59.

Es wer­de nicht eher an­ders wer­den, schrieb Pap­pen­heim an Wal­len­stein, als bis er den Ober­be­fehl über das kai­ser­li­che Heer wie­der über­neh­me. Nach der herr­li­chen Vik­to­ria von Mag­de­burg, habe er ge­hofft, wer­de man sich flugs auf den Feind wer­fen, al­lein Til­ly las­se sich zu kei­ner he­ro­i­schen Tat be­we­gen und ver­lie­re die teu­re Zeit mit Schwan­ken und Zau­dern. Sei es nun die Un­ver­mög­lich­keit des Al­ters oder die Angst vor dem Schwe­den, die­ser sonst so vor­treff­li­che Mann sei ei­ner Ge­müts­per­ple­xi­tät ver­fal­len, aus der nie­mand und nichts ihn zu rei­ßen ver­mö­ge. Die Un­ge­duld ste­che ihn, Pap­pen­heim, wie ein Schwarm gif­ti­ger Mücken; er habe sei­ne Hoff­nung nächst Gott auf Wal­len­stein ge­setzt, wenn er nicht her­vor­tre­te und hel­fe, so ste­he der Ruin des ka­tho­li­schen Glau­bens und des Rei­ches be­vor.

Am 25. Mai gab Til­ly den ge­ret­te­ten Mag­de­bur­ger Dom dem ka­tho­li­schen Got­tes­dienst zu­rück. Aus dem Schutt der ge­fal­le­nen Stadt stieg hie und da ein zar­tes Wölk­lein von Rauch und Staub in die Luft, um spur­los im hei­ßen Blau zu ver­sie­gen. Glor­reich schwang sich das stei­ner­ne Rie­sen­bild auf­wärts, als dürs­te es, sich in die un­ge­trüb­te Quel­le des Lich­tes ein­zut­au­chen. »Die Ka­the­dra­le steht über die­sen aus­ge­brann­ten Trüm­mern Mag­de­burgs, wie das himm­li­sche Je­ru­sa­lem über un­se­rer ar­men ir­di­schen Welt schwebt«, sag­te Schön­berg, der ne­ben Til­ly her­ging, »und Eure Ex­zel­lenz mö­gen froh sein, als ers­ter Bür­ger in die se­li­ge Stadt ein­zu­zie­hen.«

»Es ist schwe­rer«, ant­wor­te­te Til­ly, »den Him­mel zu er­obern als eine Fes­tung auf Er­den, und muss mit an­de­ren Mit­teln ver­sucht wer­den.«

Wäh­rend die Ze­re­mo­nie aus­ge­übt wur­de, saß er klein und ver­schrumpft auf sei­nem Sit­ze, knie­te schwer­fäl­lig nie­der, wenn die Zei­chen ge­ge­ben wur­den, und hat­te Mühe, wie­der auf­zu­ste­hen.

An den Kai­ser und an den Her­zog von Bay­ern schrieb er, dass man das zu­ge­fal­le­ne Kriegs­glück nüt­zen kön­ne, um den Frie­den zu er­zie­len. Kur­sach­sen habe ein großes Heer ge­wor­ben, eben­so Hes­sen-Kas­sel, und er habe Ur­sa­che zu fürch­ten, dass sie es mit dem Schwe­den hiel­ten. Ih­nen zu­sam­men sei er nicht ge­wach­sen, wenn er nicht mit mehr Geld ver­se­hen wür­de. Soll­te er nun aber auch in ei­ner Feld­schlacht sie­gen, was da­mit ge­won­nen sein wür­de? Hol­land und Frank­reich hät­ten im­mer noch Geld, und der Sol­da­ten wür­den stets mehr statt we­ni­ger. Jetzt, jetzt sol­le man Frie­den ma­chen, be­vor ein all­ge­mei­ner Brand ent­ste­he, den nie­mand mehr zu lö­schen ver­mö­ge. Wür­de aber der Frie­de nicht be­liebt, so wol­le er sei­ne ihm üb­rig­blei­ben­de Kraft wei­ter an den Krieg set­zen, drin­ge dann aber dar­auf, dass er in­stand ge­setzt wer­de, den Sold aus­zu­zah­len, und bit­te um Er­laub­nis, Kur­sach­sen und Hes­sen-Kas­sel als Fein­de be­han­deln zu dür­fen, da­mit nicht er das Op­fer ih­rer Prak­ti­ken wür­de.

