81.

Pap­pen­heim lag vor Hil­des­heim, um es den Schwe­den ab­zu­neh­men, als ein Brief aus Köln ihm die Nach­richt von den Er­fol­gen der Schwe­den und Fran­zo­sen am Rhei­ne brach­te, dass Ko­blenz be­reits er­obert und das Köl­ni­sche be­droht sei. Ei­lig mahn­te er in ei­nem Schrei­ben die Stadt Köln, es nicht am alt­deut­schen Hel­den­mu­te er­man­geln zu las­sen und die seit ur­al­ter Zeit in ihr hei­mi­sche ka­tho­li­sche Re­li­gi­on zu stüt­zen, ent­schloss sich dann aber doch, in An­be­tracht der Wich­tig­keit des ge­fähr­de­ten Ge­bie­tes selbst zu sei­ner Ret­tung auf­zu­bre­chen. Es war ihm dies in­so­fern lie­ber, als er da­durch einen Vor­wand be­kam, dem Kur­fürs­ten von Bay­ern nicht zu ge­hor­chen, der ihn schon mehr­mals zum Schut­ze vor Gu­stav Adolf drin­gend zu sich be­ru­fen hat­te; denn seit­dem er nach sei­ner Tren­nung von Til­ly un­ab­hän­gig Krieg führ­te, hät­te er sich auch kei­nem Ober­feld­herrn, nicht dem Kur­fürs­ten und nicht ein­mal Wal­len­stein mehr un­ter­zie­hen mö­gen. Er woll­te für sich al­lein ir­gen­det­was Gro­ßes voll­brin­gen, wo­durch sei­ne Stel­lung ein- für al­le­mal ge­si­chert wür­de, und dann, schweb­te ihm vor, soll­te Gu­stav Adolf ir­gend­wie in sei­nen Um­kreis ver­schla­gen wer­den oder gar ihn auf­su­chen, wor­auf er, um sei­ne Ta­ten zu krö­nen, ihn über­wäl­ti­gen wür­de. Die Be­sorg­nis, ge­stört zu wer­den, hetz­te ihn hier­hin und dort­hin, da­mit ihm ja nichts ent­gin­ge; aber die klei­nen Er­fol­ge, die er er­rang, wa­ren nicht das, was er brauch­te, und er ge­stand sich, dass sie die Lage im gan­zen nicht im min­des­ten zu­guns­ten sei­ner Par­tei ver­än­der­ten. Mehr und mehr schi­en es ihm, als sei Geld­man­gel die haupt­säch­li­che Ur­sa­che, dass es nicht vor­wärts woll­te, und er sann und bohr­te, wie er sich ein­mal aus­gie­big da­von ver­schaf­fen kön­ne; denn die Kon­tri­bu­tio­nen und Brand­schat­zun­gen, die oh­ne­hin im­mer schmäch­ti­ger flos­sen, wa­ren so­gleich wie­der zer­ron­nen. Hät­te er wie Wal­len­stein das Recht ge­habt, Kon­fis­ka­tio­nen vor­zu­neh­men! Oder wäre der Kur­fürst, der ja ge­nug hat­te, we­ni­ger zu­rück­hal­tend ge­we­sen! Er schrieb dem­sel­ben Brie­fe über Brie­fe, wenn er ihm nur ein ein­zi­ges Mal 100.000 Ta­ler über­wie­se, so wür­de er, Pap­pen­heim, die Welt in Er­stau­nen set­zen und dem Krie­ge ein an­de­res An­sehn ge­ben kön­nen. Ma­xi­mi­li­an gab zwar end­lich nach, aber in­zwi­schen, sag­te Pap­pen­heim, wä­ren so viel Rück­stän­de auf­ge­lau­fen, dass der Schnee, kaum er den Bo­den be­rührt hät­te, wie­der ge­schmol­zen wäre. Da er­öff­ne­te sich ihm eine neue Aus­sicht, in­dem ihn die In­fan­tin Isa­bel­la bat, die von den Staa­ten be­la­ger­te Fes­tung Maas­tricht zu ent­set­zen, so sei sie er­bö­tig, ihm nicht nur das Gol­de­ne Vlies zu ver­schaf­fen, son­dern ihm auch 24 000 Ta­ler mo­nat­lich aus­zu­zah­len. Auf dem Wege nach Köln kam Pap­pen­heim zu dem Schluss, dass er die­se Ge­le­gen­heit, et­was Gro­ßes zu voll­füh­ren und Geld in die Hand zu be­kom­men, er­grei­fen müs­se. Al­ler­dings war es ein Wa­g­nis und zu­gleich ein Un­recht, denn im Grun­de war es sei­ne nächs­te Pf­licht, Bay­ern zu schüt­zen, und fer­ner, da zwi­schen den Staa­ten und der Liga Neu­tra­li­tät be­stand, konn­te er sei­ne Her­ren, die Li­ga­fürs­ten, durch sei­ne will­kür­li­che Ein­mi­schung in große Ver­le­gen­heit brin­gen; aber das ers­te be­tref­fend, so be­rief er sich auf ge­wis­se Gerüch­te, als sei Gu­stav Adolf in Bay­ern be­siegt wor­den und also sei­ne Hil­fe nicht mehr not­wen­dig, und üb­ri­gens wür­de ein großer Er­folg sei­ne Ei­gen­mäch­tig­keit recht­fer­ti­gen. Er schlug also den Weg nach den Nie­der­lan­den ein, der ihn durch das Her­zog­tum Jü­lich führ­te, und bat Wolf­gang Wil­helm, als er nahe bei der Gren­ze war, ihm den Durch­gang zu ver­stat­ten.

