Als im Jahre 1620 Truppen durch Nürnberg zogen, gab ihnen Kaplan Mannich das Geleit bis Fürth mit Bewilligung des Rates; denn derselbe hätte gern gewusst, was die Soldaten eigentlich vorhatten und wohin sie wollten, und meinte, der fröhliche Geistliche, der mit mehreren von den Offizieren bekannt war und vertraulich mit jedermann umzugehen wusste, würde unter der Hand etwas herausbringen. Es war zehn Uhr abends und die Stadt still und dunkel, als auf dem Marktplatz lautes Trompetenschmettern erscholl, das viele, die schon schliefen, aufweckte und veranlasste, aus dem Fenster zu sehen, was es gebe. Da erblickten sie Kaplan Mannich, der von einem Trüpplein Soldaten heimbegleitet worden war, damit er in der Trunkenheit nicht den Weg verfehle, und dem sie nun einen Abschiedstusch bliesen, was er mit Handwinken und lallenden Worten erwiderte. Als er bemerkte, dass aus einem gegenüberliegenden Wirtshause neugierige Leute herauskamen und gafften, nickte er ihnen jauchzend zu, auf welche Ermutigung hin sie ihn ihrerseits mit Geschrei und Gelächter begrüßten.
Als dem Kaplan am anderen Morgen dieser Auftritt wieder in den Sinn kam, beschloss er, um den Rat zu begütigen, der es etwa empfindlich aufnehmen könnte, eine Predigt zu seinem Belieben zu halten; es war nämlich Sonntag. Es sei hohe Zeit, begann er mit herausfordernden Blicken, dass das Volk einmal Buße tue, sie steiften sich allezeit auf die Gnade des Herrn, die sie so lange überflüssig genossen hätten, statt aber dadurch vorsichtig und demütig zu werden, unterfingen sie sich unchristlicher Zuversicht, säßen in den Wirtshäusern und vergriffen sich mit dem leidigen Besserwissen und Mäkeln an ihrer Obrigkeit. Da könne die Strafe Gottes natürlich nicht ausbleiben, und es hätte ja auch schon der Komet im letzten Jahre leserlich angezeigt, wessen man sich von Gott zu versehen habe. Die vielen Soldaten gäben dem Einsichtigen, der den Weltlauf kenne, auch zu denken; umsonst wären sie nicht auf den Beinen, man wisse nicht, wohin das Wesen ziele, seinerzeit werde es schon ausbrechen. Inzwischen sollten sie sich bessern und sich still und friedlich halten, damit Gott in seiner Barmherzigkeit noch das Übel zum Guten kehre.
Als aus Böhmen die Nachricht von der gänzlichen Niederlage und Flucht des Pfälzers kam, vermehrte sich die Besorgnis der Stadt. Bald trafen vorwurfsvolle und bedrohliche Schreiben des Kaisers ein, dass Nürnberg dem Mansfeld, der doch in der Reichsacht schwebe, Werbungen in seinem Gebiet gestattet habe, was sich allerdings so verhielt und was nun mit einigen zwiespältigen Wendungen vertuscht werden musste. Es verlautete von großen Rüstungen allerorten und dass der König von Böhmen die Türken zu Hilfe gerufen habe, wodurch der Rat schließlich bewogen wurde, wieder einen Türmer auf die Burg zu setzen, was seit Jahrzehnten außer Gebrauch gekommen war. Unter denjenigen, die sich zu dem Amte meldeten, war ein Kammacher, der infolge von Trunksucht ein wenig in seinem Gewerbe heruntergekommen war, der sich aber durch scharfe Augen und ansehnliche Empfehlungen geeignet machte; auch meinte man, dass er, weil auf dem Turme kein Wirtshaus sei, seinem Laster mehr oder weniger entfremdet werden würde. Seiner beweglichen Bitte, man möchte ihn in der schwindligen Höhe nicht ohne Zusprache und Hilfe, auch Ablösung lassen, willfahrte man, indem man ihm einen Drahtzieher mitgab, welche beiden an einem Septembertage von zwei Ratspersonen in ihre Behausung eingeführt wurden.
Die Ratsherren hielten ihnen vor, welches ihre Pflichten und wie groß ihre Verantwortung sei, und prüften sie gründlich, ob sie mit den Himmelsgegenden, Straßen, umliegenden Dörfern und angrenzenden Ländern Bescheid wussten.
Es war weit und breit nichts zu sehen als Wagen voll bräunlichen Korns, die schwer unter Nussbäumen und Linden hinschwankten, Frauen und Mädchen, die hier und da die abgestreiften Ähren auflasen, und spielende Buben, die, über die Stoppelfelder laufend, ihre papierenen Drachen an langen Fäden nach sich durch den himmlischen Ozean zogen.
Ein besonders fleißiges Aufmerken von seiten des Rates verlangten die vielen österreichischen und böhmischen Flüchtlinge, die eintrafen und die Erlaubnis, sich niederzulassen, begehrten, von denen zwar viele adelig und begütert waren und den Flor der Stadt mehren zu sollen schienen, die aber, wenn auch fromme und redliche Leute, oft hochfahrend und unruhig waren, mit den Feinden des Kaisers in Verbindung standen oder mit den Einheimischen aneinandergerieten, was dann teils verhütet, teils geschlichtet werden musste.
