48.

Von dem Gra­fen Han­ni­bal von Schau­en­burg, der nach der Ab­be­ru­fung des Tor­qua­to Con­ti den Ober­be­fehl über die aus Pom­mern ver­dräng­ten kai­ser­li­chen Trup­pen er­hal­ten hat­te, be­kam Til­ly ver­zwei­fel­te Brie­fe aus Frank­furt an der Oder: er fin­de das Heer in sol­chem Wirr­warr und Elend, dass es gar nicht zu be­schrei­ben sei. Bar­ba­ri­sche Ex­zes­se kämen täg­lich vor, und es sei die Ver­wil­de­rung der Of­fi­zie­re nicht ge­rin­ger als die der ge­mei­nen Sol­da­ten. Mit sol­chem Ge­sin­del sei nichts aus­zu­rich­ten, kom­me es zum Ge­fecht, wür­de al­les aus­ein­an­der­stie­ben und die Schuld des Scha­dens auf den Obers­ten fal­len. Er sehe sei­nen Un­ter­gang vor Au­gen, habe doch die­se Stel­le nicht ge­sucht, sei wi­der Wil­len in die­sen Sumpf ge­ra­ten. Til­ly sol­le ihm um Got­tes wil­len bei­ste­hen, er wis­se in sol­cher Ex­tre­mi­tät nicht ein und aus.

An ei­nem dunklen Ja­nu­ar­ta­ge traf Til­ly mit ei­nem klei­nen Ge­fol­ge vor Frank­furt ein. Als sie durch ein Kie­fern­ge­hölz rit­ten, das sich zwei bis drei Stun­den vor der Stadt er­streck­te, fan­den sie den Weg durch die Trüm­mer ei­nes Wa­gens und tote Pfer­de ver­sperrt und ent­deck­ten bei nä­he­rem Zu­se­hen einen von ei­nem Kie­fer­nast her­ab­hän­gen­den To­ten und einen an­de­ren, der an ei­nem Stam­me fest­ge­bun­den war. Der letz­te war halb­nackt, von Sti­chen und Hie­ben blut­rüns­tig, der Kopf hing ihm kläg­lich mit grin­sen­dem Mun­de vorn­über. Noch starr­ten die Her­ren un­schlüs­sig auf das Schreck­nis, als von der Stadt her Schau­en­burg ge­rit­ten kam, um Til­ly zu emp­fan­gen. Das sei ein trau­ri­ges Zei­chen, dass sie sich an die­ser Stel­le be­geg­nen müss­ten, rief er. Da sehe Til­ly gleich, wie es zu­ge­he. Ein Wa­ren­trans­port habe nach Leip­zig ge­führt wer­den sol­len, da­von hät­ten Sol­da­ten Wind be­kom­men, sich im Ge­hölz ver­bor­gen und die Fuhr­leu­te über­fal­len. Ei­nen hät­ten sie ge­hängt, einen, der sich zur Wehr ge­setzt, übel be­straft, wie man hier sehe, ein paar an­de­re wä­ren mit Got­tes Hil­fe ent­wischt und er­füll­ten die Stadt mit Ge­schrei und La­men­tie­ren. Frei­lich sei es zum Er­bar­men, dass kai­ser­li­che Sol­da­ten, der Stadt zum Schut­ze ge­schickt, wie Räu­ber dar­in haus­ten. Vi­el­leicht wä­ren sie so­gar zu die­ser Stun­de wie­der in Frank­furt und schlü­gen dort die ge­stoh­le­nen Wa­ren um ein Bil­li­ges los.

Til­ly sag­te, er zweifle nicht, dass Schau­en­burg die Schul­di­gen die Stren­ge des Ge­set­zes wer­de spü­ren las­sen.

Wenn er sie hät­te, ant­wor­te­te Schau­en­burg, wol­le er das gern tun; aber sie steck­ten alle mit­ein­an­der durch, und er müs­se ih­nen wohl selbst nach­sprin­gen, wenn er sie er­tap­pen woll­te. Auch pfleg­ten sie sich da­mit zu ent­schul­di­gen, dass sie seit Mo­na­ten kei­nen Sold ge­se­hen hät­ten; er müs­se in ste­ter Sor­ge vor Meu­te­rei­en sein und kom­me sich vor wie die Tier­bän­di­ger auf den Märk­ten, die Lö­wen und Bä­ren tan­zen lie­ßen, in ei­ner Hand ein Stück rau­chen­des Fleisch, in der an­de­ren die Peit­sche schwin­gend, und da­zwi­schen heim­lich Stoß­ge­be­te für ihr Le­ben gen Him­mel schick­ten.