Als die Er­laub­nis des Kai­sers ein­traf, Til­ly dür­fe Kur­sach­sen, wenn es beim Leip­zi­ger Schluss ver­har­re, als Feind be­han­deln, stand die Ein­wil­li­gung Bay­erns noch aus, die Til­ly durch­aus er­war­ten woll­te. Das wä­ren die Prin­zi­pi­en der al­ten Schu­le, sag­te Pap­pen­heim är­ger­lich, wo­mit große Din­ge nicht könn­ten aus­ge­rich­tet wer­den. Die Her­ren in der Re­si­denz könn­ten nicht wis­sen, wie al­le­mal die Lage auf dem Kriegs­schau­platz sei, und Schnel­lig­keit des Ent­schlus­ses sei mehr wert als ein gan­zes Re­gi­ment.

Das sei rich­tig, sag­te Til­ly, wenn es dar­auf an­kom­me, ein feind­li­ches Heer zu ver­nich­ten.

Worauf es denn sonst an­kom­me? frag­te Pap­pen­heim er­staunt.

In die­sem Krie­ge, sag­te Til­ly, stän­den die Glie­der des Reichs ge­gen das Haupt und ein Glied ge­gen das an­de­re; da­bei kön­ne das gan­ze Reich zu­grun­de gehn, und es kom­me dar­auf an, es zu er­hal­ten.

Vor al­len Din­gen müs­se der Kö­nig von Schwe­den ge­schla­gen wer­den, ent­geg­ne­te Pap­pen­heim, der Reichs­feind sei.

In­zwi­schen rich­te­te Til­ly Mahn­schrei­ben an Kur­sach­sen und Hes­sen-Kas­sel und er­in­ner­te sie an ihre Pf­licht ge­gen den Kai­ser und wie das ur­al­te hei­li­ge Reich, an dem Jahr­hun­der­te ge­baut hät­ten und das so lan­ge die Kro­ne und der Hort al­ler Völ­ker ge­we­sen sei, nun durch die Fe­lo­nie sei­ner Fürs­ten zu wan­ken be­gin­ne. Im ge­hei­men wurm­te Til­ly das Ver­hal­ten der geist­li­chen Fürs­ten und vor al­len Din­gen das sei­nes Herrn, des Her­zogs von Bay­ern. Sie, die als ka­tho­li­sche Kur­fürs­ten des Kai­sers vor­nehms­te Stüt­ze sein soll­ten, pak­tier­ten mit Frank­reich, das dem Kai­ser nach­stell­te, und woll­ten Kur­sach­sen als ih­ren Mit­kur­fürs­ten ge­schont wis­sen, der vom Kai­ser ab­zu­fal­len im Be­grif­fe war. Lan­ge lag er vor dem Bil­de des Ge­kreu­zig­ten auf den Kni­en und be­te­te, ohne sei­ne Ge­dan­ken da­bei­hal­ten zu kön­nen, die zu ei­ner Wol­ke von Schwer­mut ge­ballt auf sei­nem Her­zen las­te­ten.

Um die Mit­te des Sep­tem­ber end­lich for­der­te Til­ly den Kur­fürs­ten von Sach­sen auf, sich zu er­klä­ren, ob er Freund oder Feind des Kai­sers sei, und im ers­te­ren Fal­le die von ihm ge­wor­be­nen Trup­pen mit de­nen des Kai­sers zu ver­ei­ni­gen, da­mit sie zu­sam­men den Reichs­feind an­grei­fen könn­ten. Jo­hann Ge­org ant­wor­te­te, er sei von je­her dem Kai­ser ge­treu und ge­hor­sam ge­we­sen und wol­le es auch fer­ner sein; aber als ein frei­er Kur­fürst des Reichs habe er das Recht, ein Heer zu un­ter­hal­ten, wie das­sel­be den Fürs­ten der Liga ge­stat­tet sei. Wie die Not­durft es er­for­de­re, be­hal­te er sich vor, es zu ver­wen­den.

