Es war im November, als ein krankes Mädchen im Hessischen wunderbare Gesichte hatte. Es lag seit mehreren Jahren gelähmt im Bette, betrübt, dass es nicht arbeiten könne, vielmehr den Eltern zur Last sei; aber diese empfanden es nicht so; denn es aß wenig, war immer freundlich und voll guter Einfälle, Rat und Trost. An einem trüben, kalten Abend kam die Mutter und brachte dürre Äste aus dem Walde heim, mit denen sie im Herde Feuer machte; dann legte sie Wacholderbeeren auf die erwärmte Platte und sagte, so hätten sie wenigstens einen guten Geruch, wenn sie auch nichts zu essen hätten. Sie war eben beschäftigt, in einem Verschlage zu kramen, ob sie nicht noch ein Stück Brot fände, als das lahme Mädchen, das sie im festen Schlaf geglaubt hatte, einen lauten Schrei tat. Als die beiden Eltern an das Bett liefen, richtete es sich allein auf, blickte mit weitgeöffneten Augen auf die Wand und rief: »Da ist er! Er kommt! Unser Retter ist angekommen!« Sie sähen nichts, sagten die erschrockenen Eltern, es träume ihr gewiss. Ohne die Eltern zu beachten, fuhr das Mädchen fort zu schwärmen: »Es leuchtet wie eine Flamme, das Dorf ist taghell. Ich sehe den Markt und den Brunnen und den Kirchturm, aber er ragt über alles. Die Stunde ist gekommen, da der Herr sich seines Volkes erbarmen will. Er schickt seinen Engel mit einem Flammenschwert, das das Haupt des Drachen spaltet. Ach, wie er lächelt, der Holdselige! Sei gegrüßt, du Siegreicher, du Gnadenbringer, unser Kaiser! Meine Hände binden dir die Krone, meine Füße laufen dir entgegen, ich bin auferstanden und alle werden auferstehn und dir danken!«
Zuletzt sank das Mädchen auf sein Lager zurück, und sein Sprechen ging in ein Lallen über; in einen Starrkrampf verfallen, lag es scheinbar leblos da. Während die Mutter am Bette sitzen blieb, lief der Vater zum Pfarrer, um ihm das Vorgefallene zu berichten und seinen Beistand zu erbitten. Ob sie etwas zu essen hätten? fragte der Pfarrer; er habe selbst nicht viel, aber ein Stücklein Brot könne er doch missen, und wenn das Mägdlein zu sich komme, müsse es eine Stärkung haben. Unterwegs sagte er, er könne sich nicht denken, was das Gesicht zu bedeuten habe; dass der böse Feind aus dem Kinde rede, könne er jedoch nicht glauben; er kenne es, seit es lebe, und habe es nie anders als gut und fromm gefunden. Der Vater wischte sich die Augen und sagte, er selbst sei ein Sünder, das wisse er wohl, und auch seine Buben, die den Soldaten zugelaufen wären; aber das Kind sei wie ein Lamm, habe seit der Wiege nur gelitten und nie geklagt, Gott könne es nicht verlassen haben. Vor dem Häuschen, das die Leute bewohnten und das am Ende des Dorfes stand, blieben sie einen Augenblick stehen; die Fensterscheiben waren zerbrochen und die Löcher mit Lumpen ausgefüllt, an der Haustür fehlte die Klinke, und der kleine Vorgarten war verwildert; aus Gestrüpp und Unkraut starrten braun und nass ein paar geknickte Malven und Balsaminen. Der Pfarrer schüttelte betrübt den Kopf; vor dem Kriege sei dies Häuschen das sauberste im Dorfe gewesen, sagte er. Ja, sagte der Mann, wenn seine Buben ihm nicht fortgelaufen wären, hätte er sich eher wieder herausmachen können; nun müsse er alles verkommen lassen.
Beim Eintritt der Männer erwachte das Mädchen, sah mit freundlich staunenden Blicken um sich und errötete vor Freude, als sie den Pfarrer erkannte, der sie von Zeit zu Zeit zu besuchen pflegte. Von dem, was es gesehen und gesagt hatte, wusste es nichts mehr, lauschte aber mit glänzenden Augen der Erzählung ihrer Eltern. Es waren inzwischen auch ein paar Nachbarn herangekommen, und alle besprachen das seltsame Gesicht und seine vermutliche Bedeutung.