Die­ser war oh­ne­hin voll Miss­ver­gnü­gen und Ent­rüs­tung. Die zwei­brücken­sche Hei­rat hat­te ihm von Sei­ten Gu­stav Adolfs durch­aus nicht die ver­wandt­schaft­li­che Berück­sich­ti­gung ein­ge­tra­gen, auf die er ge­rech­net hat­te, viel­mehr hat­te der Schwe­den­kö­nig sei­ne Bit­te um Neu­tra­li­tät kühl be­ant­wor­tet. Das Wort Neu­tra­li­tät, schrieb ihm Gu­stav Adolf, sei ein wei­ter Man­tel, un­ter dem sich al­ler­lei ver­ste­cke; es sei ja welt­be­kannt, dass sei­ne Fes­tun­gen Rhein­berg und Or­sau von den Spa­ni­ern be­setzt sei­en, wie dass er sein Stamm­land Neu­burg und die Er­b­lan­de sei­ner Brü­der, Sulz­bach und Hild­bur­g­hau­sen, wi­der die al­ten Ver­trä­ge mit­tels Ge­walt und List den Je­sui­ten aus­ge­lie­fert hät­te. Wolf­gang Wil­helm sag­te sich, dass er die­se Feind­se­lig­keit der An­we­sen­heit sei­nes Bru­ders Au­gust im La­ger des Schwe­den­kö­nigs zu­zu­schrei­ben habe; der wür­de ihm ge­nug Kla­ge­lie­der über sei­ne, des Äl­tes­ten, Un­ge­rech­tig­keit vor­win­seln. Un­ter dem Nei­de die­ser Brü­der, sag­te er sich, habe er nun ein­mal zu lei­den, das hän­ge ihm von Haus aus nach; aber der große Trug und Un­dank, den er vom Kai­ser und von Bay­ern er­fah­ren muss­te, er­bit­ter­te ihn weit mehr. Er ant­wor­te­te Pap­pen­heim mit ge­reiz­ten Wor­ten, er habe sich ei­nes An­griffs oder Durch­mar­sches von den Kai­ser­li­chen nicht ver­se­hen, da er mit dem Kai­ser und der Liga in tie­fem Frie­den lebe und we­gen vie­ler ge­leis­te­ter Diens­te eher auf Be­för­de­rung und Un­ter­stüt­zung als auf so un­leid­li­che Per­tur­ba­tio­nen ge­rech­net habe. Hier­auf teil­te ihm Pap­pen­heim das An­lie­gen der In­fan­tin Isa­bel­la mit, das er als ein ehr­lie­ben­der Ka­va­lier nicht habe ab­schla­gen kön­nen. Er sei sich wohl be­wusst, schrieb er, was er dem Her­zog schul­de; denn der Her­zog habe ihn sei­ner­zeit durch sein be­red­tes Dis­pu­tie­ren der al­lein­se­lig­ma­chen­den, wah­ren Re­li­gi­on zu­ge­führt, wo­von sei­ne glück­se­li­ge und ruhm­rei­che Lauf­bahn ih­ren Ur­sprung ge­nom­men habe. Wie er sich da­mals von ihm, dem Her­zo­ge, habe über­re­den las­sen, so sol­le die­ser jetzt auf ihn hö­ren und den ge­fähr­li­chen und schwie­ri­gen Grund­satz der Ver­scho­nung oder Neu­tra­li­tät auf­ge­ben, der der gu­ten Sa­che des ka­tho­li­schen Glau­bens und dem Kai­ser über­aus hin­der­lich sei.

