15.

Land­graf Mo­ritz kehr­te vom Be­gräb­nis sei­ner Toch­ter Eli­sa­beth, die mit dem Her­zog von Meck­len­burg ver­hei­ra­tet ge­we­sen war, voll bit­te­rer Ge­dan­ken nach Kas­sel zu­rück. Am liebs­ten, dach­te er, wür­de er so wei­ter rei­ten bis an der Welt Ende, wo die Wüs­te des lee­ren Rau­mes und die ewi­ge Nacht wäre. Der blaue Him­mel und das grel­le Licht be­deu­te­te ihm nicht mehr als das Gau­kel­spiel ei­nes Markt­schrei­ers, gut ge­nug für die Af­fen und Schwei­ne, die sich auf dem Jahr­markt des Le­bens be­rau­schen wol­len. Nun sei­nes Mäd­chens Au­gen sich für im­mer von der Welt weg­ge­wen­det hat­ten, ekel­te sie ihn dop­pelt. Wenn ihr Kopf still an sei­nem Her­zen ruh­te, so ruh­te auch sein Herz; jetzt war Frie­de für ihn nur au­ßer den Sin­nen. Vi­el­leicht, dach­te er, leb­te sie noch, wenn er sie nicht mit dem im­mer bier­vol­len Meck­len­bur­ger ver­hei­ra­tet hät­te, an des­sen Sei­te sie sich so ver­las­sen ge­fühlt hat­te. Wa­rum hat­te er es doch ge­tan? Ja, es hat­te sie kein an­de­rer wol­len, weil sie ihn, den Va­ter, fürch­te­ten, der in Un­gna­de beim Kai­ser war, über dem die Acht schweb­te und der sie alle durch­schau­te und ver­ach­te­te. Frei­lich, wie hät­ten sie auch sein Kind, sei­ne Eli­sa­beth, lie­ben kön­nen, die nichts als rein, klug, gut und hold­se­lig war? Sie war kein fei­les Weib, das sei­nen Bu­sen aus­leg­te, lüs­ter­ne Bli­cke nach Män­nern aus­warf und sich wie eine Mä­na­de der ro­hen Aus­ge­las­sen­heit von Sa­tyrn preis­gab; eine Rose aus dem Pa­ra­die­se war sie, dürs­tend nach dem Lich­te der Lie­be und dem Hauch des Geis­tes. So moch­te es gött­li­ches Ver­häng­nis sein, dass sie so früh hin­ge­gan­gen war; viel­leicht konn­te er nun frei­er nach sei­ner Ein­sicht han­deln, da ihn nichts mehr band, nichts mehr ver­pflich­te­te. Nun soll­te sei­ne ein­zi­ge Auf­ga­be sein, sein Recht zu er­rin­gen; denn was er einst ge­wollt hat­te, dem Rei­che Got­tes auf Er­den den Bo­den be­rei­ten, Dumm­heit, Aber­glau­ben und Ro­heit aus­rot­ten, dazu hat­ten ihm sei­ne auf­ge­brach­ten Geg­ner schon die Macht ge­nom­men, so­dass er nur noch um sein Da­sein kämp­fen konn­te.

Vor Kas­sel emp­fing ihn sein Kanz­ler Wolf­gang Gün­ther, ehe­mals Syn­di­kus1 von Pa­der­born, den Mo­ritz nach der ge­walt­sa­men Un­ter­jo­chung und Ka­tho­li­sie­rung die­ser Stadt durch den Bi­schof bei sich auf­ge­nom­men und zu sei­nem Ge­schäfts­füh­rer und Be­ra­ter ge­macht hat­te. In ihm hat­te er einen Mann ge­fun­den, der große Ide­en fas­sen und küh­ne Plä­ne, sie zu ver­wirk­li­chen, ent­wer­fen konn­te, der nicht das Zu­fäl­li­ge, son­dern das We­sent­li­che sah. Die­ser hat­te ihm ge­zeigt, dass er nie­mals Kraft wür­de ent­fal­ten kön­nen, so­lan­ge der Adel als eine schma­rot­zen­de Pflan­ze sei­nen Stamm um­strick­te und ihn aus­saug­te. Um­sonst ar­bei­te das Volk, samm­le sein Wur­zel­netz Vor­rat aus der Erde; be­vor er noch die Kro­ne des Bau­mes bil­den kön­ne, ent­zie­he ihm der an­haf­ten­de Schwamm mit tau­send Po­ly­pen­rüs­seln die Nah­rung. Gün­ther wies ihm nach, wie viel Bau­ern der Adel schon un­ter sei­ne Herr­schaft ge­bracht habe und wie er den Land­gra­fen all­mäh­lich zu ei­nem Fürs­ten ohne Volk ma­chen wer­de; wie er die Mi­li­tär­pflicht we­der selbst leis­ten noch durch Geld er­set­zen wol­le und sich also der ein­zi­gen Pf­licht ge­gen das ge­mei­ne We­sen ent­le­digt habe, wie er gleich ei­nem Vam­pir nur vom Blu­te der an­de­ren lebe. Er zeig­te ihm, wie die Bür­ger­schaft und die noch frei­en Bau­ern ihm er­ge­ben wä­ren und wie er aus ih­nen sich ein star­kes, treu­es Heer schaf­fen kön­ne, das stets be­reit sein wür­de, sein Va­ter­land zu ver­tei­di­gen. Die Schrit­te, die der Land­graf tat, sich durch Er­rich­tung ei­nes Bür­ger­hee­res vom Adel un­ab­hän­gig zu ma­chen, er­bit­ter­ten die Rit­ter­schaft bis zu of­fe­ner Wi­der­setz­lich­keit, zur Wei­ge­rung der üb­li­chen Geld­bei­trä­ge und zum An­schluss an Til­ly, wo­durch sich bei der schon be­ste­hen­den Schul­den­last der gänz­li­che Zu­sam­men­bruch des klei­nen Lan­des vor­be­rei­te­te.

