1.

Es war Ende Ja­nu­ar, als die Rei­se­kut­sche des flüch­ti­gen Kö­nigs von Böh­men, so schnell wie mög­lich durch die schlam­mi­ge Stra­ße stol­pernd, in Wol­fen­büt­tel ein­fuhr. Seit zwei Ta­gen fiel dün­ner, gleich­mä­ßi­ger Re­gen, der den Schnee weg­ge­schwemmt hat­te, nur im Schut­ze weit über­grei­fen­der Dä­cher la­ger­te hier und da noch ein üb­rig­ge­blie­be­ner, ver­schmutz­ter Hau­fen. Die lee­ren Gas­sen gli­chen Röh­ren oder Schläu­chen, durch die Was­ser lief; nur dass sie je län­ger, de­sto schmut­zi­ger wur­den. Im Schlos­se saß die Her­zo­gin Anna So­phie am Fens­ter und sah ein paar großen al­ten Schwei­nen zu, die mit ih­ren Rüs­seln in Dreck und Ab­fäl­len wühl­ten, und ihr un­re­gel­mä­ßi­ges, klu­ges Ge­sicht ver­zog sich zu ei­nem scha­den­fro­hen Lä­cheln, als die an­fah­ren­den Pfer­de vor den grun­zen­den Bes­ti­en, die ih­nen zwi­schen die Bei­ne lie­fen, scheu­ten und da­durch den Wa­gen des Böh­men­kö­nigs bei­na­he zu Fal­le brach­ten. Als die Schwes­ter Ge­org Wil­helms, des nun­meh­ri­gen Kur­fürs­ten von Bran­den­burg, der eine Schwes­ter Fried­richs von der Pfalz zur Frau hat­te, war sie mit die­sem ver­schwä­gert, wäh­rend ihr Mann ein Vet­ter der Eli­sa­beth war, da sie bei­de von dä­ni­schen Prin­zes­sin­nen, Schwes­tern des Kö­nigs von Dä­ne­mark, ab­stamm­ten. Auf die­se na­hen ver­wandt­schaft­li­chen Be­zie­hun­gen grün­de­te Fried­rich die Hoff­nung auf Bei­stand und war sehr ent­täuscht, den Her­zog nicht da­heim zu fin­den; denn er wuss­te, dass Fried­rich Ul­rich, der et­was schwach­sin­nig war, sich leicht be­ein­flus­sen ließ; zu sei­ner Schwä­ge­rin, der Her­zo­gin, da­ge­gen hat­te er kein Zu­trau­en. Der Her­zog kom­me erst in drei Ta­gen wie­der, sag­te sie, in­dem sie die schmut­zi­gen Fuß­spu­ren be­trach­te­te, die ihr Gast beim Ein­tre­ten hin­ter­ließ; wenn er ihn er­war­ten wol­le, müs­se er in­zwi­schen mit ihr vor­lieb­neh­men. Ob die Her­zo­gin-Mut­ter auch nicht da sei? frag­te Fried­rich.

Nein, Gott sei Dank, die alte Schar­te­ke traue sich nicht her, wenn sie al­lein da sei, ant­wor­te­te Anna So­phie, sie möch­te es ihr auch nicht ra­ten. Sie lang­wei­le sich zwar toll und voll, das sei aber doch bes­ser, als ein bö­ses Lu­der um sich zu ha­ben.

Ob sie denn so böse sei? frag­te Fried­rich neu­gie­rig. Das habe er nicht ge­wusst. Ihre Schwes­ter, die ver­stor­be­ne Kö­ni­gin von Eng­land, sei zwar ein gro­bes Vieh ge­we­sen, habe ihre Toch­ter Eli­sa­beth, sei­ne Frau, miss­han­delt und sich öf­fent­lich über ih­ren Mann, den Kö­nig, lus­tig ge­macht.

Sie wer­de ge­wusst ha­ben, warum, sag­te die Her­zo­gin, kurz auf­la­chend, der sei auch ein Trot­tel wie ih­rer. Den habe jetzt sei­ne ei­ge­ne Mut­ter von der Re­gie­rung brin­gen wol­len, um ih­ren Lieb­ling, den Chris­ti­an, in den sie ver­narrt sei, ins Nest zu set­zen. Da wä­ren ih­rem Mann end­lich die Au­gen über sei­ne Mut­ter auf­ge­gan­gen, jetzt dür­fe sie sich eine Zeit lang nicht in Wol­fen­büt­tel bli­cken las­sen.