Die­sen Brief fand Wolf­gang Wil­helm ziem­lich trot­zig und un­ge­bühr­lich; denn was ver­stand Pap­pen­heim von der Lage ei­nes frei­en Reichs­fürs­ten? Pap­pen­heim mach­te sich leicht mit et­li­chen Nar­ben, auf­ge­grif­fe­ner Beu­te und auf­ge­bla­se­nem Kriegs­ruhm be­zahlt; was aber war sein Lohn, wenn er sich mit dem Kai­ser ein­ließ? Wenn er es je ver­ges­sen könn­te, dass der Kai­ser die pfäl­zi­sche Kur, auf die er dem Gra­de der Ver­wandt­schaft nach den meis­ten An­spruch be­saß, an Bay­ern ge­ge­ben hat­te, so häuf­ten jene stets neue Un­bill auf, in­dem der Kai­ser die ge­hei­me Re­bel­li­on sei­ner Stän­de fo­men­tier­te und in­dem der Kai­ser und Bay­ern nicht ein­mal sei­nen bil­li­gen An­spruch un­ter­stütz­ten, Jü­lich-Kle­ve al­lein, mit Aus­schlie­ßung Bran­den­burgs, be­sit­zen zu wol­len.

Er wäre wohl be­reit, schrieb er Pap­pen­heim, of­fen auf des Kai­sers Sei­te zu tre­ten, doch müs­se er sich dann die obers­te Lei­tung des Kriegs­we­sens vor­be­hal­ten, da er als ein Reichs­fürst sich nicht wohl ei­nem Ge­rin­ge­ren un­ter­stel­len könn­te. Die­se Ein­bil­dung fand Pap­pen­heim nicht we­nig lä­cher­lich, und ohne sich auf wei­te­ren Schrif­ten­wech­sel ein­zu­las­sen, über­schritt er die Gren­ze, ließ auch sei­nen Sol­da­ten bei ih­rem Durch­mar­sche ein leid­li­ches Plün­dern und Ver­wüs­ten un­ge­straft hin­ge­hen.

Voll Sor­ge, dass die Staa­ten die­sen Durch­zug als Bruch der Neu­tra­li­tät auf­fas­sen möch­ten, zog Wolf­gang Wil­helm hin­ter Pap­pen­heim her, um sich beim Prin­zen von Ora­ni­en, der Maas­tricht ver­tei­dig­te, zu ent­schul­di­gen; über­haupt un­ter­brach er den ein­tö­ni­gen Auf­ent­halt in Düs­sel­dorf gern durch Rei­sen, zu de­nen bei den ver­wi­ckel­ten Ge­schäf­ten nie ein An­lass fehl­te.

Au­ßer die­sem vor­wurfs­vol­len Fürs­ten folg­ten Pap­pen­heim noch die Kla­gen des ge­ängs­te­ten Kur­fürs­ten von Köln. Er wür­de es aus­zu­ba­den ha­ben, schrieb ihm die­ser, an ihm wür­den die Hol­län­der ihre Ra­che küh­len, und ge­ra­de von Pap­pen­heim habe er sich sol­cher Un­treue und Ei­gen­macht nicht ver­se­hen, dem er stets bei sei­nem Bru­der von Bay­ern das Wort ge­re­det, dem er erst kürz­lich die 100.000 Reichs­ta­ler ver­schafft und aus­ge­zahlt habe. Dem Prin­zen Fried­rich Hein­rich von Ora­ni­en ge­gen­über, der ein höf­li­ches Er­stau­nen über Pap­pen­heims An­kunft aus­sprach, ver­ant­wor­te­te der­sel­be sich da­mit, dass Maas­tricht ein Reichs­glied sei, wel­ches er dem Reich nicht kön­ne ent­frem­det wer­den las­sen, ob­wohl er üb­ri­gens die Neu­tra­li­tät streng zu wah­ren im Sin­ne habe. Am al­ler­meis­ten wa­ren über Pap­pen­heims un­ver­mu­te­ten Her­an­zug die bei­den spa­ni­schen Feld­her­ren, die vor Maas­tricht la­gen, er­bit­tert; was dem deut­schen Töl­pel in den Sinn kom­me, sich ih­rer An­ge­le­gen­hei­ten an­zu­ma­ßen? Er sol­le nur, wenn er Lust habe, sich den Kopf an den hol­län­di­schen Schan­zen ein­ren­nen, sie woll­ten sich das Schau­spiel ge­fal­len las­sen.

