Seinem dringenden Wunsche gemäß wurde Friedrich von Spee des Beichtamtes bei den Hexen enthoben und nach Peine geschickt, wo ein Jesuitenkloster eingerichtet werden sollte. Wenn er Muße hatte, entwarf er den Plan zu einem Buche über die Hexenprozesse und das ungerechte und ungesetzliche Verfahren, dessen sich die Richter dabei bedienten, und was daran schuld sei, nämlich teils Verblendung und Unwissenheit, teils Habsucht, Grausamkeit und andere böse Triebe. Hätte er das Buch vollendet, dachte er, würde er auch einen Weg finden, es ans Licht zu bringen, und hoffte, den Menschen würden dadurch die Augen geöffnet und dem Übel würde gesteuert werden. An einem der letzten Apriltage begab er sich von Peine nach Woltorp, um dort zu predigen und Kranke zu besuchen; denn es herrschte dort der Hungertyphus und die Pest, sodass kürzlich der alte Totengräber, obwohl er seit fünfundzwanzig Jahren in seinem Amte war, davongelaufen war. Er habe nun genug vom Leichengraben und wolle lieber unter die Soldaten gehen, hatte er sich vernehmen lassen und war nicht mehr gesehen worden, worauf die Leichen unbegraben in den Häusern liegenblieben, bis die verlassene Frau zugriff, die auch vorher schon ihrem Manne geholfen hatte. Auf einem gemächlich trabenden Pferde ritt Spee durch einen Buchenwald und ließ seine Blicke fröhlich durch das junge Gefieder der neubelebten Bäume spielen, das im milden Sonnenscheine goldgelb leuchtete. Über dem vorjährigen Laube, das feuchtbraun am Boden klebte, lag der Sternenschleier der Anemonen so lose, als müsse ein leichter Wind ihn weghauchen können.
Sein leichtes Herz flog wie ein Vogel zu jedem Blatt und jeder Blüte, schmiegte sich an sie und küsste sie und kehrte mit duftenden Schwingen und melodisch zu ihm zurück.
Durch ein Geräusch aufgeschreckt, sah er Männer und Frauen durch das Gebüsch näherschleichen, augenscheinlich in der Absicht, ihn anzubetteln oder auszuplündern. Als sie sahen, dass sie bemerkt waren, traten sie hervor, fassten sein erschrockenes Pferd am Zügel und machten sich daran, ihn aus dem Sattel zu reißen. Er wehrte ihnen, indem er sagte, er sei ein Geistlicher und besitze nichts; aber er habe etwas Geld bei sich, um die Notleidenden und Kranken in Woltorp zu unterstützen, davon wolle er ihnen freiwillig mitteilen; denn auch sie schienen sehr arm zu sein. Während sie noch unschlüssig standen, kam ein Reiter den Weg her gesprengt, zog eine Pistole und schoss unter die Bande, die heulend auseinanderstob und in das Gebüsch lief. Spee wendete sich dem Reiter zu und bat ihn, nicht wieder zu schießen, die Elenden jammerten ihn, sie hätten mehr Aussätzigen als Räubern geglichen. Es zögen sich jetzt viele aus den Dörfern in die Wälder, die kein Dach und kein Brot und kein Vieh mehr hätten, um das Feld zu bestellen; da bliebe ihnen nichts, als das Räuberhandwerk zu treiben. »Ja«, sagte der Unbekannte lachend, »wenn sie es nur besser verständen! Aber es ist feiges Bauernpack und wird ihm diesergestalt nicht weniger auf den Nacken getreten als zuvor.« Wie Spee ihn besser ins Auge fasste, fiel ihm ein, dies müsse der Hornebostel sein, ein berüchtigter Schnapphahn, welcher unter Mansfeld und Wallenstein gedient hatte, dann ausgerissen war und sich auf eigene Hand umhertrieb und der seit kurzem die Umgegend von Peine heimsuchte. »Seid Ihr nicht der Hornebostel aus Celle?« fragte Spee und setzte lächelnd hinzu, so wäre er freilich aus dem Regen unter die Dachtraufe gekommen. Nein, nein, antwortete der andere, Spee solle unbesorgt sein, an einem guten und frommen Manne wie Spee vergreife er sich nicht. Spee möge ihm gestatten, dass er ihm bis Woltorp das Geleit gebe, da der Wald unsicher sei; wenn ihm seine Gesellschaft widerwärtig sei, wolle er hinterdrein reiten. Spee dankte dem Manne und bat ihn, an seiner Seite zu bleiben und ihm zu erklären, warum er sich nicht einem ehrlichen Leben zuwende, da er doch ein großmütiges Herz verrate.