Er habe in Ber­lin da­von mun­keln hö­ren, es aber nicht glau­ben wol­len, sag­te Fried­rich; ob denn Chris­ti­an da­mit ein­ver­stan­den ge­we­sen sei?

Frei­lich, sag­te die Her­zo­gin, der spie­le im­mer mit sei­ner Mut­ter un­ter ei­ner De­cke, so­lan­ge es ge­gen sei­nen Bru­der gehe. In Wol­fen­büt­tel wäre er zwar doch nicht ge­blie­ben, da sei es ihm viel zu lang­wei­lig, ihm sei es nur um das Geld zu tun. Die Dom­her­ren von Hal­ber­stadt wä­ren scharf, lie­ßen ihn nicht nach Be­lie­ben steh­len und rau­ben, dar­um habe er im­mer Hän­del mit ih­nen. Mit den hie­si­gen Rä­ten habe er ge­glaubt sich bes­ser zu ver­ste­hen, das sei auch eine Diebs­ban­de; aber de­nen sei ein Trot­tel wie ihr Mann viel lie­ber, und Chris­ti­an habe schimpf­lich ab­zie­hen müs­sen.

Was denn Chris­ti­an vor­ha­be? frag­te Fried­rich, wozu er so viel Geld brau­che? Nun, sag­te die Her­zo­gin bos­haft, das wer­de er, Fried­rich, wohl am bes­ten wis­sen. Chris­ti­an wol­le ein Kriegs­held sein, habe sich ja schon vor zwei Jah­ren von den Böh­men wol­len an­wer­ben las­sen, es sei aber nichts ge­wor­den, sie hät­ten wohl Wind be­kom­men, was für ein Kä­se­rit­ter das sei, er ver­ste­he ja nichts vom Kriegs­we­sen. Letzthin habe er Sold von den Ge­ne­ral­staa­ten ge­nom­men, sei auch mit un­ten in der Pfalz ge­we­sen, aber un­ver­rich­te­ter Sa­che wie­der­ge­kom­men. Wenn sie sei­ne Mut­ter wäre, wür­de sie ihn ge­hö­rig aus­hau­en und dann in die Ecke stel­len. Weil er als Kna­be von Va­ter und Mut­ter nicht or­dent­lich mit der Rute ge­stri­chen wor­den sei, hole er sich jetzt sei­ne Schlä­ge drau­ßen, wer­de wohl ein­mal ge­nug be­kom­men.

Sie hat­te sich er­hitzt, und ihre Au­gen fun­kel­ten feind­se­lig, umso mehr, als sie be­merk­te, dass es Fried­rich be­lus­tig­te. Sei­ne Mut­ter habe doch Geld ge­nug, sag­te er; warum sie ihn ei­gent­lich nach Wol­fen­büt­tel habe ru­fen wol­len?

Da­mit der lie­ben Jus­tiz auf­ge­hol­fen wer­de, sag­te die Her­zo­gin höh­nisch, als ob es in Hal­ber­stadt an­ders zu­ge­he als in Wol­fen­büt­tel. Sie gä­ben eben alle schlech­tes Geld aus und leer­ten her­nach den Leu­ten die vol­len Ta­schen un­ter dem Vor­wan­de, dass es ver­bo­te­ne Mün­ze sei. Der wah­re Grund sei, dass sie in ihn ver­narrt sei und ge­dacht habe, er wer­de als re­gie­ren­der Her­zog vom Kriegs­we­sen las­sen. Sie woll­te ihn bei sich im Lan­de be­hal­ten und be­ten las­sen, dar­um rücke sie kein Geld her­aus. Er sol­le nur nicht etwa glau­ben, wen­de­te sie sich mit scha­den­fro­hem La­chen zu Fried­rich, dass er et­was von ihr ver­lan­ge, sie hal­te es mit dem Kai­ser wie ihr ver­stor­be­ner Mann.

Gott sei’s ge­klagt, sag­te Fried­rich, seit er im Un­glück sei, wol­le al­les kai­ser­lich sein, Un­glück und Ar­mut gel­te nicht als vor­nehm. Der Her­zog habe sich doch frü­her so red­lich ge­gen ihn er­klärt, habe von der spa­ni­schen Ty­ran­nei nichts wis­sen wol­len, er habe ihn für einen gu­ten pro­tes­tan­ti­schen deut­schen Fürs­ten ge­hal­ten.