Pap­pen­heim sank das Herz, als er inne wur­de, dass die Spa­nier nicht dar­an dach­ten, ihm bei­zu­ste­hen. In­dem er sei­ne Lage über­blick­te, wur­de ihm klar, dass er, da er al­lein nichts ge­gen die Hol­län­der aus­rich­ten konn­te, sich aus­sichts­los in einen Kno­ten von Schwie­rig­kei­ten und Ver­le­gen­hei­ten ver­wi­ckelt hat­te. Ver­nunft und Vor­sicht hät­ten er­for­dert, dass er so­gleich wie­der ab­zie­he, ohne noch sein Heer durch einen er­geb­nis­lo­sen Sturm zu schmä­lern; aber es kam ihm un­er­träg­lich vor, gleich­sam als ein Hund mit ein­ge­zo­ge­nem Schwan­ze da­von­zu­krie­chen. Er woll­te we­nigs­tens die Tap­fer­keit und Wohl­dis­zi­pli­niert­heit sei­ner Trup­pen aus­wei­sen und den Spa­ni­ern vor Au­gen füh­ren, wie schänd­lich es von ih­nen sei, ihn auf­zu­op­fern und sei­ne gu­ten Sol­da­ten ab­schlach­ten zu las­sen, ohne ihm bei­zu­sprin­gen. Im Stil­len hoff­te er, sie wür­den ih­ren Sinn viel­leicht doch noch än­dern oder sich durch den einen oder an­de­ren kampf­lus­ti­gen Of­fi­zier fort­rei­ßen las­sen, wenn er mit dem An­griff be­gän­ne.

Un­ter­des­sen war Wolf­gang Wil­helm im Schlos­se Geul, wo Fried­rich Hein­rich von Ora­ni­en sich auf­hielt, höf­lich auf­ge­nom­men wor­den. Er wer­de die Neu­tra­li­tät des Her­zog­tums Jü­lich gern an­er­ken­nen, sag­te der Prinz, so­wie Wolf­gang Wil­helm es glei­cher­ma­ßen da­mit hal­te; wenn die spa­ni­schen Trup­pen Rhein­berg und Or­sau eva­ku­ier­ten, soll­ten auch sei­ne Trup­pen aus We­sel ab­ziehn. Vorab, das müs­se Wolf­gang Wil­helm ein­sehn, wür­de er ge­gen die Kriegs­rä­son han­deln, wenn er den Spa­ni­ern bei ihm freie Hand lie­ße. Es sei ihm, klag­te Wolf­gang Wil­helm, die Eva­kua­ti­on längst von der In­fan­tin ver­spro­chen, aber im­mer noch ver­zö­gert wor­den; er sei jetzt auf dem Wege nach Brüs­sel, um sie zu mah­nen. Über Pap­pen­heim lach­te der Prinz von Ora­ni­en; der sei den fau­len Krieg im Rei­che ge­wöhnt und hal­te sich für un­über­wind­lich. Dem Kö­nig von Schwe­den habe er doch nicht stand­hal­ten kön­nen. Und was für ein selt­sa­mes We­sen und Aben­teu­ern die­ser Zug sei! Wenn ei­ner sei­ner Un­ter­ge­be­nen sich der­glei­chen un­ter­fin­ge, lie­ße er ihm den Kopf vor die Füße le­gen. Üb­ri­gens wür­de er nichts als Schimpf und Scha­den da­von ha­ben. Ob Wolf­gang Wil­helm ihn nicht ins La­ger be­glei­ten wol­le, um den An­griff bes­ser be­ob­ach­ten zu kön­nen? Der Her­zog hat­te kei­ne Lust, mit dem Krie­ge in nä­he­re Berüh­rung zu kom­men, und die hoch­mü­ti­ge Ge­las­sen­heit Ora­ni­ens är­ger­te ihn, ob­gleich er Pap­pen­heim die Nie­der­la­ge gönn­te; aber er moch­te nicht nein sa­gen, stieg zu Pfer­de und be­glei­te­te den Prin­zen bis zu ei­ner An­hö­he, wo sie nach sei­ner An­ga­be nicht aus­ge­setzt wä­ren. Die bra­ven Pap­pen­hei­mer mar­schier­ten ganz mun­ter in den Tod, sag­te Ora­ni­en, in­dem er Wolf­gang Wil­helm sein Per­spek­tiv1 reich­te, da­mit er bes­ser se­hen kön­ne; viel­leicht habe Pap­pen­heim ih­nen vor­her Wein ge­reicht, da­mit pfleg­ten vie­le deut­sche Feld­her­ren ih­ren Völ­kern Mut zu ma­chen. Der Kö­nig von Spa­ni­en, sag­te Wolf­gang Wil­helm, wer­de nicht we­nig un­ge­hal­ten sein, dass sei­ne Obers­ten sich nicht mit Pap­pen­heim kon­jun­giert hät­ten. Dar­über lach­te Ora­ni­en; der Kö­nig von Spa­ni­en, sag­te er, sähe es gern, wenn dem Kur­fürs­ten von Bay­ern ein Tort ge­sch­ehe; wüss­ten das die bei­den Her­ren nicht, hät­ten sie sich wohl an­ders ver­hal­ten.

