69.

An ei­nem fros­ti­gen Mär­z­abend kam der schwe­di­sche Ge­sand­te in Dres­den, Graf Phil­ipp Rein­hard Solms, zu dem schwe­di­schen Re­si­den­ten Ni­ko­lai, der so­gleich einen star­ken Punsch misch­te; das sei nicht nur gut ge­gen die Käl­te, son­dern auch ge­gen die Pest, die jetzt so häss­lich um sich grei­fe. Er habe neu­lich von ei­nem Arzt sa­gen hö­ren, dass die pe­sti­len­zia­li­schen1 Seu­chen durch un­sicht­ba­re Tier­lein oder Le­be­we­sen ver­brei­tet und dass die­se durch den Wein­geist ge­tö­tet wür­den. Soll­te dies aber auch nur eine neu­mo­di­sche Hy­po­the­se sein, so zäh­le doch si­cher die Feuch­tig­keit zu den Ur­sa­chen der Pest, wel­cher nicht bes­ser als durch einen hei­ßen Punsch kön­ne ge­steu­ert wer­den.

Graf Solms tat einen Zug und gab sei­ner Freu­de Aus­druck, Ni­ko­lai da­heim ge­fun­den zu ha­ben; er habe et­was Selt­sa­mes er­lebt, wo­von er Ni­ko­lai zum Zeu­gen ma­chen wol­le, für den Fall, dass er selbst es mor­gen für ein Traum­ge­sicht hal­ten soll­te. Er habe nach der Ta­fel dem Kur­fürs­ten auf­ge­war­tet, der sehr auf­ge­räumt und ver­trau­lich ge­gen ihn ge­we­sen sei und ihn zu ei­nem Spa­zier­gang um die Stadt auf­ge­for­dert habe. Schnee und Re­gen hät­ten ih­nen an die Ba­cken ge­schla­gen, und der Schlamm sei ih­nen an die Bei­ne ge­spritzt; dem Kur­fürs­ten habe es aber die Lau­ne nicht ge­stört, son­dern er habe ge­sagt, Schnee und Sturm tue gut, die Welt müs­se ein­mal or­dent­lich zer­zaust wer­den, es kön­ne nicht im­mer al­les blei­ben, wie es sei. Er sei frü­her zu ge­lin­de ge­we­sen; aber von nun an wol­le er es mit dem Kö­ni­ge hal­ten: scharf drein und vor­wärts! Mit den Pfaf­fen müs­se man nicht pak­tie­ren, son­dern gründ­lich auf­räu­men, al­les müs­se sä­ku­la­ri­siert wer­den. Das Reich müs­se in ein an­de­res Mo­dell ge­gos­sen wer­den, es sei ein­mal ver­rot­tet. Wenn der Kai­ser nicht wol­le, müs­se man ihn zwin­gen; zum Teu­fel mit den Spa­ni­ern und Je­sui­ten, jetzt kom­me et­was Neu­es auf die Bahn.

»Ja, was ist das, was ist das?« sag­te Ni­ko­lai, die Hän­de ge­gen die Knie stem­mend; wenn Gräf­li­che Gna­den es nicht selbst ge­hört hät­ten, wür­de er nicht glau­ben, dass der Kur­fürst das ge­sagt habe!

Ge­wiss und wahr­haf­tig, das wä­ren sei­ne selbst­ei­ge­nen Wor­te ge­we­sen, sag­te Solms. Ob er viel­leicht be­sof­fen ge­we­sen sei? frag­te Ni­ko­lai nach ei­ni­gem Nach­den­ken. Nein, sag­te Solms, im Rausch pfle­ge der Kur­fürst stark mit den Hän­den zu fuch­teln und ganz ab­son­der­lich zu flu­chen; er sei aber dies­mal ziem­lich re­so­lut für­bass ge­gan­gen und habe auch ganz ver­stän­dig und schick­lich ge­re­det.

Ni­ko­lai schüt­tel­te den Kopf und blick­te ge­dan­ken­voll in sei­nen Punsch, des­sen ed­les Aro­ma das klei­ne, braun­ver­tä­fel­te Zim­mer durch­duf­te­te. Ja, so sei er viel­leicht gar nüch­tern ge­we­sen, sag­te er plötz­lich, in­dem er sich auf­rich­te­te. Mög­lich sei das, ant­wor­te­te Solms, aber doch nicht recht glaub­lich, da es ge­ra­de nach Ti­sche ge­we­sen sei.