Nun, sag­te die Her­zo­gin spitz, wenn er nur die­je­ni­gen für rech­te deut­sche Fürs­ten hal­ten wol­le, die sich zu ihm ge­gen den Kai­ser schlü­gen, so sehe es win­dig im Rei­che aus. Fried­rich sol­le sich nicht so viel ein­bil­den; der Sa­tan habe ihn ge­rit­ten, dass er sich mit den lau­si­gen Böh­men ein­ge­las­sen habe, nun lie­ge er im Dreck. Soll­ten sich an­de­re da­zu­stel­len, dass sie auch noch einen Schmutz­kü­bel über den Kopf be­kämen? Der Denk­zet­tel be­kom­me ihm wohl, er sol­le sich wie­der sau­ber ma­chen, dann wer­de man es ihm nicht nach­tra­gen.

Die Her­zo­gin un­ter­hielt ein Lie­bes­ver­hält­nis mit dem Her­zog Franz Al­brecht von Sach­sen-Lau­en­burg, der da­mals un­ter dem Kai­ser diente, und ver­trat des­halb mit be­son­de­rem Nach­druck die­se Par­tei. Ihr Bru­der, der Kur­fürst von Bran­den­burg, fuhr sie fort, habe ihn auch wei­ter­ge­schickt und habe recht ge­habt. Ob er etwa ge­glaubt habe, ihr Mann sei ein Sim­son oder Her­ku­les? Ihr Mann ge­hö­re zu den Hun­den, die je­dem nach­lie­fen, der ih­nen den Wurst­zip­fel zei­ge. Im vo­ri­gen Jah­re wä­ren die kai­ser­li­chen Ge­sand­ten bei ihm ge­we­sen und hät­ten ihm nicht ein­mal lan­ge zu­spre­chen müs­sen. Fried­rich wer­de se­hen, wie gut er sein Sprüch­lein von der Reich­streue und dem lie­ben Frie­den auf­sa­gen kön­ne. Sie freue sich nur we­gen der groß­mäu­li­gen Pfaf­fen, die im­mer drein­re­den woll­ten.

In der Tat be­grüß­te zwar Fried­rich Ul­rich sei­nen flüch­ti­gen Vet­ter freund­lich, fing aber so­gleich von der not­wen­di­gen Neu­tra­li­tät zu spre­chen an und dass Fried­rich dar­auf se­hen müs­se, sei­nen Frie­den mit dem Kai­ser zu ma­chen. Der Kai­ser habe eine Ge­sandt­schaft an ihn ab­ge­las­sen, vor­neh­me und ehr­ba­re Leu­te, die hät­ten auf Ehren­wort ver­si­chert, dass es in der böh­mi­schen Sa­che nicht um die Re­li­gi­on gehe, es sei nur Kra­wall und Re­bel­li­on ge­we­sen, wie es dort un­ten im Schwan­ge sei und wor­an des Kai­sers all­zu große Kle­menz schuld sei, die die Leu­te über­mü­tig ma­che. Nach­dem es so sei, hät­te sich Fried­rich in eine so ver­fäng­li­che Sa­che nicht ein­las­sen sol­len; warum er es ei­gent­lich auch ge­tan hät­te? Er habe oft dar­über nach­ge­dacht, kön­ne es aber durch­aus nicht be­grei­fen. Die Pfalz er­näh­re ihn doch fürst­lich und reich­lich, der Teu­fel müss­te sei­nen Schwanz dar­in ge­habt ha­ben, an­ders kön­ne er es sich nicht ein­bil­den, oder er hät­te schlech­te Räte. Er sol­le nun förm­lich auf Böh­men ver­zich­ten und froh sein, dass er so da­von­kom­me, die Hus­si­ten schie­nen ja ge­fähr­li­cher zu sein als Spa­nier und Tür­ken.

