77.

Die Schwe­den hat­ten auf eine leich­te Ein­nah­me der Fes­tung In­gol­stadt ge­hofft, da der Oberst Fah­rens­bach, frü­her ein­mal in schwe­di­schen Diens­ten, sie aus­zu­lie­fern ver­spro­chen hat­te, nach­dem ihm auf sei­ne Bit­te das Kom­man­do an der ge­fähr­lichs­ten Stel­le an­ver­traut wor­den war. Eine War­nung Aldrin­gens je­doch, der dem Fah­rens­bach miss­trau­te, mach­te recht­zei­tig auf sei­ne Heim­lich­kei­ten auf­merk­sam und hin­ter­trieb die Aus­füh­rung des Pla­nes. Er wis­se wohl, sag­te Til­ly, als der Kur­fürst es ihm er­zähl­te, dass Fah­rens­bach beim Wal­len­stein nicht in Gna­de ge­stan­den sei, dass Wal­len­stein ihn so­gar beim Kopf habe neh­men wol­len; er habe ihn aber für einen red­li­chen Mann ge­hal­ten und kön­ne es im­mer noch nicht glau­ben, dass er mit sol­cher Un­treue hät­te um­ge­hen sol­len. Er be­trach­te die­se glück­li­che Er­ret­tung, sag­te der Kur­fürst, als ein Zei­chen, dass Gott In­gol­stadt nicht in der Fein­de Hand wol­le fal­len las­sen. Am Abend be­gan­nen die Schwe­den den Sturm, wäh­rend Til­ly mit dem Rechts­ge­lehr­ten Rath, in des­sen Hau­se er wohn­te, sein Te­sta­ment mach­te. Er setz­te sei­nen Nef­fen Wer­ner zum Er­ben über die Haupt­mas­se sei­nes Ver­mö­gens ein, des­sen größ­ter Teil in der noch aus­ste­hen­den Sum­me be­stand, die ihm vom Kai­ser auf Gü­ter im Braun­schwei­gi­schen oder Hil­des­hei­mi­schen an­ge­wie­sen war. Fer­ner ver­mach­te er 6000 Ta­ler sei­nen al­ten wal­lo­ni­schen Krie­gern, die ihn in der Leip­zi­ger Schlacht, da er ver­wun­det wor­den war, mit ih­rem Lei­be ge­deckt hat­ten; fer­ner einen köst­li­chen Dia­man­ten, den die Erz­her­zo­gin Isa­bel­la ihm ge­schenkt hat­te, der Ma­don­na von Al­töt­ting. Es war bei sei­ner zu­neh­men­den Schwä­che nicht leicht, da­mit fer­tig zu wer­den; denn zu­wei­len fie­len Til­ly plötz­lich die Au­gen zu, und der Rechts­ge­lehr­te muss­te war­ten, bis er wie­der zu sich ge­kom­men war. Ei­ni­ge Male hör­te er Kra­chen, Don­nern und Lär­men von den Mau­ern her, und wenn er sich be­son­nen hat­te, was es be­deu­te­te, gab er Ver­ord­nun­gen, wo­hin Ver­stär­kun­gen zu schi­cken wä­ren und wo be­son­ders auf­zu­mer­ken sei. So­wie er aber die Au­gen schloss, ver­schwan­den die Ge­stal­ten, die an sei­nem Bett sa­ßen, und er ging durch die lee­ren lau­en Stra­ßen mit­ten durch die Stadt bis an das Tor und un­an­ge­foch­ten durch das Tor hin­durch. Der Lärm der Ka­no­nen ver­stumm­te, die feind­li­chen Sol­da­ten, die Of­fi­zie­re, der Kö­nig selbst wi­chen aus­ein­an­der und fie­len auf die Knie. Er wuss­te, dass das nicht ihm galt, son­dern ei­nem Un­sicht­ba­ren, der ne­ben ihm ging und in des­sen küh­ler Hand sei­ne müde, er­schöpf­te, auf­ge­lös­te fried­lich lag.

Ge­gen Mor­gen kam der Kur­fürst an sein Bett und be­rich­te­te ihm, dass der Sturm ab­ge­schla­gen sei und dass die Schwe­den sich für dies­mal zu­rück­zö­gen. Til­ly, der sich ein we­nig kräf­ti­ger fühl­te, schrieb an Wal­len­stein: Er dan­ke ihm für das Mit­leid, das er mit ihm we­gen der emp­fan­ge­nen Wun­de tra­ge, und für das Ver­spre­chen schleu­ni­ger Hil­fe, de­ren sie so sehr be­nö­tig­ten. Es gehe ja nicht nur um Bay­ern, son­dern auch um Kai­ser und Reich; sein schwa­ches Heer kön­ne den An­sturm der Schwe­den nicht auf­hal­ten, er ge­trös­te sich Wal­len­steins, täg­lich und stünd­lich späh­ten sie nach sei­ner ver­hei­ße­nen Hil­fe aus.

