In einer Kutsche, die auf der Straße von Hamburg nach Magdeburg fuhr, saßen der ehemalige Magdeburger Kaufmann Heinrich Pöpping und der Administrator Christian Wilhelm von Magdeburg, der letztere in einer blauen Livree als ein Diener gekleidet, Pöpping mit einem großen Federhut und prächtigem Tuchmantel, dessen rote Farbe verschossen war. Sie unterhielten sich über einige Frauenzimmer, mit denen sie sich in Hamburg die Zeit vertrieben und denen sie ihren wahren Charakter verheimlicht hatten, wie zornig die Überlisteten sein würden, wenn sie merkten, dass sie für immer abgereist wären. Besonders die eine, sagte Christian Wilhelm, der er fünfzig Taler schuldig geblieben sei, würde schimpfen, sie sei ohnehin ein hitziges Weibsbild gewesen. »Ach«, sagte Pöpping lachend, »die zahlte gleich das Doppelte, wenn sie Euer Fürstliche Gnaden wiederbekäme.« Ja, das glaube er wohl, sagte der Administrator, aber er hätte nun genug von dem Hamburger Frauenzimmer, sie hätten einen Heringsgeruch an sich, weil sie zu nah am Meere wären. In Magdeburg wären sie hübscher und subtiler. Pöpping nickte, sie wollten sich dort schon lustig machen; aber zuerst müssten sie doch ihr Geschäft betreiben, er, der Administrator, müsse sich ein Ansehn verschaffen und das Volk an sich ziehen.
Das wolle er, sagte der Administrator mit Feuer, Pöpping solle sein Wunder an ihm haben. Er könne es nicht erwarten, es den Ratsherren einzutränken, die ihn schimpflich abgesetzt und ausgetrieben hätten, sie wären allesamt Schelme und Verräter, die es mit dem Kaiser hielten. Gegen Geld hätten sie bei der Restitution die papistischen Mönche in die Klöster gelassen und hernach mit den kaiserlichen Feldherren gezecht, solchermaßen die Religion verkauft und die Rache Gottes auf sich gezogen.
Der neue Rat, den sie nun eingesetzt hätten, sei auch nicht besser als der alte, sagte Pöpping, und die gemeine Rede habe wohl recht, dass das Gewissen im Amtsrock sitze, nicht im Herzen. Die Geldsäcke wollten stillsitzen, um nichts zu verlieren, und von den anderen getraue sich kaum einer eines eigenen Willens. Er aber, Pöpping, lasse sich nicht einschüchtern, er kenne ihre Schliche und wisse, wie viel Schmutz und Sünde hinter der ehrbaren Außenseite verborgen sei.
Der Administrator meinte, sicher sei er doch nur eines geringen Anhangs in der Stadt; ob es nicht etwa doch übel ausgehen könne? Die zwei oder drei, die sie im Rat hätten, vermöchten nicht viel, und von der Geistlichkeit wären sie nur mit fünfen einverstanden; ob aber der Oberst Schneidewind viel ausrichten könne, da er gefangen sitze, sei auch zu bezweifeln.
Gegen den Obersten Schneidewind, der zur Zeit des Dänenkrieges magdeburgischer Stadthauptmann gewesen war, hatte Aldringen eine Klage auf Raub und Mord erhoben, doch behaupteten er und seine Anhänger, dass die Kaiserlichen nur einen Vorwand gegen ihn gesucht hätten, weil er es mit den Dänen gehalten habe. Der Rat hatte Schneidewind nicht ausgeliefert, dagegen versprochen, ihm selbst den Prozess zu machen, zog diesen aber hin und hatte ihm kürzlich ein Zimmer im Wirtshaus zur Goldenen Krone als Gewahrsam angewiesen. Er sei ein gerader, ehrlicher Mann, sagte Pöpping; wenn ihm etwas Malefizisches nachgewiesen werden könnte, würde der Rat ihm längst den Prozess gemacht haben. Auf den könne der Administrator bauen, er sei voll Gift und Galle gegen den Kaiser und den Rat dazu, gehöre Christian Wilhelm mit Leib und Seele. Er habe auch viele Freunde, die in der Goldenen Krone zusammenkämen, denn die Wirtin halte es mit ihm, und die alle bereit wären, sich dem Schwedenkönige zu übergeben.
Wenn der Schwedenkönig es nur auch so recht ehrlich mit ihm meine, sagte Christian Wilhelm, das sei sein schwerstes Bedenken. Gustav Adolf habe sich nie ganz frei gegen ihn herausgelassen, er sei nicht freimütig wie die Deutschen, sondern voller List und Verschlagenheit, habe nichts Schriftliches von sich gegeben, sondern gleichsam die Verantwortung ganz auf ihn abwälzen wollen.