Eines Tages kam ein junger Mensch in einem buntscheckigen, etwas fadenscheinigen Anzuge auf das Rathaus und meldete, indem er sich stattlich gebärdete, er sei ein Knappe des Don Matthias d’Austria, Sohnes der hochseligen Majestät des Kaisers Rudolf, welcher zum Behuf seiner Vermählung mit einer italienischen Dame in das Welschland zu ziehen im Begriff sei und in der Stadt Nürnberg in der Goldenen Gans zu nächtigen gedenke. In Erinnerung an die Treue, mit der die berühmte Stadt Nürnberg seinem hochseligen Vater angehangen habe, und an die Huld, die derselbe ihr zugewendet habe, wolle er die Stadt um dreihundert Taler Reisegeld angehen, damit er sein Ziel umso förderlicher erreichen möge. Sowie der Knappe sich wieder entfernt hatte, beschieden die Herren den Wirt zur Goldenen Gans auf das Rathaus, einen etwa sechzigjährigen, beleibten, treuherzigen Mann, der bei Reichs-, Kurfürsten- und Fürstentagen aller Art so viele regierende Herren beherbergt hatte, dass er sich vortrefflich mit ihnen auskannte. Diesen fragten sie, wie es mit dem fremden Ankömmling bestellt sei, ob er wohl wirklich der natürliche Sohn des Kaisers, Don Matthias d’Austria, sei oder ein Gauner und Abenteurer, der dem Rat Geld ablisten wollte, wie man dergleichen leider nur zu oft erlebe. Der Wirt gab an, ein etwas seltsames Ansehn habe die Sache freilich, doch sehe der Fremde dem hochseligen Kaiser Rudolf gleich, besonders die Unterlippe sei nicht unverfänglich, hange herab, wie wenn einer schlotterigen Jungfer das Bändel aufgegangen sei; auch trete er wie ein großer Herr auf, rede Spanisch und Italienisch durcheinander und schicke sich überhaupt im ganzen wohl zur habsburgischen Familie. Gleich nach seiner Ankunft habe er vom Apotheker Magen-Morsellen, Rosenzucker und dergleichen holen lassen, sitze jetzt im Armstuhl und knabbere daran, habe auch ein paar Mägde von der Bedienung zu sich gerufen und schwatze mit ihnen, wobei er sich bestens zu unterhalten scheine.
Nach dieser Auskunft schien es dem Rat geboten, dem Prinzen die Ehre der Begrüßung nach altem Brauch zu erweisen, indem sie ihm eine Kanne Malvasier zum Willkomm überreichten. Das Geld betreffend, ließen sie es bei zweihundert Talern bewenden, indem sie sich mit den schwierigen Zeitläuften entschuldigten.
Zu den Gästen der Goldenen Gans gehörte um diese Zeit ein österreichischer Musiker namens Fortunatus Ried, der um der Religion willen die Heimat hatte verlassen müssen, mit seiner Frau und sechs Kindern, von denen jedes sein Instrument spielte, eines die Orgel, eines die Bassgeige, eines die Laute, und auch das jüngste, vierjährige hatte ein kleines Saitenspiel, woran es mit Verstand und Geschick ein wenig zupfen konnte. Der Wirt, der Musik und Kinder liebte, pries das liebliche Konzertieren der frommen österreichischen Familie allenthalben so an, dass sie, als sie sich im Gasthaus hören ließen, einen großen Zulauf hatten. Da nun jedermann sie hören wollte, gab ihnen der Rat die Erlaubnis, in der Lorenzkirche zu singen, wo denn die zarten Stimmen der Kinder, die tiefe, glockenhafte der Mutter und die weiche des Vaters wie ein Vogelchor emporstiegen und das heilige Steingewölbe jubilierend belebten.
Der Wirt hatte die Gewohnheit, wenn ihm jemand für eine empfangene Guttat danken wollte, den Dank mit den Worten abzuwehren: »Danke mir nicht, einem armen Sünder und Kinde des Todes, soli Deo gloria!«, was auch die Österreicher oft von ihm vernommen hatten; denn er wollte keinerlei Entgelt von ihnen annehmen. Um sich ihm nun erkenntlich zu zeigen, setzte Fortunatus die Worte des guten Mannes künstlich in Musik, sodass die erste Rede als ein Rezitativ fast ernst und traurig vorgetragen wurde, worauf der Chor mit dem ›Soli Deo gloria‹ anhub, und zwar so, dass eine Stimme nach der anderen einfiel, bis alle miteinander laut und fröhlich durcheinanderwirbelten und ein rechtes Triumphgeschrei entstand. Als der Wirt sein Sprüchlein erkannte und so himmlisch ausgeschmückt auf sich niederschallen hörte, auch die Blicke der Anwesenden, denen seine Redensart vertraut war, sich zu ihm hinwendeten, gingen ihm die Augen über, und er pflegte nachher oft zu erzählen, dass alle gnädigen Worte und Geschenke großer Herren, die ihm viel zuteil geworden, ihm nicht so viel wert wären wie das ›Soli Deo gloria‹ der frommen Auswanderer.