Es werde nicht eher anders werden, schrieb Pappenheim an Wallenstein, als bis er den Oberbefehl über das kaiserliche Heer wieder übernehme. Nach der herrlichen Viktoria von Magdeburg, habe er gehofft, werde man sich flugs auf den Feind werfen, allein Tilly lasse sich zu keiner heroischen Tat bewegen und verliere die teure Zeit mit Schwanken und Zaudern. Sei es nun die Unvermöglichkeit des Alters oder die Angst vor dem Schweden, dieser sonst so vortreffliche Mann sei einer Gemütsperplexität verfallen, aus der niemand und nichts ihn zu reißen vermöge. Die Ungeduld steche ihn, Pappenheim, wie ein Schwarm giftiger Mücken; er habe seine Hoffnung nächst Gott auf Wallenstein gesetzt, wenn er nicht hervortrete und helfe, so stehe der Ruin des katholischen Glaubens und des Reiches bevor.
Am 25. Mai gab Tilly den geretteten Magdeburger Dom dem katholischen Gottesdienst zurück. Aus dem Schutt der gefallenen Stadt stieg hie und da ein zartes Wölklein von Rauch und Staub in die Luft, um spurlos im heißen Blau zu versiegen. Glorreich schwang sich das steinerne Riesenbild aufwärts, als dürste es, sich in die ungetrübte Quelle des Lichtes einzutauchen. »Die Kathedrale steht über diesen ausgebrannten Trümmern Magdeburgs, wie das himmlische Jerusalem über unserer armen irdischen Welt schwebt«, sagte Schönberg, der neben Tilly herging, »und Eure Exzellenz mögen froh sein, als erster Bürger in die selige Stadt einzuziehen.«
»Es ist schwerer«, antwortete Tilly, »den Himmel zu erobern als eine Festung auf Erden, und muss mit anderen Mitteln versucht werden.«
Während die Zeremonie ausgeübt wurde, saß er klein und verschrumpft auf seinem Sitze, kniete schwerfällig nieder, wenn die Zeichen gegeben wurden, und hatte Mühe, wieder aufzustehen.
An den Kaiser und an den Herzog von Bayern schrieb er, dass man das zugefallene Kriegsglück nützen könne, um den Frieden zu erzielen. Kursachsen habe ein großes Heer geworben, ebenso Hessen-Kassel, und er habe Ursache zu fürchten, dass sie es mit dem Schweden hielten. Ihnen zusammen sei er nicht gewachsen, wenn er nicht mit mehr Geld versehen würde. Sollte er nun aber auch in einer Feldschlacht siegen, was damit gewonnen sein würde? Holland und Frankreich hätten immer noch Geld, und der Soldaten würden stets mehr statt weniger. Jetzt, jetzt solle man Frieden machen, bevor ein allgemeiner Brand entstehe, den niemand mehr zu löschen vermöge. Würde aber der Friede nicht beliebt, so wolle er seine ihm übrigbleibende Kraft weiter an den Krieg setzen, dringe dann aber darauf, dass er instand gesetzt werde, den Sold auszuzahlen, und bitte um Erlaubnis, Kursachsen und Hessen-Kassel als Feinde behandeln zu dürfen, damit nicht er das Opfer ihrer Praktiken würde.
Als die Erlaubnis des Kaisers eintraf, Tilly dürfe Kursachsen, wenn es beim Leipziger Schluss verharre, als Feind behandeln, stand die Einwilligung Bayerns noch aus, die Tilly durchaus erwarten wollte. Das wären die Prinzipien der alten Schule, sagte Pappenheim ärgerlich, womit große Dinge nicht könnten ausgerichtet werden. Die Herren in der Residenz könnten nicht wissen, wie allemal die Lage auf dem Kriegsschauplatz sei, und Schnelligkeit des Entschlusses sei mehr wert als ein ganzes Regiment.
Das sei richtig, sagte Tilly, wenn es darauf ankomme, ein feindliches Heer zu vernichten.
Worauf es denn sonst ankomme? fragte Pappenheim erstaunt.
In diesem Kriege, sagte Tilly, ständen die Glieder des Reichs gegen das Haupt und ein Glied gegen das andere; dabei könne das ganze Reich zugrunde gehn, und es komme darauf an, es zu erhalten.
Vor allen Dingen müsse der König von Schweden geschlagen werden, entgegnete Pappenheim, der Reichsfeind sei.
Inzwischen richtete Tilly Mahnschreiben an Kursachsen und Hessen-Kassel und erinnerte sie an ihre Pflicht gegen den Kaiser und wie das uralte heilige Reich, an dem Jahrhunderte gebaut hätten und das so lange die Krone und der Hort aller Völker gewesen sei, nun durch die Felonie seiner Fürsten zu wanken beginne. Im geheimen wurmte Tilly das Verhalten der geistlichen Fürsten und vor allen Dingen das seines Herrn, des Herzogs von Bayern. Sie, die als katholische Kurfürsten des Kaisers vornehmste Stütze sein sollten, paktierten mit Frankreich, das dem Kaiser nachstellte, und wollten Kursachsen als ihren Mitkurfürsten geschont wissen, der vom Kaiser abzufallen im Begriffe war. Lange lag er vor dem Bilde des Gekreuzigten auf den Knien und betete, ohne seine Gedanken dabeihalten zu können, die zu einer Wolke von Schwermut geballt auf seinem Herzen lasteten.