Nun ja, sagte Pöpping, er sei fremd, kenne sich nicht aus, trete behutsam auf als einer, der nicht wisse, ob er den Fuß auf Moor oder festes Erdreich setze. Sicherer als ein gegebenes Wort, selbst als ein Pergamentlein mit angehängtem Siegel sei das Interesse der Menschen. Was könne dem Schwedenkönig aber erwünschter sein, als dass sich die Stadt Magdeburg für ihn erkläre und er ein so mächtiges Bollwerk am Elbstrom besetzen könne, das ihm die Straße nach Prag eröffne und den Rücken decke? Er müsse ein Narr sein, wenn er da nicht zugriffe. Er wolle nur nicht vorher die Hand hineinstecken, um sich nicht im Reiche verdächtig zu machen; sei das Feuer einmal angezündet, werde er schon blasen helfen.
Die beiden Reisenden stiegen im Anhaltischen Hofe ab, wo der Administrator unter Pfeifen und Singen, denn Pöppings Zuspruch hatte ihn vollkommen beruhigt, seine Livree ablegte und sich fürstlich herrichtete. In der Frühe des folgenden Tages, der ein Sonntag war, wusste man schon in der Stadt, dass Christian Wilhelm verkleidet hereingekommen sei als Vertreter des Königs von Schweden, der ein Bündnis mit der Stadt Magdeburg schließen wolle, auf die er als auf eine Fürstin und unüberwindliche Heldin unter den evangelischen Städten besonderes Vertrauen setze. Auf seinen Wunsch schickte der erschrockene Rat ein paar Abgeordnete zu ihm ins Gasthaus, die seine ungestümen Vorschläge zagend und zweifelnd anhörten und dagegen einwendeten, dass sie als ein Stand des Reichs sich nicht mit fremden Potentaten einlassen könnten, umso weniger, als sie nicht einmal dem kaiserlichen General Wallenstein das Türlein aufgetan hätten. Die Kaiserlichen wären ringsherum sehr mächtig, und sie könnten in große Pressur, Kalamität und Untergang geraten, wenn sie mit dem Feinde in Korrespondenz träten.
Ob sie etwa immer noch zu dem jesuitischen Ferdinand Vertrauen hätten? rief Christian Wilhelm aus. Ob sie vergessen hätten, wie Wallenstein sie unter falschen Vorspiegelungen belagert, ihnen Geld ausgepresst und Handel und Wandel verstört hätte? So lohne der Kaiser seinen Ständen ihre Treue. Da sei Gustav Adolf ein anderer Monarch; obwohl er keine Verpflichtung zu der Stadt Magdeburg trage, so sorge er sich doch um ihr Wohl, habe im Sinn, sie mächtig zu fördern und zu erhöhen. Er habe ihm, dem Administrator, in einem Brief geschrieben, sein Wunsch sei, dass das magdeburgische Erzstift an die Stadt komme, weil sich durch jenes der Papismus einschleichen würde. Denn das hätten sie doch wohl gerochen, dass der Kaiser im Sinne habe, seinen Sohn darauf zu setzen; den sächsischen Prinzen werde er ebensowenig wie ihn, Christian Wilhelm, bestätigen. Noch mehreres habe der König von Schweden ihm mündlich gesagt, was er ihnen alles ausführlich vorlegen und vortragen werde. Ob sie so viel Huld und Gnade mutwillig verlieren wollten? Sie setzten dabei nichts aufs Spiel, da der König sein Wort gegeben habe, sie vor Schaden zu bewahren und ihnen in jeglicher Gefahr beizuspringen. Was ihn anbetreffe, so hätten sie zwar treulos an ihm gehandelt, indem sie ihn, den rechtmäßig gewählten Bischof, nicht mehr hätten anerkennen wollen und dem Sachsen beigefallen wären, der das Stift durch Usurpation und Ränke an sich gerissen hätte; aber er wolle es ihnen nicht weiter gedenken, da sie inzwischen wohl genugsam erfahren hätten, wohin Untreue führe. Zeit zu Bedenken sei jetzt freilich nicht mehr; in wenigen Wochen werde das ganze Reich, soweit es evangelisch und nicht spanisch sei, aufstehn und sich für Gustav Adolf erklären, dann würden die Papisten endlich einmal den verdienten Lohn bekommen, und es könne sich ein jeder selbst ausrechnen, wie es dann denen gehen würde, die um zeitlicher Vorteile willen die Retterhand nicht ergriffen hätten.
Während Christian Wilhelm dies so hurtig und dringlich von sich gab, dass die städtischen Abgeordneten kaum ein Wörtlein einfließen lassen konnten, scharte sich das Volk auf dem Platz vor der Domkirche; denn es hatte verlautet, dass der Administrator im Sinne habe, dem Gottesdienst beizuwohnen. Es war erst zehn Uhr, aber die Julisonne stach schon heiß auf das weiße Pflaster, auf welches der edle Bau einen kurzen, tiefschwarzen scharfen Schatten warf. In der Sakristei disputierte der Domprediger Bake mit einem Ratsherrn, der ihn im Auftrage Christian Wilhelms ersucht hatte, den Beginn der Predigt bis zu seinem Eintreffen zu verschieben. Er sei dem Rat gern zu Diensten, sagte der Domprediger, aber es gefalle ihm nicht, dass man sich nach diesem erzstiftischen Vagabunden richten solle, diesem windigen Gauch, der allerorten nach einem Fürstentümchen stöbere, um seine Eier hineinzulegen, und die Stadt mit seinem Krakeelen in das größte Ungemach stürzen könne.
