Leyo war starr vor Schreck. Er glotzte mit aufgerissenen Augen auf das Display, unfähig, sich zu bewegen.
»Sie werden jetzt die Tür öffnen«, befahl Erim mit bebender Stimme. »Sofort. Sonst werde ich –«
»Nein!« Leyos Herz hämmerte in seiner Kehle und er konnte vor Panik kaum atmen. Nackte, kalte Angst krampfte seinen Brustkorb zusammen. »Sie ist schwanger, verfluchte Scheiße! Legen Sie die beschissene Nadel weg!«
Erims Augen weiteten sich. Sie blickte auf das Display und anschließen auf Liska. »Kooperieren Sie«, erwiderte sie, »dann passiert ihr nichts. Öffnen Sie die Tür.«
»Sie wollte Ihnen helfen«, schrie Leyo. »Ihnen und Ihrer verdammten kleinen Schwester! Nehmen Sie die beschissene Spritze da weg, sofort, sonst –«
»Leyo, hör auf«, beschwichtigte ihn Liska. »Beruhig dich, okay? Tu einfach, was sie sagt.«
»Nein! Sie soll die verdammte Nadel da wegnehmen!«
»Baby, krieg dich ein.« Liska fixierte ihn durch das Display hindurch. »Es wird alles gut, okay? Mach – einfach – die – Scheißtür – auf!«
Leyo zögerte. Er holte tief Luft, kämpfte die Panik und den Zorn nieder, der ihn mit sich zu reißen drohte. Liska hatte recht, er musste sich beruhigen. »Okay«, flüsterte er fahrig. »Okay, ich ... ja. Einen Moment.«
Er tastete nach der Zentralverriegelung, drückte den Knopf und hastete zurück zum Display. »Erledigt. Jetzt lassen Sie sie los.«
Erim warf einen Blick zur Seite und nickte. »Gut. Als Nächstes werden Sie ...«
»Nein! Nehmen Sie die beschissene Spritze runter!«
»Leyo«, rief Liska. »Reiß dich zusammen.«
Leyo schnappte nach Luft. »Ich? Ich halte keiner schwangeren Frau eine verdammte Injektionsnadel an den Hals!«
»Ich entführe dafür keine unschuldigen Leute und sperre sie in Kabinen ein«, knurrte Erim. »Ich würde sagen, wir sind quitt.«
»Quitt? Sie bedrohen meine Frau und mein Kind, Sie Miststück!«
»Leyo, halt endlich deine Klappe«, fauchte Liska. »Frau Ministerin, könnten Sie bitte dieses Display ausschalten und wir klären das unter uns? Mein Mann ist uns hier keine Hilfe.«
»Nein.« Erims Miene blieb undurchdringlich. »Ich lasse mich von Ihnen nicht an der Nase herumführen. Ich will wissen, wer Sie angeheuert hat und warum. Jetzt.«
Leyo rang nach Luft. Er wünschte sich gerade wirklich Liskas Beherrschung, denn er konnte sich einfach nicht konzentrieren. Allein der Anblick der spitzen Nadel raubte ihm den Verstand. Er hatte keine Ahnung, was Erim in der Spritze aufgezogen hatte, aber es war ihm auch egal. Er würde nicht zulassen, dass sie seiner Frau wehtat. »Hören Sie, das hier ist nichts Persönliches, klar? Unser Boss will nur mit Ihnen reden, Ihnen soll nichts passieren. Ich habe keinen blassen Schimmer, was er von Ihnen will, also nehmen Sie die Spritze da weg.«
»Wer ist Ihr Boss?«
Während Leyo noch nach einer Antwort rang, kam Liska ihm zuvor. »Tar Colay hat uns angeworben.«
Erims gefasste Miene entglitt ihr. Sie wurde bleich. »Wie bitte?«
»Colay«, wiederholte Liska. »Sie haben sicher schon von ihm gehört.«
Erim nickte wortlos. Die Information schien sie völlig überrumpelt zu haben.
