70.

Als dem Kai­ser die Nach­richt ge­bracht wur­de, an dem neu er­rich­te­ten Je­sui­ten­kol­le­gi­um in Prag sei der Turm ein­ge­stürzt und habe, mit­ten aufs Dach schla­gend, das­sel­be ein­ge­drückt, sag­te er, nach ei­nem so gräu­li­chen Zei­chen wol­le er nicht län­ger zö­gern, son­dern al­les dar­an­set­zen, um Wal­len­stein wie­der an die Spit­ze des Hee­res zu brin­gen. Eg­gen­berg habe von je­her am meis­ten über ihn ver­mocht, der sol­le ihn über­re­den.

Eg­gen­bergs per­sön­li­chen Bit­ten nach­ge­bend, ließ sich Wal­len­stein zu dem Ver­spre­chen her­bei, dem Kai­ser ein neu­es Heer zu schaf­fen; nach drei Mo­na­ten aber, wenn die­se Ar­beit vollen­det sei, wol­le er sich wie­der in sei­nen Pri­vat­stand zu­rück­zie­hen, der sei­ner Nei­gung und Ge­sund­heit bes­ser ent­spre­che. Je nä­her das Ende der drei ge­währ­ten Mo­na­te rück­te, de­sto drin­gen­der wur­den die Bit­ten des Kai­sers, des Kö­nigs von Un­garn und des Her­zogs von Bay­ern, Wal­len­stein möge das Heer nicht ver­las­sen; al­lein die­ser schi­en wie­der­um nur Eg­gen­bergs münd­li­chen Vor­stel­lun­gen nach­ge­ben zu wol­len. Es war April, als Eg­gen­berg, nach­dem er einen An­fall von Pod­agra eben über­stan­den hat­te, zum zwei­ten Male in Znaim ein­traf. »Die Luft, die Euer Lieb­den um­gibt«, sag­te er, »tut ei­nem Kran­ken wohl. Um Euer Lieb­den herrscht Tä­tig­keit und Ord­nung, quillt über­flüs­si­ges Le­ben. Gott hat Euer Lieb­den et­was von sei­nem schaf­fen­den Odem ein­ge­bla­sen.« Da, wo­her er kom­me, sei es an­ders; da sei Ver­wir­rung, frucht­lo­se Ge­schäf­tig­keit und Ohn­macht.

Wal­len­stein sag­te, er tue nichts Son­der­li­ches, hän­ge sei­nen Na­men aus wie ein Wirts­haus­schild, da kämen sie ge­lau­fen. Er hän­ge sei­nen Na­men aus wie der Him­mel sei­ne Son­ne, ent­geg­ne­te Eg­gen­berg, da las­se die Erde Korn sprie­ßen und tra­ge der Baum Frucht. Er sei ein­mal ein Zau­be­rer, und sie dürf­ten Gott dan­ken, dass er nicht die Schwar­ze Kunst übe, son­dern Se­gen stif­te.

Dass er nicht rach­süch­tig sei, wie sei­ne Fein­de woll­ten, habe er nun wohl be­wie­sen, sag­te Wal­len­stein. Er habe dem Kai­ser ein Heer ge­schaf­fen; nun sol­le der Kai­ser wei­ter se­hen. Er habe ja Kriegs­rä­te und Of­fi­zie­re, der rö­mi­sche Kö­nig dürs­te nach Lor­bee­ren, er nei­de sie ihm nicht. Sie soll­ten sich ein­rich­ten und ihn ver­scho­nen.

Eg­gen­berg, der zwi­schen Kis­sen auf sei­nem Ru­he­bett lag, fing an be­weg­lich zu bit­ten. Es kön­ne Wal­len­steins Ernst nicht sein, dass er den Kai­ser hilf­los las­sen wol­le. Wal­len­stein müs­se wis­sen, dass das Heer, in sei­ner Hand eine un­fehl­ba­re Waf­fe, für eine un­ge­üb­te Hand zu scharf und schwer sei. Wal­len­steins ed­les und he­ro­i­sches Ge­müt wer­de trotz al­ler er­lit­te­nen Krän­kung das Op­fer brin­gen. Von dem rö­mi­schen Kö­nig sei heu­te kei­ne Rede mehr; er ver­ei­ni­ge viel­mehr sei­ne Bit­ten mit de­nen sei­nes Va­ters, dass Wal­len­stein sich be­reit fin­den las­se.

Wal­len­stein sag­te, die Stir­ne fins­ter zu­sam­men­zie­hend, er wol­le kein zwei­tes Re­gens­burg er­le­ben.