So viel wis­se er, sag­te Ni­ko­lai, dass die Kur­fürs­tin vor zwei Ta­gen in Dres­den an­ge­kom­men sei und ein lan­ges Ge­spräch mit dem Kur­fürs­ten ge­habt habe, wo­bei sie auch ge­weint ha­ben sol­le. Sie habe ihm vor­ge­hal­ten, dass er das Evan­ge­li­um ver­ra­te und sich im­mer auf die Sei­te nei­ge, wo sein Wohl­le­ben das bes­te Ge­dei­hen fin­de, frei­lich nur das ver­meint­li­che, denn auf die Dau­er rich­te das Sau­fen Leib und See­le zu­grun­de. Der Hoë sol­le sich auch sehr an­ge­grif­fen und ge­sagt ha­ben, der Kö­nig von Schwe­den sei von Gott ge­sandt, und wenn der Kur­fürst ihm nicht treu blei­be, so ver­scher­ze er sei­ne Se­lig­keit.

Der habe jetzt eine neue Sai­te auf sein Lau­ten­spiel ge­spannt, sag­te Solms. Ni­ko­lai lach­te in sich hin­ein; ja, dem habe wirk­lich Gott den Kö­nig ge­sandt, und noch dazu auf Sil­ber und Gold ge­prägt. Man müs­se es aber dem Hoë nach­sa­gen, dass er wa­cker lau­fe, wenn er ein­mal an­ge­schirrt sei. Ges­tern bei ei­nem Ban­kett habe er, Ni­ko­lai, zu ihm ge­sagt, es sei be­fremd­lich, dass in Dres­den in den Kir­chen noch im­mer für den Kai­ser ge­be­tet wer­de, da doch ei­nem auf­rich­ti­gen Luthe­ra­ner das Wohl und die Sie­ger­lan­gung des Kö­nigs viel mehr am Her­zen lie­gen sol­le. Da habe er zu­ge­stimmt und ver­si­chert, es sol­le bald einen pa­trio­ti­schen Um­schwung ge­ben, er wol­le lie­ber ab­dan­ken als zu­sehn, dass noch län­ger so miss­bräuch­lich ge­be­tet wer­de.

Was denn nun ei­gent­lich Ni­ko­lai von den heu­ti­gen Äu­ße­run­gen des Kur­fürs­ten hal­te? frag­te Solms. Ob er mei­ne, dass es dem Kö­nig mit­zu­tei­len, oder ob es nur für ein Ge­f­lun­ker zu hal­ten sei?

Mit­tei­len müs­se man es dem Kö­nig wohl, sag­te Ni­ko­lai, aber zu ge­ben sei nichts dar­auf. Aus dem Bau­che kämen nur va­po­res. Kön­ne man sich nur Ar­nims ver­si­chern, das schie­ne ihm rich­ti­ger. Den hal­te er für durch und durch falsch und ge­fähr­lich, und der Kö­nig müs­se nach­drück­lich vor ihm ge­warnt wer­den.

Der Kur­fürst sei selbst böse auf Ar­nim, sag­te Solms, denn er be­ant­wor­te des Kur­fürs­ten Brie­fe nicht, kom­me nicht, wenn er ihn rufe, küm­me­re sich über­haupt nicht um sei­ne Be­feh­le, und dar­in sei der Kur­fürst sehr hei­kel. Au­ßer­dem be­haup­te Ar­nim, mit ei­nem so übel aus­ge­rüs­te­ten Heer kön­ne er nichts aus­rich­ten, wo­ge­gen der Kur­fürst sage, Ar­nim emp­fan­ge Geld ge­nug, ste­cke es aber in die Ta­sche und las­se das Heer ver­kom­men. Tat­sa­che sei, dass der Sol­dat ei­nem Bett­ler oder Räu­ber glei­che und das arme Volk auf­fres­se, an­statt es zu be­schüt­zen.

»Ja, ja, es ist eine üble Ord­nung«, sag­te Ni­ko­lai nach­denk­lich. Aber wie nun, mein­te er, wenn der Kur­fürst sich nur so an­stell­te, als ob er auf Ar­nim böse sei, aber in Wirk­lich­keit mit ihm un­ter ei­ner De­cke steck­te, und sie plötz­lich mit­ein­an­der zum Kai­ser über­gin­gen?

Der böh­mi­sche Emi­grant, Herr von Hr­zan, bei dem er woh­ne, sag­te Solms, habe ihm ver­si­chert, wenn Ar­nim und Wal­len­stein mit­ein­an­der trak­tier­ten, kön­ne es sich nur dar­um han­deln, dass Wal­len­stein schwe­disch, nicht, dass Ar­nim kai­ser­lich wür­de. Wal­len­stein sei so ehr­gei­zig, dass er sich ohne Be­den­ken dem Teu­fel ver­schrie­be, um die böh­mi­sche Kro­ne zu be­kom­men. Er sei nur miss­trau­isch und un­schlüs­sig, war­te auf eine rech­te Si­cher­heit vom Kö­nig von Schwe­den.