Wie sie aus dem Ge­hölz her­aus­ka­men, sa­hen sie die Fes­tung am Ho­ri­zon­te wie einen schwe­ren grau­en Dunst vor sich lie­gen. Er kön­ne Til­ly nicht ge­nug dan­ken, sag­te Schau­en­burg, dicht ne­ben dem Ge­ne­ral rei­tend, dass er selbst ge­kom­men sei; als er ihn er­blickt habe, sei ihm so ums Herz ge­wor­den, als wenn er sei­nes Hei­lands an­sich­tig wür­de. Wie Til­ly hel­fen sol­le, kön­ne er sich zwar nicht ein­bil­den, der Scha­den sei zu groß. Es müs­se frü­her oder spä­ter zu ei­ner Haupt­ka­ta­stro­phe kom­men. Aber Til­lys Zeug­nis, dass er nicht des Ei­fers er­man­gelt habe, wür­de man we­nigs­tens Glau­ben schen­ken.

Wie das nur mög­lich sei! sag­te Til­ly. Wie es mög­lich sei! Der Kai­ser glau­be über ein Heer zu ge­bie­ten, des­sen­glei­chen die Welt noch nicht ge­se­hen habe.

Lis­ten von 20.000 Mann hät­te er be­kom­men, er­zähl­te Schau­en­burg; aber kaum 4000 wä­ren auf­zu­trei­ben ge­we­sen, und nie­mand wis­se, wo die an­de­ren ge­blie­ben wä­ren. Er hät­te nach den Un­ter­of­fi­zie­ren ge­fragt: es sei kei­ner da­ge­we­sen, Wacht­meis­ter eben­so­we­nig; in ei­ner Schen­ke wä­ren drei Leut­nants ge­we­sen, die hät­ten be­sof­fen hin­ter der Ofen­bank vor­ge­zo­gen wer­den müs­sen, an­de­re lä­gen Tag und Nacht bei den Dir­nen. Die ge­mei­nen Sol­da­ten bet­tel­ten auf den Gas­sen und sä­hen zer­lump­ter und jäm­mer­li­cher aus als man­cher Bett­ler an den Kir­chen­tü­ren.

Til­ly be­klag­te die Un­glück­li­chen; Hun­ger, Frost und Krank­heit wä­ren Wür­mer, die auch bra­ve Her­zen faul mach­ten. Ein an­de­res sei es mit den Of­fi­zie­ren, wenn die ver­dür­ben, feh­le es am Kern.

Er habe, sag­te Schau­en­burg, vom Sei­ni­gen vor­ge­schos­sen, um das Heer vor­der­hand zu fris­ten und auch ei­ni­ger­ma­ßen in­stand zu set­zen, das sei nun aber auch schon auf­ge­gan­gen.

Geld brin­ge er mit, sag­te Til­ly, aber da­mit al­lein könn­ten so vie­le Lö­cher auch nicht ge­stopft wer­den. Er habe ver­nom­men, fuhr er nach ei­ner Pau­se fort, dass der Schwe­de lau­ter kräf­ti­ge, fröh­li­che Leu­te mit­ge­bracht habe. Er hal­te gute Man­nes­zucht, und an Geld feh­le es bis jetzt nicht. Die Au­gen des al­ten Ge­ne­rals schweif­ten über die ge­fro­re­ne Flä­che, an die sich hie und da ein blät­ter­lo­ser Strauch klam­mer­te; die star­ren schwar­zen Rän­der der aus­ge­fah­re­nen Ge­lei­se zo­gen wie klei­ne Ge­birgs­ket­ten über die Stra­ße. »Wie sol­len da die Leu­te mar­schie­ren, die zum Teil kei­ne Schu­he an den Fü­ßen ha­ben!« sag­te Schau­en­burg.

