22.

Chris­ti­an IV. warf sich mit den Sei­ni­gen ins Lü­ne­bur­gi­sche und ließ dort sen­gen und bren­nen; denn, sag­te er, Her­zog Chris­ti­an von Cel­le sei an sei­nem Un­glück schuld, da er an­statt zu ihm zum Kai­ser ge­hal­ten habe; nun sol­le je­der se­hen, wo­hin sol­che Treu­lo­sig­keit füh­re. Der Her­zog von Cel­le wand­te sich hil­fe­fle­hend an Til­ly, er sol­le doch kom­men, die Dä­nen aus dem Lan­de zu ja­gen und sei­ne ar­men Un­ter­ta­nen zu schüt­zen, die kaum noch Brot hät­ten, um das nack­te Le­ben zu fris­ten; wor­auf Til­ly ant­wor­te­te, er sei be­reit, dem Her­zog, den er als treu­en An­hän­ger des Kai­sers ver­eh­re, zu hel­fen, bit­te ihn aber, die Ob­rig­keit über­all an­zu­wei­sen, dass sie zu ei­ner gu­ten Ord­nung, wie es mit den Trup­pen ge­hal­ten wer­den sol­le, mit­wirk­te, da er sonst nicht für Scha­den ein­ste­hen kön­ne.

An ei­nem Sep­tem­ber­nach­mit­tage ritt Til­ly durch die Hei­de nach Win­sen an der Luhe, wo er Quar­tier neh­men woll­te. Er saß auf ei­nem Schim­mel, ei­ni­ge Ad­ju­tan­ten folg­ten ihm, dann ka­men Wa­gen, die lang­sam durch den Sand roll­ten. Sei­ne Ge­dan­ken tru­gen sich da­mit, dass es mit dem Frie­den doch noch lan­ge Wege ha­ben wer­de, ob­wohl er den Dä­nen­kö­nig nie­der­ge­wor­fen hat­te; der­sel­be führ­te doch noch hohe Wor­te und hat­te erst kürz­lich wie­der Geld von Eng­land und den Staa­ten er­hal­ten. Ehe der Kai­ser nicht die Staa­ten an­grif­fe, den Born, aus dem der Krieg flie­ße, wer­de es kein Ende neh­men, dach­te er; aber we­der der Her­zog von Bay­ern noch die geist­li­chen Fürs­ten woll­ten dar­an, nichts und nie­mand konn­te ih­nen die Au­gen öff­nen. So wür­de er denn die Last weiter­schlep­pen müs­sen ohne Ehre, ohne Lohn, ohne Dank. Er dach­te, wie satt er sich manch­mal sei­nes müh­se­li­gen Le­bens fühl­te, wie gern er an ei­nem Ort, der ihm zu ei­gen ge­hör­te, aus­ru­hen wür­de. Wa­rum an­de­ren al­les in den Schoß fiel, be­vor sie noch an­ge­fan­gen hat­ten et­was zu leis­ten, und er, der so viel ge­dient und ge­ar­bei­tet hat­te, noch im­mer kein Land hat­te, wo er der Herr war, das konn­te er nicht be­grei­fen; er müs­se es Gott an­heim­stel­len. In­dem er auf­sah, fiel sein Blick auf einen Schaf­hir­ten, der, auf einen Stock ge­stützt, den krie­ge­ri­schen Zug be­trach­te­te, wäh­rend die Scha­fe, in einen Hau­fen ge­drängt, zwi­schen dem pur­pur­nen Hei­de­kraut stan­den. Der Him­mel war grau und still, die Luft warm, nichts be­weg­te sich als die lang­sam wie ein fer­nes Se­gel­schiff vor­rücken­de Her­de. Til­ly dach­te, wie wohl dem Man­ne sein müs­se, der nun bald zu sei­ner Hüt­te zu­rück­kehr­te; im­mer be­glei­te­te ihn die­se treue Ebe­ne, harr­te und hü­te­te sei­ner eine hohe Föh­re oder ein im­mer­grü­ner Wa­chol­der­baum oder ein brei­tes Haus mit samt­schim­mern­dem Moos­dach. Auch die ernst­haf­ten, schweig­sa­men Men­schen ge­fie­len ihm bes­ser als die vom Rhei­ne; es hät­te ihn ge­freut, wenn Gott sich sei­ner als Werk­zeug be­die­nen woll­te, um ih­nen den rech­ten Glau­ben zu brin­gen.

Ei­ni­ge Tage spä­ter kam der Amt­mann mit ro­tem Kopf und brach­te un­ter vie­len Ent­schul­di­gun­gen vor, es hät­ten ein paar Sol­da­ten einen Schaf­hir­ten er­schos­sen, der sei­ne Scha­fe ge­gen sie hät­te ver­tei­di­gen wol­len. Til­ly sol­le die Gna­de ha­ben und da­zu­se­hen, dass die Schul­di­gen be­straft wür­den, es sei großes Ge­schrei und Jam­mer im Dor­fe, er wis­se der wü­ten­den Bau­ern nicht mehr Herr zu wer­den. Til­ly sag­te, er habe die Ob­rig­keit oft und oft er­mäch­tigt, schul­di­ge Sol­da­ten fest­zu­neh­men und nach Ge­bühr zu be­stra­fen; ob man denn die Schul­di­gen ken­ne und ih­rer hab­haft ge­wor­den sei? Ja, sag­te der Amt­mann, sie hät­ten auch ge­stan­den, und der Pro­fos wol­le sie hen­ken; da sei­en an­de­re Sol­da­ten in Hau­fen ge­kom­men, murr­ten und woll­ten es nicht lei­den.