Eg­gen­berg er­rö­te­te und ver­such­te sich zu ver­tei­di­gen; er wür­de nicht nach­ge­ge­ben ha­ben, sag­te er, wenn er nicht vor­aus­ge­se­hen hät­te, wie bald man ihn, Wal­len­stein, zu­rück­ver­lan­gen wür­de. Für ihn, und auch für den Kai­ser, sei er nie­mals ab­ge­tre­ten, habe sich nur auf eine Wei­le zu­rück­ge­zo­gen. Der Kai­ser sei zu je­der Bürg­schaft be­reit, lege al­les ver­trau­end in Wal­len­steins Hand, Wal­len­stein sol­le selbst be­stim­men, wie es künf­tig ge­hal­ten wer­den sol­le. Mit ihm, Eg­gen­berg, sei es seit­her bergab ge­gan­gen; aber was er noch an Le­ben habe, ge­hö­re Wal­len­stein. Der Kai­ser sei sein Herr und ihm fast wie ein jün­ge­rer Bru­der, aber Wal­len­stein sei sein Freund. Wenn er in des Kai­sers Un­gna­de fie­le, so kön­ne er doch ste­hen blei­ben; aber wenn Wal­len­stein ihn ver­lie­ße, so wür­de das sein, als wenn ein Baum stürz­te, an dem er sich ge­hal­ten hät­te.

Wenn er es tue, sag­te Wal­len­stein, so tue er es auf Eg­gen­bergs Für­wort und Bürg­schaft. Er tue es nicht als des Kai­sers Die­ner, son­dern als ein Fürst des Reichs, um des Rei­ches wil­len. Es kom­me ihm nicht dar­auf an, Schlach­ten zu ge­win­nen oder die Fein­de des Kai­sers oder gar die des Her­zogs von Bay­ern zu be­stra­fen; er wol­le eine sol­che Ord­nung schaf­fen, bei der das Reich in Frie­den blei­ben kön­ne.

Das eben, sag­te Eg­gen­berg, habe er stets so sehr an Wal­len­stein be­wun­dert, dass sein Geist nicht am ein­zel­nen und nächs­ten hän­gen blei­be. Es sei kein Kopf im Reich au­ßer Wal­len­stein, der sol­che Ge­dan­ken fas­sen kön­ne. Sie alle wä­ren von Vor­ur­tei­len ver­wirrt und von Ei­gen­nutz ge­blen­det; Wal­len­stein sehe mit dem Blick des Ad­lers von oben auf die Erde, und was ih­nen Ber­ge und Tä­ler schei­ne, flie­ße vor ihm wie bieg­sa­me Wel­len.

All­mäh­lich kam Wal­len­stein auf sei­ne For­de­run­gen. Vor al­lem müs­se er al­lein das Kom­man­do über alle Trup­pen im Reich ha­ben; es dürf­ten kei­ner­lei Trup­pen im Reich auf­ziehn, die sei­nem Kom­man­do nicht un­ter­stellt wä­ren. Er müs­se als Er­satz für Meck­len­burg ein ös­ter­rei­chi­sches Er­b­land und das höchs­te Re­gal im Reich ha­ben; es sol­le nie­mand auf ihn her­ab­zu­se­hen sich un­ter­ste­hen dür­fen. Über sei­ne Of­fi­zie­re dür­fe der Kai­ser kein Be­gna­di­gungs­recht ha­ben; er ken­ne des Kai­sers Schwä­che, alle zu par­do­nie­ren, die sich per­sön­lich an die kai­ser­li­che Kle­menz wen­de­ten; aber es sei kei­ne Dis­zi­plin mög­lich, wenn das Heer von ei­nem an­de­ren au­ßer von ihm ab­hän­ge. Nur er müs­se Gna­de ver­lei­hen so­wie Stra­fe aus­tei­len dür­fen. Auch müs­se er das Recht der Kon­fis­ka­tio­nen im Reich ha­ben und über die­sel­ben zu ver­fü­gen; denn sonst kön­ne er die, wel­che es ver­dien­ten, nicht ge­zie­mend be­loh­nen.

Das sei wohl ver­ständ­lich, sag­te Eg­gen­berg, zu­mal der Kö­nig von Schwe­den ge­gen die Sei­ni­gen sich so ver­schwen­de­risch zei­ge. Auf dem Tan­del­markt zu Mainz wä­ren ja jetzt die Fürs­ten­tü­mer fast um­sonst feil. Das Zu­trau­en des Kö­nigs zu den evan­ge­li­schen Fürs­ten müs­se nicht gar groß sein; denn er set­ze ei­nem je­den al­le­mal ein paar schwe­di­sche Of­fi­zie­re vor die Tür.

