Ende Oktober zog Tilly vor die Stadt Hannover und forderte sie auf, kaiserliche Besatzung einzunehmen, die sie vor den heranrückenden Dänen schützen würde. Sogleich versammelten sich die Ratsherren, unter denen ein gewisser Borkmann, ein alter weißhaariger Mann, der angesehenste war, auf dem Stadthause und beschlossen, dem Tilly zu willfahren, indem man dem Kaiser Gehorsam schuldig und von dem Dänenkönig nichts Gutes zu erwarten sei. Indessen war aber Herzog Johann Ernst von Weimar, der in dänischen Diensten stand, mit seinem Regiment vor die Stadt gerückt, erzwang sich mit einigen Adjutanten und Kommissaren Einlass und kam selbst auf das Stadthaus: er habe gehört, sagte er, dass sie mit dem Kaiser parlamentierten; das könne er nicht dulden, verlange vielmehr, dass sie augenblicklich eine dänische Garnison aufnähmen. Die Ratsherren ersuchten ihn, in einer anderen Stube die Entscheidung zu erwarten; sie hätten nichts Feindseliges gegen den Dänenkönig im Sinne, jedoch würden sie sich des offenen Ungehorsams gegen den Kaiser schuldig machen, wenn sie sich mit ihm einließen, da er doch Krieg gegen den Kaiser führe. Das sei nicht wahr, brauste Johann Ernst auf, Christian IV. sei Direktor des niedersächsischen Kreises, der sich gegen Mansfeld in Defension gesetzt habe, was Tilly erst in Kaisers Namen vom Kreise verlangt habe und was er ihm nun mit üblicher jesuitischer Zweizüngigkeit vorrücke und aufmutze. Die Frage sei, ob sie evangelisch oder katholisch sein wollten, und er wisse wohl, dass viele in der Stadt mit den Papisten liebäugelten.
Wenn er etwa auf ihn ziele, sagte Borkmann, so könne er bei Gott schwören, dass er seinem Glauben treu anhänge. Es sei ihm aber nicht bekannt, dass es sich um den Glauben handle; denn dergleichen Forderungen seien noch nie an sie erhoben worden, wie man auch von Ausrottung der Religion nirgendwo gehört habe, wohin Tilly gekommen sei.
Als Tilly von diesem Streit hörte, schickte er einen Brief an den Rat des Inhalts, wer spargiere, dass er den lutherischen Glauben ausrotten wolle, tue das aus List, um das blindgläubige Volk gegen den Kaiser aufzuhetzen. Man möge sich erkundigen, ob er irgendwo die Bekenner der Augsburgischen Konfession in ihrem Gottesdienste gestört oder ob er sie nicht vielmehr gegen die oft irregeleitete und unverständige Soldateska geschützt habe. Er versichere nochmals, dass er einen jeden bei seinem Recht lassen, insbesondere geistliche Personen vor Einquartierung und Schaden jeder Art behüten werde, damit der Dienst der Notleidenden und Kranken, überhaupt aller derer, die des Trostes der Religion bedürftig wären, keine Unterbrechung leide.
Inzwischen hatte Johann Ernst auch nicht gefeiert, sondern sich auf der Straße gezeigt und in den Zünften ansagen lassen, wie der Rat und die Herren, die auf ihren Geldsäcken sitzen, sie verraten und die Jesuiten und Spanier in die Stadt locken wollten. Sie sollten sich zu ihm halten, er sei ein deutscher Fürst, der für die Freiheit und den Glauben leben und sterben wolle; wenn sie ihm folgten, würden sie eines guten Gewissens auf Erden und der ewigen Seligkeit im Himmel gewiss sein. Darauf gab es einen solchen Krawall in den Straßen, dass einem Teil der Ratsherren bange wurde; auch meinten sie, es könne doch wahr sein, dass Tilly sie ins Garn locken wolle, wie es nun einmal jesuitische Art sei, und dass sie am Ende das Trojanische Pferd in ihre Mauern zögen. Man wisse ja, wie es in Böhmen gegangen sei.
Böhmen und Österreich seien die Erblande des Kaisers, da könne der Kaiser nach Belieben schalten, sagte Borkmann, in reichsfürstlichen Landen müsse er die bestehenden Freiheiten respektieren. Ach, sie sollten ihm doch glauben und sich nicht mit den Dänen einlassen, daraus würde unendliches Blutvergießen und zuletzt der Untergang aller hervorgehen.