Der Ratsherr sagte, sie hätten ihn gewiss nicht gerufen, aber er sei nun einmal da, sei ein evangelischer Fürst, auf den der König von Schweden offenbar große Stücke halte. Der Domprediger solle doch um Gottes willen nichts zu seinem Despekt reden. Man könne nicht wissen, was die Zeit bringe und ob nicht eines Tages der Schwede vor der Tür stehe.
Ei ja, es habe schon mancher davorgestanden und sei wieder abgezogen, sagte der Domprediger. Es sei zu beklagen, dass der Rat kein festes Gewissen habe und von einem Bein aufs andere wanke. Jedoch wüssten sie wohl, dass er immer für das Glimpfliche sei, er wolle dem Springinsfeld nur beiwege einen Denkzettel anhängen, aber mit guter Manier und aller schuldigen Ehrfurcht.
Als Geschrei auf dem Platze die Ankunft des Fürsten verkündete, ging der Domprediger in die Kirche, bestieg die Kanzel und kniete sofort nieder, zum stillen Gebet das Gesicht auf die Bibel drückend. Heimlich blinzelte er darüber hinaus und sah mit großem Widerwillen neben Christian Wilhelm Pöpping und den Oberst Schneidewind eintreten, welcher seinen Gewahrsam und Prozess nunmehr als erledigt betrachtete. Nach einer guten Weile erhob er sich wieder, schlug die Bibel auf und las den sonntäglichen Text vor, welcher lautete: ›Wenn du es wüsstest, so würdest du auch bedenken zu deiner Zeit, was zu deinem Frieden dienet. Aber nun ist’s vor deinen Augen verborgen. Denn es wird die Zeit über dich kommen, dass deine Feinde werden um dich und deine Kinder mit dir eine Wagenburg schlagen, dich belagern und an allen Orten ängsten. Und werden dich schleifen und keinen Stein auf dem anderen lassen, darum dass du nicht erkennet hast die Zeit, darinnen du heimgesuchet bist.‹
Fast erschrocken sei er gewesen, hub der Domprediger an, als er gefunden hätte, dass dies der Text eben des heutigen Sonntags sei. Ob das nicht etwas zu bedeuten hätte und etwa gar ein warnendes Omen sei? Es möchte wohl mancher meinen, Jerusalem sei längst gefallen, und jetzt darüber zu spintisieren sei eine überflüssige Träumerei; aber in der Bibel könnten sich alle Zeiten und alle Völker bespiegeln, und gerade sie, die Magdeburger, sollten sich dadurch vom Übermut abschrecken lassen. Es wisse ja jeder, was für Verfänglichkeiten im Schwange gingen, aber ob das zum Frieden, zur Religion und Libertät diene, wie die Lärmhansen ausprahlten, das wolle er dahingestellt sein lassen.
Dann erzählte er, wie Jesus, nachdem er um Jerusalem geweint habe, in den Tempel gegangen sei und diejenigen ausgetrieben habe, die darinnen gekauft und verkauft hätten, und zu ihnen gesagt habe: »Mein Haus ist ein Bethaus, ihr aber habt’s gemacht zu einer Mördergrube.« Diese Worte rief er drohend hinunter nach der Richtung, wo Christian Wilhelm und Pöpping saßen, sodass mehrere kicherten und Christian Wilhelm vor Ärger rot wurde. Nun stellte sich aber Bake an, als sei er des Administrators jetzt erst gewahr geworden, und fuhr fort, so sei es aber nicht hier wie im Tempel zu Jerusalem, sondern ihnen sei ein hoher fürstlicher Gast erschienen, der das Evangelium hochhalte und beschirme und den Gott auch sicher noch nach Verdienst belohnen werde.
Bei den Anhängern des Administrators hieß es hernach, der Domprediger habe den Text falsch ausgelegt, indem man natürlicherweise Christian Wilhelm mit dem in Jerusalem einziehenden Heiland vergleichen müsse, der über die Stadt klage, weil sie ihn, der als Retter komme, von sich stoße. Wenn Magdeburg sich dem Christian Wilhelm nicht anvertraue, dann freilich werde sie von dem grausamen kaiserlichen Wüterich in Blut und Untergang gestürzt werden.
Nach Verlauf einiger Wochen gab der Rat nach und schloss einen Vertrag mit Gustav Adolf ab, in welchem dieser versprach, wenn die Stadt Magdeburg seinetwegen sollte angegriffen werden, wolle er sie auf seine Kosten schützen und in keiner Not verlassen. Danach wurde auch mit dem Administrator ein Vertrag gemacht und ihm gestattet, ein Regiment zu werben, über welches er und Schneidewind den Oberbefehl nahmen. Nachdem die Soldaten einigermaßen geordnet und eingeübt waren, wurden sie in die Dörfer und Klöster des Stiftes verteilt, womit die Stadt sehr zufrieden war, zumal da Christian Wilhelm oft Beutezüge machte und Vieh und Getreide vom Lande hereinbrachte.