Fried­rich wur­de mit je­der Stun­de, die er sich in Wol­fen­büt­tel auf­hielt, nie­der­ge­schla­ge­ner; er hat­te nicht für mög­lich ge­hal­ten, dass man ihn so ver­las­sen kön­ne, und wuss­te sich nicht hin­ein­zu­fin­den. Wo­hin er kam, sag­te man ihm, sein rei­cher, mäch­ti­ger Schwie­ger­va­ter sei der nächs­te, et­was für ihn zu tun, wenn der sich wei­ge­re, müss­te wohl et­was Un­rich­ti­ges an der Sa­che sein. Es war ihm un­leid­lich, die gu­ten Leh­ren und klu­gen Re­den an­hö­ren zu müs­sen, wie tö­richt er ge­han­delt und dass er sich sein Un­glück selbst zu­zu­schrei­ben hät­te, und er fühl­te eine bren­nen­de Un­ge­duld, wie­der in eine ge­büh­ren­de Stel­lung zu kom­men, wo er an­er­kannt und ge­fei­ert wür­de. Doch hör­te er mit ge­fäl­li­ger Mie­ne zu und ver­sprach dem Her­zog, dass er auf Böh­men ver­zich­ten wol­le, wor­an ihm nichts lie­ge; aber dem Kai­ser sei es dar­um gar nicht zu tun, son­dern er rei­ße sei­ne Er­b­lan­de an sich, auf die er doch kei­ner­lei recht habe.

Das kön­ne er sich doch nicht den­ken, dass der Kai­ser sich an der Pfalz ver­grei­fen wer­de, sag­te Fried­rich Ul­rich; so­wie Fried­rich sich ge­hor­sam er­wei­se, wer­de al­les ins rei­ne kom­men.

In­zwi­schen habe Spi­no­la schon die gan­ze Un­ter­pfalz ein­ge­nom­men, sag­te Fried­rich, und die Spa­nier pfleg­ten nicht los­zu­las­sen, was sie ein­mal in den Zäh­nen hät­ten.

Ja, die Spa­nier kön­ne er auch nicht lei­den, sag­te Fried­rich Ul­rich; aber das sei ge­wiss nur pro­vi­so­risch.

Ob denn die Acht schon ver­hängt sei? frag­te die Her­zo­gin lä­chelnd.

Es schei­ne nicht mehr weit da­von zu sein, sag­te Fried­rich; aber das habe ja nichts auf sich. Das sei gar kei­ne recht­mä­ßi­ge Acht, die kön­ne der Kai­ser ohne die Kur­fürs­ten nicht über ihn ver­hän­gen.

Es sei aber doch eine kitz­li­ge, sehr kitz­li­ge Sa­che, sag­te Fried­rich Ul­rich ängst­lich; wenn er nur nicht auch noch in so et­was hin­ein­pat­sche. Sein Bru­der Chris­ti­an sei gar zu wag­hal­sig, un­ver­se­hens wer­de er den Kopf in der Sch­lin­ge ha­ben.

Nun, sag­te Fried­rich be­schwich­ti­gend, das gäbe dem Kai­ser noch kein Recht ge­gen ihn, und Chris­ti­an sei sein jün­ge­rer Bru­der, den wer­de er doch re­gie­ren kön­nen.

Ach Gott, klag­te Fried­rich Ul­rich, er habe doch auch ein Ge­wis­sen und sei lu­the­risch, und sei­ne Pfaf­fen hiel­ten ihm vor, der Kai­ser wol­le ganz Deutsch­land mit­samt dem nie­der­säch­si­schen Kreis dem rö­mi­schen An­ti­christ in den Ra­chen ja­gen, auch alle nord­deut­schen Stif­ter an sich zie­hen, und wenn das wahr wäre, kön­ne er doch nicht ru­hig zu­se­hen. Und was Chris­ti­an an­be­lan­ge, so kön­ne er ein­mal nicht ru­hig sit­zen, der von Ma­ren­holz sei schuld dar­an; sei­ne Mut­ter habe es auch ge­sagt, Chris­ti­an sei als Kind gut und fromm ge­we­sen, habe ihm im­mer den schul­di­gen Re­spekt be­wie­sen, aber der von Ma­ren­holz rei­ze ihn zu al­lem Bö­sen, habe so­gar einen Ad­vo­ka­ten bei sich und wer­de Chris­ti­an ge­wiss zu­letzt noch dem Teu­fel ver­pfän­den.

Wer ihn dem Teu­fel ver­pfän­det habe, sag­te die Her­zo­gin hä­misch, sei sei­ne Mut­ter, in­dem sie ihn so gott­los ver­hät­schelt habe. Es ma­che ei­nem fast Bauch­weh, das ab­göt­ti­sche We­sen der bei­den mit an­zu­se­hen, die Früch­te da­von schmeck­ten dann frei­lich sau­er und bit­ter.