Während noch so hin und her gehandelt wurde, drangen mehrere dänische Fähnlein mit Hilfe der Bürger in die Stadt und quartierten sich ein, ohne dass der Rat es zu hindern vermocht hätte.
Johann Ernst hoffte Tilly auch aus dem Schlosse Kalenberg, das er besetzt hatte, zu vertreiben und plante zu diesem Zwecke einen nächtlichen Überfall, der jedoch infolge unglücklicher Zufälle nicht zur richtigen Ausführung kam. Um die einsame Windmühle bei Seelze pfiff die herbstliche Mitternacht, als Herzog Friedrich von Altenburg, nachdem er mehrere Stunden lang auf das Kommando zum Angriff gewartet hatte, heimzugehen beschloss. Die Leute sollten sich wieder in ihre Quartiere begeben, befahl er, auch er wolle sich schlafen legen. Müde und voll verdrießlicher Gedanken ritt er nach Seelze, wo er wohnte, zurück. Warum war aus dem Angriff nichts geworden, hatte er die Truppen umsonst ermüden müssen? Er dachte, dass es Johann Ernst doch wohl an der gehörigen Umsicht fehle; oder hatte Obentraut, sein unmittelbarer Vorgesetzter, der Generalleutnant der Kavallerie, schuld? Obentraut war immer zu rasch und zu sicher; er reizte ihn, Herzog Friedrich, durch seine beständige Munterkeit. Freilich wusste er nichts von den Qualen, die ihn, seit er lebte, verfolgten. Hässliche schwarze Bilder tauchten vor ihm auf; er dachte an seine Mutter, eine Prinzessin von Pfalz-Neuburg, die, an Melancholie erkrankt, in Zurückgezogenheit lebte, nach der er als verlassenes Kind so oft verlangt hatte und deren gespannter Blick und schweres Seufzen ihn ängstigten und schreckten, wenn er bei ihr war; an die Jahre, die er am Hofe von Dresden in Gesellschaft seiner Vettern von Weimar verlebt hatte, die ihm vorwarfen, er suche sich die Zuneigung des verhassten Oheims, Johann Georgs, zu erschmeicheln. Dann dachte er an seinen Bruder, den regierenden Herzog, der es gut hatte und heiraten konnte und der ihn nicht einmal mit genügend Geld versorgte; dann an die gehässigen, verleumderischen Anklagen, deren Zielscheibe er war. Kürzlich während eines Streites, der beim Bankett entstanden war, hatte ihn der Hofmarschall von Rantzau einen Wortbrüchigen gescholten, weil er bei der Entlassung aus österreichischer Gefangenschaft geschworen habe, nie mehr das Schwert gegen den Kaiser zu führen, und es nun doch tue. Obentraut hatte durch seine Dazwischenkunft den Zweikampf verhindert, den Herzog Friedrich aber doch nicht aufgegeben hatte; denn konnte er seine Ehre kränken lassen, ohne sich zu rächen? Abgesehen davon, dass der Eid erzwungen zu nennen war, kämpfte er ja nicht gegen den Kaiser, sondern hatte Dienst beim König von Dänemark angenommen, der mit Bewilligung des Kaisers Oberster des niedersächsischen Kreises geworden und jetzt von dem ligistischen General Tilly angegriffen worden war. Wie konnte ein dänischer Adliger sich erkühnen, ehrverletzende Reden gegen einen deutschen Reichsfürsten zu führen, und wie konnte Obentraut einen deutschen Reichsfürsten hindern wollen, dass er einen Ehrabschneider strafe? Seine Ungeduld, das Blut des Beleidigers zu vergießen, würgte an seinem Herzen, als ob er ersticken müsse. War es der Böse, der ihm die düsteren Gedanken einblies, vor denen ihm selbst graute? Es war ihm, als ritte der Satan hinter ihm her über die Stoppelfelder, von einem schwarzen Mantel umsaust, der die Welt verdunkelte, und griffe mit zischender Kralle nach ihm. Als er sich entsetzt umwendete, sah er seinen Stallmeister, der, bei Namen gerufen, auffuhr und lachend sagte, er sei im Reiten eingeschlafen.
