76.

Am Tore von Augs­burg stieg Gu­stav Adolf vom Pfer­de und ging zu Fuß bis zur Kir­che Sankt Anna, wo sein Hof­pre­di­ger Fa­bri­zi­us den Got­tes­dienst ab­hielt; die Pre­digt ging über den Text des zwölf­ten Psalms: ›Weil denn die Elen­den ver­stö­ret wer­den und die Ar­men seuf­zen, will ich auf, spricht der Herr; ich will eine Hil­fe schaf­fen, dass man ge­trost leh­ren soll.‹

Das Ge­müt des Kö­nigs war be­wegt und er­ho­ben, denn als Sie­ger und Ret­ter zog er in die Stadt ein, in wel­cher einst die An­hän­ger Luthers die Be­kennt­nis­schrift dem Kai­ser über­reicht hat­ten und die des­halb den Evan­ge­li­schen hei­lig war. Im Hau­se der Fug­ger am Fens­ter ste­hend, nahm er die Hul­di­gung der Bür­ger­schaft ent­ge­gen; nir­gends war sie so wil­lig dazu ge­we­sen wie hier, wo er die Luthe­ri­schen vom Dru­cke der Ka­tho­li­ken be­freit hat­te. Er be­wun­der­te die süd­li­che Herr­lich­keit der Stadt und gab dem al­ten Stadt­bau­meis­ter Eli­as Holl die Hand, der, da er sich nicht hat­te be­que­men wol­len, von dem ka­tho­li­schen Stadt­rat sei­nes Am­tes ent­setzt wor­den und in Ar­mut ge­ra­ten war. Wenn er gleich­sam als ein Bett­ler durch die Stra­ßen ge­gan­gen sei, er­zähl­te der Alte, habe er bei sich la­chen müs­sen: er habe kei­nen über­flüs­si­gen Ta­ler im Sack und doch sei fast die gan­ze Stadt Augs­burg sein ei­gen. Der Kö­nig klopf­te dem ge­bück­ten Greis auf die Schul­ter und sag­te scher­zend: »So bist du mein Ne­ben­buh­ler, denn jetzt ist die Stadt mein, und ich ge­den­ke sie mit nie­man­dem zu tei­len.« Eli­as Holl zwin­ker­te mit den Au­gen und mach­te eine be­schwich­ti­gen­de Ge­bär­de mit der Hand: ein Va­ter gebe auch sei­ne Toch­ter in ih­res Ehe­herrn Ge­walt, mein­te er, ob­wohl er sie ge­zeugt habe. Wenn es ihr nur wohl gehe, so sei er zu­frie­den. Und in sei­nem Her­zen, füg­te er hin­zu, be­hal­te er sie ja doch als sein Kind.

Un­ter an­de­ren ka­men ei­ni­ge Rats­her­ren und Pre­di­ger, prie­sen den Kö­nig als einen Mo­ses, Jo­sua und Gi­de­on und schil­der­ten ihm dann die Lei­den, die die Evan­ge­li­schen un­ter dem ka­tho­li­schen Re­gi­ment aus­ge­stan­den hät­ten: wie ih­rer kei­ner mehr ein Amt hät­te er­lan­gen kön­nen, wie ih­nen un­ter eit­len Vor­wän­den das Geld ab­ge­presst wor­den wäre, wie sie kein Kind hät­ten tau­fen oder zur Schu­le schi­cken kön­nen, ohne den Drän­gern den Beu­tel zu fül­len, und mehr der­glei­chen. Es sei doch nicht bil­lig, dass ihre Pei­ni­ger nun so straf­los aus­gin­gen. Vie­le von den Rei­chen wä­ren so­fort bei An­kunft des Kö­nigs mit Hab und Gut ab­ge­zo­gen, da­durch lit­te die Stadt wie­der­um Scha­den, nach­dem sie zu­vor schon ge­nug ge­blu­tet hät­te.

Was sie denn von ihm woll­ten? frag­te der Kö­nig. Er habe ih­nen das Re­gi­ment zu­rück­ge­ge­ben, und die Kir­chen und Klös­ter, die ih­nen durch das Re­sti­tu­ti­ons­e­dikt ge­nom­men wä­ren, wür­den ih­nen wie­der ein­ge­räumt wer­den. Was ih­nen Un­ge­rech­tes wi­der­fah­ren sei, habe der Kai­ser ver­fügt ge­habt, der kön­ne ih­nen nun nicht mehr scha­den, wenn sie treu an ihm, dem Kö­nig von Schwe­den, hin­gen. Er habe Frie­den und Ge­rech­tig­keit wie­der her­ge­stellt, da­mit soll­ten sie es sich ge­nug sein las­sen.

Das sei kei­ne Ge­rech­tig­keit, fiel der eine Pre­di­ger, der eif­rig auf­hor­chend auf der Lau­er ge­stan­den hat­te, ein, wenn die Übel­tä­ter un­be­straft blie­ben. Es sei ge­wiss des Kai­sers Wil­le nicht ge­we­sen, dass sie sich mit un­ge­rech­tem Gut be­rei­chert hät­ten. Das hät­te man ih­nen ab­neh­men und sie or­dent­lich ab­bü­ßen las­sen sol­len, be­vor man sie zie­hen lie­ße.

