9.

Seit dem Wahl­ta­ge von Frank­furt hat­te sich der Erz­bi­schof von Tri­er, Lo­thar von Met­ter­nich, nicht mehr er­holt, und als am 1. März des fol­gen­den Jah­res noch ein Erd­be­ben da­zu­kam, be­mäch­tig­te sich sei­ner eine sol­che Nie­der­ge­schla­gen­heit, dass sein Beicht­va­ter ihm schließ­lich zu sei­ner Hei­lung eine durch­grei­fen­de Ver­ord­nung auf­er­leg­te, näm­lich sich zwölf Tage lang al­les welt­li­chen Um­gangs und al­ler welt­li­chen Ge­schäf­te gänz­lich zu ent­hal­ten und ein­zig ge­wis­sen geist­li­chen Übun­gen und Be­trach­tun­gen zu wid­men. Den Ab­schluss die­ser Zeit der Zu­rück­ge­zo­gen­heit bil­de­te eine Pro­zes­si­on, bei wel­cher der Erz­bi­schof selbst das Sank­tis­si­mum trug und wäh­rend wel­cher ihm so zu­mu­te war, als wal­le er sach­ten Schrit­tes auf Ge­wölk in den Him­mel hin­ein, um das Er­geb­nis sei­nes Le­bens zu Fü­ßen der thro­nen­den Drei­ei­nig­keit nie­der­zu­le­gen. Die­ser Zu­stand glück­li­cher Ge­ho­ben­heit muss­te in­des­sen bald ei­nem neu­en An­fall von Krank­heit und Ge­müts­nie­der­ge­schla­gen­heit wei­chen. Im Früh­ling des Jah­res 1623 be­gab er sich, schwer lei­dend, nach Ko­blenz, um dort die Ka­no­ni­sa­ti­on meh­re­rer Hei­li­gen fei­er­lich zu be­ge­hen, des Isi­dor Agri­co­la, Fil­ip­po Neri, Igna­ti­us von Lo­yo­la, Franz Xa­ver und der Te­resa a Jesu. Die Vor­be­rei­tun­gen zu die­sem Ge­prän­ge be­schäf­tig­ten ihn aufs an­ge­nehms­te, grif­fen ihn aber zu­gleich so an, dass er am 8. Mai, an­statt die Pro­zes­si­on an­zu­füh­ren, un­ter Schmer­zen zu Bet­te lie­gen muss­te. Um ein Vier­tel vor sie­ben Uhr in der Frü­he be­gan­nen die Glo­cken al­ler Kir­chen von Ko­blenz eine nach der an­de­ren zu läu­ten, und die an­schwel­len­de Bran­dung der Töne schlug don­nernd und ju­belnd an die Mau­ern der Burg, wo er krank lag. Nun wuss­te er, dass der Zug sich vor dem Je­sui­ten­kol­leg sam­mel­te und in Be­we­gung setz­te, vor­an die Pre­di­ger­mön­che, dann die Fran­zis­ka­ner und Je­sui­ten, um­schwärmt von den Je­sui­ten­zög­lin­gen, die Blu­men­krän­ze in den Haa­ren tru­gen und lau­bum­wun­de­ne Braut­ker­zen in den Hän­den hiel­ten. Dann folg­ten zu Pfer­de die Mär­ty­rer Ge­org, Mau­ri­ti­us und Ma­ka­ri­us, de­nen eine Schar be­kehr­ter Hei­den nach­ström­te. Die­se Wil­den, un­ter de­nen die Mär­ty­rer ge­lehrt und ge­lit­ten hat­ten, wa­ren wie­der­um von Je­sui­ten­zög­lin­gen dar­ge­stellt und durch al­ler­hand fan­tas­ti­schen Auf­putz, als bun­te Fe­dern, Tü­cher und Fel­le, be­zeich­net. Hier­nach ka­men zu Pfer­de die tri­um­phie­ren­den Tu­gen­den, die Ge­rech­tig­keit, die Ent­halt­sam­keit, die Ge­duld und vie­le an­de­re, de­nen sich wie­der­um geist­li­che Kör­per­schaf­ten an­schlos­sen.