Der ver­geb­li­che Auf­ent­halt vor In­gol­stadt mach­te Gu­stav Adolf un­ge­dul­dig, umso mehr, als er bei ei­nem Sturz vom Pfer­de eine Quet­schung er­lit­ten hat­te, die ihm Schmer­zen ver­ur­sach­te. Nach dem miss­glück­ten Stur­me ging er ei­nes Mor­gens nah an die Schan­zen her­an, um die Be­schaf­fen­heit der­sel­ben ge­nau­er her­aus­zu­be­kom­men; in sei­ner Ge­sell­schaft be­fan­den sich Fried­rich von der Pfalz, der jun­ge Chri­stoph von Ba­den, Horn und ein paar böh­mi­sche Emi­gran­ten. Ei­ner von die­sen bat den Kö­nig, nicht wei­ter vor­zu­ge­hen, von der Schan­ze wer­de ge­schos­sen, nicht hun­dert Schrit­te vor ih­nen sei­en vor­hin Ku­geln nie­der­ge­fal­len.

Er tue es nicht aus Mut­wil­len, ent­geg­ne­te der Kö­nig, son­dern weil er, wie man wohl wis­se, ein kur­z­es Ge­sicht habe und aus der Fer­ne nicht deut­lich un­ter­schei­den kön­ne. Es sei ihm bei Mainz von großem Nut­zen ge­we­sen, dass er sich nah hin­zu­ge­schli­chen habe, um die An­la­ge der Schan­ze zu un­ter­su­chen; denn da­nach müs­se der An­griff ein­ge­rich­tet wer­den. Üb­ri­gens soll­ten sie ru­hig sein, die­se Ku­geln wä­ren nicht für ihn ge­gos­sen. »Da ha­ben Kö­nig­li­che Wür­den recht kal­vi­nisch ge­re­det«, sag­te Prinz Chri­stoph ne­ckend. Gu­stav Adolf wand­te sich la­chend an den von der Pfalz: dar­in müs­se er Be­scheid wis­sen; ob er auch glau­be, dass ein Kö­nig nicht von ei­ner Ku­gel ge­trof­fen wer­de? Ge­mei­nig­lich möch­ten wohl mehr ge­mei­ne Sol­da­ten ge­trof­fen wer­den als hohe Häup­ter, sag­te Fried­rich ge­las­sen; aber er wäre doch da­für, dass sie sich ein we­nig zu­rück­zö­gen.

Der Kö­nig und der Prinz lach­ten, und der letz­te­re sag­te, er zweifle, ob der Tod einen Mann von Di­stink­ti­on vom Pö­bel un­ter­schei­den kön­ne; ihn be­dün­ke aber, man zie­he eben des­we­gen in den Krieg, weil er vol­ler Über­ra­schun­gen und Ge­fah­ren sei, und sol­le sie also eher auf­su­chen als ver­mei­den.

»Das ist brav ge­spro­chen«, rief der Kö­nig aus, in­dem er dem jun­gen Man­ne, des­sen hüb­sches Ge­sicht er­rö­te­te, die Hand auf die Schul­ter leg­te.

»Ich weiß nicht, was für eine Vor­treff­lich­keit dar­an ist, sich ohne Not tot­schie­ßen zu las­sen«, sag­te Fried­rich und gähn­te, denn es war noch frü­her Mor­gen. »Wir be­kom­men nicht leicht einen an­de­ren Kö­nig und Haupt wie Eure Ma­je­stät, und Sie tä­ten des­halb gut, Ihre kost­ba­re Per­son, von der un­ser al­ler Wohl ab­hängt, in Si­cher­heit zu brin­gen.«