We­gen ge­sche­he­nen Un­rechts kön­ne ja je­der an die zu­stän­di­gen Ge­rich­te ge­lan­gen, sag­te der Kö­nig; sie soll­ten ihn aber nicht an­hal­ten, Wie­der­ver­gel­tung zu üben, denn dar­an habe Gott kein Wohl­ge­fal­len.

Wie? rief der streit­ba­re Pre­di­ger, es habe doch der be­rühm­te und gott­se­li­ge Kö­nig Da­vid den Herrn bit­ten dür­fen, ihn an sei­nen Fein­den zu rä­chen, wie ge­schrie­ben ste­he im Psalm 35: ›Herr, ha­de­re mit mei­nen Ha­de­rern, strei­te wi­der mei­ne Be­strei­ter. Es müs­sen sich schä­men und ge­höh­net wer­den, die nach mei­ner See­le ste­hen; es müs­sen zu­rück­keh­ren und zu­schan­den wer­den, die mir übel wol­len. Sie müs­sen wer­den wie Spreu vor dem Win­de, und der En­gel des Herrn sto­ße sie weg. Herr, mein Gott, rich­te mich nach dei­ner Ge­rech­tig­keit, dass sie sich nicht über mich freu­en. Sie müs­sen sich schä­men und zu­schan­den wer­den alle, die sich mei­nes Übels freu­en; sie müs­sen mit Schan­de und Scham ge­klei­det wer­den, die sich wi­der mich rüh­men.‹

Das sei wohl wahr, sag­te der Kö­nig, aber der Er­lö­ser habe ge­spro­chen: ›So ihr lie­bet, die euch lie­ben, was Danks habt ihr da­von? Denn die Sün­der lie­ben auch ihre Lieb­ha­ber. Aber lie­bet ihr eure Fein­de, so wer­det ihr Kin­der des Al­ler­höchs­ten sein.‹

Ach Gott, ach Gott, rief der Pre­di­ger, der Kö­nig wer­de sie doch nicht hei­ßen wol­len, die Gott­lo­sen lie­ben? Es ste­he ge­schrie­ben Psalm 9: ›Du schiltst die Hei­den und brin­gest die Gott­lo­sen um, ih­ren Na­men ver­tilgst du im­mer und ewig­lich. So er­ken­net man, dass der Herr Recht schaf­fet.‹ Und Psalm 10: ›Zer­brich den Arm des Gott­lo­sen und su­che das Böse, so wird man sein gott­lo­ses We­sen nim­mer fin­den.‹ Und Psalm 11: ›Der Herr wird reg­nen las­sen über die Gott­lo­sen Blitz, Feu­er und Schwe­fel und wird ih­nen ein Wet­ter zum Lohn ge­ben.‹ Das wer­de der Kö­nig aber doch nicht ab­leug­nen wol­len, dass man den Papst für den An­ti­chris­ten und einen rei­ßen­den Wer­wolf und die Ka­tho­li­ken für die Gott­lo­sen zu hal­ten habe.

Der Apos­tel Pau­lus habe aber im Rö­mer­brief ge­lehrt, sag­te der Kö­nig: ›Ist es mög­lich, so viel an euch ist, so habt mit al­len Men­schen Frie­den. Rä­chet euch sel­ber nicht, mei­ne Liebs­ten, son­dern ge­bet Raum dem Zorn; denn es steht ge­schrie­ben: Die Ra­che ist mein, Ich will ver­gel­ten, spricht der Herr.‹

Aber in der Of­fen­ba­rung Jo­han­nis, schrie der Pre­di­ger, hei­ße es: ›Ach dass du kalt oder warm wä­rest! Weil du aber lau bist und we­der kalt noch warm, wer­de ich dich aus­spei­en aus mei­nem Mun­de!‹ Und der Kö­nig habe selbst ge­sagt, er wis­se nicht, was die Neu­tra­li­tät für ein Ding sei, man müs­se für oder wi­der ihn sein, wie auch Chris­tus es ver­langt habe.

Ja, sag­te der Kö­nig hei­ter und nach­drück­lich, und da­bei sol­le es auch gänz­lich sein Ver­blei­ben ha­ben. Sie stän­den frei­lich in ei­nem großen Krie­ge wi­der die päpst­lich-spa­ni­sche Ge­wis­sens­ty­ran­nei, der Feind sei aber noch nicht nie­der­ge­wor­fen, und ohne Ei­nig­keit ver­möch­ten sie sei­ner nicht Herr zu wer­den. Er sei ihr Haupt in die­sem Krie­ge, ihm müss­ten sie ver­trau­en, dass er ihre Sa­che recht füh­re. An Pri­vat­nut­zen oder Pri­vat­ra­che zu den­ken, sei jetzt kei­ne Zeit; sie soll­ten, als die Wäch­ter des Vol­kes, das­sel­be in Ord­nung und in der Treue zu ihm er­hal­ten, so tä­ten sie ihre Pf­licht und wol­le er es ih­nen dan­ken und loh­nen.