»Ansonsten hat Leyo recht, wir haben keine Ahnung, was er von Ihnen will. Aber er hat uns eingeschärft, dass Ihnen nichts zustoßen darf.«
Erim starrte ins Leere und schüttelte fassungslos den Kopf. »Ich ... das ist nicht möglich. Das muss eine Verwechslung ...«
»Ist es nicht«, sagte Liska. »Er hat nach Ihnen gefragt und nach niemandem sonst. Ich weiß, das muss jetzt ein Schock für Sie sein, und glauben Sie mir, normalerweise machen wir so etwas auch nicht. Nur diesmal hatten wir keine andere Wahl. Also tun Sie sich und uns den Gefallen und lassen Sie uns diese Geschichte möglichst glatt über die Bühne bringen, okay?«
»Nein«, schrie Erim, »nichts ist okay. Sie liefern mich einem verdammten Verbrecherboss aus.«
»Ihnen wird nichts geschehen«, versprach Leyo. »Ich schwöre es Ihnen. Ich sorge persönlich dafür, dass Sie wieder sicher nach Hause kommen. Sie und Ihre Schwester.«
Liska runzelte die Stirn, sprang Leyo dann aber zur Seite: »Mein Mann hat recht. Wir sind keine Unmenschen, wissen Sie. Wir machen nur unseren Job.«
»Würden Sie jetzt bitte diese Spritze weglegen?«
Erim zögerte, dann erfüllte ein lautes Heulen das Schiff. Leyo fuhr herum. Er starrte in das blasse, verschwitzte Gesicht des Mädchens, das nur wenige Meter von ihm entfernt im Cockpit stand, die Hand auf den roten Notsignalknopf gedrückt.
»Scheiße!« Leyo stolperte nach vorne, packte das Mädchen und zerrte sie weg. Wie eine Puppe fiel sie kraftlos zur Seite, ohne sich zu wehren, und sank mit dem Rücken gegen die Wand. Panisch starrte Leyo auf das Relais neben dem Knopf. Notsignal gesendet.
Leyo fluchte. Er sprintete zum Radar, alle Systeme waren in Aufruhr. Verdammt, wie kappte man das beschissene Signal? Sein Blick huschte über die Armaturen. Da! Er drückte einige Knöpfe und der jaulende Alarm verstummte. Immerhin etwas. Er fixierte den Radar. Nichts. Nur ihr Schiff. Vielleicht hatte niemand das Signal empfangen, vielleicht waren keine Stationen in der Nähe oder ...
Ein erster Punkt erschien auf dem Radar. Dann ein zweiter. ALIS-Jäger. Verfluchter Dreck! Sie mussten sich hinter einem nahen Asteroiden versteckt haben. Jetzt waren sie wirklich am Arsch.
*
Der schrille Alarm klang wie eine erlösende Melodie in Erims Ohren. Geschafft! Trish hatte es geschafft! Das Mädchen war unglaublich. Noch vor wenigen Minuten war sie halbtot und zitternd in ihrem Bett gelegen, jetzt rettete sie ihnen beiden den Hals. Zum ersten Mal war Erim froh, sie auf dieses Schiff gebracht zu haben. Sie hatte zwar keine Ahnung, wo sie gerade waren und ob jemand das Notsignal empfangen würde, aber solange sie sich noch in Reichweite der Föderation befanden – und davon ging sie aus – würde bestimmt jemand reagieren. Insbesondere wenn das Signal von jenem Schiff kam, das eine Regierungsmitarbeiterin befördern sollte.
Die Pilotin starrte auf das Alarmlicht, ihr Kopf ruckte herum und erfasste das leere Bett, auf dem eben noch Trish gelegen hatte. Ein trockenes Lachen entrang sich ihrer Kehle. »Nicht schlecht, Frau Ministerin. Gut gespielt.«
»Ich wehre mich nur. Geben Sie mir Ihre Waffe, dann lasse ich Sie –«
»Runter mit der Spritze.« Aron – oder vielmehr Leyo – stand in der Tür. Den Arm hatte er um Trish gelegt, in der anderen hielt er eine Pistole. Trish hing schlapp und blass in seinem Griff, kaum in der Lage, aufrecht zu stehen. Sie wimmerte panisch.
»Das ... das wagen Sie nicht, Sie ... Sie ...«
»Das reicht jetzt«, unterbrach die Pilotin sie. »Wir beruhigen uns alle erstmal und legen die Waffen weg.«
Leyo schnaubte. »Sie zuerst.«
»Nein!« Erim fixierte ihn wutentbrannt. »Runter mit der Knarre!«
»Ganz ehrlich?« Die Pilotin hob die Augenbrauen und blickte zwischen Erim und ihrem Mann hin und her. »Sie, Frau Ministerin, werden diese Spritze nicht benutzen und du, Leyo, wirst nicht auf einen Teenager schießen. Also können wir uns diese Farce hier auch einfach sparen, findet ihr nicht?«
Erim seufzte. Die Frau hatte recht. Um nichts in der Welt besäße sie die Kaltblütigkeit, einer Schwangeren eine Überdosis Schmerzmittel in die Vene zu jagen. Und auch ihr Gegenüber schätzte sie nicht als so kaltherzig ein.