Freilich sei er kein schlechter Kerl, sagte der Reiter, wenn er auch von Raub und Diebstahl lebte. Damit tue er aber nichts anderes, als was in der Welt die meisten täten, und am allermeisten diejenigen, die die höchste Ehre genössen. Die marterten oft noch dazu die Armut und Unschuld aus Mutwillen, das sei seine Art nicht, er teile manchmal noch den armen Leuten mit. Ein Heiliger freilich, der stillhalte, wenn er geschlagen würde, und für seine Peiniger bete und dergleichen, ein solcher sei er nicht, von den gemeinen Menschen verlange Gott das aber auch nicht, sondern habe ihnen kräftige Muskeln und Verstand gegeben, sich zu wehren und sich selbst zu helfen.
Sie waren unter solchen Gesprächen an das Ende des Waldes gekommen und sahen den Ort Woltorp mit roten Dächern über der schwarzen Erde flammen, als Spee sagte, es sei ihm seltsam kühl um die Brust, er habe wohl eine kleine Wunde empfangen und fühle sich schwach, er fürchte vom Pferde zu fallen. Der Mann wollte ihn verbinden, er verstehe sich gut darauf; aber Spee meinte, das sei unnötig, nur einen Schluck Wein wolle er nehmen; denn er sehe, dass jener eine Flasche am Gurt hängen habe. Nachdem er getrunken hatte, gab er seinem Begleiter, der sich im Dorfe nicht sehen lassen wollte, die Hand und nahm Abschied von ihm.
Da er schon Leute vor der Kirche warten sah, ging er sofort hinein, um die Predigt zu halten; nach dem Wein fühlte er sich heiß und kräftig, und er glaubte, er werde besonders gut sprechen können. Der Text des Sonntags war vom guten Hirten, und er hatte sich vorgenommen gehabt, vom Wesen des Opfers zu handeln; aber er war jetzt von anderen Dingen erfüllt und begann, wie Gott mit jedem Frühling die unbefleckte Schönheit des Paradieses wieder auftue und harre und winke, dass die Menschen den Weg zurück fänden, und dann malte er den dereinstigen Tag aus, wo sie alle kommen und nach langer schwerer Irrfahrt in die Heimat einziehen würden, Liebende und Unsterbliche.
Während des Sprechens fühlte Spee, wie es kühl aus der Wunde an ihm hinunterlief, und es war ihm auf einmal, als fließe sein Blut auf den steinernen Boden der Kirche und färbe ihn rot. Mitten zwischen den gebückten Menschen sah er aus der dunklen Lache einen ungeheuren Holzstamm steigen, der wuchs und zwei Äste ausbreitete und bis an die Decke stieg; es war das Kreuz, an dem Gottes Sohn hing. Ein zerfleischter, blutüberronnener Leib krümmte sich an dem Marterholze, und durch die zuckende Masse eines vertretenen Gesichtes starrte der Abgrund zweier entsetzlicher Augen. Es war nicht ein einzelnes Augenpaar, es waren viele, unendlich viele aller derer, die jemals gelitten hatten, der Zahllosen, die er selbst hatte leiden und sterben sehen. Indessen das Kreuz wuchs und schwoll, begannen die Fenster zu brennen wie dunkelrote Nelken, die Decke zerbarst, und über die schaudernde Erde reckte sich wie eine gerade Fackel der blutende Baum des Leidens. Spee wollte schreien: ›Helft, helft dem Erlöser!‹, aber sein Mund war gelähmt, Feuer schwamm vor seinen Augen, und er griff mit beiden Händen nach der Brüstung der Kanzel, um nicht darüber hinabzufallen.
Nachdem er mehrere Tage am Wundfieber krank gelegen hatte, erlaubte ihm der Orden, sich zur Erholung auf einem westfälischen Gute aufzuhalten, wo er das Buch über die Hexenprozesse schrieb, welches im Jahre 1631 unter dem Titel ›Cautio criminalis seu de processibus contra sagas liber‹, das ist: ›Vorsicht in kriminellen Dingen oder Buch über die Hexenprozesse‹ ohne den Namen des Verfassers erschien.