Die Schweden hatten auf eine leichte Einnahme der Festung Ingolstadt gehofft, da der Oberst Fahrensbach, früher einmal in schwedischen Diensten, sie auszuliefern versprochen hatte, nachdem ihm auf seine Bitte das Kommando an der gefährlichsten Stelle anvertraut worden war. Eine Warnung Aldringens jedoch, der dem Fahrensbach misstraute, machte rechtzeitig auf seine Heimlichkeiten aufmerksam und hintertrieb die Ausführung des Planes. Er wisse wohl, sagte Tilly, als der Kurfürst es ihm erzählte, dass Fahrensbach beim Wallenstein nicht in Gnade gestanden sei, dass Wallenstein ihn sogar beim Kopf habe nehmen wollen; er habe ihn aber für einen redlichen Mann gehalten und könne es immer noch nicht glauben, dass er mit solcher Untreue hätte umgehen sollen. Er betrachte diese glückliche Errettung, sagte der Kurfürst, als ein Zeichen, dass Gott Ingolstadt nicht in der Feinde Hand wolle fallen lassen. Am Abend begannen die Schweden den Sturm, während Tilly mit dem Rechtsgelehrten Rath, in dessen Hause er wohnte, sein Testament machte. Er setzte seinen Neffen Werner zum Erben über die Hauptmasse seines Vermögens ein, dessen größter Teil in der noch ausstehenden Summe bestand, die ihm vom Kaiser auf Güter im Braunschweigischen oder Hildesheimischen angewiesen war. Ferner vermachte er 6000 Taler seinen alten wallonischen Kriegern, die ihn in der Leipziger Schlacht, da er verwundet worden war, mit ihrem Leibe gedeckt hatten; ferner einen köstlichen Diamanten, den die Erzherzogin Isabella ihm geschenkt hatte, der Madonna von Altötting. Es war bei seiner zunehmenden Schwäche nicht leicht, damit fertig zu werden; denn zuweilen fielen Tilly plötzlich die Augen zu, und der Rechtsgelehrte musste warten, bis er wieder zu sich gekommen war. Einige Male hörte er Krachen, Donnern und Lärmen von den Mauern her, und wenn er sich besonnen hatte, was es bedeutete, gab er Verordnungen, wohin Verstärkungen zu schicken wären und wo besonders aufzumerken sei. Sowie er aber die Augen schloss, verschwanden die Gestalten, die an seinem Bett saßen, und er ging durch die leeren lauen Straßen mitten durch die Stadt bis an das Tor und unangefochten durch das Tor hindurch. Der Lärm der Kanonen verstummte, die feindlichen Soldaten, die Offiziere, der König selbst wichen auseinander und fielen auf die Knie. Er wusste, dass das nicht ihm galt, sondern einem Unsichtbaren, der neben ihm ging und in dessen kühler Hand seine müde, erschöpfte, aufgelöste friedlich lag.
Gegen Morgen kam der Kurfürst an sein Bett und berichtete ihm, dass der Sturm abgeschlagen sei und dass die Schweden sich für diesmal zurückzögen. Tilly, der sich ein wenig kräftiger fühlte, schrieb an Wallenstein: Er danke ihm für das Mitleid, das er mit ihm wegen der empfangenen Wunde trage, und für das Versprechen schleuniger Hilfe, deren sie so sehr benötigten. Es gehe ja nicht nur um Bayern, sondern auch um Kaiser und Reich; sein schwaches Heer könne den Ansturm der Schweden nicht aufhalten, er getröste sich Wallensteins, täglich und stündlich spähten sie nach seiner verheißenen Hilfe aus.
Der vergebliche Aufenthalt vor Ingolstadt machte Gustav Adolf ungeduldig, umso mehr, als er bei einem Sturz vom Pferde eine Quetschung erlitten hatte, die ihm Schmerzen verursachte. Nach dem missglückten Sturme ging er eines Morgens nah an die Schanzen heran, um die Beschaffenheit derselben genauer herauszubekommen; in seiner Gesellschaft befanden sich Friedrich von der Pfalz, der junge Christoph von Baden, Horn und ein paar böhmische Emigranten. Einer von diesen bat den König, nicht weiter vorzugehen, von der Schanze werde geschossen, nicht hundert Schritte vor ihnen seien vorhin Kugeln niedergefallen.
Er tue es nicht aus Mutwillen, entgegnete der König, sondern weil er, wie man wohl wisse, ein kurzes Gesicht habe und aus der Ferne nicht deutlich unterscheiden könne. Es sei ihm bei Mainz von großem Nutzen gewesen, dass er sich nah hinzugeschlichen habe, um die Anlage der Schanze zu untersuchen; denn danach müsse der Angriff eingerichtet werden. Übrigens sollten sie ruhig sein, diese Kugeln wären nicht für ihn gegossen. »Da haben Königliche Würden recht kalvinisch geredet«, sagte Prinz Christoph neckend. Gustav Adolf wandte sich lachend an den von der Pfalz: darin müsse er Bescheid wissen; ob er auch glaube, dass ein König nicht von einer Kugel getroffen werde? Gemeiniglich möchten wohl mehr gemeine Soldaten getroffen werden als hohe Häupter, sagte Friedrich gelassen; aber er wäre doch dafür, dass sie sich ein wenig zurückzögen.