Wäh­rend das Ge­spräch noch in die­ser Wei­se ge­führt wur­de, hör­te man das Pfei­fen ei­ner Ku­gel und sah im sel­ben Au­gen­blick den Prin­zen Chri­stoph laut­los zu Bo­den stür­zen; es er­gab sich, dass die Ku­gel ihm den Kopf vom Rump­fe ge­ris­sen hat­te. Der Kö­nig, wel­cher zu­nächst ge­stan­den hat­te, tau­mel­te ein paar Schrit­te rück­wärts und muss­te sich an dem Pfalz­gra­fen hal­ten. Nach­dem er sich ge­fasst hat­te, hielt er eine An­spra­che, wie sehr die­ser Ver­lust zu be­kla­gen sei und wie groß die Trau­er des Va­ters, des Mark­gra­fen von Ba­den, sein müs­se. In­des­sen, sag­te er, sei doch im Grun­de kein An­lass zur Trau­er, denn die Men­schen wä­ren nicht Kin­der die­ser Welt, son­dern der Ewig­keit, wor­an Gott sie zu­wei­len mah­ne, da­mit sie sich der Welt nicht all­zu sehr an­näh­men. Es hät­te wohl je­der in sei­nen jun­gen Ta­gen ein­mal ein ge­lieb­tes Weib um­armt, nach ab­ge­ta­ner Lust aber sei er gern im dunklen Stro­me des Schlafs ver­sun­ken; so strei­fe man auch wil­lig das Kör­per­kleid ab, wenn der Abend des Le­bens ge­kom­men sei. Was aber ihn be­tref­fe, so glau­be er nicht, dass Gott ihn schon ru­fen wol­le. Es sol­le ihn nie­mand ge­gen Gott miss­trau­isch ma­chen. Gott habe ihn an sei­ner Hand über das Meer und mit­ten in das Deut­sche Reich ge­führt; das sei nicht um­sonst, son­dern zu et­was Großem ge­sche­hen. Des Kö­nigs Blick schweif­te über das be­weg­te La­ger und die Tür­me der Fes­tung in der Fer­ne. Soll­te es aber doch Got­tes Wil­le sein, sei­nem Lauf ein Ende zu ma­chen, fuhr er fort, so soll­ten sie des­halb nicht ver­za­gen; denn Gott kön­ne einen an­de­ren Ka­va­lier er­we­cken, der tap­fe­rer und ge­schick­ter als er sei, Got­tes Wil­len aus­zu­füh­ren. Es hange nicht so viel von sei­ner Per­son ab, wie sie mein­ten; ob es zu glau­ben sei, dass Got­tes große Wer­ke auf einen ein­zel­nen ge­brech­li­chen Men­schen ge­stellt wä­ren? Gott wer­de schon Mit­tel fin­den, sie zum be­stimm­ten Ende zu füh­ren.

Am sel­ben Tage starb Til­ly, nach­dem er die letz­ten Stun­den, un­be­hel­ligt durch welt­li­che Ge­schäf­te, mit sei­nem Beicht­va­ter ge­be­tet hat­te. Das letz­te Wort sei­ner bre­chen­den Lip­pe war »Do­mi­ne«, wor­auf der Beicht­va­ter, der ihn ver­stand, das Kru­zi­fix er­he­bend mit lau­ter Stim­me rief: »Do­mi­ne in te spe­ra­vi, non con­fun­dar in ae­ter­num« das ist: ›Herr, auf dich habe ich ge­hofft, ver­wirf mich nicht ewig.‹ Aus dem Lä­cheln, das auf dem Ge­sicht des To­ten er­schi­en, schloss der Beicht­va­ter, dass Gott ihm Gna­de ver­lie­hen habe.

Um sei­ne Sol­da­ten nicht län­ger nutz­los auf­zu­op­fern, hob der Kö­nig, der meh­re­re An­grif­fe selbst ge­lei­tet hat­te, die Be­la­ge­rung auf. Zu Oxens­tier­na sag­te er, ein we­nig ver­stimmt, dies sei das ers­te Mal, dass er einen Schritt zu­rück­wei­chen müs­se. Ob der jähe Tod des ba­di­schen Prin­zen etwa doch als ein War­nungs­zei­chen oder böse Vor­be­deu­tung auf­zu­fas­sen sei?

Man soll­te im­mer auf das Böse ge­fasst sein, sag­te Oxens­tier­na gleich­mü­tig, umso mehr er­freue einen das Gute. Er hal­te es im Hin­blick dar­auf mit dem ge­lehr­ten, kürz­lich ver­stor­be­nen Land­gra­fen Mo­ritz, der ge­sagt habe, die Fins­ter­nis sei die We­sen­heit und das Licht nur ein Ak­zi­dens der Fins­ter­nis. So mein­te er, das Böse re­gie­re die Welt und sei ge­mein; die Kunst und Weis­heit be­ste­he dar­in, je­des zu­fäl­li­ge Licht­lein, wor­an im­mer­hin kein Man­gel sei, auf­zu­su­chen und zu nüt­zen.