Nun­mehr rück­te Til­ly in Sach­sen ein und zog vor Leip­zig, das ihm nach kur­z­en Ver­hand­lun­gen die Tore öff­ne­te. Das den Schwe­den ge­neig­te nie­de­re Volk hat­te die Vor­städ­te ab­ge­brannt, und so traf es sich, dass nur des To­ten­grä­bers Haus in ei­nem ge­eig­ne­ten Zu­stan­de war, um die Of­fi­zie­re zu ei­nem Kriegs­ra­te auf­zu­neh­men. Da es schon dun­kel­te, for­der­te Til­ly den To­ten­grä­ber auf, Licht zu ma­chen, wor­auf die­ser ein bren­nen­des Scheit von ei­nem ne­ben­an be­find­li­chen Her­de hol­te, auf einen Stuhl klet­ter­te und ei­ni­ge Öl­lämp­chen an­zün­de­te, die im In­ne­ren meh­re­rer von der De­cke her­ab­hän­gen­der To­ten­schä­del be­fes­tigt wa­ren. »Das sind wun­der­li­che Am­peln«, sag­te Oberst Er­wit­te, in­dem er er­schro­cken zu­rück­trat; er habe sie in der Däm­me­rung für Kür­bis­se an­ge­se­hen. »Dies lie­be Ge­bein wächst mir auf mei­nem Acker zu wie Un­kraut«, sag­te der To­ten­grä­ber, »und so ma­che ich einen schö­nen Ge­brauch da­von, in­dem ich den aus­ge­bla­se­nen Köp­fen einst­wei­len wie­der ein Licht­lein ein­set­ze, wo­mit sie viel­leicht bes­se­ren Nut­zen als zu ih­ren Leb­zei­ten stif­ten.« Es zeig­te sich bei der trü­ben Be­leuch­tung, dass auch auf ei­ner Tru­he klei­ne Py­ra­mi­den von Schä­deln er­rich­tet und an­de­re Kno­chen als Zie­ra­ten an der Wand auf­ge­hängt und ver­teilt wa­ren. »Ich möch­te den Her­ren zu be­den­ken ge­ben«, sag­te Schön­berg, »ob die­se To­ten­la­tern­lein nicht als Omi­na oder Vor­zei­chen zu be­trach­ten sei­en, wel­che Gott aus­ge­hängt hat, um uns vor Scha­den zu be­wah­ren. Wir kön­nen es bil­lig nicht als einen Zu­fall be­trach­ten, dass wir in die­se Höh­le ge­ra­ten sind, die mehr ei­nem Gra­be als ei­ner mensch­li­chen Be­hau­sung gleicht und uns ein Bild des­sen vor­stel­len zu sol­len scheint, was uns nach ei­ner mut­wil­lig er­trotz­ten Schlacht er­war­tet.«

Das sei kein gu­ter Sol­dat, sag­te Pap­pen­heim, der sich durch den Ge­dan­ken des To­des von der Schlacht zu­rück­schre­cken las­se.

Nicht der Tod dür­fe den Sol­da­ten schre­cken, fiel Til­ly ein, aber Got­tes Hand. Ein Feld­herr dür­fe Gott nicht ver­su­chen und das ihm an­ver­trau­te Heer nicht in of­fen­sicht­li­che Ge­fahr stür­zen; denn es sei eine kost­ba­re le­ben­di­ge Waf­fe und las­se sich nicht so schnell er­set­zen wie eine ei­ser­ne. Er sei der Mei­nung, dass eine Schlacht jetzt statt­fin­den müs­se; aber er hal­te es für gut, zu­vor den aus Ita­li­en zu­rück­keh­ren­den Aldrin­gen zu er­war­ten, da­mit man dem Fein­de bes­ser ge­wach­sen sei. Man dür­fe den Feind nicht ver­ach­ten und habe kei­ne Ur­sa­che, sich we­gen bis­her er­foch­te­ner Sie­ge zu über­he­ben. Gu­stav Adolf habe sei­ne gan­ze Re­gie­rung hin­durch Krie­ge ge­führt und da­bei Kunst, Um­sicht und Tap­fer­keit be­wie­sen. Auch wer­de viel von ei­ner neu­en Kriegs­wei­se und neu­en Kriegs­waf­fen ge­spro­chen, de­ren er sich be­die­ne, um den Geg­ner zu über­ra­schen.

Er sol­le auch eine sol­che Ge­walt über die Sol­da­ten be­sit­zen, setz­te Schön­berg hin­zu, dass es der Zau­be­rei gleich­kom­me; sei ja auch nicht wie ein Mensch, son­dern wie ein Sturm­wind oder eine Meer­flut jäh­lings ein­her­ge­braust und habe das Reich über­schwemmt.

Im Kriegs­we­sen gebe es kei­ne an­de­re Hexe­rei, sag­te Pap­pen­heim, als drauf, dran und vor­wärts. Wenn der Kö­nig ein Ma­gnet und er, Pap­pen­heim, ein Stück Ei­sen wäre, kön­ne es ihn nicht un­ge­dul­di­ger ihm ent­ge­gen­trei­ben, ge­ra­de weil der Kö­nig ein Held sei. Mit der Er­war­tung Aldrin­gens wer­de wie­der­um die un­er­setz­li­che Zeit ver­lo­ren.

In­des­sen fand trotz Pap­pen­heims Wi­der­spruch Til­lys An­sicht An­klang, dass bei Brei­ten­feld eine fes­te Stel­lung ge­nom­men, die Schlacht aber nicht an­ge­bo­ten wer­den sol­le, be­vor man sich mit Aldrin­gen ver­ei­nigt hät­te. Nach­dem die­ser Be­schluss ge­fasst war, wur­de so­fort auf­ge­bro­chen und das Heer zwi­schen zwei Hü­gel ver­teilt, die be­setzt wur­den; den Rücken deck­te die Stadt Leip­zig.