Der König und der Prinz lachten, und der letztere sagte, er zweifle, ob der Tod einen Mann von Distinktion vom Pöbel unterscheiden könne; ihn bedünke aber, man ziehe eben deswegen in den Krieg, weil er voller Überraschungen und Gefahren sei, und solle sie also eher aufsuchen als vermeiden.
»Das ist brav gesprochen«, rief der König aus, indem er dem jungen Manne, dessen hübsches Gesicht errötete, die Hand auf die Schulter legte.
»Ich weiß nicht, was für eine Vortrefflichkeit daran ist, sich ohne Not totschießen zu lassen«, sagte Friedrich und gähnte, denn es war noch früher Morgen. »Wir bekommen nicht leicht einen anderen König und Haupt wie Eure Majestät, und Sie täten deshalb gut, Ihre kostbare Person, von der unser aller Wohl abhängt, in Sicherheit zu bringen.«
Während das Gespräch noch in dieser Weise geführt wurde, hörte man das Pfeifen einer Kugel und sah im selben Augenblick den Prinzen Christoph lautlos zu Boden stürzen; es ergab sich, dass die Kugel ihm den Kopf vom Rumpfe gerissen hatte. Der König, welcher zunächst gestanden hatte, taumelte ein paar Schritte rückwärts und musste sich an dem Pfalzgrafen halten. Nachdem er sich gefasst hatte, hielt er eine Ansprache, wie sehr dieser Verlust zu beklagen sei und wie groß die Trauer des Vaters, des Markgrafen von Baden, sein müsse. Indessen, sagte er, sei doch im Grunde kein Anlass zur Trauer, denn die Menschen wären nicht Kinder dieser Welt, sondern der Ewigkeit, woran Gott sie zuweilen mahne, damit sie sich der Welt nicht allzu sehr annähmen. Es hätte wohl jeder in seinen jungen Tagen einmal ein geliebtes Weib umarmt, nach abgetaner Lust aber sei er gern im dunklen Strome des Schlafs versunken; so streife man auch willig das Körperkleid ab, wenn der Abend des Lebens gekommen sei. Was aber ihn betreffe, so glaube er nicht, dass Gott ihn schon rufen wolle. Es solle ihn niemand gegen Gott misstrauisch machen. Gott habe ihn an seiner Hand über das Meer und mitten in das Deutsche Reich geführt; das sei nicht umsonst, sondern zu etwas Großem geschehen. Des Königs Blick schweifte über das bewegte Lager und die Türme der Festung in der Ferne. Sollte es aber doch Gottes Wille sein, seinem Lauf ein Ende zu machen, fuhr er fort, so sollten sie deshalb nicht verzagen; denn Gott könne einen anderen Kavalier erwecken, der tapferer und geschickter als er sei, Gottes Willen auszuführen. Es hange nicht so viel von seiner Person ab, wie sie meinten; ob es zu glauben sei, dass Gottes große Werke auf einen einzelnen gebrechlichen Menschen gestellt wären? Gott werde schon Mittel finden, sie zum bestimmten Ende zu führen.
Am selben Tage starb Tilly, nachdem er die letzten Stunden, unbehelligt durch weltliche Geschäfte, mit seinem Beichtvater gebetet hatte. Das letzte Wort seiner brechenden Lippe war »Domine«, worauf der Beichtvater, der ihn verstand, das Kruzifix erhebend mit lauter Stimme rief: »Domine in te speravi, non confundar in aeternum« das ist: ›Herr, auf dich habe ich gehofft, verwirf mich nicht ewig.‹ Aus dem Lächeln, das auf dem Gesicht des Toten erschien, schloss der Beichtvater, dass Gott ihm Gnade verliehen habe.
Um seine Soldaten nicht länger nutzlos aufzuopfern, hob der König, der mehrere Angriffe selbst geleitet hatte, die Belagerung auf. Zu Oxenstierna sagte er, ein wenig verstimmt, dies sei das erste Mal, dass er einen Schritt zurückweichen müsse. Ob der jähe Tod des badischen Prinzen etwa doch als ein Warnungszeichen oder böse Vorbedeutung aufzufassen sei?
Man sollte immer auf das Böse gefasst sein, sagte Oxenstierna gleichmütig, umso mehr erfreue einen das Gute. Er halte es im Hinblick darauf mit dem gelehrten, kürzlich verstorbenen Landgrafen Moritz, der gesagt habe, die Finsternis sei die Wesenheit und das Licht nur ein Akzidens der Finsternis. So meinte er, das Böse regiere die Welt und sei gemein; die Kunst und Weisheit bestehe darin, jedes zufällige Lichtlein, woran immerhin kein Mangel sei, aufzusuchen und zu nützen.