokraten, der durch seinen Thronsaal schritt. »Nun, da Sie sich mit verbotenen Waren angemessen auskennen ... Was halten Sie davon, mir eine, nun, sagen wir etwas ungewöhnliche Ware zu beschaffen? Auf unauffälligen Wegen, versteht sich.«

Leyo nippte an seinem Glas. »Was meinen Sie mit ungewöhnlich?«

»Die Ware ist sehr ... lebendig.«

»Ein Tier?«

Colay lachte. »Nun, das ist eine Definitionsfrage, schätze ich. Aber ich vermute, diese Spezies verdient eher die Bezeichnung ›Mensch‹.«

Leyo legte die Stirn in Falten. »Sprechen wir von einer Entführung?«

»Entführung klingt so unfreundlich.« Colays Lächeln wurde breiter. »Sagen wir einfach, ich würde die Dame gerne hierher einladen, fürchte aber, dass meine Person in ihren Kreisen nicht sonderlich gut gelitten ist. Meines Wissens hat die Regierung mehrere tausend Credits auf mich ausgesetzt, das macht einen Kaffeeplausch etwas kompliziert.«

Mehrere tausend Credits! Leyo schwirrte der Kopf. Er hätte mit Ranjel wirklich noch länger über diese Geschichte sprechen sollen ... Aber mit seiner unterirdischen Verhandlungsbasis wäre vermutlich nicht viel mehr für ihn herausgesprungen. Vielleicht konnte er das ja noch ändern.

Lass das, Leyo, schalt er sich in Gedanken. Du bist hier, um deinen Job zu machen. Keine Experimente.

»Gut«, erwiderte er. »Von welcher Dame sprechen wir hier?«

»Ihr Name ist Erim Sariz. Sie kennen Sie vielleicht.«

Leyo schüttelte den Kopf. »Nie gehört.«

Colay seufzte und nahm einen Schluck Gin. »Ihr Mangel an politischer Bildung ist beklagenswert. Sie ist amtierende Umweltministerin der Regierung und die Tochter von General Sariz. Der dürfte Ihnen aber hoffentlich ein Begriff sein.«

Leyo hob eine Augenbraue. »Sie wissen schon, dass ich in einem Puff in Kasdan aufgewachsen bin und damals andere Probleme hatte als eine formelle Schulbildung?«

Colay verdrehte die Augen. »Ich verstehe bis heute nicht, was Arifa an Ihnen gefunden hat.«

»Seien Sie froh, wenigstens scheint sie keinen Vater-Komplex zu haben. Ich erkenne wenig Gemeinsamkeiten zwischen uns.«

»Treiben Sie’s nicht zu weit.« Colay ließ sich wieder in seinen Sessel sinken. »Also. Erim Sariz. Ich habe ein paar wichtige Angelegenheiten mit ihr zu klären, aber ich fürchte, auf offiziellem Weg kommen wir nicht zusammen. Deswegen möchte ich, dass Sie sie hierher bringen. Unversehrt. Und ohne ALIS und die Regierung auf den Plan zu rufen.«

Leyo strich sich nachdenklich über den Bart und verfluchte den Anflug von Adrenalin, der durch seine Adern schoss und in seinen Fingerspitzen kribbelte. Eine Politikerin entführen, das klang genau nach der Art von Abenteuer, nach dem er sich gerade sehnte. Ein Abenteuer, das Geschick, gute Planung und ein Gespür für Feinheiten verlangte. Gleichzeitig war es aber genau die Art von Abenteuer, für die Liska und Amjan ihm den Hals umdrehen würden. Allerdings, welche Wahl hatte er schon? Wenn er jetzt ablehnte, würde Colay ihm garantiert keine zweite Chance gewähren. Er musste den Job annehmen. Die beiden würden das sicher verstehen.

»Ich denke, das kriege ich hin. Wie viel?«

Colay grübelte. »Wenn Sie die Ministerin sicher hier abliefern, ohne Zeugen und ohne Spuren, wäre mir das eintausend Credits wert.«

Leyo stockte der Atem. Eintausend. Warum zum Henker war er noch nicht früher auf den Gedanken gekommen, für Colay zu arbeiten? Was war schon Unabhängigkeit gegen eine fette Stange Geld?

»Klingt fair.«

»Haben Sie ein Schiff?«

Leyo schüttelte den Kopf. »Ich fürchte nicht.«

»Welche Klasse sind Sie früher geflogen?«

»Überwiegend 315 und Ovale. Mit den Größeren, wie den Exos, hab’ ich auch Erfahrung, aber nur als Co-Pilot.«

Colay überlegte einen Moment. »Ich hätte eine Naharra für Sie. Können Sie mit der umgehen?«

Leyos Augen weiteten sich. Schon als Kind hatte er in Kasdan am Raumhafen gestanden und die Naharras und Jeckos bestaunt, die dort landeten. Elegante, verchromte Maschinen mit einer immensen Beschleunigungsleistung, die nicht mit Ionenantrieb, sondern komplexen Schubmaschinen arbeiteten. Jedes Kind träumte davon, einmal in einem solchen Cockpit zu sitzen. Allerdings musste er gestehen, dass er mit Hochgeschwindigkeitsmaschinen keinerlei Erfahrung hatte. Er war sein Leben lang Transporter geflogen, behäbige, aber berechenbare Schiffe, die keine großen Manöver erforderten, sondern taten, was man ihnen sagte.

