Landgraf Moritz kehrte vom Begräbnis seiner Tochter Elisabeth, die mit dem Herzog von Mecklenburg verheiratet gewesen war, voll bitterer Gedanken nach Kassel zurück. Am liebsten, dachte er, würde er so weiter reiten bis an der Welt Ende, wo die Wüste des leeren Raumes und die ewige Nacht wäre. Der blaue Himmel und das grelle Licht bedeutete ihm nicht mehr als das Gaukelspiel eines Marktschreiers, gut genug für die Affen und Schweine, die sich auf dem Jahrmarkt des Lebens berauschen wollen. Nun seines Mädchens Augen sich für immer von der Welt weggewendet hatten, ekelte sie ihn doppelt. Wenn ihr Kopf still an seinem Herzen ruhte, so ruhte auch sein Herz; jetzt war Friede für ihn nur außer den Sinnen. Vielleicht, dachte er, lebte sie noch, wenn er sie nicht mit dem immer biervollen Mecklenburger verheiratet hätte, an dessen Seite sie sich so verlassen gefühlt hatte. Warum hatte er es doch getan? Ja, es hatte sie kein anderer wollen, weil sie ihn, den Vater, fürchteten, der in Ungnade beim Kaiser war, über dem die Acht schwebte und der sie alle durchschaute und verachtete. Freilich, wie hätten sie auch sein Kind, seine Elisabeth, lieben können, die nichts als rein, klug, gut und holdselig war? Sie war kein feiles Weib, das seinen Busen auslegte, lüsterne Blicke nach Männern auswarf und sich wie eine Mänade der rohen Ausgelassenheit von Satyrn preisgab; eine Rose aus dem Paradiese war sie, dürstend nach dem Lichte der Liebe und dem Hauch des Geistes. So mochte es göttliches Verhängnis sein, dass sie so früh hingegangen war; vielleicht konnte er nun freier nach seiner Einsicht handeln, da ihn nichts mehr band, nichts mehr verpflichtete. Nun sollte seine einzige Aufgabe sein, sein Recht zu erringen; denn was er einst gewollt hatte, dem Reiche Gottes auf Erden den Boden bereiten, Dummheit, Aberglauben und Roheit ausrotten, dazu hatten ihm seine aufgebrachten Gegner schon die Macht genommen, sodass er nur noch um sein Dasein kämpfen konnte.
Vor Kassel empfing ihn sein Kanzler Wolfgang Günther, ehemals Syndikus1 von Paderborn, den Moritz nach der gewaltsamen Unterjochung und Katholisierung dieser Stadt durch den Bischof bei sich aufgenommen und zu seinem Geschäftsführer und Berater gemacht hatte. In ihm hatte er einen Mann gefunden, der große Ideen fassen und kühne Pläne, sie zu verwirklichen, entwerfen konnte, der nicht das Zufällige, sondern das Wesentliche sah. Dieser hatte ihm gezeigt, dass er niemals Kraft würde entfalten können, solange der Adel als eine schmarotzende Pflanze seinen Stamm umstrickte und ihn aussaugte. Umsonst arbeite das Volk, sammle sein Wurzelnetz Vorrat aus der Erde; bevor er noch die Krone des Baumes bilden könne, entziehe ihm der anhaftende Schwamm mit tausend Polypenrüsseln die Nahrung. Günther wies ihm nach, wie viel Bauern der Adel schon unter seine Herrschaft gebracht habe und wie er den Landgrafen allmählich zu einem Fürsten ohne Volk machen werde; wie er die Militärpflicht weder selbst leisten noch durch Geld ersetzen wolle und sich also der einzigen Pflicht gegen das gemeine Wesen entledigt habe, wie er gleich einem Vampir nur vom Blute der anderen lebe. Er zeigte ihm, wie die Bürgerschaft und die noch freien Bauern ihm ergeben wären und wie er aus ihnen sich ein starkes, treues Heer schaffen könne, das stets bereit sein würde, sein Vaterland zu verteidigen. Die Schritte, die der Landgraf tat, sich durch Errichtung eines Bürgerheeres vom Adel unabhängig zu machen, erbitterten die Ritterschaft bis zu offener Widersetzlichkeit, zur Weigerung der üblichen Geldbeiträge und zum Anschluss an Tilly, wodurch sich bei der schon bestehenden Schuldenlast der gänzliche Zusammenbruch des kleinen Landes vorbereitete.