Ob es den Land­gra­fen nicht freue, sag­te Gün­ther, wie herz­lich er in sei­ner Haupt­stadt be­grüßt wer­de? Er habe in­zwi­schen oft mit den Bür­gern, Vor­ste­hern, Zunft­meis­tern und Äl­tes­ten ge­spro­chen und über­all so viel Lie­be und Hin­ge­bung an den Land­gra­fen ge­fun­den wie Hass ge­gen die Ver­rä­ter, die den pa­pis­ti­schen Til­ly mit sei­nen Kroa­ten ins Land ge­zo­gen hät­ten.

Ja, der recht­schaf­fe­ne Bür­ger und Bau­er ver­ste­he ihn, sag­te Mo­ritz; aber was das jetzt hel­fe, nach­dem Til­ly schon einen Fuß im Lan­de habe? Nun, er wol­le red­lich kämp­fen, und wenn er un­ter­lie­ge, mit ihm, Gün­ther, nach Hol­land oder Genf aus­wan­dern, wo er ein­sam, den Blick auf die Letz­ten Din­ge ge­rich­tet, den Tod er­war­ten kön­ne.

Dazu sei es noch zu früh, sag­te Gün­ther; wol­le der Land­graf nur den Ent­schluss fas­sen und sich mit den Fein­den des Kai­sers of­fen ver­bin­den, so kön­ne eine sol­che Uni­on dem Pa­pis­mus viel­leicht Trotz bie­ten. Kom­me es aber zum Äu­ßers­ten, so ge­trös­te er sich der Ge­rech­tig­keit des Land­gra­fen, dass er die Hand nicht von ihm ab­zie­he, son­dern ihn be­schüt­ze, da­mit er nicht das Ende des un­glück­li­chen Bür­ger­meis­ters von Pa­der­born, sei­nes Freun­des, er­lei­den müs­se, dem die tri­um­phie­ren­den Fein­de das zu­cken­de Herz aus dem auf­ge­schnit­te­nen Lei­be ge­ris­sen hät­ten.

Ja, so möch­ten sie wohl ihm, Gün­ther, an sei­ner Statt mit­spie­len, sag­te der Land­graf.

Dass es sie nach sei­nem Blu­te ge­lüs­te, wis­se er, sag­te Gün­ther. Kürz­lich sei er durch einen Wald ge­rit­ten, der dem Ei­tel von Ber­lepsch ge­hö­re und in wel­chem er eben ge­jagt habe. Da sei er auf ei­nem en­gen Pfa­de mit dem Ber­lepsch zu­sam­men­ge­trof­fen, und der habe ihn ge­schimpft, weil er sein Jagd­ge­biet be­tre­te, und ihn fest­neh­men las­sen wol­len. Er habe den Ber­lepsch fest an­ge­se­hen und ge­sagt, er sei kein Wil­de­rer, son­dern der Kanz­ler des Land­gra­fen und in des­sen Auf­tra­ge un­ter­wegs. Da habe der Ber­lepsch wöl­fi­sche Bli­cke auf ihn ge­wor­fen und ge­sagt, er sol­le acht­ge­ben, dass er ihm nicht wie­der ins Ge­he­ge kom­me; es gebe ein Ge­setz, wo­nach man den Jagd­frev­ler nackt auf ein wil­des Pferd bin­de und so in den Wald jage.

Sie wa­ren mitt­ler­wei­le vor dem Schlos­se an­ge­kom­men und stie­gen von den Pfer­den. Er sei zwar nicht viel mehr als ein Bett­ler, sag­te Mo­ritz, aber doch noch Manns ge­nug, einen treu­en Die­ner und Freund zu schüt­zen.

Er fürch­te nichts und nie­mand, sag­te Gün­ther, wenn es gel­te, sei­ne Pf­licht zu tun; aber er müss­te ein Narr sein, wenn er als ein ein­zel­ner ohne Nut­zen sich ei­ner Hor­de blut­gie­ri­ger Wöl­fe aus­set­zen woll­te.

Der Land­graf reich­te Gün­ther sei­ne ma­ge­re Hand und sag­te, er, Gün­ther, habe sein Man­nes- und Fürs­ten­wort, dass er ihn nie­mals im Sti­che las­sen oder preis­ge­ben wer­de. Sein Land sei ihm durch Falsch­heit und Rän­ke fast ganz ge­raubt, nicht sei­ne Ehre; mit dem Pfan­de kön­ne Gün­ther ru­hig schla­fen.


  1. Rechts­bei­stand  <<<