Sie waren inzwischen beim Quartier angekommen, und nachdem sich Friedrich von seinem Stallmeister die Stiefel hatte ausziehen lassen, warf er sich in den Kleidern aufs Bett und schlief augenblicklich ein. Kaum eine Viertelstunde später kam ein Eilbote von den Vorposten mit der Nachricht, die Tillyschen ständen bei Pattensen, es tue höchste Eile not. Friedrich schickte Botschaft an Obentraut und Johann Ernst; in einem Augenblick hatte er seine Stiefel angezogen, Alarm wurde geblasen, der Boden bebte vom Galopp der fliegenden Reiter. Wie schwarze Wolken vor dem Sturme jagten sie über die Heide; Friedrich fühlte keine Müdigkeit noch Traurigkeit mehr, es war ihm plötzlich überaus wohl zumute. Mit dem ersten Angriff warf die Reiterei das Tillysche Regiment zurück; aber wie es gesammelt wieder vorrückte, wurde Friedrich durch eine Kugel im Unterleib verwundet. Er empfand einen Schmerz; aber der Schmerz sowie alles, was er wahrnahm, schien weit von ihm fort zu sein. Er sah seinen Stallmeister, der ihn auf dem Pferde stützte, ein schwarzes Wasser und eine Brücke, die mit hölzernen Fingern zu winken schien, und fremde Reiter, die fragten, wer er sei und ob er sich ergeben wolle. Wie er sich bemühte, mit dem Kopfe zu nicken, sah er, dass einer der Reiter sich plötzlich vorbeugte, um ihm ins Gesicht zu sehen, und dass er, indem er rief: »Es ist der meineidige Altenburger!«, den Arm hob und die Pistole gegen seine Brust richtete. Der Stallmeister versuchte seinen Herrn zu decken, konnte ihn aber nur auffangen, wie er tot vom Pferde stürzte. Inzwischen war Obentraut mit seiner Reiterei erschienen und hatte den Feind noch einmal geworfen; aber auch er wurde schwer verwundet und starb, von Tilly auf dem Schlachtfelde gefunden, in dessen Kutsche.
Sich Hannovers zu bemächtigen, glückte Tilly doch nicht. Da er sah, wie die Regierungen fast überall dem Kaiser und dem Frieden geneigt waren und wie der Feind das im protestantischen Volke gegen die Katholiken herrschende Misstrauen ausnützte, ließ er Manifeste aufsetzen, dass das Gerede von Anschlägen des Kaisers gegen Libertät und Glauben ganz und gar nichtig und vielmehr ein listiger Anschlag der Rebellen und Ausländer sei, die sich in das ehedem so stolze und gefürchtete Reich eindrängen und darin rauben und plündern wollten. Was das für eine Libertät sei, die das Reich unter fremdes Joch bringe? Den Glauben betreffend, so sollten sie sich doch umsehen, ob sie in Städten oder Dörfern, durch die er gekommen sei, einen einzigen Geistlichen finden möchten, den er von seinem Amte gedrängt oder an der Predigt oder sonstigen Ausübung seiner Pflicht gehindert hätte.
Dergleichen Manifeste, die auch in der Stadt Braunschweig und in Wolfenbüttel verbreitet wurden, machten der Herzogin Elisabeth schwere Gedanken, zumal täglich Klagen von den Amtleuten einliefen über das schreckliche Hausen der Truppen ihres Bruders und ihres Sohnes. Sie ließ den Kanzler Eltz kommen, der früher in pfälzischen Diensten gestanden hatte, und sagte ihm, sie wolle durchaus wissen, ob der Krieg ein Religionskrieg sei oder nicht; denn um der Religion willen müsse man freilich Trübsal leiden, gehe es aber nicht um die Religion, so müsse dem Blutvergießen und Landverderben ein Ende gemacht werden.
Das sei doch keine Frage, antwortete Eltz lachend, dass es ein Religionskrieg sei. Die Herzogin solle doch einmal nachdenken, wie er angefangen habe. Würden England und die Staaten es sich sonst so viel Geld kosten lassen, und würde ihr königlicher Bruder sein Reich verlassen und sein Leben wagen? Die heuchlerischen Worte des bösen und falschen Tilly hätten sie irregemacht; jetzt freilich hänge er den Schafspelz um, man sollte ihn aber nur einmal hereinlassen in den Stall, so würde er schon die scharfen Wolfszähne zeigen.
Doch habe er sein Wort gegeben, die Waffen niederzulegen, sowie Dänemark entwaffne, sagte Elisabeth, und ihr Bruder habe früher selbst gesagt, Friedrich von der Pfalz hätte sich der Böhmen nicht annehmen sollen und sei ein ungehorsamer Vasall. Er würde seinen Vasallen anders heimleuchten, wenn sie sich so gegen ihn hervorwagen wollten.