Der Erz­bi­schof sprach halb­laut die Ge­be­te mit, die er für die Pro­zes­si­on vor­ge­schrie­ben hat­te, und ließ die Au­gen sehn­süch­tig durch das ge­öff­ne­te Fens­ter nach dem hell­blau­en Him­mel schwei­fen, an dem hier und da eine leich­te Wol­ke wie eine ro­sen­be­kränz­te Bar­ke mit Ge­sang und Flö­ten­klang hin­schiff­te. Wa­rum, dach­te er, hat­te Gott es ihm nicht ver­gönnt, die­sen Tag zu fei­ern, auf den er sich so sehr ge­freut hat­te? War viel­leicht doch nur ein welt­li­ches Ge­lüs­ten, der Hang, sich auf ei­ner großen Büh­ne vor­zu­stel­len, da­bei tä­tig ge­we­sen? Wie er schon man­ches Mal ge­tan hat­te, ließ er wie­der sein Le­ben an sich vor­über­ge­hen und sann, wo­mit er die Stra­fe Got­tes ver­dient habe, die ihn seit dem Frank­fur­ter Wahl­ta­ge au­gen­schein­lich heim­such­te. Er hat­te frei­lich dem Putz, den Frau­en, der Ta­fel und dem hö­fi­schen Wohl­le­ben mehr ge­frönt, als sei­nem geist­li­chen Stan­de ge­ziemt hät­te; aber er hat­te sich doch stets auf die von sei­nem Beicht­va­ter vor­ge­schrie­be­ne Art mit Gott ver­söhnt. Er hat­te durch al­ler­lei Ver­ord­nun­gen die Un­sitt­lich­keit, die bei sei­nen Un­ter­ta­nen im Schwan­ge war, be­kämpft, hat­te den über­mä­ßi­gen Ge­nuss ge­würz­ter Wei­ne, das üp­pi­ge Tan­zen, die ver­füh­re­ri­sche Mu­sik ver­bo­ten. Sei­nen Ver­wand­ten hat­te er zwar Gü­ter und Ehren in Men­ge zu­ge­wen­det und da­durch die Ei­fer­sucht der Dom­her­ren ge­reizt; aber wenn er sei­ne Nef­fen be­güns­tig­te, so hat­te er auch für ihre Er­zie­hung ge­sorgt und hat­te Ur­sa­che, auf ih­ren Geist und ihr ge­wand­tes We­sen stolz zu sein. Hät­te er die­se lie­bens­wür­di­gen, schö­nen und klu­gen jun­gen Män­ner im Dun­kel las­sen sol­len, um der las­ter­haf­ten Ehre und Hab­gier sei­ner Dom­her­ren zu schmei­cheln? Den­noch, war es die große kör­per­li­che Schwä­che oder die Weh­mut ei­nes kran­ken Her­zens, tra­ten ihm, wenn er die Sum­me sei­nes Le­bens ver­rech­ne­te, Trä­nen in die Au­gen. Wüss­ten es die­je­ni­gen, die ihm Welt­lich­keit und Ge­nuss­sucht vor­war­fen, wie we­nig Glück er ge­nos­sen hat­te! Jene Tage, die er auf Be­fehl sei­nes Beicht­va­ters al­lein im Dome von Tri­er oder in ei­nem Ge­mach sei­nes Schlos­ses, in Ge­bet und Be­trach­tun­gen ver­sun­ken, zu­ge­bracht hat­te, ja, jene Tage wa­ren voll ei­ner rei­chen, kla­ren, in­brüns­ti­gen Glück­se­lig­keit ge­we­sen, wie er sie nie­mals vor­her oder nach­her emp­fun­den hat­te. Es war das Feu­er des Hei­li­gen Geis­tes ge­we­sen, das den ir­di­schen Bal­last in ihm ver­zehrt und ihn em­por­ge­tra­gen hat­te, als kön­ne er die Erde mit dem Fuße von sich sto­ßen.