Ni­ko­lai zuck­te die Schul­tern. Es möge so sein, sag­te er, dass Wal­len­stein nicht kai­ser­lich sei, je­den­falls sei Ar­nim nicht schwe­disch, so we­nig wie der Her­zog Franz Al­brecht von Sach­sen-Lau­en­burg, der bis­her dem Kai­ser ge­dient habe und jetzt sei­nen Dienst beim Kur­fürs­ten oder beim Kö­ni­ge su­che.

Solms schlug mit der Faust auf den Tisch, dass die lee­ren Glä­ser klirr­ten. Er wol­le den Kö­nig bit­ten, ihn ab­zu­ru­fen, sag­te er. Es ste­he ihm nicht an, bei kro­ko­di­li­schem Ge­sin­del den Zar­ten zu spie­len, dem er lie­ber die Faust un­ter die Nase hal­ten möch­te.

Ni­ko­lai re­de­te dem Gra­fen zu, aus­zu­har­ren, so­lan­ge er kön­ne, und auf­zu­pas­sen. Er sol­le doch auch dem Kö­nig we­gen des Her­zogs von Sach­sen-Lau­en­burg schrei­ben, dass er sich sei­ner nicht an­näh­me; denn es ste­cke doch nur Lug und Trug da­hin­ter. Der Lau­en­bur­ger wechs­le nicht nur die Wei­ber, son­dern auch die Her­ren, viel­leicht nicht aus Bos­heit, son­dern zur Kurzweil; aber man wis­se ja, wie es sich da­bei un­ver­se­hens zu ei­ner Tra­gö­die schür­ze, dar­um müs­se man ein schar­fes Auge auf ihn ha­ben.

Ei­ni­ge Wo­chen spä­ter er­eig­ne­te es sich, dass der schwe­di­sche Re­si­dent Tran­se­he in Ber­lin zu der pfäl­zi­schen Kur­fürs­tin-Wit­we Ju­lia­ne ge­ru­fen wur­de und, wie er ihr Ge­mach be­trat, in ei­nem Ses­sel ne­ben ihr den Her­zog Franz Al­brecht von Sach­sen-Lau­en­burg er­blick­te, den er, von Ni­ko­lai auf­merk­sam ge­macht, ge­ra­de hat­te auf­he­ben und ver­wah­ren las­sen wol­len. Die Kur­fürs­tin-Wit­we durch­schau­te Tran­se­hes Ge­dan­ken und sag­te, sie habe ihn mit ei­nem Fürs­ten be­kannt ma­chen wol­len, der ein be­son­de­rer Ver­eh­rer sei­nes Herrn, des Kö­nigs von Schwe­den, sei; wor­auf Tran­se­he sich zu fas­sen wuss­te und ant­wor­te­te, wenn das der Fall sei, so sei er die­ses Fürs­ten er­ge­be­ner Die­ner, denn nichts be­glücke ihn mehr, als wenn die Grö­ße sei­nes hel­den­mü­ti­gen Kö­nigs auch von de­nen end­lich an­er­kannt wür­de, die ihn bis­her ver­kannt oder nicht ge­kannt hät­ten.

Der Lau­en­bur­ger lach­te mun­ter wie ein Kna­be und sag­te freund­lich, ein so treu­er Die­ner sei­nes Herrn wer­de es ihm nicht ver­ar­gen, dass er lan­ge und viel­leicht all­zu lan­ge dem Kai­ser an­ge­han­gen habe. Das sei ihm von vie­len sei­ner Glau­bens­ge­nos­sen übel aus­ge­legt wor­den, und er habe viel des­we­gen aus­ge­stan­den, sich aber mit sei­nem gu­ten Ge­wis­sen und der Gna­de sei­nes Kai­sers ge­trös­tet. Wie er nun aber für sei­ne treu­en Diens­te auch nicht einen Fuß­breit Lan­des vom Kai­ser er­hal­ten habe, wäh­rend Ge­rin­ge­re als er, wo­von die Bei­spie­le ja mit den Fin­gern zu grei­fen wä­ren, kö­nig­lich aus­ge­stat­tet und er­höht wor­den wä­ren, da sei sein lu­the­ri­sches Ge­müt er­wacht und wä­ren ihm die Au­gen end­lich auf­ge­gan­gen, und er sei nach Dres­den ge­kom­men mit dem fes­ten Ent­schluss, sich ei­nem evan­ge­li­schen Po­ten­ta­ten an­zu­bie­ten.

Nun habe er es am ei­ge­nen Lei­be er­fah­ren, sag­te die Kur­fürs­tin-Wit­we, was an­de­re längst er­ra­ten hät­ten, dass es des Kai­sers Ab­sicht sei, die ur­al­ten deut­schen Fürs­ten­häu­ser ab­zu­tun und dienst­wil­li­ge Krea­tu­ren an die Stel­le zu brin­gen, die nur von ihm ab­hin­gen.