Ob es den Landgrafen nicht freue, sagte Günther, wie herzlich er in seiner Hauptstadt begrüßt werde? Er habe inzwischen oft mit den Bürgern, Vorstehern, Zunftmeistern und Ältesten gesprochen und überall so viel Liebe und Hingebung an den Landgrafen gefunden wie Hass gegen die Verräter, die den papistischen Tilly mit seinen Kroaten ins Land gezogen hätten.
Ja, der rechtschaffene Bürger und Bauer verstehe ihn, sagte Moritz; aber was das jetzt helfe, nachdem Tilly schon einen Fuß im Lande habe? Nun, er wolle redlich kämpfen, und wenn er unterliege, mit ihm, Günther, nach Holland oder Genf auswandern, wo er einsam, den Blick auf die Letzten Dinge gerichtet, den Tod erwarten könne.
Dazu sei es noch zu früh, sagte Günther; wolle der Landgraf nur den Entschluss fassen und sich mit den Feinden des Kaisers offen verbinden, so könne eine solche Union dem Papismus vielleicht Trotz bieten. Komme es aber zum Äußersten, so getröste er sich der Gerechtigkeit des Landgrafen, dass er die Hand nicht von ihm abziehe, sondern ihn beschütze, damit er nicht das Ende des unglücklichen Bürgermeisters von Paderborn, seines Freundes, erleiden müsse, dem die triumphierenden Feinde das zuckende Herz aus dem aufgeschnittenen Leibe gerissen hätten.
Ja, so möchten sie wohl ihm, Günther, an seiner Statt mitspielen, sagte der Landgraf.
Dass es sie nach seinem Blute gelüste, wisse er, sagte Günther. Kürzlich sei er durch einen Wald geritten, der dem Eitel von Berlepsch gehöre und in welchem er eben gejagt habe. Da sei er auf einem engen Pfade mit dem Berlepsch zusammengetroffen, und der habe ihn geschimpft, weil er sein Jagdgebiet betrete, und ihn festnehmen lassen wollen. Er habe den Berlepsch fest angesehen und gesagt, er sei kein Wilderer, sondern der Kanzler des Landgrafen und in dessen Auftrage unterwegs. Da habe der Berlepsch wölfische Blicke auf ihn geworfen und gesagt, er solle achtgeben, dass er ihm nicht wieder ins Gehege komme; es gebe ein Gesetz, wonach man den Jagdfrevler nackt auf ein wildes Pferd binde und so in den Wald jage.
Sie waren mittlerweile vor dem Schlosse angekommen und stiegen von den Pferden. Er sei zwar nicht viel mehr als ein Bettler, sagte Moritz, aber doch noch Manns genug, einen treuen Diener und Freund zu schützen.
Er fürchte nichts und niemand, sagte Günther, wenn es gelte, seine Pflicht zu tun; aber er müsste ein Narr sein, wenn er als ein einzelner ohne Nutzen sich einer Horde blutgieriger Wölfe aussetzen wollte.
Der Landgraf reichte Günther seine magere Hand und sagte, er, Günther, habe sein Mannes- und Fürstenwort, dass er ihn niemals im Stiche lassen oder preisgeben werde. Sein Land sei ihm durch Falschheit und Ränke fast ganz geraubt, nicht seine Ehre; mit dem Pfande könne Günther ruhig schlafen.
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