»Gut.« Erim warf die Spritze vor sich auf den Boden und hob die Hände. »Ein Friedensangebot.«
»Reichlich spät«, brummte Leyo, steckte die Waffe aber seinerseits weg und bugsierte Trish in Richtung Bett, wo sie kraftlos zusammensank. »Liska, ich brauch dich im Cockpit. Wir kriegen gleich Besuch. Danke auch, Frau Ministerin.«
»Ach? Sie entführen mich und meine Schwester, drohen mir, mich an einen Verbrecherboss auszuliefern, und wundern sich, dass ich mich wehre?«
»Streitet euch ein andermal weiter«, befahl die Pilotin. »Wie wär’s, wenn wir einfach gemeinsam ins Cockpit gehen? Keine Waffen, keine Spritzen, keine Hinterhalte mehr. Klar?«
Erim nickte und half Trish auf die Beine. »Gut. Gehen wir.«
*
Leyo zitterten immer noch die Knie, als er im Cockpit in seinen Sitz sank. Verdammt, alles war so gut gelaufen – und jetzt musste ihm diese Frau einen Strich durch die Rechnung machen! Dabei konnte er ihr das noch nicht einmal vorwerfen. In ihrer Situation hätte er sich vermutlich nicht anders verhalten.
Er sah zu, wie die Ministerin ihre Schwester in eine Decke wickelte und auf einen der Notsitze verfrachtete. Das Mädchen sah immer noch schlecht aus. »Was fehlt ihr eigentlich?«, fragte er Liska. »Ist sie –?«
»Nachwirkungen der Pillen«, erklärte Liska, während sie geschäftig die Instrumente checkte. »Hab’ ihr ein leichtes Beruhigungsmittel gegeben, sie wird wieder. Oh, verdammt, uns kleben drei ALIS-Jäger am Arsch. Die müssen den Notruf gehört haben.«
»Sag ich doch. Können wir die abhängen?«
»Denk schon. Ich hab’ eine Idee.«
Liska drückte einige Knöpfe, völlig vertieft in ihre Aufgabe. »Kannst du unsere Signatur verstecken? Zumindest für eine Weile.«
»Kann’s versuchen«, brummte Leyo. »Aber die haben uns doch schon. Was soll das bringen?«
»Vertrau mir, tu’s einfach.«
Er klemmte sich hinter die Armaturen, aktivierte das Display und rief die Codes ab. Über den Bildschirm flimmerten nicht nur ihre eigenen Signaturen, sondern auch die der Schiffe in Reichweite ihres Radars – und Leyo stieß ein Keuchen aus. »Scheiße.«
»Was ist?«
»Liska, das sind keine ALIS-Jäger.«
»Wie?«
»Das sind maskierte Signaturen. ALIS benutzt so was nicht.«
»Und das heißt?«
»Keine Ahnung. Ich hol uns die Schiffe näher ran, dann weiß ich vielleicht mehr.«
Liska nickte. Sie fokussierte sich auf die Steuerung, während Leyo das Radar in Augenschein nahm. Drei Schiffe, eindeutig. Die Signatur erinnerte an ALIS-Jäger, aber die kleinen, feinen Abweichungen waren für einen Profi wie ihn leicht zu erkennen. Diese Schiffe gehörten nicht zur ALIS-Flotte. Er griff in seine Tasche, zog einen Chip heraus und jagte das Programm ins System. Ein einfaches Demaskierungstool, simpel, aber effektiv. Angespannt starrte er auf das Display, wartete, bis sich die Zahlenreihen aufbauten. Zuerst tanzten sie eine Weile, veränderten die Reihenfolge. Dann ergaben Sie ein Bild.
Leyo fluchte. »Verdammte Scheiße.«
»Rede mit mir«, rief Liska. »Wer sind die?«
»Piraten. Crings, vermute ich. Die sind darauf spezialisiert, Hilferufe von Handels- oder Transportschiffen abzufangen.« Er warf Erim einen erbosten Blick zu. »Danke, Frau Ministerin, gut gemacht.«
»Leyo, lass das«, entgegnete Liska angespannt. »Ich gebe Schub, dann können wir die hoffentlich abhängen.«
Erim trat an die Armaturen heran. »Was hat das zu bedeuten?«
»Ihr Hilferuf, Gnädigste, hat einen Haufen Piraten auf uns aufmerksam gemacht. Jetzt müssen wir zusehen, dass wir –« Ein Ruck ging durch das Schiff. Erim stürzte zur Seite und knallte mit dem Kopf gegen die Wand. Auch Trish wurde von ihrem Sitz geschleudert und schrie erschrocken auf. Ein rotes Signallicht flammte auf.