Tran­se­he stimm­te bei: so sei es den Meck­len­bur­gern er­gan­gen, und beim Her­zog von Wol­fen­büt­tel habe auch nicht viel ge­fehlt, vom Kö­nig von Böh­men ganz zu schwei­gen. Sein Kö­nig sei zur rech­ten Zeit ge­kom­men, um den Sta­tus im­pe­rii, wie er vor al­ters ge­we­sen, wie­der auf­zu­rich­ten. Dann er­laub­te er sich die Fra­ge an den Her­zog, ob er beim Kur­fürs­ten von Sach­sen eine Be­stal­lung an­ge­nom­men habe.

Nein, nein, sag­te der Lau­en­bur­ger, das habe er zwar be­ab­sich­tigt, wie er aber die lie­der­li­che und fau­le Wirt­schaft in Dres­den mit ei­ge­nen Au­gen ge­se­hen habe, sei er an­de­ren Sin­nes ge­wor­den. Er habe einen spa­ßi­gen Auf­tritt mit dem Kur­fürs­ten des­we­gen ge­habt und wol­le es Tran­se­he ge­nau er­zäh­len, da­mit er die ent­stell­ten Be­rich­te, die über der­glei­chen Vor­fäl­le her­um­ge­tra­gen zu wer­den pfleg­ten, kor­ri­gie­ren kön­ne. Der Kur­fürst näm­lich sei zor­nig auf Ar­nim ge­we­sen, nicht we­gen sei­nes Int­ri­gie­rens mit Wal­len­stein, denn das sei mit kur­fürst­li­cher Be­wil­li­gung ge­sche­hen, son­dern weil Wal­len­stein Ar­nim 10.000 Ta­ler aus­ge­zahlt habe als einen Rück­stand aus der Zeit, wo er in kai­ser­li­chen Diens­ten ge­we­sen sei. Das är­ge­re den Kur­fürs­ten über die Ma­ßen, wenn ei­ner sei­ner Die­ner Geld be­kom­me, das er lie­ber selbst ha­ben möch­te, und rich­tig sei es, dass Ar­nim in Prag ge­nug zu­sam­men­ge­stoh­len habe, um einst­wei­len zu­frie­den zu sein. In sei­nem Zor­ne nun habe der Kur­fürst be­schlos­sen, Ar­nim zu ent­las­sen, und habe die Stel­le ihm, dem Her­zog, an­ge­tra­gen. Da habe er rund­her­aus ge­sagt, er be­dan­ke sich schön, ein so ver­wahr­los­tes Volk über­neh­me er nicht, mit dem sei doch kei­ne Ehre zu ho­len. Dar­über sei der Kur­fürst in schreck­li­chen Zorn ge­ra­ten und habe ge­sagt, er, der Her­zog, habe ihm be­reits sei­ne Pa­ro­le ge­ge­ben, ob er sein Wort zu bre­chen ge­den­ke, und habe da­bei den Arm aus­ge­r­eckt, als wol­le er ihm eins ver­set­zen. Er habe mit kei­ner Wim­per ge­zuckt und ganz ka­va­lier­mä­ßig geant­wor­tet, von Pa­ro­le sei ihm nichts be­wusst, üb­ri­gens sei es wohl nichts Neu­es, dass man sei­ne Mei­nung ver­än­de­re; wor­auf der Kur­fürst sich an­ge­stellt habe, als wer­fe er et­was auf den Bo­den und tre­te mit dem Fuße dar­auf, laut dazu ru­fend, da habe er sei­ne Pa­ro­le. Nach sol­cher Be­schimp­fung habe er sich be­eilt, Sach­sen zu ver­las­sen, und set­ze nun­mehr sei­ne Hoff­nung auf den Kö­nig von Schwe­den.

Tran­se­he hat­te von der Auf­rich­tig­keit des Lau­en­bur­gers den bes­ten Ein­druck emp­fan­gen und schrieb in die­sem Sin­ne an Ni­ko­lai. Der ver­harr­te je­doch bei sei­ner Mei­nung, und auch Oxens­tier­na warn­te Gu­stav Adolf, als der Her­zog einen Dienst um die Per­son des Kö­nigs such­te, sich sei­ner nicht zu be­die­nen; al­lein der Kö­nig woll­te nichts da­von hö­ren und be­hielt ihn bei sich, auch weil er dach­te, ihn bei et­wai­gen Un­ter­hand­lun­gen mit Wal­len­stein gut ge­brau­chen zu kön­nen.


  1. ver­pes­tet; stin­kend  <<<