Als Fried­rich sei­ne Rei­se nach den Nie­der­lan­den fort­ge­setzt hat­te, er­schi­en am Wol­fen­bütt­ler Hofe Chris­ti­an Wil­helm, der Ad­mi­nis­tra­tor von Mag­de­burg, Vet­ter der Her­zo­gin und Schwa­ger des Her­zogs, mit des­sen Schwes­ter er ver­hei­ra­tet war, in Sor­gen, ob etwa Fried­rich Ul­rich sich auf die Sei­te des flüch­ti­gen Böh­men­kö­nigs habe zie­hen las­sen. Der Pfäl­zer, sag­te er, soll sei­ne Sup­pe al­lein aus­es­sen; er, Chris­ti­an Wil­helm, hal­te den Kai­ser für den wah­ren Hort des Rei­ches, und der Teu­fel sol­le ihn ho­len, wenn er je vom Kai­ser ab­fie­le. Der Hoë in Dres­den habe kürz­lich schön ge­pre­digt, dass die Fürs­ten um den Kai­ser ste­hen soll­ten wie die Erz­en­gel vor dem Thron Got­tes, die Trä­nen wä­ren ihm dar­über aus den Au­gen ge­lau­fen, und er habe sich dar­aus ab­ge­zo­gen, dass der Pfäl­zer dem Lu­zi­fer zu ver­glei­chen sei und bil­li­ger­wei­se in den Ab­grund fah­re. Er hof­fe nur, Chris­ti­an von Hal­ber­stadt, des Her­zogs Bru­der, wer­de sich bei­zei­ten von sei­nen re­bel­li­schen Um­trie­ben ab­wen­den las­sen, dass er den Her­zog nicht noch mit ins Ver­der­ben rei­ße.

Fried­rich Ul­rich war er­schro­cken und ge­rührt, als er sei­nes Schwa­gers Au­gen in feuch­ter Be­geis­te­rung glän­zen sah; aber sei­ne Frau sag­te tro­cken, ihr kom­me es so vor, als sei Chris­tians Trei­ben Chris­ti­an Wil­helm nicht ein­mal so un­lieb, denn er habe ja längst ein Auge auf das Bis­tum Hal­ber­stadt und mei­ne viel­leicht, er kön­ne es er­schnap­pen, wenn Chris­ti­an es ver­wir­ke.

Der Ad­mi­nis­tra­tor er­rö­te­te und sag­te, er hät­te nie ge­dacht, dass ver­wand­te Häu­ser eine sol­che Mei­nung von ihm heg­ten. Ja, da­mals, als der Bi­schofs­stuhl er­le­digt ge­we­sen sei, habe er sich dar­um be­wor­ben, weil es sich so gut zum Bis­tum Mag­de­burg ge­schickt hät­te, und er glau­be sa­gen zu dür­fen, dass er taug­li­cher da­für ge­we­sen wäre als der Hans­dampf und Stru­del­kopf Chris­ti­an. Er sei aber freund­vet­ter­lich zu­rück­ge­tre­ten, als Chris­tians Mut­ter das Bis­tum für ih­ren Sohn er­stei­gert hät­te; der Scha­den sei ja auch für das Bis­tum grö­ßer als für ihn ge­we­sen. Ob sie sich nicht den­ken könn­ten, dass das Tur­nie­ren mit den prä­po­ten­ten Dom­her­ren und ei­ner ge­schwol­le­nen Stadt mehr eine Tra­gö­dia als eine Ko­mö­dia für einen Fürs­ten sei?

Da­rum sei ihm wohl ein ge­wis­ses mäch­ti­ges Kur­fürs­ten­tum lie­ber, sag­te die Her­zo­gin, ihn dreist an­lä­chelnd. In Ber­lin bei ih­rem Bru­der gehe die Rede, der Kai­ser habe ihm Bran­den­burg samt dem Kur­hut ver­spro­chen für den Fall, dass der Kur­fürst ab­trün­nig wer­de und sich die Acht auf den Hals zie­he.