Der Flü­gel­schlag ei­nes lau­en Win­des weh­te Wel­len der Mu­sik, die die Pro­zes­si­on be­glei­te­te, zu ihm durch das Fens­ter und an sein be­küm­mer­tes Herz, so­dass sei­ne Trä­nen schnel­ler und reich­li­cher flos­sen. Wa­rum konn­te er das hei­te­re Schwe­ben und gren­zen­lo­se Schau­en nicht wie­der er­le­ben, das ihn da­mals so sehr be­glückt hat­te? So­wie er sich eben ein we­nig ver­tieft hat­te, stör­ten ihn Ge­schäf­te und Sor­gen auf, na­ment­lich wie er sei­nem Nef­fen Karl die Nach­fol­ge ver­schaf­fen könn­te und, wenn es nicht ge­län­ge, wel­ches das Los der Met­ter­ni­che nach sei­nem Tode wer­den wür­de. Wür­de der Kai­ser der Ver­diens­te ein­ge­denk blei­ben, die er um ihn hat­te? Es hat­te ja al­les im Rei­che ein so ver­än­der­tes, ver­däch­ti­ges An­se­hen ge­won­nen.

Mit was für Hoff­nun­gen hat­te er im Jah­re 1599 die Kur­wür­de emp­fan­gen, und wie hat­te die da­hin­rau­schen­de Zeit sie kahl ge­macht! Es war ge­ra­de­so, als wäre mit dem Früh­ling sei­nes Le­bens die un­schul­di­ge Lust der gan­zen Mensch­heit ver­bli­chen. Was für Ver­träg­lich­keit und Wohl­wol­len hat­te da­mals noch zwi­schen dem Kai­ser, den Kur- und an­de­ren Fürs­ten be­stan­den!

Bei Jag­den und Ban­ket­ten hat­te man die är­ger­li­chen Glau­bens­dif­fe­ren­zen, den Neid und die Ei­fer­sucht ver­ges­sen. Jetzt grins­ten Ha­der und Hass un­ver­steckt her­vor, die Kriegs­fu­rie saus­te mör­de­risch durch das Reich, al­lent­hal­ben war es Herbst ge­wor­den. Er, das könn­te er vor Got­tes An­ge­sicht be­schwö­ren, hat­te stets nur den Frie­den ge­sucht, und wenn er die Wahl des Ös­ter­rei­chers be­för­dert hat­te, so war es nicht aus Ei­gen­nutz, son­dern des­halb ge­sche­hen, weil er glaub­te, Fer­di­nand wür­de, wie er selbst, die Ge­lin­dig­keit der Schär­fe vor­zie­hen.

Ein Kam­mer­die­ner brach­te eine dün­ne Ha­fer­sup­pe und er­zähl­te, wäh­rend er sie dem Erz­bi­schof ein­löf­fel­te, wie schön die Pro­zes­si­on aus­ge­fal­len sei, wie die Bu­ben in ih­ren Krän­zen zum Ab­küs­sen aus­sä­hen und wie scha­de es sei, dass der Erz­bi­schof nicht da­bei­sein kön­ne.

Ach, sag­te der Erz­bi­schof, er sei jetzt zu alt, sei­nem ein­ge­fal­le­nen Ge­sicht ste­he die Pracht nicht mehr an.

Nun, nun, mein­te der Die­ner, Fürst­li­che Gna­den hät­ten schon et­was ein­ge­packt seit der letz­ten Krank­heit, sei­ne Frau habe auch ge­sagt, es sei jam­mer­scha­de, dass ein so schö­ner Herr so ab­kom­men müs­se; aber wenn er nur erst wie­der es­sen kön­ne, wür­de er auch wie­der bes­ser an­set­zen und rote Ba­cken be­kom­men.

Im Hin­blick auf den be­vor­ste­hen­den Be­such des Arz­tes, sei­ner Nef­fen und ei­ni­ger Her­ren, die Be­richt von der Pro­zes­si­on er­stat­ten soll­ten, ließ sich der Erz­bi­schof Pu­der auf­le­gen und ver­lang­te nach ei­nem Spie­gel. Nein, nein, sag­te der Die­ner, das tau­ge nichts, ein Kran­ker sol­le nicht in den Spie­gel schau­en, er kön­ne leicht et­was an­de­res dar­in er­bli­cken, wie sich denn über­haupt der Böse gern mit Spie­geln zu schaf­fen ma­che.

Der Erz­bi­schof er­hol­te sich noch ein­mal so weit, dass er sich nach Tri­er be­ge­ben konn­te, wur­de aber dort wie­der bett­lä­ge­rig und starb im Sep­tem­ber des­sel­ben Jah­res.