»Die Schilde, Leyo! Fahr die Schilde hoch!«
»Was war das?«, keuchte Erim und hielt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den Kopf.
»Ein Treffer«, antwortete Leyo trocken und aktivierte die Heckschilde, die sich langsam aufbauten. »Die Bastarde schießen auf uns.«
»Die wollen uns manövrierunfähig machen«, ergänzte Liska, »damit sie uns leichter einsammeln können. Aber den Gefallen tun wir ihnen nicht. Festhalten und anschnallen. Es wird holprig.«
Leyo warf ihr einen Blick zu und konnte sich trotz der beschissenen Situation ein Lächeln nicht verkneifen. Liska war voll in ihrem Element. Konzentriert fixierte sie die Armaturen, ihre Finger glitten mit schlafwandlerischer Präzision über die Tasten und sie griff entschlossen nach dem Beschleunigungshebel. »Festhalten!«
Ein Ruck ging durch das Schiff, die Beschleunigung presste Leyo in den Sitz, Trish hinter ihm schrie auf. Sterne, Planeten, alles rauschte in atemberaubender Geschwindigkeit an ihnen vorbei. Liska riss das Steuer herum, das Schiff beschrieb eine scharfe Kurve, dann eine weitere. Gepäck polterte gegen Wände. Sie sackten ab, vollführten einen Looping. Leyos Eingeweide verknoteten sich, er kämpfte darum, seinen Mageninhalt bei sich zu behalten. Das Cockpit drehte sich, wieder und wieder, dann ertönte ein weiterer Aufschlag. Das Schiff geriet ins Taumeln, Liska fluchte, hämmerte auf die Tasten und stabilisierte ihre Flugbahn. Leyo war heilfroh, dass sich seine Frau so vehement den Platz im Cockpit erkämpft hatte – er selbst hätte schon lange kapituliert.
»Keine Chance«, keuchte Liska und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Ein weiteres rotes Lämpchen blinkte hektisch. »Die haben uns im Visier, ich kann sie nicht abhängen. Leyo, kannst du unsere Signatur kappen?«
»Nein. Nicht hier und jetzt ohne die nötigen –«
»Dreck.« Sie starrte einen Moment lang auf den Radar und die Koordinaten, dann sah sie zu Leyo auf. »Ich schätze, wir haben nur zwei Optionen.«
»Und die wären?«
»Direkte Konfrontation oder«, sie grinste schief, »volles Risiko.«
Leyo seufzte. Ein Blick auf das Radar verriet ihm, worauf sie hinauswollte, und es gefiel ihm gar nicht. »Wir haben zwei mittelmäßige Pistolen – und ich bin ein lausiger Schütze.« Er sah sich zur Ministerin um, die bleich in den Haltegurten hing. »Was ist mit Ihnen? Können Sie schießen?«
Erim schüttelte den Kopf. »Kein bisschen.«
»Da hast du’s.« Er drückte kurz Liskas Hand. »Ziehen wir’s durch. Du schaffst das.«
»Ich hoffe wirklich, du hast recht. Festhalten.« Sie riss das Steuer herum, Leyo wurde zur Seite geschleudert, der Gurt brannte sich in seine Schulter. Erneut rasten Myriaden Sterne an ihnen vorbei, während Liska Haken und Kurven beschrieb, trotzdem traf ein weiterer Schlag das Schiff. Das hektische Blinken verwandelte sich in ein Leuchten. Einer der Schilde war weg. Ein Piepsen erfüllte das Cockpit.
Liska drosselte die Geschwindigkeit und da sah Leyo, worauf sie unmittelbar zuhielten. Zahllose Lichter blinkten in der Ferne – Satelliten – und zwischen ihnen baute sich eine riesige, wabernde Kugel auf. Sterne, ganze Galaxien fluktuierten darin und Leyos Magen verknotete sich bei dem Anblick.
