Von dem Grafen Hannibal von Schauenburg, der nach der Abberufung des Torquato Conti den Oberbefehl über die aus Pommern verdrängten kaiserlichen Truppen erhalten hatte, bekam Tilly verzweifelte Briefe aus Frankfurt an der Oder: er finde das Heer in solchem Wirrwarr und Elend, dass es gar nicht zu beschreiben sei. Barbarische Exzesse kämen täglich vor, und es sei die Verwilderung der Offiziere nicht geringer als die der gemeinen Soldaten. Mit solchem Gesindel sei nichts auszurichten, komme es zum Gefecht, würde alles auseinanderstieben und die Schuld des Schadens auf den Obersten fallen. Er sehe seinen Untergang vor Augen, habe doch diese Stelle nicht gesucht, sei wider Willen in diesen Sumpf geraten. Tilly solle ihm um Gottes willen beistehen, er wisse in solcher Extremität nicht ein und aus.
An einem dunklen Januartage traf Tilly mit einem kleinen Gefolge vor Frankfurt ein. Als sie durch ein Kieferngehölz ritten, das sich zwei bis drei Stunden vor der Stadt erstreckte, fanden sie den Weg durch die Trümmer eines Wagens und tote Pferde versperrt und entdeckten bei näherem Zusehen einen von einem Kiefernast herabhängenden Toten und einen anderen, der an einem Stamme festgebunden war. Der letzte war halbnackt, von Stichen und Hieben blutrünstig, der Kopf hing ihm kläglich mit grinsendem Munde vornüber. Noch starrten die Herren unschlüssig auf das Schrecknis, als von der Stadt her Schauenburg geritten kam, um Tilly zu empfangen. Das sei ein trauriges Zeichen, dass sie sich an dieser Stelle begegnen müssten, rief er. Da sehe Tilly gleich, wie es zugehe. Ein Warentransport habe nach Leipzig geführt werden sollen, davon hätten Soldaten Wind bekommen, sich im Gehölz verborgen und die Fuhrleute überfallen. Einen hätten sie gehängt, einen, der sich zur Wehr gesetzt, übel bestraft, wie man hier sehe, ein paar andere wären mit Gottes Hilfe entwischt und erfüllten die Stadt mit Geschrei und Lamentieren. Freilich sei es zum Erbarmen, dass kaiserliche Soldaten, der Stadt zum Schutze geschickt, wie Räuber darin hausten. Vielleicht wären sie sogar zu dieser Stunde wieder in Frankfurt und schlügen dort die gestohlenen Waren um ein Billiges los.
Tilly sagte, er zweifle nicht, dass Schauenburg die Schuldigen die Strenge des Gesetzes werde spüren lassen.
Wenn er sie hätte, antwortete Schauenburg, wolle er das gern tun; aber sie steckten alle miteinander durch, und er müsse ihnen wohl selbst nachspringen, wenn er sie ertappen wollte. Auch pflegten sie sich damit zu entschuldigen, dass sie seit Monaten keinen Sold gesehen hätten; er müsse in steter Sorge vor Meutereien sein und komme sich vor wie die Tierbändiger auf den Märkten, die Löwen und Bären tanzen ließen, in einer Hand ein Stück rauchendes Fleisch, in der anderen die Peitsche schwingend, und dazwischen heimlich Stoßgebete für ihr Leben gen Himmel schickten.
Wie sie aus dem Gehölz herauskamen, sahen sie die Festung am Horizonte wie einen schweren grauen Dunst vor sich liegen. Er könne Tilly nicht genug danken, sagte Schauenburg, dicht neben dem General reitend, dass er selbst gekommen sei; als er ihn erblickt habe, sei ihm so ums Herz geworden, als wenn er seines Heilands ansichtig würde. Wie Tilly helfen solle, könne er sich zwar nicht einbilden, der Schaden sei zu groß. Es müsse früher oder später zu einer Hauptkatastrophe kommen. Aber Tillys Zeugnis, dass er nicht des Eifers ermangelt habe, würde man wenigstens Glauben schenken.
Wie das nur möglich sei! sagte Tilly. Wie es möglich sei! Der Kaiser glaube über ein Heer zu gebieten, dessengleichen die Welt noch nicht gesehen habe.
Listen von 20.000 Mann hätte er bekommen, erzählte Schauenburg; aber kaum 4000 wären aufzutreiben gewesen, und niemand wisse, wo die anderen geblieben wären. Er hätte nach den Unteroffizieren gefragt: es sei keiner dagewesen, Wachtmeister ebensowenig; in einer Schenke wären drei Leutnants gewesen, die hätten besoffen hinter der Ofenbank vorgezogen werden müssen, andere lägen Tag und Nacht bei den Dirnen. Die gemeinen Soldaten bettelten auf den Gassen und sähen zerlumpter und jämmerlicher aus als mancher Bettler an den Kirchentüren.