*

Als Fried­rich von der Pfalz gleich nach sei­nem Stur­ze sich um Hil­fe an den Oheim sei­ner Frau, Chris­ti­an IV. von Dä­ne­mark, wand­te, schalt ihn die­ser aus, er hät­te sich mit der böh­mi­schen Re­bel­li­on nicht ein­las­sen sol­len, er sei von al­len Ver­stän­di­gen ge­warnt wor­den; nun das Un­glück da sei, schreie er Ze­ter, ihm ge­sch­ehe recht, und die Räte, die ihn da­hin ge­bracht, ver­dien­ten ge­hängt zu wer­den. In­des­sen, als der Ge­dan­ke des Ca­me­ra­ri­us, es müs­se der kai­ser­lich spa­ni­schen Macht ein nor­di­scher Bund ent­ge­gen­ge­setzt wer­den, von Gu­stav Adolf leb­haft er­grif­fen, sich aus­brei­te­te und Ge­sand­te von Eng­land, Frank­reich und Bran­den­burg ihm vor­stell­ten, er sol­le doch Fried­rich nicht so ganz ver­sto­ßen und der habs­bur­gi­schen Uni­ver­sal­mon­ar­chie zei­tig ent­ge­gen­tre­ten, und als nach der letz­ten Nie­der­la­ge Chris­tians von Hal­ber­stadt, sei­nes Nef­fen, Til­ly un­ge­hin­dert den nie­der­säch­si­schen Kreis über­zog, fing er an, dem Zu­re­den ge­neig­tes Ge­hör zu schen­ken. Er hat­te nun zu dem Bis­tum Bre­men auch An­wart­schaft auf das Bis­tum Hal­ber­stadt be­kom­men, und da er sich der Ein­sicht nicht mehr ver­schlie­ßen konn­te, dass der Kai­ser ihm so gut wie den üb­ri­gen pro­tes­tan­ti­schen Bi­schö­fen die Be­leh­nung ver­sa­gen wür­de, schi­en es ge­ra­ten, sich auf an­de­rem Wege mit Ge­walt in ih­rem Be­sitz zu be­fes­ti­gen. Fuhr er mit sei­ner An­häng­lich­keit an den Kai­ser fort, so ver­dien­te er sich viel­leicht von die­sem doch kei­nen Lohn und lief Ge­fahr, dass Schwe­den sei­ne An­gel in das trü­be Was­ser ließ, sich der ers­ten Rol­le im Nor­den be­mäch­tig­te und die fet­ten Bro­cken er­schnapp­te, wäh­rend er, dem sie zu­kämen, leer aus­gin­ge. Wer kam denn, da die evan­ge­li­schen Reichs­fürs­ten eine aus­län­di­sche Vor­macht brauch­ten, in Be­tracht au­ßer ihm, den Staa­ten und Schwe­den? Es wäre aber, so dach­te er, nicht nur ein großer Ver­lust und Scha­den, son­dern eine un­leid­li­che Uneh­re für ihn ge­we­sen, wenn er sich von ei­nem so viel ge­rin­ge­ren Fürs­ten, um von der staa­ti­schen Re­pu­blik ganz zu schwei­gen, den Rang hät­te ab­lau­fen las­sen.

Nicht mit Un­recht nahm Chris­ti­an an, dass es Gu­stav Adolf mäch­tig lock­te, den Krieg in Deutsch­land zu füh­ren; aber er war doch zu­gleich von al­ler­hand Zwei­feln und Be­den­ken be­wegt. Könn­te er zum Bei­spiel Schwe­den hin­ter sich las­sen, ohne vor dem Dä­nen ge­schützt zu sein, sei es, dass der­sel­be sich am Krie­ge mit be­tei­lig­te oder dass er durch Ver­trä­ge ge­bun­den wür­de? Aber gebe es bin­den­de Ver­trä­ge? Was nütz­ten Ver­trä­ge, wenn der Wil­le da­wi­der sei? Fer­ner kön­ne er den Krieg nicht be­gin­nen, ohne einen fes­ten Platz an der Küs­te des nörd­li­chen Deutsch­lands zu ha­ben, von dem aus er ope­rie­ren kön­ne und der ihm den Rücken si­che­re, etwa im Bre­mi­schen oder in Pom­mern oder Preu­ßen. Was für Neid und Miss­gunst wür­de das aber bei Dä­ne­mark an­fa­chen, ab­ge­se­hen von der Schwie­rig­keit, mit ei­nem gu­ten Schein und leid­li­chen Vor­wand dazu zu ge­lan­gen? Es kön­ne nicht wohl an­ge­hen ohne das Ein­ver­ständ­nis der mäch­tigs­ten nord­deut­schen Reichs­fürs­ten, so­dass sie ihn förm­lich um Bei­stand an­rie­fen. Er woll­te sich nicht wie ein Toll­kopf und Ha­be­nichts, der al­les aufs Spiel setzt, gleich­sam wie in einen un­ge­wis­sen Ab­grund hin­ein­stür­zen, son­dern er woll­te das Haupt ei­ner mäch­ti­gen Koali­ti­on sein, die ihn mit Geld und Trup­pen aus­gie­big un­ter­stütz­te und un­ter sei­ner Di­rek­ti­on die vie­len schwe­ben­den Streit­fra­gen ein­mal gründ­lich zur Ent­schei­dung bräch­te.

