74.

Der fran­zö­si­sche Ge­sand­te Saint-Éti­enne hat­te den Auf­trag, dem Kö­ni­ge von Schwe­den deut­lich zu ma­chen, dass Frank­reich sein Sich­aus­brei­ten am Rhei­ne so­wohl wie sei­nen be­vor­ste­hen­den An­griff auf Bay­ern nicht gern sähe noch dul­den wür­de, und freu­te sich auf die Nie­der­la­ge, die er Gu­stav Adolf zu be­rei­ten ge­dach­te. Er nahm sich vor, den nor­di­schen Lö­wen zu bän­di­gen, ohne aus sei­ner Höf­lich­keit und Ge­las­sen­heit her­aus­zu­tre­ten, nur durch fei­nes, über­le­ge­nes Lä­cheln und be­schä­men­de Ruhe, kurz, durch die un­über­wind­li­che Ge­gen­wart sei­ner ge­bil­de­ten Per­son. Nach­dem er die vor­schrifts­mä­ßi­ge Re­ve­renz ge­macht hat­te, ließ er einen nach­sich­ti­gen Blick durch das holz­ver­tä­fel­te Zim­mer und über die schwe­ren ei­che­nen Mö­bel glei­ten, denn der Kö­nig be­wohn­te ein an­sehn­li­ches Bür­ger­haus in Do­nau­wörth, und rich­te­te dann sei­ne Au­gen mit dreis­ter Un­ter­wür­fig­keit auf Gu­stav Adolf, des­sen großes, hel­les Ant­litz schon eine leich­te Un­ge­duld ge­rötet hat­te. Wie sehr sein Kö­nig, sag­te Saint-Éti­enne nach kur­z­er Ein­lei­tung, auch An­teil an den Er­fol­gen des Kö­nigs von Schwe­den neh­me, füh­le er sich doch emp­find­lich ge­kränkt da­durch, dass Gu­stav Adolf so we­nig Rück­sicht auf sei­ne Bun­des­ge­nos­sen neh­me und der ge­trof­fe­nen Verab­re­dung so we­nig ein­ge­denk sei. Gu­stav Adolf möge sich er­in­nern, dass der Kö­nig von Frank­reich als Be­schüt­zer der ka­tho­li­schen Re­li­gi­on die hohe Pf­licht habe, die schir­men­de Hand über sei­nen Glau­bens­ge­nos­sen zu hal­ten.

Die geist­li­chen Fürs­ten so­wohl wie der Her­zog von Bay­ern, sag­te Gu­stav Adolf, hät­ten ihr Schick­sal durch Treu­lo­sig­keit und Ver­rat selbst ver­schul­det. Der Kö­nig von Frank­reich wol­le ihn hof­fent­lich nicht ab­hal­ten, die­je­ni­gen zu be­stra­fen, die den Waf­fen­still­stand ge­bro­chen und heim­lich ge­gen ihn in­tri­giert hät­ten.

Saint-Éti­enne hör­te den grol­len­den Ton in der Stim­me des Kö­nigs mit heim­li­chem Ver­gnü­gen und mal­te sich aus, wie er den Auf­tritt vor ei­ner aus­er­wähl­ten Ge­sell­schaft am Hofe von Pa­ris schil­dern woll­te. Da­von sei sei­nem Kö­ni­ge nichts be­kannt, sag­te er. Es sei freund­schaft­li­che Sor­ge für Gu­stav Adolf, wenn der Kö­nig von Frank­reich den Wunsch äu­ße­re, Gu­stav Adolf möge doch ohne Zeit­ver­lust sei­ne ruhm­rei­chen Waf­fen ge­gen den Kai­ser wen­den. In die­sem Sin­ne habe ihm der Kö­nig von Frank­reich die Sub­si­di­en be­wil­ligt.

Wenn der Kö­nig so, sag­te Gu­stav Adolf auf­fah­rend, zu sei­nen Feld­mar­schäl­len und an­de­ren Be­diens­te­ten spre­che, möge das an­ge­hen. Ein Ver­stän­di­ger be­feh­le nur de­nen, die er zu ge­hor­chen zwin­gen kön­ne. Man sol­le nicht ver­ges­sen, dass er Kö­nig und dass er sieg­reich sei.