»Nun ja«, druckste er, »ich habe mehr Erfahrung mit Transportern, also –«

»Transporter sind zu auffällig«, fiel Colay ihm ins Wort, »und wesentlich schwerer zu maskieren. Abgesehen davon kann es gut sein, dass Sie sich auf dem Rückflug beeilen müssen, wenn Sie nicht wollen, dass ALIS Ihnen am Hintern klebt.«

Leyo schluckte. Er war noch nie eine Maschine mit Schubantrieb geflogen, aber das wollte er vor Colay lieber nicht offen äußern. Improvisieren war schließlich seine Stärke. Zur Not gab es immer noch den Autopiloten.

»Gut, kein Problem, das kriege ich hin.«

Colay nickte zufrieden. »Erim Sariz lebt auf Paraphan, in einer Vorstadt von Rekama, der Regierungsstadt. Meine Spitzel haben einige Informationen über sie zusammengetragen, die können Sie haben, wenn es Ihnen hilft. Ich will, dass die Ministerin in spätestens einer Woche hier auf Ranun eintrifft.«

Leyo wollte angesichts des engen Zeitraums protestieren, doch dann fiel ihm ein, dass ihm das sehr zugutekam. Er hatte nur einen Monat, bis ALIS ihm die Daumenschrauben ansetzte, und dieser Job war lediglich seine Eintrittskarte in Colays Imperium. »Eine Woche ist sportlich, aber ich denke, ich schaffe das. Gibt’s einen Bonus, wenn sie früher hier ist?«

Colay nahm einen Schluck Gin und strich sich durch den Bart. »Darüber können wir reden, ja. Aber erst bringen Sie mir die Ministerin her. Unversehrt.«

»Hab’ ich verstanden. Wann steht das Schiff bereit?«

»Ab morgen früh in Kasdan am Dock 2.2. Marlo kann Sie hinbringen.«

»Wunderbar.« Leyo hob das Ginglas. »Dann lassen Sie uns auf dieses gelungene Arrangement anstoßen.«

Colay seufzte. »Ich bin noch nicht überzeugt, ob das eine gute Idee ist, aber ... Nun ja. Belehren Sie mich eines Besseren.«

»Wenn Sie so unschlüssig sind, warum geben Sie den Job dann mir und keinem anderen, dem Sie mehr vertrauen?«

»Paraphan ist ein heikles Pflaster«, antwortete Colay. »Die Regierung hat viele meiner Leute im Auge, gut möglich, dass ALIS sie wegfängt, sobald sie einen Fuß auf paraphanischen Boden setzen. Sie sind ein unbeschriebenes Blatt. Niemand wird Sie mit mir in Verbindung bringen. Das ist erstaunlich nützlich. Und falls Sie doch in Schwierigkeiten geraten sollten«, Colay lächelte kühl, »sind Sie kein großer Verlust für mich und können ALIS auch unter Folter nichts verraten.«

»Klingt ja bezaubernd«, brummte Leyo trocken. »Ich bin begeistert von Ihrem Optimismus. Aber Sie werden sehen, ich bringe Ihnen die Dame. Pünktlich und in einem Stück.«

»Das will ich hoffen.« Er stand auf und trat neben Leyo, der sich auf einmal sehr unwohl fühlte, so von oben herab angestarrt zu werden. »Eines noch: Lassen Sie Arifa aus dem Spiel. Sie braucht nichts von unserem Arrangement zu wissen.«

Leyo zuckte mit den Schultern. »Gut, wenn Sie wollen ...«

»Schwören Sie es mir.« Colays Stimme war plötzlich kalt wie Eis und Leyo spürte, wie sich die Härchen in seinem Nacken aufrichteten. »Kein Wort zu Arifa. Und kein Wort zu Sami.«

Leyo rappelte sich auf und streckte Colay die Hand entgegen. »Ehrenwort.«

Colay wirkte etwas versöhnt, zumindest glätteten sich seine Züge. »Gut. Die Sicherheit meiner Tochter und ihrer Familie ist mir sehr wichtig. Also geben Sie mir keinen Anlass zur Sorge.«

»Würde ich nie«, bestätigte Leyo. Er konnte sich lebhaft ausmalen, wie gefährlich es für Arifa werden konnte, wenn herauskam, wer ihr Vater war. Es gab zahlreiche Banden und Klüngel auf Ranun, denen Colays Aktivitäten ein Dorn im Auge waren, von ALIS und der Regierung ganz zu schweigen. Arifa hatte ihr eigenes Leben gewollt, war aus dem Schatten ihres Vaters getreten, und Leyo respektierte das. Er war der Letzte, der ihr Geheimnis ausplaudern würde, schon allein, um sie und ihren Sohn zu schützen. Nicht einmal Liska und Amjan hatte er davon erzählt.

»Ich habe Arifa immer noch gern, wissen Sie?«, fuhr Leyo fort. »Wir sind vielleicht kein Paar mehr, aber das heißt nicht, dass sie mir egal ist. Sie ist die Mutter meines Sohnes und eine großartige Frau. Ich würde ihr niemals Schaden zufügen.«

Colay lächelte dünnlippig. »Ich sehe, wir verstehen uns. Dann hoffe ich, bald von Ihnen zu hören. Wenn Sie die Ministerin haben, melden Sie sich über Funk bei meinem Kontaktmann in Kasdan. Sie können direkt hier landen, ohne weitere Verzögerung.« Er hielt Leyo einen Chip entgegen. »Darauf sind alle relevanten Informationen über die Zielperson. Enttäuschen Sie mich nicht.«

Leyo salutierte förmlich. »Bestimmt nicht. Sie können sich auf mich verlassen.«