Erims Stimme zitterte. »Was ist das?«
»Die Trionen-Brücke«, erwiderte Liska. »Ein Wurmloch. Die Cringsschiffe sind einfache Jäger, die sind nicht für das interstellare Reisen ausgestattet. So können wir sie abhängen.«
Erim blinzelte. »Trionen-Tor? Das ist kein offizielles Sprungtor der Föderation.«
»Stimmt«, erwiderte Leyo. »Und das ist gut so, sonst hätten wir ein Problem. Für offizielle Sprungtore braucht man Genehmigungen, Passierscheine und den ganzen Mist und die sind echt schwer zu fälschen. Glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich rede.«
Erim sog scharf die Luft ein, ihre Stimme zitterte. »Sie wollen durch ein nicht gesichertes, potenziell instabiles Wurmloch fliegen?«
»Das Trionen-Tor ist sicher«, versprach Leyo und konfigurierte die Armaturen. »Es führt in den Zunajo-Gürtel, das ist ein minimaler Umweg. Kostet uns vielleicht einen halben Tag.«
Liska nickte. »Genau. Das Ganze hat nur einen Haken. Wir müssen kurz vor dem Eintritt sämtliche Schilde runterfahren. Und wir müssen uns drauf verlassen, dass das Baby hier den Sprung verkraftet.«
Leyo starrte sie an. »Was soll das heißen?«
»Hast du im Bedienungshandbuch den Abschnitt über FTL-Reisen gelesen? Ich nicht.« Sie winkte ab. »Wird schon schiefgehen.«
»Nein.« Erim schüttelte hektisch den Kopf. »Das Schiff wird atomisiert, wenn –«
»Haben Sie einen besseren Vorschlag?«, fiel Liska sem ins Wort, ohne den Blick von den Schirmen zu lösen. »Oder wollen Sie den Rest Ihres Lebens als Sklavin irgendwo am Rand der Galaxis verbringen?«
»Wie können Sie das wissen?«
»Noch nie mit Crings zu tun gehabt, was?«, brummte Leyo. »Ich schon. Glauben Sie mir, mit denen kann man nicht reden. Das sind geldgeile Bastarde.«
»Wenn Sie da reinfliegen, gehen wir alle drauf.«
»Vertrauen Sie meiner Frau.« Leyo lächelte. »Ich tu’s auch. Und schnallen Sie sich ordentlich an.«
Es folgte kein Protest mehr. Liska warf Leyo einen Seitenblick zu und zog die Mundwinkel hoch. »Amjan bringt uns um, wenn ser davon erfährt.«
»Wahrscheinlich. Sofern du uns nicht vorher umbringst, versteht sich.«
»Hab’ ich nicht vor. Festhalten, es geht los.« Sie zog das Steuer nach links und das Schiff wich einem weiteren Geschoss aus, das haarscharf an ihrer Flanke vorbeisauste.
Liska hielt die Geschwindigkeit, ließ die Naharra nach links und nach rechts gleiten, tauchte unter Torpedos hindurch oder schoss darüber hinweg. Sie war ganz in ihrem Element, jeder Muskel schien angespannt, jeder Gedanke fokussiert. Keinem anderen Wesen in der Galaxis hätte Leyo sein Leben in diesem Moment lieber anvertraut als Liska.
Das Wurmloch kam näher. Leyo starrte auf den Radar. Die Jäger fielen weiter zurück, doch der Vorsprung reichte nicht. Sie waren immer noch in Schussweite. Nur wenige Augenblicke, dann musste er die Schilde abschalten. Scheiße. Das wurde verflucht eng.
Liska grub die Zähne in die Unterlippe. »Auf mein Kommando. Drei ... zwei ... eins ... Jetzt!«
Leyo drückte die Knöpfe. Das Pulsieren des Wurmlochs war jetzt direkt vor ihnen. Er hielt den Atem an. Vielleicht waren das die letzten Sekunden seines Lebens. Vielleicht würden sie gleich in der Ewigkeit des Weltalls in winzige Atome zerspringen.
Er sah hinüber zu Liska und sie ergriff seine Hand. Dann heftete er den Blick wieder auf den Radarschirm – und sah das Geschoss kommen. Ein Ruck ging durch die Maschine, gefolgt von einem unerhört lauten Krachen. Leyo prallte nach vorne, knallte fast mit dem Kopf auf die Armaturen. Trish stieß einen Schrei aus. Das Licht im Cockpit flackerte, einmal, zweimal – dann erlosch es. Und im selben Moment fühlte Leyo ein Reißen in seinen Eingeweiden. Die Realität ringsum zerbarst, ihr Schiff zog sich zusammen, dehnte sich aus und Leyo schloss die Augen. Ihm war schlecht. Er umklammerte Liskas Hand – und nach wenigen entsetzlichen Sekunden war es vorbei.