Er wol­le so­fort selbst kom­men, sag­te Til­ly, stieg zu Pferd und ritt dem Amt­mann so schnell vor­an, dass der kaum nach­kom­men konn­te. Vor der nächs­ten An­sie­de­lung traf er auf die zu­sam­men­ge­rot­te­ten Sol­da­ten, die aber Platz mach­ten, als sie den Ge­ne­ral kom­men sa­hen, ritt mit­ten hin­durch, hielt an und frag­te, wo die Leu­te sei­en, die den Schä­fer er­schos­sen hät­ten, sie soll­ten sich mel­den. Nach ei­ner Pau­se tra­ten zwei her­vor, der eine mit ge­senk­tem Kopf, der an­de­re dreist und böse Til­ly ins Ge­sicht bli­ckend; von den Stri­cken hat­ten die Ka­me­ra­den sie in­zwi­schen frei ge­macht. Der Alte fuhr sie rau an: ob sie die Ge­set­ze nicht kenn­ten? Wie sie dazu ge­kom­men wä­ren, einen fried­li­chen Hir­ten, der sei­ne Scha­fe wei­de­te, zu tö­ten? Ob das eine Tat, ei­nes christ­li­chen Sol­da­ten wür­dig, sei? Ob sie nicht selbst ein­sä­hen, dass sie den Tod ver­dient hät­ten? Wo­mit sie sich ent­schul­di­gen woll­ten? – Der eine von bei­den ant­wor­te­te trot­zig: sie hät­ten Hun­ger und nichts zu es­sen. Til­ly zö­ger­te einen Au­gen­blick; er wuss­te, dass trotz sei­ner Mah­nun­gen der Sold seit lan­gem aus­ge­blie­ben war und dass die Bau­ern mit ih­ren Lie­fe­run­gen im Rück­stand zu blei­ben an­fin­gen; der Amt­mann hat­te erst kürz­lich ge­klagt, so­gar die Mäu­se stür­ben Hun­gers, weil sie we­der im Hau­se noch im Fel­de mehr et­was fän­den. An­de­rer­seits be­dach­te er, dass Nach­sicht ein bö­ses Exem­pel ge­ben und der Sa­che scha­den kön­ne, zu­mal er nicht in Fein­des­land sei; dar­um sag­te er kurz, die Ge­set­ze müss­ten ge­hal­ten wer­den, die Schul­di­gen soll­ten sich zum Tode be­rei­ten, Hun­ger ent­schul­di­ge Raub und Mord nicht. Die üb­ri­gen soll­ten sich durch die Exe­ku­ti­on war­nen las­sen und sich nie wie­der der hei­li­gen Jus­tiz in den Arm zu fal­len an­ma­ßen. Vor sei­nem stren­gen Blick wag­te kei­ner sich zu rüh­ren, die Schul­di­gen lie­ßen sich still­schwei­gend er­grei­fen und hin­gen in we­ni­gen Mi­nu­ten leb­los von den Zwei­gen ei­ner in der Son­ne flim­mern­den Bir­ke her­un­ter.

Trau­rig ritt Til­ly heim, von Sor­ge ge­quält, wie es mit der Dis­zi­plin und dem Sol­da­ten­we­sen wer­den soll­te, wenn der Krieg noch im­mer kein Ende näh­me und die Un­lust der Fürs­ten, den Beu­tel zu zie­hen, grö­ßer statt ge­rin­ger wür­de. Die geist­li­chen Fürs­ten, die Schatz­kam­mer und Spei­cher voll hat­ten, speis­ten ihn mit Aus­re­den und Ent­schul­di­gun­gen ab, in­des er nicht mehr wuss­te, wie er mit gu­tem Ge­wis­sen die Ord­nung zwi­schen dem ar­men ge­quäl­ten Bau­ers­mann und dem hun­gern­den Sol­da­ten auf­recht­er­hal­ten soll­te. Wie das Vieh wur­den die Sol­da­ten ge­ach­tet, das zum Ab­schlach­ten ge­kauft wird, und schlech­ter, da man ih­nen nicht ein­mal das Fut­ter oder den be­dun­ge­nen Lohn reich­te. Er hat­te stets sei­ne Ehre dar­in ge­sucht, den Krieg so zu füh­ren, dass dem Sol­da­ten und dem Land­mann sein Recht wer­de, so­weit es mög­lich sei, und er wun­der­te sich, ob der Her­zog von Bay­ern, sein Herr, ihn nicht bes­ser dar­in un­ter­stüt­zen und die Li­ga­fürs­ten zu ih­rer Pf­licht an­hal­ten kön­ne. Dann dach­te er an Wal­len­stein, wie der sei­ne Sol­da­ten hau­sen ließ, wie der Kai­ser ihn hoch­hielt, wie Of­fi­zie­re und Sol­da­ten ihm zu­lie­fen, wie Freund und Feind vor ihm zit­ter­te und wie die Welt von sei­nem Ruh­me voll war. Müh­sam über­wand er sol­che Ge­dan­ken, in­dem er bei sich ein Ge­bet zu Gott und der Hei­li­gen Jung­frau sprach; die­sen, dach­te er, sol­le das Ge­richt über­las­sen sein.