Ja, er sei ein großer Kö­nig, sag­te Wal­len­stein, wäh­rend er ge­dan­ken­voll im Zim­mer auf und ab schritt, ein großer Kö­nig. Plötz­lich blieb er ste­hen und rief, mit dem Fuße hart auf­tre­tend: »Er muss fort! Ich kann ihn hier nicht lei­den!«, wor­über Eg­gen­berg sich auf­stütz­te und mit bei­fäl­li­gem Blick sag­te: das sei der Zorn des Achil­les; nun zweifle er nicht, dass das neue Tro­ja bald fal­len und die ent­führ­te He­le­na, näm­lich die ab­ge­spann­te Reichs­hälf­te, wie­der heim­ge­führt wer­de. Wal­len­steins For­de­run­gen be­tref­fend, kön­ne er im Voraus sa­gen, dass der Kai­ser in al­les wil­li­gen wer­de, denn dazu habe er ihm Voll­macht ge­ge­ben. Schwe­re Krank­hei­ten woll­ten schwe­re Mit­tel; Wal­len­stein sei der Arzt, des­sen der Kai­ser be­dür­fe und von dem er an­neh­men müs­se, was er ver­ord­ne, weil er wis­se, dass es zu sei­nem Bes­ten sei.

Er zwin­ge den Kai­ser nicht, sag­te Wal­len­stein kühl, sei noch im­mer be­reit, zu­rück­zu­tre­ten ohne Emp­find­lich­keit. »Je­doch ver­se­he ich mich zu Euer Lieb­den«, setz­te er hin­zu, »dass Sie mei­ne wohl­mei­nen­de Er­ge­ben­heit ken­nen und bei dem Kai­ser da­für ein­ste­hen wer­den.«

Ja, das wer­de er tun, ver­setz­te Eg­gen­berg, er habe kein an­de­res Ge­schäft mehr auf Er­den, als dies glück­lich hin­aus­zu­füh­ren. Ih­rer al­ler Rol­le, sag­te er, lau­fe ja nun all­mäh­lich ab, sie wür­den bald ab­tre­ten und sich vor dem Herrn die­ser ir­di­schen Büh­ne we­gen ih­rer Auf­füh­rung ver­ant­wor­ten müs­sen. Der Kai­ser hal­te sich noch wa­cker, un­ter­bre­che sei­ne Ge­wohn­hei­ten nicht; »aber wer das Haus gut kennt und auf­merk­sam hin­horcht«, sag­te er, »der hört zu­wei­len den Mör­tel in den Mau­ern her­un­ter­si­ckern und die Bal­ken lei­se äch­zen und schüt­tern.« Was ihn be­tref­fe, so neh­me er je­den Tag dank­bar als eine Drein­ga­be, es lie­ge ihm nichts mehr an, als sei­ne ei­ge­nen Sa­chen und die sei­nes kai­ser­li­chen Herrn gut zu ver­wah­ren und ab­zu­schlie­ßen, da­mit die Nach­kom­men al­les in Ord­nung fän­den.

Wal­len­stein be­trach­te­te nicht ohne Wi­der­wil­len Eg­gen­bergs ver­krümm­te Hand, die schwach auf der sei­de­nen De­cke lag. Es wür­de wohl große Ver­än­de­run­gen im Reich ge­ben, sag­te er lang­sam, wenn der Kai­ser sei­nem Soh­ne Platz mach­te. Der­sel­be schei­ne ein pas­sio­nier­tes Ge­müt zu ha­ben, arte wohl sei­nem Oheim Leo­pold oder sei­nem bay­ri­schen Oheim nach.

Eg­gen­berg zuck­te die Ach­seln; er wer­de die neue Zeit nicht er­le­ben, sag­te er, der Kai­ser sei um zehn Jah­re jün­ger als er, hal­te schon noch eine Zeit lang aus. Bis da­hin wer­de Wal­len­stein längst das Reich ge­säu­bert ha­ben und kön­ne von si­che­rer Höhe und ge­wünsch­ter Ein­sam­keit aus zu­sehn.

Er habe ge­hört, sag­te Wal­len­stein, die Ärz­te hät­ten des Kö­nigs von Un­garn spa­ni­scher Hei­rat we­gen der viel­fa­chen Ver­wandt­schaft wi­der­ra­ten, und es sei auch noch kei­ne Schwan­ger­schaft ein­ge­tre­ten.

Das ste­he noch da­hin, sag­te Eg­gen­berg; der Kai­ser habe in meh­re­ren Kir­chen Ge­be­te für das er­sehn­te Er­eig­nis an­ge­ord­net, man müs­se das al­ler­dings wohl Gott an­heim­stel­len.