Die­sen ge­wal­ti­gen An­sprü­chen ge­gen­über mach­ten na­ment­lich auf Eng­land die be­schei­de­neren Vor­schlä­ge des Dä­nen­kö­nigs einen weit güns­ti­ge­ren Ein­druck; der woll­te nicht so weit aus­grei­fen und die al­ten, ein­mal vor­han­de­nen Spal­tun­gen gänz­lich zum Aus­trag brin­gen, was eine un­ab­seh­ba­re und fan­tas­ti­sche Sa­che sei, son­dern er sah es haupt­säch­lich auf eine teil­wei­se Re­sti­tu­ti­on des Pfalz­gra­fen und auf ein paar nord­deut­sche Bi­stü­mer ab und woll­te zum Zie­le kom­men, in­dem er sich an die Spit­ze des nie­der­säch­si­schen Krei­ses stell­te, zu dem er oh­ne­hin ge­hör­te. Gu­stav Adolf dach­te dar­an, den Krieg von Po­len und Schle­si­en her an­zu­fan­gen, was weit ab­lag und wo­von man sich kei­nen Nut­zen ver­spre­chen konn­te, und sei­ne Kos­ten­ver­an­schla­gung vollends war ex­or­bi­tant und konn­te ihm durch­aus nicht ein­ge­räumt wer­den. Über­haupt ge­noss Kö­nig Chris­ti­an eine all­ge­mei­ne und un­ver­gleich­li­che Hochach­tung, und man trau­te so­wohl sei­ner Weis­heit wie sei­nem Hel­den­mut je­den Er­folg zu. Er hat­te ge­wal­tig in sei­nem Rei­che ru­mort, große Sch­lös­ser und Bau­ten auf­ge­führt, Han­dels­ge­sell­schaf­ten ge­grün­det, das Ge­wer­be an­ge­feu­ert und ein ste­hen­des Heer er­rich­tet; es er­reg­te Stau­nen und Be­wun­de­rung an al­len Hö­fen, wie er das mo­der­ne We­sen in Dä­ne­mark so rüs­tig in die Höhe trieb und kein Geld da­bei scheu­te. Dazu war er eine ma­je­stä­ti­sche Per­son von großem Un­ge­stüm, ge­gen den sich nie­mand ei­nes ke­cken Wor­tes un­ter­fan­gen hät­te. Man er­zähl­te sich, dass sei­ne Mut­ter, wenn sie ihn als Kind ge­kämmt hät­te, Fun­ken aus sei­nem Haar hät­te sprin­gen se­hen, und es soll­te auch ein Meer­weib mit sei­ner Ge­burt ver­floch­ten ge­we­sen sein, in­dem es die­sel­be ei­nem durch wun­der­li­che Schi­ckung an der Küs­te wei­len­den Bau­ern pro­phe­zeit hät­te.

Bei dem all­ge­mei­nen Zu­trau­en und der Be­wun­de­rung, die Chris­ti­an ent­ge­gen­ge­bracht wur­den, und in An­be­tracht der hand­li­che­ren Plä­ne, auf die er sein Un­ter­neh­men be­grün­den woll­te, schi­en es den geld­steu­ern­den Mäch­ten bes­ser, es mit ihm zu ver­su­chen, ohne je­doch des­we­gen Gu­stav Adolf ganz von der Hand zu wei­sen; aber die­ser zog sich, da sei­ne Vor­schlä­ge nicht un­be­dingt an­ge­nom­men wur­den, zu­rück, in­dem er dem Kö­nig von Dä­ne­mark in herz­li­chen Wor­ten Glück und Er­folg zu sei­nem groß­mü­ti­gen Vor­ha­ben wünsch­te.