Kürzlich, sagte der Krämer, habe ein Hausierer aus dem Magdeburgischen die Neuigkeit mitgebracht, dass der Schwedenkönig mit vielen Schiffen übers Meer gekommen sei und schriftlich habe ausgeben lassen, er wolle dem bedrängten Volke den Frieden bringen und den früheren Glücksstand wieder herstellen. Es würden aber große, blutige Kämpfe vorhergehn, ehe die gute Zeit anbräche. »Ja«, sagte der Pfarrer, »wer weiß, ob wir sie erleben. Wenn sie nur unsern Kindern zugute kommt.« Das Kind habe aber vom Kaiser gesprochen, sagte einer, ob damit der Schwedenkönig gemeint sein könne? Der Kaiser sei päpstlich, sagte der Krämer, und sei der Evangelischen Feind. Er habe ihnen die Soldaten auf den Hals geschickt, um sie mit Gewalt vom Evangelium zu bringen und päpstlich zu machen. Das Kind fragte schüchtern, ob es nicht ein Engel mit schneeweißen Flügeln gewesen sei, den es gesehen habe. Nein, antwortete die Mutter, von Flügeln habe es nichts gesagt; der Held sei mit einer Rüstung bekleidet gewesen und habe ein Schwert geführt. Er sei voll Huld und Gnade gewesen, habe die Armen und Beladenen aufstehn heißen, der Macht des Teufels ein Ende gemacht und ein neues Reich des Friedens und des Glückes verkündigt.
Ein Gottgesandter sei es sicherlich gewesen, den das Kind gesehen habe, sagte der Pfarrer, sie wollten beten und hoffen, inzwischen aber wachsam und vorsichtig sein, denn der Verräter gebe es in dieser bösen Zeit viele. Das glaube er fest, dass Gott ihnen mittels einer unschuldigen Jungfrau Vertröstung habe schicken wollen und dass er ihnen die Rettung vorbereite. Die Prüfung sei schwer gewesen, und sie wären wohl fast darunter zusammengebrochen. Sie wüssten ja alle, dass er seine Frau und alle seine Kinder an der Pest verloren hätte, die von den Soldaten eingeschleppt worden wäre; zuerst hätte er geseufzt und geklagt, aber nachdem die Teuerung gekommen wäre, hätte er eingesehen, wie gut es Gott gemeint habe. Ach, wenn er seine Kindlein vor Hunger weinen hätte hören müssen! Anstatt dessen wären sie alle miteinander in der erwünschten Seligkeit, sorglos zwitschernd und lobsingend wie die lieben Vögel. Wenn ihm nur die Soldaten nicht seinen schönen schwarzen Tuchmantel genommen hätten, den er von dem seligen Vater seiner Frau, seinem Vorgänger im Amt, ererbt gehabt habe. Er danke Gott, dass seine Frau das nicht habe erleben müssen. Wie oft habe sie den Mantel geflickt und ausgebessert, das würde ihr das Herz gebrochen haben.
Ja, sagte das kranke Kind, wenn der Herr Pfarrer in dem langen schwarzen Mantel dahergekommen sei, dann sei ihr immer ganz feierlich zumute geworden.
Zumal er sie auch, fügte die Mutter hinzu, an den seligen alten Pfarrherrn erinnert hätte und an seinen schneeweißen Bart, der darüber hinabgewallt sei. Da hätte man gemeint, der liebe Gott selber komme einhergegangen.
Der Pfarrer wischte sich die Tränen aus den Augen und sagte, sie hätten wohl alles opfern müssen; aber es wäre doch nur zeitliches Gut, Gott könne es ihnen zehnfach wiedergeben, wenn er wollte.
Wenn sie nur noch ein einziges Mal ihrem Kinde satt zu essen geben könnte, sagte die Mutter zaghaft; worauf ein Nachbar sagte, es stehe geschrieben: ›Selig sind, die da hungern und dürsten, denn sie werden das Himmelreich sehen.‹ »Es ist so«, sagte der Pfarrer; »solange wir Gottes Wort haben, sollten wir nicht murren.« In Böhmen und Schlesien, erzählte er, hätten die evangelischen Pfarrer am Stabe ins Elend wandern müssen, und alle die, welche dageblieben wären, hätten ihren Gott verleugnen müssen. Wenn man sich darin spiegle, sähe man doch, wie gut man es hätte.
Gott möge ihr die Sünde verzeihen, sagte die Mutter erschrocken, um ihres unschuldigen Kindes willen möge er sie verzeihen.
Der Pfarrer zog nun das Stück Brot hervor, das er mitgebracht und bisher vergessen hatte, und zeigte ihr, wie Gott ihr das schicke, gerade als sie hätte verzagen wollen. Die Frau nickte und dankte und machte sich daran, das Brot im Wasser zu einer Suppe zu kochen, während der Pfarrer und die Nachbarn wieder in die dunkle, feuchte, ahnungsvolle Nacht hinausgingen.