Das möge wohl sein, sagte Eltz, aber die pfälzische Sache gehöre gar nicht daher, indem der Kaiser sich ihrer nur als Vorwand gebrauche, um den ganzen Norden in Servitut zu bringen und dem Papst auszuliefern.
Diese Meinungsäußerung befriedigte Elisabeth nicht ganz; denn sie sagte sich, dass sie vielleicht weniger aus der Überzeugung und dem Gewissen stamme als aus dem Geldbeutel des Kanzlers, den ihr Bruder, der König von Dänemark, gefüllt habe. Deshalb forderte sie ein Gutachten von der braunschweigischen Geistlichkeit, ob der Krieg für einen Religionskrieg zu achten sei, und erhielt von dem Konsistorium auf vielen Seiten eine Antwort, welche sich etwa folgendermaßen entwickelte: Obwohl es anerkannt und füglich unbestreitbar sei, dass dem Kaiser jeder Reichsstand Gehorsam schulde, so werde doch hoffentlich niemand zweifeln, dass über dem Kaiser Gott stehe, dem man zuvörderst gehorchen müsse. Nun sei ja freilich nicht zu leugnen, dass die Reichsstände Verbindungen mit ausländischen Potentaten nicht eingehen wie auch, dass sie sich eines Ächters nicht annehmen dürften, obwohl die früheren Verträge, das ungewohnte und unbillige Verfahren des Kaisers und dass der König von Dänemark als ein Reichsglied zu achten, in Betracht gezogen werden müsse. Dazu sei es auch an dem, dass der Kaiser sich mit Spanien und dem Papst verschworen hätte, die Ketzer auszurotten, wie es denn zum papistischen Aberglauben überhaupt gehöre, dass man den Ketzern das Wort zu halten nicht schuldig sei. Infolgedessen könne man auch den Papisten und dem Tilly insbesondere die Beteuerung, es solle der evangelische Glaube nicht angetastet werden, nicht glauben, wenn auch Graf Tilly als ein Privatmann ehrbar und tugendhaft sei und es ehrlich meine; es werde doch die sogenannte ratio status, zu deutsch Staatsvernunft, dem Treu und Glauben vorangesetzt werden. Inwiefern dabei aber eine neue Regel solle eingeführt oder nur das alte systema Cujus regio ejus religio solle beobachtet werden, das wollten sie an seinen Ort gestellt lassen.
Dies Gutachten stellte Elisabeths Zweifel nicht so klar, wie sie gewünscht hätte; aber ihre ursprüngliche Abneigung gegen den Krieg wurde wieder lebhafter, und sie setzte ihre ganze Hoffnung auf den Friedenskongress, der den Winter über in Braunschweig tagte. Die Teilnehmer desselben wünschten einmütig den Frieden, nur verlangten die niedersächsischen Stände und der König von Dänemark, dass betreffs der norddeutschen Stifter alles beim alten bleibe, Tilly und Wallenstein, dass der König von Dänemark zuerst entwaffnen solle.
Die braunschweigische Geistlichkeit hatte damals noch einen seltsamen Vorfall zu begutachten, nämlich eine Vision, welche König Christian IV. gehabt haben wollte. Derselbe wollte, während er des Morgens früh auf bloßen Knien betete, den Erlöser erblickt haben, blutig und übel zugerichtet, und die Worte vernommen haben, er sei Jesus Christus und werde jetzt zum zweiten Male gekreuzigt; Christian solle unbesorgt sein, er, Christus, werde ihn nicht verlassen. Dem Könige hatte sich die Erscheinung so deutlich eingeprägt, dass er sie aus dem Gedächtnis aufmalte, was indessen das Konsistorium nicht günstiger dafür stimmte. Es sei ja festgestellt, meinten sie, dass Gott zu dieser Zeit aufgehört habe, sich den Menschen unmittelbar zu offenbaren, und dass Gesichte, Prophezeiungen und dergleichen für Einbläserei des Satans zu halten wären. Könne man nun auch bei einem mächtigen Potentaten so verfängliche Konklusionen nicht ziehen, so müsse man vielmehr vermuten, wie ja auch sonst schon vielfach beklagt worden sei, dass der herrliche Verstand des Königs durch den erlittenen Sturz noch etwas erschüttert sei, für seine gänzliche Wiederherstellung beten und die gehabte Vision oder Ausgeburt mit Schweigen überziehen, inzwischen abwartend, wie sich andere hohe Fakultäten darüber vernehmen ließen.