Für einen endlos langen Augenblick saßen sie in völliger Finsternis. Leyos Herz hämmerte in seiner Brust, er wagte nicht, zu atmen. Er sah hinüber zu Liska, versuchte, ihre Gesichtszüge zu erfassen, da flammte das Notlicht auf. Ein gleißendes, unangenehmes Rot, das dem Cockpit den Anschein eines Flammeninfernos verlieh.
Leyo blinzelte, checkte die Koordinaten und stieß einen Jubelruf aus. Hinter ihnen lag das Wurmloch und vor ihnen der Zunajo-Gürtel. Die Asteroiden, die in der weiten Umlaufbahn des Silikatriesen trieben, waren zwar ein Ärgernis, aber groß genug, um ihnen auszuweichen.
Leyo zog seine Frau an sich und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. »Du bist die Größte, Süße.«
Liska lachte und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Sag mir noch einmal, dass du keine Pilotin wie mich brauchst.«
»Ich nehme alles zurück«, antwortete Leyo. »Alles. Du bist –«
Die Armaturen sprangen mit einem Piepsen wieder an – und eine Lampe leuchtete in aufdringlich grellem Orange. Achtung – Wartung.
»Scheiße!«, entfloh es Liska, sie schlug mit der Faust auf ihre Armlehne. »Drecksverfakkte Oberscheiße!«
»Was ist los?«, kam es von Erim. »Was ist passiert? Wir sind durch oder nicht? Wir haben sie abgehängt.«
»Haben wir«, bestätigte Liska. »Aber das Geschoss muss das Kühlsystem beschädigt haben.«
»Und das bedeutet?«
»Dass wir einen qualvollen Hitzetod sterben, wenn wir nichts unternehmen«, erwiderte Leyo. »Die Maschinen laufen auf Volllast und das Vakuum im All isoliert die Wärme. In weniger als einer Stunde hat es wahrscheinlich hundert Grad hier drin. Und es gibt weit und breit keine Wartungsstation, die wir ansteuern könnten.«
Erim wurde noch blasser, ihre Haut hatte die Farbe von Kalk angenommen. »Und was ... was haben Sie jetzt vor?«
»Ich sehe zu, dass ich den Schaden repariere.« Leyo aktivierte das Display vor sich und schob einige Pläne und Aufzeichnungen hin und her. Es musste irgendwo eine technische Skizze geben ... Da! Während er den Plan analysierte, fragte er: »Kennen Sie sich mit Elektronik aus, Frau Ministerin? Oder mit Physik?«
»Nein. Ich habe Politik und Philosophie studiert.«
Leyo verdrehte die Augen. »Haben Sie nichts Anständiges lernen können?«
»Schmuggelei und Entführung, zum Beispiel?«
»Das reicht jetzt!«, fauchte Liska. »Hört mit dem Geschwafel auf und macht was!«
»Na schön.« Mit zwei Klicks hatte Leyo die Lebenserhaltungssysteme aufgerufen und erkannte sofort die Fehlermeldung. »Die Klimapumpe bei B3. Schöner Dreck.«
»Kriegst du’s hin?«
»Keine Ahnung, wird schon schiefgehen.« Er deaktivierte seinen Gurt und stand auf. »He, Frau Ministerin, Sie setzen sich auf meinen Platz und tun, was meine Frau Ihnen sagt, klar? Sie wird sie brauchen, um die Asteroiden zu umfliegen.«
Mit bebenden Fingern löste Erim ebenfalls den Gurt, taumelte durch das Cockpit und sank in den Sitz. Leyo hatte nicht das Gefühl, dass sie gerade zu irgendwas zu gebrauchen war, aber er konnte jetzt nicht wählerisch sein. Liska beschrieb eine Kurve, er musste sich am Sitz festklammern und wäre fast zu Boden gefallen, fing sich jedoch in letzter Sekunde. Das konnte ja heiter werden.
»Ich kann helfen.«
Überrascht sah Leyo Trish an. Sie wirkte immer noch bleich und erschöpft, aber in ihren Augen loderte Entschlossenheit. »Du?«
»Ja. Ich kenne mich mit Klimasystemen aus, hab mal einen Sommer in einer Werft gearbeitet.«
»In einer Werft?« Erim warf ihrer Schwester einen irritierten Blick zu. »Wann denn das?«
Trish schnaubte. »Letztes Jahr, als unsere Eltern dachten, ich wäre in der Sommerschule.«
»Ist doch egal jetzt«, drängte Leyo und löste Trishs Gurt. »Wenn du dich nützlich machen kannst, dann komm mit. Wir haben nicht viel Zeit.«
Angespannt hangelte Leyo sich aus dem Cockpit hinaus in den Gang. Sofort spürte er den Temperaturunterschied und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Sollten sie einen der Raumanzüge anlegen, sicherheitshalber? Nein, die Dinger waren beschissen unpraktisch und es dauerte eine Ewigkeit, sie anzuziehen. Es musste ohne gehen. Das Schiff schlingerte, Leyo kippte zur Seite, hätte fast Trish umgerissen. Wie zum Henker sollten sie irgendwas reparieren, wenn das Raumschiff ständig hin und her wackelte?