Tilly beklagte die Unglücklichen; Hunger, Frost und Krankheit wären Würmer, die auch brave Herzen faul machten. Ein anderes sei es mit den Offizieren, wenn die verdürben, fehle es am Kern.
Er habe, sagte Schauenburg, vom Seinigen vorgeschossen, um das Heer vorderhand zu fristen und auch einigermaßen instand zu setzen, das sei nun aber auch schon aufgegangen.
Geld bringe er mit, sagte Tilly, aber damit allein könnten so viele Löcher auch nicht gestopft werden. Er habe vernommen, fuhr er nach einer Pause fort, dass der Schwede lauter kräftige, fröhliche Leute mitgebracht habe. Er halte gute Manneszucht, und an Geld fehle es bis jetzt nicht. Die Augen des alten Generals schweiften über die gefrorene Fläche, an die sich hie und da ein blätterloser Strauch klammerte; die starren schwarzen Ränder der ausgefahrenen Geleise zogen wie kleine Gebirgsketten über die Straße. »Wie sollen da die Leute marschieren, die zum Teil keine Schuhe an den Füßen haben!« sagte Schauenburg.
Tilly schwieg; da sei nirgends eine Hoffnung, dachte er; so sei es im Alter, dass das Laub nacheinander verdorre und abfalle, nichts mehr übrigbleibe von irdischer Lust, Schönheit und Ehre. Es werde so kommen, dass er sein gutes blankes Schwert verlieren und mit einem schlechten, stumpfen, unehrlichen Messer werde vertauschen müssen. Zur Niederlage werde Schimpf kommen und Hohn.
Schauenburg fing an auf Wallenstein zu schelten: er gleiche einer Hausfrau, die bei Fest und Tanz in Atlas und Brokat stolziere und Bewunderung und Schmeichelei einheimse, bei der aber Küche und Kammer wie ein Schweinestall, Knechte, Mägde und Kinder voll Dreck und Läuse wären.
Tilly sagte, weil er das Heer so stark hätte anschwellen lassen, hätte er die Übersicht verloren. Die Offiziere hätte der hohe Sold verdorben; denn die Menschen wären einmal zu schwach, als dass man sie der Versuchung aussetzen dürfte. Nun, da der Knäuel völlig zerzaust sei, hätte man ihn abgesetzt, und er sei der Verantwortung und des Tadels ledig.
Es könne leicht abgekartetes Spiel sein, meinte Schauenburg. Vielleicht halte er es mit dem Schweden, oder aber er habe vorausgesehen, dass das Unwesen im Heere offenkundig werden müsse, nun er es mit einem mächtigen Feinde zu tun bekomme.
Allerlei wunderliche Gedanken stiegen in Tilly auf über das, was ihm von Wallenstein während des Herbstes widerfahren war. Auf seine vielfältigen Bitten, Wallenstein möge verstatten, dass er das kaiserliche Heer aus Mecklenburg mit Getreide verproviantiere, hatte er stets freundlich und willfährig geantwortet; aber mit der Tat war niemals entsprochen worden, vielmehr hatte sein Statthalter alles Korn außer Landes verkaufen müssen, und trotz alles vorhandenen Überflusses und aller Versprechungen hatten seine Soldaten darben müssen. Wie, wenn anstatt dessen der Schwede sich der Zufuhr zu erfreuen gehabt hätte? Jedenfalls aber sei es ihm zugute gekommen, dass die Kaiserlichen Mangel litten. Wieder und wieder musste er darüber nachdenken, wie das aufzufassen sei: ob Wallenstein nur ihm als seinem Nachfolger und gleichsam Nebenbuhler einen Tort zufügen oder ob er aus Begünstigung des Reichsfeinds und etwa verborgener Rachsucht dem Kaiser schaden wollte. Von diesen Sorgen und Argwohn ließ er jedoch nichts verlauten und sagte zu Schauenburg, freilich sei denen wohl, die des Kriegs überhoben wären; allein sie hätten die Last auf sich genommen und müssten nunmehr ausharren, der Ausgang sei, wie er wolle. Auch wollten sie die Untergebenen ihre Bedenklichkeiten nicht merken lassen, sondern so viel als möglich frischen Mut zeigen, damit nicht die gemeinen Soldaten eine Witterung bekämen, als würden sie zur Schlachtbank geschleppt, und, eh es noch zur Aktion käme, ausrissen.