Til­ly schwieg; da sei nir­gends eine Hoff­nung, dach­te er; so sei es im Al­ter, dass das Laub nach­ein­an­der ver­dor­re und ab­fal­le, nichts mehr üb­rig­blei­be von ir­di­scher Lust, Schön­heit und Ehre. Es wer­de so kom­men, dass er sein gu­tes blan­kes Schwert ver­lie­ren und mit ei­nem schlech­ten, stump­fen, un­ehr­li­chen Mes­ser wer­de ver­tau­schen müs­sen. Zur Nie­der­la­ge wer­de Schimpf kom­men und Hohn.

Schau­en­burg fing an auf Wal­len­stein zu schel­ten: er glei­che ei­ner Haus­frau, die bei Fest und Tanz in At­las und Bro­kat stol­zie­re und Be­wun­de­rung und Schmei­che­lei ein­heim­se, bei der aber Kü­che und Kam­mer wie ein Schwei­ne­stall, Knech­te, Mäg­de und Kin­der voll Dreck und Läu­se wä­ren.

Til­ly sag­te, weil er das Heer so stark hät­te an­schwel­len las­sen, hät­te er die Über­sicht ver­lo­ren. Die Of­fi­zie­re hät­te der hohe Sold ver­dor­ben; denn die Men­schen wä­ren ein­mal zu schwach, als dass man sie der Ver­su­chung aus­set­zen dürf­te. Nun, da der Knäu­el völ­lig zer­zaust sei, hät­te man ihn ab­ge­setzt, und er sei der Verant­wor­tung und des Ta­dels le­dig.

Es kön­ne leicht ab­ge­kar­te­tes Spiel sein, mein­te Schau­en­burg. Vi­el­leicht hal­te er es mit dem Schwe­den, oder aber er habe vor­aus­ge­se­hen, dass das Un­we­sen im Hee­re of­fen­kun­dig wer­den müs­se, nun er es mit ei­nem mäch­ti­gen Fein­de zu tun be­kom­me.

Al­ler­lei wun­der­li­che Ge­dan­ken stie­gen in Til­ly auf über das, was ihm von Wal­len­stein wäh­rend des Herbs­tes wi­der­fah­ren war. Auf sei­ne viel­fäl­ti­gen Bit­ten, Wal­len­stein möge ver­stat­ten, dass er das kai­ser­li­che Heer aus Meck­len­burg mit Ge­trei­de ver­pro­vi­an­tie­re, hat­te er stets freund­lich und will­fäh­rig geant­wor­tet; aber mit der Tat war nie­mals ent­spro­chen wor­den, viel­mehr hat­te sein Statt­hal­ter al­les Korn au­ßer Lan­des ver­kau­fen müs­sen, und trotz al­les vor­han­de­nen Über­flus­ses und al­ler Ver­spre­chun­gen hat­ten sei­ne Sol­da­ten dar­ben müs­sen. Wie, wenn an­statt des­sen der Schwe­de sich der Zu­fuhr zu er­freu­en ge­habt hät­te? Je­den­falls aber sei es ihm zu­gu­te ge­kom­men, dass die Kai­ser­li­chen Man­gel lit­ten. Wie­der und wie­der muss­te er dar­über nach­den­ken, wie das auf­zu­fas­sen sei: ob Wal­len­stein nur ihm als sei­nem Nach­fol­ger und gleich­sam Ne­ben­buh­ler einen Tort zu­fü­gen oder ob er aus Be­güns­ti­gung des Reichs­feinds und etwa ver­bor­ge­ner Rach­sucht dem Kai­ser scha­den woll­te. Von die­sen Sor­gen und Arg­wohn ließ er je­doch nichts ver­lau­ten und sag­te zu Schau­en­burg, frei­lich sei de­nen wohl, die des Kriegs über­ho­ben wä­ren; al­lein sie hät­ten die Last auf sich ge­nom­men und müss­ten nun­mehr aus­har­ren, der Aus­gang sei, wie er wol­le. Auch woll­ten sie die Un­ter­ge­be­nen ihre Be­denk­lich­kei­ten nicht mer­ken las­sen, son­dern so viel als mög­lich fri­schen Mut zei­gen, da­mit nicht die ge­mei­nen Sol­da­ten eine Wit­te­rung be­kämen, als wür­den sie zur Schlacht­bank ge­schleppt, und, eh es noch zur Ak­ti­on käme, aus­ris­sen.