Leyo öffnete eines der verborgenen Fächer und zog einen Werkzeugkasten heraus, den er Trish in die Hand drückte. »Hier, halt mal. Und hilf mit, wir suchen B3.«
Das Mädchen nickte und nahm sich die rechte Wand vor, Leyo die linke. Da! Eine breite Platte unter ihnen trug die Aufschrift B3. Leyo griff in die Vertiefung längs der Platte, legte einen inneren Riegel um und schob dann die Verkleidung beiseite. Eine Wolke Wasserdampf schlug ihm entgegen und er vertrieb sie verärgert mit der Hand. Wenigstens war das Problem gut erkennbar. Unter ihm klaffte ein fast drei Meter tiefer, dunkler Versorgungsschacht, durchzogen von Kabeln, Schläuchen und Rohren. Beim ersten Versuch hineinzuklettern, legte sich das Schiff so brachial auf die Seite, dass Leyo mit der Hüfte gegen die Kante prallte.
»Dreck«, fluchte er. »Das wird ein Spaß.« Er hockte sich an den Rand und ließ sich dann hinuntergleiten. Außer einer schwachen Notbeleuchtung gab es hier unten kein Licht, außerdem war es stickig heiß und die Luft erschien ihm dünn. Er streckte die Hand nach oben in Trishs Richtung. »Lampe?«
Sie landete in Leyos Hand und er leuchtete die Rohre und Verbindungsstücke ab. Irgendwo trat Flüssigkeit aus, es stank penetrant nach Mineralöl und Ethanol. Das Rumoren der Triebwerke klang hier unten unnatürlich laut.
Er hielt Trish die Hand hin. »Gib mir den Dreier Innensechskant, das ist der mit –« Irritiert starrte er auf das Werkzeug und nickte anerkennend zu ihr hinauf. »Okay, du kennst dich wirklich aus.«
Sie grinste schief. »Sag ich doch.«
Erneut ging ein Ruck durch das Schiff. Leyo krallte sich fest, versuchte verzweifelt, keine Rohre aus der Wand zu reißen und gleichzeitig die Balance zu halten.
»Vielleicht haben wir Glück. Könnte nur ein defektes Ventil sein.«
»Und wenn nicht?«
»Sind wir am Arsch. Zangenschlüssel.«
Wieder beschrieb das Schiff eine scharfe Kurve und Leyo reagierte zu spät. Er stürzte zur Seite, streckte instinktiv die Hand aus, um sich abzufangen, und prallte an die gegenüberliegende Wand. Schmerz schoss durch sein Handgelenk bis hinauf in seine Schulter, wo sich die Schusswunde sofort bemerkbar machte. Kurz fühlten seine Finger sich taub an. »Verfluchte Scheiße.«
»Alles okay?«
»Ja, geht schon.« Er schüttelte die schmerzende Hand. Noch mehr heißer Dampf schoss aus der Dunkelheit und er japste nach Luft. Verdammt, konnte sich Liska nicht ein wenig Mühe geben bei ihren Manövern?
Leyo leuchtete in die Richtung, aus der die Dampfwolke kam. Er konnte die Stelle sehen, der Aufprall musste ein Gelenk herausgerissen und so das Leck verursacht haben. Aber verdammt, er kam nicht ran! Selbst wenn er sich weitmöglichst streckte, sein Arm war zu kurz und weitere Rohre blockierten den Durchgang. Vermutlich musste man die Hülle von der anderen Seite öffnen, um das Problem zu beheben, aber ein Außeneinsatz im All war gerade das Letzte, das Leyo sich wünschte.