Nein, das gehe zu weit, rief der Ad­mi­nis­tra­tor, wo­mit er so et­was von ver­wand­ten Häu­sern ver­dient habe! Ob er sei­nem Vet­ter, dem Kur­fürs­ten, sei­ne Treue und Lie­be nicht hun­dert­fach be­zeugt habe! Wenn ei­ni­ge von des Kai­sers Die­nern aus all­zu un­ge­stü­mer Er­ge­ben­heit ge­gen das Reichsober­haupt ihm sol­che An­trä­ge ge­macht hät­ten, so sei das nicht sei­ne Schuld, er sei nicht dar­auf ein­ge­gan­gen, habe sie nicht ein­mal ver­ste­hen wol­len. Das sei der Lohn sei­ner Red­lich­keit, schluchz­te er, er gehe von Hof zu Hof, um alle zur Treue ge­gen den Kai­ser zu er­mun­tern; aber die Läs­ter­zun­gen könn­ten nicht ru­hen, er sehe nun wohl, dass man Falsch­heit und Hin­ter­list ge­brau­chen müs­se, um wohl an­ge­se­hen zu sein.

Ja, sag­te Fried­rich Ul­rich, das sei doch auch ein wun­der­li­ches Ge­re­de, er ver­ste­he gar nichts da­von, man kön­ne doch Fürs­ten­tü­mer nicht ver­han­deln und aus­bie­ten wie alte Hüte. Chris­ti­an Wil­helm sol­le nur die Au­gen trock­nen, er hal­te ihn für einen from­men, un­schul­di­gen Fürs­ten, der es ge­wiss nicht böse ge­meint habe. Er sol­le doch nun auch sei­nem Bru­der Chris­ti­an das Ge­wis­sen rüh­ren, da­mit er der kai­ser­li­chen Ma­je­stät sei­ne Pf­licht er­wei­se.

An den sei schon ge­nug her­an­ge­schwatzt, sag­te die Her­zo­gin. Bes­ser wäre es, die Ge­ne­ral­staa­ten or­dent­lich aufs Maul zu schla­gen; denn ein Pfei­fen von den Ban­di­ten ma­che ihn bes­ser tan­zen als eine Pre­digt von ehr­li­chen Leu­ten.

Mit die­sen Wor­ten hat­te die Her­zo­gin ein er­gie­bi­ges Fach im Be­wusst­sein ih­res Man­nes be­rührt, und er brach in lau­te Kla­gen über die Ge­ne­ral­staa­ten und die Han­se­städ­te aus, die an al­lem Un­glück auf Er­den schuld und gott­ver­fluch­te Re­bel­len und Schwei­zer wä­ren, sich ge­gen die Fürs­ten ver­schwo­ren hät­ten und sie auch ge­wiss al­le­samt um­brin­gen wür­den, wenn Gott sie nicht be­schütz­te. Das habe sein hoch­se­li­ger Va­ter auch ge­sagt, es habe ihn aber nie­mand hö­ren wol­len, und sie wür­den es noch be­reu­en. Es sei je­der­mann be­kannt, was für ur­al­te, un­zwei­fel­haf­te Rech­te er an die Stadt Braun­schweig habe, und er wür­de die Wi­der­spens­ti­ge leicht be­zwun­gen ha­ben, wenn die Ge­ne­ral­staa­ten und die Han­se­städ­te ihr nicht zu­hiel­ten. Er müs­se sich nur wun­dern, dass Gott so lan­ge Ge­duld mit sol­chen Frev­lern habe und sie nicht längst wie So­dom und Go­mor­rha mit Schwe­fel be­gos­sen und von der Erde ver­tilgt habe.

Ja, sag­te Chris­ti­an Wil­helm ge­dan­ken­voll, sein Schwa­ger habe recht, es gehe je län­ger, je mehr gräu­lich auf Er­den zu, und was für Grün­de Gott habe, so lan­ge mit der Stra­fe zu­zu­war­ten, kön­ne er sich auch nicht ein­bil­den. Er sei jetzt am säch­si­schen Hofe ge­we­sen, da habe er eine selt­sa­me und fast un­glaub­li­che Ge­schich­te ge­hört, die sich in Frank­reich zu­ge­tra­gen habe. Da sei näm­lich ein Mann auf­ge­tre­ten, der habe sich un­ge­scheut als ein Athe­ist vor­ge­stellt, in­dem er öf­fent­lich ge­lehrt habe, es gebe kei­nen Gott, die Welt be­ste­he aus sich selbst, und was man von ei­nem sol­chen seit Jahr­hun­der­ten ge­pre­digt habe, sei nichts als Fan­tas­ma­go­rie und Aber­glau­ben.