Ei­nes Ta­ges er­schi­en Chris­ti­an IV. beim Abend­bier, das er mit ei­ni­gen vom Adel, die er ge­ra­de be­güns­tig­te, ein­zu­neh­men pfleg­te, in ei­ner neu­en, auf sei­ne be­son­de­re An­wei­sung ver­fer­tig­ten, herr­lich ge­ätz­ten und or­na­men­tier­ten Rüs­tung. Den Helm, der mit ei­nem großen Fe­der­busch ver­se­hen war, trug er un­ter dem Arm, da­mit das schön in Lo­cken ge­brann­te Haar zu se­hen wäre; ein Teil des­sel­ben war über dem lin­ken Ohr in einen lan­gen, dün­nen Zopf ge­floch­ten und an der Spit­ze mit ei­ner sei­de­nen Schlei­fe zu­ge­bun­den, von der eine un­ge­wöhn­lich große Per­le her­un­ter­bau­mel­te. Die Her­ren um­ring­ten ihn stau­nend und rüh­mend, und ein Ahle­feld sag­te, er habe ge­glaubt, der Gott Mars lie­ße sich her­ab, als der Kö­nig da­her­ge­stie­gen sei, und ein je­der müs­se bil­li­ger­wei­se wün­schen, die Göt­tin Ve­nus sein und ei­nes sol­chen olym­pi­schen Fürs­ten ge­nie­ßen zu dür­fen.

Nein, er habe die Rüs­tung nicht zu ei­nem Lie­bes­tur­nier ma­chen las­sen, sag­te der Kö­nig lä­chelnd; sie hät­ten ja­wohl ver­nom­men, mit was für krie­ge­ri­schen Plä­nen er um­ge­he und wie er die ver­scho­be­ne Jus­tiz im Rei­che wie­der ins Gleich­ge­wicht brin­gen wol­le.

Ob es wirk­lich be­schlos­se­ne Sa­che sei? frag­ten die Her­ren ju­belnd. Ob es los­ge­he, und wie bald?

Ja, jetzt hei­ße es, sag­te Chris­ti­an schlau, auf­mer­ken und sich nicht über­lis­ten las­sen. Die­weil er in Deutsch­land den Glau­ben und die Li­ber­tät be­schir­me, kön­ne ihm das schwe­di­sche Wölf­lein über sei­ne Scha­fe kom­men, er wis­se mehr als eine gute Stadt am Mee­re, die ihm gern das Pfört­lein öff­ne­te. Ent­we­der der Schwe­de müs­se in Po­len fest­sit­zen oder mit ihm ge­mei­ne Sa­che ma­chen, sonst zie­he er nicht aus, er sei kein al­ber­ner Bau­er, der ei­ner ver­schlepp­ten Gans nach­lau­fe und un­ter­des­sen sei­nen Stall ver­bren­nen las­se.

Ach, es wäre aber doch schön, wenn es Krieg gäbe, sag­te Bro­cken­hu­us, sie hät­ten gar kei­ne Kurzweil, und man müs­se sich ein­mal wie­der recht aus­lüf­ten.

»Wenn ich euch nun ge­gen Schwe­den führ­te?« sag­te Chris­ti­an, mit den Au­gen zwin­kernd. »Es wäre da noch manch ein Hühn­lein zu rup­fen.«

Da­mit wäre er wohl ein­ver­stan­den, sag­te Rant­zau leb­haft, denn Gu­stav Adolf sol­le ja ein un­ver­gleich­li­cher Kriegs­held sein, es wäre eine Ehre, sich mit ei­nem sol­chen zu mes­sen; an­de­rer­seits wäre er noch nie im Reich ge­we­sen, und es müs­se auch ein be­son­de­res Ver­gnü­gen sein, die Päpst­li­chen zu be­kämp­fen.