»Lass mich das machen«, vernahm er plötzlich Trishs Stimme über sich. »Ich pass da durch.«
»Bist du sicher?«
»Klar. Lass mich.«
Leyo zögerte, doch schließlich zog er sich hoch und kroch zur Seite. Das Schiff schlingerte, beschrieb einen Halbkreis und sackte dann so schnell nach unten, dass es ihm den Magen umdrehte. »Okay, zeig mal, was du kannst.«
Trish presste die Lippen zusammen und kletterte in den Schacht. Mittlerweile war es so heiß, dass Leyo alle Kleider am Leib klebten und die Hitze hinter seinen Schläfen pochte. Er beneidete das Mädchen kein bisschen. »Siehst du es?«
»Ja«, vernahm er Trishs Stimme. »Gib mir den Zangenschlüssel. Und irgendwas, um das Loch zu schließen.«
Leyo warf einen Blick in den Werkzeugkasten und zog unschlüssig eine Rolle Panzerklebeband hervor. »Ich fürchte, mehr haben wir nicht.«
»Echt jetzt?«
»Mach schon.«
Trish zuckte mit den Schultern und verschwand dann im Dunkel. Leyo kaute auf seiner Unterlippe. Eine Minute verging. Die Hitze ließ dunkle Flecken vor seinen Augen tanzen und er konnte kaum atmen. Scheiße, die Zeit lief ihnen davon. Das Schiff wurde zur Seite gerissen, Leyo taumelte, hielt sich in letzter Sekunde fest. Eine weitere Biegung, das Raumschiff drehte sich um neunzig Grad und Leyo prallte gegen die Wand.
»Liska, mach langsam!«, brüllte er Richtung Cockpit und rieb sich den Arm. Die verdammte Schusswunde.
Wie als Antwort neigte sich das Schiff in die andere Richtung, bis es wieder seine Ursprungsposition erreicht hatte.
»He, Kleine, alles okay bei dir?«
Keine Antwort.
»Trish? Hörst du mich?«
Wieder nichts. Verdammter Dreck!
Leyo robbte bäuchlings zum Rand des Schachts, um so tief wie möglich hineinzuspähen. Er hörte das leise Zischen des austretenden Kühldampfs und sah das Licht der Lampe, die Trish offenbar an einem Rohr befestigt hatte. Aber wo war das Mädchen? Der Gestank nach Ethanol kroch betäubend zu Leyo hinauf und raubte ihm fast den Atem. Von der brüllenden Hitze ganz zu schweigen. Seine Haut kribbelte schon unangenehm.
»Kleine, wo bist du? Sag was!«
Als erneut keine Antwort folgte, kletterte Leyo zum Rand des Schachts und ließ sich hinuntergleiten. Er hatte das Gefühl, in einen Backofen getaucht zu sein. Die Hitze presste ihm die Luft aus den Lungen und Schweiß rann ihm in die Augen. Wo war das Mädchen? Hektisch suchte er den Boden ab. Nein. Da war niemand. Verdammt, wenn sie irgendwo in den Untiefen des Versorgungsschachts ohnmächtig geworden war, dann würde sie dort ersticken. Sie war doch noch fast ein Kind. Nur wenig älter als Sami. Und sie konnte wirklich nichts für die ganze Scheißsituation, in die sie sich hier manövriert hatten.
»Trish?« Leyos Stimme zitterte. »Sag was, bitte, wo bist du?«
In dem Moment verstummte das ferne Zischen. Leyo wirbelte herum. Das Leck war dicht! Kein Dampf mehr, kein austretendes Kühlwasser. Jetzt sah er auch Trishs Silhouette in der Dunkelheit. Sie kroch auf allen vieren in seine Richtung und er zog sie unter den Rohren hervor. Ihre Haut war krebsrot, ihr Gesicht schweißüberströmt, aber sie lebte.
»Gut gemacht, Kleine«, murmelte er und hob sie hoch. »Los, zieh dich rüber, das schaffst du noch.«
Ein weiterer Schlenker des Schiffs erschwerte die letzten Meter, doch schließlich kroch Leyo ebenfalls aus dem Schacht und verschloss ihn. Zitternd hockten sie beide auf den Bodenfliesen und grinsten sich an. Das Mädchen hatte gerade ihr Schiff und ihr Leben gerettet. Mit Panzerklebeband.
Die Tür vor ihnen glitt auf, Erim stolperte heraus und starrte sie beide an. »Ihr habt es ... Meine Güte, Trish, wie siehst du aus?«
Das Mädchen konnte nicht antworten, sie rang immer noch nach Luft, die Haare klebten ihr an der Stirn und ihr Gesicht war rot wie ein reifer Apfel.
»Bringen Sie die Heldin ins Cockpit«, schlug Leyo vor, während er sich aufrappelte. »Ich hol ihr was Kaltes zu trinken.«