Saint-Éti­enne be­ob­ach­te­te auf­merk­sam die Zor­nes­flam­me, die über das kö­nig­li­che Ge­sicht schlug, und die ver­hal­te­ne Un­ru­he in sei­nem star­ken, elas­ti­schen Kör­per, wie wenn ein Raub­tier sich zum ver­nich­ten­den Sprun­ge an­schick­te. Er be­teu­er­te die un­wan­del­ba­re Freund­schaft sei­nes Kö­nigs und wie sehr der­sel­be es be­dau­ern wür­de, wenn Gu­stav Adolf auf ei­nem Ein­fall in Bay­ern be­stän­de und ihn da­durch in die Not­wen­dig­keit ver­setz­te, dem Kur­fürs­ten von Bay­ern, sei­nem Bun­des­ge­nos­sen, Bei­stand zu leis­ten.

»Sa­gen Sie Ihrem Kö­nig«, rief Gu­stav Adolf, »dass ich, wenn er mich zu se­hen wünscht, be­reit bin, an der Spit­ze von 50.000 Mann nach Pa­ris zu mar­schie­ren.« Die­se Wor­te don­ner­te er in aus­ge­las­se­ner Wut her­vor und be­glei­te­te sie mit ei­ner Ge­bär­de, als wol­le er einen Hund aus dem Zim­mer ja­gen, so­dass sich Saint-Éti­enne un­will­kür­lich zu­rück­zog. Auf der Trep­pe schon be­reu­te er, dass er ei­nem al­ber­nen Er­schre­cken nach­ge­ge­ben und so­gar den üb­li­chen Hand­kuss ver­ges­sen hat­te, auch er­wog er, ob er sich nicht doch viel­leicht be­hut­sa­mer hät­te aus­drücken sol­len; aber für sei­ne Per­son war er mit der Au­di­enz nicht un­zu­frie­den und ver­such­te so­gleich, die Mie­nen und Be­we­gun­gen des ge­reiz­ten Kö­nigs nach­zuah­men.

In Gu­stav Adolf koch­te der Zorn und wog­te ein un­be­stimm­tes Un­be­ha­gen; er woll­te, um sich aus­zu­küh­len, an die Do­nau rei­ten und sich ein Bild ma­chen, wo der Strom am güns­tigs­ten zu über­schrei­ten wäre, als er vor dem Hau­se auf Ca­me­ra­ri­us stieß, der nach der Schlacht bei Prag aus pfäl­zi­schem in schwe­di­schen Dienst ge­tre­ten und kürz­lich von Hol­land zu­rück­ge­kom­men war. Auf des Kö­nigs Wunsch ging Ca­me­ra­ri­us ne­ben ihm die Stra­ße hin­un­ter und sprach von dem vor­treff­li­chen Ein­druck, den das schwe­di­sche Heer, des­sen Ein­zug in Do­nau­wörth er mit an­ge­se­hen hat­te, auf ihn ge­macht habe. Von den Mans­fel­di­schen Räu­ber­ban­den wol­le er nicht re­den; aber auch die Til­ly­schen und Wal­len­stei­ner kämen den Schwe­den an Gleich­mä­ßig­keit und Zucht nicht gleich. Jene wä­ren alt­mo­di­sche Söld­ner oder Zi­geu­ner, nur die Schwe­den wä­ren Sol­da­ten, ohne Zwei­fel wer­de der Kö­nig da­mit et­was Be­son­de­res aus­rich­ten und den an­de­ren ob­sie­gen.

Das sei gut ge­meint und möge auch wahr sein, pol­ter­te der Kö­nig her­aus, aber es sei ver­kehrt, zu glau­ben, die Tüch­tig­keit müs­se im­mer et­was aus­rich­ten, oder Kraft und Recht und der gute Wil­le. Es hange an et­was an­de­rem, nur wis­se er es nicht zu nen­nen. Im Au­gen­blick, wo er eine Höhe er­klom­men und eine wei­te Aus­sicht sich ver­hei­ßend vor ihm ge­öff­net hät­te, ja fast im sel­ben Au­gen­blick habe es sich dun­kel ge­sam­melt und schwer ge­gen ihn her­an­ge­wälzt. Am un­er­träg­lichs­ten sei ihm der Über­mut des Kö­nigs von Frank­reich, der sich ge­traue, ihn wie einen ge­wor­be­nen Ban­di­ten hier­hin und da­hin zu het­zen und ihm durch Dro­hun­gen den Weg nach Bay­ern zu ver­le­gen hof­fe.

Frank­reichs Ab­sicht sei nicht schwer zu durch­schau­en, sag­te Ca­me­ra­ri­us, es wol­le sich selbst am Rhei­ne mäch­tig ma­chen. Ri­che­lieu habe sich ein­ge­bil­det, er kön­ne den Kö­nig von Schwe­den für sich ar­bei­ten las­sen; nun er den Hel­den er­ken­ne, be­gin­ne er ihn zu fürch­ten und su­che ihn zu ver­drän­gen.