Die­se Mei­nungs­äu­ße­rung be­rich­tig­te Chris­ti­an ein we­nig, in­dem er ers­tens sag­te, Gu­stav Adolf habe frei­lich wie alle Wasa ein un­ru­hi­ges Blut und einen un­ru­hi­gen Ma­gen; aber es gebe schon Leu­te, die ihm ge­wach­sen wä­ren, Rant­zau sol­le da­für nur ihn, den Kö­nig, sor­gen las­sen, er ver­ste­he doch ein we­nig mehr vom Kriegs­we­sen als der jun­ge Mann in Schwe­den. Den Glau­bens­krieg be­tref­fend, so sei das Papst­tum frei­lich ein Gräu­el, aber sein Nef­fe, der Pfäl­zer, dem er durch­aus hel­fen sol­le, sei ein Kal­vi­ner, und die Kal­vi­ner sei­en nicht ein­mal rech­te Chris­ten, also stin­ke es an dem Ort fast noch üb­ler als in der ka­tho­li­schen Kir­che.

Der Kö­nig möge ihm ver­zei­hen, sag­te Rant­zau schüch­tern, so viel er wis­se, sei­en die Kal­vi­ner auch Chris­ten, und so­gar evan­ge­li­sche, nur dass sie al­les für vor­aus­be­stimmt hiel­ten; aus dem Grun­de fürch­te­ten sie sich we­ni­ger als an­de­re, weil sie däch­ten, es kom­me doch, wie es kom­me, sie möch­ten es an­stel­len, wie sie woll­ten.

Ja­wohl, er­wi­der­te Chris­ti­an scharf, das hei­ße eben an die heid­nische Fa­ta­li­tät glau­ben, wie er ge­sagt habe. Zwi­schen Pa­pis­ten und Luthe­r­a­nern sei der Un­ter­schied, dass jene den Papst zum Haup­te hät­ten, die­se den Luther, üb­ri­gens sei­en sie Chris­ten, die Kal­vi­ner aber er­kenn­ten gar kein Haupt an und hät­ten auch kein rech­tes Abend­mahl, eben weil sie glaub­ten, man rich­te da­mit doch nichts aus. Ob er, der jun­ge Rant­zau, sich für den rech­ten Mann hal­te, sei­nen Kö­nig in der Re­li­gi­on zu un­ter­rich­ten? Er habe Lust, ihn als Pro­phe­ten ins Reich zu schi­cken, viel­leicht kön­ne er den Kai­ser über­re­den, dass er den Kur­fürs­ten von der Pfalz wie­der in Gna­den an­neh­me.

Hier­über er­hob sich ein dröh­nen­des Ge­läch­ter, wäh­rend der jun­ge Rant­zau er­rö­te­te; dann wur­de ge­sagt, es wer­de dem Kö­ni­ge ein ewi­ger Ruhm sein, wenn er den Til­ly aufs Haupt schlü­ge, von dem es hei­ße, er sei un­be­sieg­bar, weil er sich nie be­rauscht und nie ein Weib an­ge­rührt habe.

Der Kö­nig, wel­cher das noch nicht ge­hört hat­te, lach­te un­mä­ßig: so wäre er kein Mann, son­dern ein Weib, und so wäre ein Weib un­be­sieg­bar! Er hät­te nie an­ders ge­wusst, als dass drei Din­ge ei­nem Hel­den zu­kämen: ein vol­ler Bu­sen, ein vol­ler Be­cher und ein trie­fen­des Schwert. Er möch­te den neu­mo­di­schen Hel­den Til­ly wohl ein we­nig kit­zeln, das dä­ni­sche Schwert rei­che ja über den Sund.

In der dä­ni­schen Bür­ger­schaft war der Krieg nicht so gern ge­se­hen wie bei den Jun­gen vom Adel; vollends eine Er­schwe­rung war es aber, dass ein Teil der nie­der­säch­si­schen Stän­de, die ja den Kö­nig zu ih­rem Feld­haupt­mann ma­chen soll­ten, kei­nen Mut zu of­fe­ner Feind­se­lig­keit ge­gen den Kai­ser hat­ten und nicht mer­ken durf­ten, wor­auf die Rüs­tung ei­gent­lich ab­ziel­te, oder we­nigs­tens in der Lage sein woll­ten, so zu tun, als ob sie nichts da­von merk­ten.