Um die Mitte des September endlich forderte Tilly den Kurfürsten von Sachsen auf, sich zu erklären, ob er Freund oder Feind des Kaisers sei, und im ersteren Falle die von ihm geworbenen Truppen mit denen des Kaisers zu vereinigen, damit sie zusammen den Reichsfeind angreifen könnten. Johann Georg antwortete, er sei von jeher dem Kaiser getreu und gehorsam gewesen und wolle es auch ferner sein; aber als ein freier Kurfürst des Reichs habe er das Recht, ein Heer zu unterhalten, wie dasselbe den Fürsten der Liga gestattet sei. Wie die Notdurft es erfordere, behalte er sich vor, es zu verwenden.
Nunmehr rückte Tilly in Sachsen ein und zog vor Leipzig, das ihm nach kurzen Verhandlungen die Tore öffnete. Das den Schweden geneigte niedere Volk hatte die Vorstädte abgebrannt, und so traf es sich, dass nur des Totengräbers Haus in einem geeigneten Zustande war, um die Offiziere zu einem Kriegsrate aufzunehmen. Da es schon dunkelte, forderte Tilly den Totengräber auf, Licht zu machen, worauf dieser ein brennendes Scheit von einem nebenan befindlichen Herde holte, auf einen Stuhl kletterte und einige Öllämpchen anzündete, die im Inneren mehrerer von der Decke herabhängender Totenschädel befestigt waren. »Das sind wunderliche Ampeln«, sagte Oberst Erwitte, indem er erschrocken zurücktrat; er habe sie in der Dämmerung für Kürbisse angesehen. »Dies liebe Gebein wächst mir auf meinem Acker zu wie Unkraut«, sagte der Totengräber, »und so mache ich einen schönen Gebrauch davon, indem ich den ausgeblasenen Köpfen einstweilen wieder ein Lichtlein einsetze, womit sie vielleicht besseren Nutzen als zu ihren Lebzeiten stiften.« Es zeigte sich bei der trüben Beleuchtung, dass auch auf einer Truhe kleine Pyramiden von Schädeln errichtet und andere Knochen als Zieraten an der Wand aufgehängt und verteilt waren. »Ich möchte den Herren zu bedenken geben«, sagte Schönberg, »ob diese Totenlaternlein nicht als Omina oder Vorzeichen zu betrachten seien, welche Gott ausgehängt hat, um uns vor Schaden zu bewahren. Wir können es billig nicht als einen Zufall betrachten, dass wir in diese Höhle geraten sind, die mehr einem Grabe als einer menschlichen Behausung gleicht und uns ein Bild dessen vorstellen zu sollen scheint, was uns nach einer mutwillig ertrotzten Schlacht erwartet.«
Das sei kein guter Soldat, sagte Pappenheim, der sich durch den Gedanken des Todes von der Schlacht zurückschrecken lasse.
Nicht der Tod dürfe den Soldaten schrecken, fiel Tilly ein, aber Gottes Hand. Ein Feldherr dürfe Gott nicht versuchen und das ihm anvertraute Heer nicht in offensichtliche Gefahr stürzen; denn es sei eine kostbare lebendige Waffe und lasse sich nicht so schnell ersetzen wie eine eiserne. Er sei der Meinung, dass eine Schlacht jetzt stattfinden müsse; aber er halte es für gut, zuvor den aus Italien zurückkehrenden Aldringen zu erwarten, damit man dem Feinde besser gewachsen sei. Man dürfe den Feind nicht verachten und habe keine Ursache, sich wegen bisher erfochtener Siege zu überheben. Gustav Adolf habe seine ganze Regierung hindurch Kriege geführt und dabei Kunst, Umsicht und Tapferkeit bewiesen. Auch werde viel von einer neuen Kriegsweise und neuen Kriegswaffen gesprochen, deren er sich bediene, um den Gegner zu überraschen.
Er solle auch eine solche Gewalt über die Soldaten besitzen, setzte Schönberg hinzu, dass es der Zauberei gleichkomme; sei ja auch nicht wie ein Mensch, sondern wie ein Sturmwind oder eine Meerflut jählings einhergebraust und habe das Reich überschwemmt.
Im Kriegswesen gebe es keine andere Hexerei, sagte Pappenheim, als drauf, dran und vorwärts. Wenn der König ein Magnet und er, Pappenheim, ein Stück Eisen wäre, könne es ihn nicht ungeduldiger ihm entgegentreiben, gerade weil der König ein Held sei. Mit der Erwartung Aldringens werde wiederum die unersetzliche Zeit verloren.
Indessen fand trotz Pappenheims Widerspruch Tillys Ansicht Anklang, dass bei Breitenfeld eine feste Stellung genommen, die Schlacht aber nicht angeboten werden solle, bevor man sich mit Aldringen vereinigt hätte. Nachdem dieser Beschluss gefasst war, wurde sofort aufgebrochen und das Heer zwischen zwei Hügel verteilt, die besetzt wurden; den Rücken deckte die Stadt Leipzig.