Die Her­zo­gin, wel­che auf eine ver­lieb­te oder blu­ti­ge Hof­ge­schich­te ge­spannt ge­we­sen war, zuck­te die Ach­seln und sag­te, das kom­me da­von her, dass man dem Pö­bel zu viel Frei­heit las­se, au­ßer­dem hät­te man den Nar­ren ja leicht aus der Bi­bel heim­schi­cken kön­nen.

Das sei auch ge­sche­hen, sag­te Chris­ti­an Wil­helm; be­vor er ver­brannt wor­den sei, hät­ten ihn die ge­sam­te Geist­lich­keit und hohe Fa­kul­tä­ten aus­ge­fragt und ihm vor­ge­hal­ten, die Wahr­heit leuch­te doch so schön aus je­dem Würm­lein und Blätt­lein her­vor, auch der Un­ge­lern­te müs­se ja ein­se­hen, dass die Re­gel­mä­ßig­keit der wech­seln­den Jah­res­zei­ten, das rich­ti­ge Auf­zie­hen der Ster­ne, die ver­nünf­ti­ge An­ord­nung der Ein­ge­wei­de im tie­ri­schen und gar mensch­li­chen Kör­per und mehr der­glei­chen nicht von un­ge­fähr kom­men kön­ne; wer denn nach sei­ner Mei­nung das al­les ge­macht habe? Da­rauf habe der Elen­de geant­wor­tet: »Re­gi­na Na­tu­ra«, wel­ches aber auch sein letz­tes Wort ge­we­sen sei, in­dem man nicht län­ger ge­zö­gert habe, ihm die gott­lo­se Zun­ge mit ei­nem glü­hen­den Zäng­lein aus­zu­rei­ßen, da­mit der­glei­chen är­ger­li­chen Blas­phe­mi­en ein- für al­le­mal der Aus­gang ver­stopft wer­de.

Re­gi­na Na­tu­ra? wie­der­hol­te Fried­rich Ul­rich, in­dem er den Er­zäh­ler er­schro­cken und rat­los an­sah, ob es denn eine Per­son die­ses Na­mens gebe?

Gott be­wah­re, sag­te Chris­ti­an Wil­helm, es sei da­mit schlecht­weg die Na­tur ge­meint, der doch nur Hei­den oder Got­tes­leug­ner einen Platz ne­ben Gott ein­räu­men könn­ten, wel­cher al­lein und un­ver­gleich­lich re­gie­re. Da kön­ne man eben­so­wohl ka­tho­lisch sein und die Mut­ter Ma­ria und die Hei­li­gen an­be­ten, die nach An­sicht der aber­gläu­bi­schen Pa­pis­ten den­sel­ben Rang wie Gott ein­näh­men.

Fried­rich Ul­rich schüt­tel­te den Kopf und sag­te, er kön­ne es sich durch­aus nicht rei­men, was für un­ver­stän­di­ge und böse Leu­te es gebe; es müs­se wohl eine Sünd­flut im An­zu­ge sein, wo­von man ja auch schon al­ler­lei An­zei­chen habe.

»Da­bei möch­test du wohl den Noah spie­len«, sag­te die Her­zo­gin mit ei­nem spöt­ti­schen La­chen, in wel­ches die bei­den Her­ren ein­stimm­ten. Wenn er aber her­nach die Erde wie­der be­völ­kern wol­le, müs­se er ein we­nig bes­ser ar­bei­ten, sag­te Chris­ti­an Wil­helm, auf des Her­zogs Kin­der­lo­sig­keit an­spie­lend, mit ei­nem halb scha­den­fro­hen, halb lüs­ter­nen Sei­ten­blick ge­gen die Her­zo­gin. Die­se schwieg und lä­chel­te rät­sel­haft, wäh­rend sie dach­te, wie will­kom­men ihr eine Sünd­flut sein wür­de, die ih­ren Mann, viel­mehr den schwa­chen Dumm­kopf, der die­sen Ti­tel führ­te, mit­samt sei­ner Mut­ter ver­schlän­ge und ihr die Frei­heit gäbe, sich ein­mal durch und durch am Le­ben zu sät­ti­gen.