Ja, es wen­de sich jetzt fast so, sag­te der Kö­nig, dass er mehr vor Frank­reich als vor dem Kai­ser auf der Hut sein müs­se.

Die bei­den in ihr Ge­spräch ver­tief­ten Her­ren be­fan­den sich plötz­lich in­mit­ten ei­ner Her­de von Gän­sen, nach de­nen, da sie nicht aus­wi­chen, Ca­me­ra­ri­us mit dem Sto­cke schlug, wor­auf ein paar Gän­se­ri­che zi­schend mit vor­ge­streck­tem Hal­se auf sie los­fuh­ren und sie mit Pfüt­zen­was­ser be­spritz­ten, denn am Vor­mit­tage hat­te es stark ge­reg­net. Ei­ni­ge ärm­lich ge­klei­de­te Leu­te und Kin­der blie­ben ste­hen und sa­hen halb neu­gie­rig, halb scha­den­froh la­chend zu. Ca­me­ra­ri­us sag­te, die Gän­se von Do­nau­wörth schie­nen schon ka­tho­lisch ge­wor­den zu sein; aber wenn es nur die Gän­se wä­ren, so hät­te es nichts auf sich.

Der Kö­nig zuck­te die Ach­seln; das Volk, sag­te er, habe ihn zwar nicht so an­gefaucht wie die­se Tie­re, aber es habe ihn kei­nes­wegs als Be­frei­er be­grüßt, wie man ihn vor­her habe glau­ben ma­chen wol­len. Als er in der Haupt­kir­che evan­ge­li­schen Got­tes­dienst habe hal­ten las­sen, sei fast nie­mand dazu ge­kom­men als ein paar alte Bet­tel­wei­ber.

Es sei nun über zwan­zig Jah­re her, dass die Bay­ern ein­ge­zo­gen, sag­te Ca­me­ra­ri­us; die hät­ten das je­sui­ti­sche We­sen mit Ham­mer und Keu­le ein­ge­trie­ben.

Der Kö­nig sah ge­dan­ken­voll vor sich nie­der. Sie däch­ten auch viel­leicht, sag­te er, man kön­ne nicht wis­sen, wie lan­ge er hier­blie­be. Sie müss­ten ihn erst ken­nen­ler­nen, ent­geg­ne­te Ca­me­ra­ri­us.

Sie blie­ben vor ei­nem klei­nen Gar­ten stehn, wo eine Frau zwi­schen Kü­chen­kraut han­tier­te, ein paar Kin­der sich un­ter blü­hen­den Obst­bäu­men um eine Zie­ge jag­ten und eine Alte auf ei­ner Holz­bank mur­melnd den Ro­sen­kranz durch die zit­tern­den Fin­ger zog. »Das Glück«, sag­te der Kö­nig, »rollt nicht mehr so ste­tig ne­ben mir her wie im Win­ter. Woran liegt es, dass der Bo­den un­ter mir zu schüt­tern be­ginnt? Liegt es an den Men­schen oder an Gott?«

Es möge wohl ein Ge­setz in al­len ir­di­schen Din­gen und Be­ge­ben­hei­ten sein, ant­wor­te­te Ca­me­ra­ri­us, ähn­lich wie die Erde al­les gleich­mä­ßig an sich her­an­zie­he, dass nichts über­mä­ßig vor­ra­gen kön­ne. Wa­rum man aber an­neh­men sol­le, dass der Kö­nig den Gip­fel schon er­reicht habe? Miss­glücke ein­mal et­was oder fal­le et­was Wi­d­ri­ges vor, kön­ne man eben­so­wohl schlie­ßen, dass es nun wie­der bes­ser gehn müs­se. Frank­reich frei­lich wer­de dem Kö­ni­ge de­sto feind­li­cher wer­den, je hö­her sei­ne Grö­ße stei­ge; aber der Kö­nig wer­de es teils durch Ent­ge­gen­kom­men zu be­gü­ti­gen, teils durch Fes­tig­keit zu schre­cken wis­sen.

Wie­der er­hei­tert, wink­te Gu­stav Adolf dem Stall­meis­ter, der, sein Pferd am Zü­gel hal­tend, in ei­ni­ger Ent­fer­nung war­te­te. »Das bes­te ist«, rief er Ca­me­ra­ri­us schei­dend zu, »dass ich Frank­reich nicht mehr brau­che und dass ich zwei Bun­des­ge­nos­sen habe, die mir stets treu blei­ben: die­sen Kopf und die­ses Herz.«