Pap­pen­heim fie­ber­te vor Zorn, be­son­ders als ihm er­zählt wur­de, der eine von den spa­ni­schen Feld­her­ren habe zum an­de­ren ge­sagt, Pap­pen­heim sei ein vor­züg­li­cher Seil­tän­zer, und er wol­le dem Kö­nig be­rich­ten, für die de­spe­ra­ten Ka­prio­len, die er vor ih­nen auf­ge­führt habe, sei er wert, das Gol­de­ne Vlies zu er­hal­ten. Da nach drei Ta­gen Maas­tricht an die Staa­ten ka­pi­tu­lier­te, blieb ihm nichts üb­rig, als sei­nem ab­son­der­li­chen Sei­ten­sprung nebst nach­fol­gen­der Ka­ta­stro­phe ein eh­ren­vol­les An­sehn zu ge­ben und et­wai­ge üble Fol­gen zu ver­hü­ten. Des­we­gen bat er den Prin­zen von Ora­ni­en, er sol­le doch, was er für Kai­ser und Reich zur Ret­tung Maas­trichts un­ter­nom­men, den Kur­fürs­ten von Köln nicht ent­gel­ten las­sen, der die Neu­tra­li­tät eif­rig und treu­lich zu hal­ten ge­son­nen sei. Dann schil­der­te er dem Kur­fürs­ten von Bay­ern das nei­di­sche und treu­lo­se Be­neh­men der Spa­nier, wie sich über­haupt nie­mand au­ßer ihm der ka­tho­li­schen Re­li­gi­on so recht an­neh­me, was für einen stau­nens­wür­di­gen, ge­schwin­den Zug er aus­ge­führt und wie der Geld­man­gel ihn zu die­sem Un­ter­neh­men ge­nö­tigt habe. Der Kur­fürst, dem mitt­ler­wei­le Gerüch­te über Pap­pen­heims tol­len Zug zu Ohren ge­kom­men wa­ren, dach­te dar­an, ihn vor ein Kriegs­ge­richt zu stel­len, so­wie er ein we­nig vor dem Fein­de auf­at­men könn­te, und noch mehr ent­rüs­tet war Wal­len­stein.

Wolf­gang Wil­helm setz­te sei­ne Rei­se nach Brüs­sel fort, wo er sich von den un­an­ge­neh­men Ein­drücken der letz­ten Zeit wie­der er­hol­te. Die In­fan­tin ver­sprach ihm, sei­nen Wunsch, die Eva­kua­ti­on der Fes­tun­gen be­tref­fend, bald zu er­fül­len, und auch die ho­hen Geist­li­chen und vor­neh­men Da­men, die er auf­such­te, über­häuf­ten ihn mit Lie­bens­wür­dig­keit. Täg­lich er­hielt er Ein­la­dun­gen und wur­de als ein schö­ner, kunst­ver­stän­di­ger und hoch­ge­bil­de­ter Fürst ge­fei­ert, ent­fal­te­te sein schö­nes Re­den und mach­te den Da­men nicht ohne Herab­las­sung den Hof. Im Krei­se der nach neues­ter Mode und mit großer Pracht ge­klei­de­ten Schön­hei­ten fiel ihm zu­wei­len sei­ne klei­ne non­nen­haf­te Frau zu Düs­sel­dorf ein und dass sie ler­nen müs­se, so lieb ihm auch ihr un­schein­ba­res We­sen im All­ge­mei­nen war, sich zu­wei­len fürst­lich her­zu­rich­ten. In­dem er mit Hochach­tung von ih­rem Ver­stan­de und ih­rer Tu­gend sprach, er­kun­dig­te er sich bei sei­nen Freun­din­nen nach den Nä­he­rin­nen, die ihre Ro­ben ver­fer­tig­ten, und wo­her sie ihre Spit­zen, Hand­schu­he und der­glei­chen be­zö­gen.

Un­ter­des­sen leb­te Ka­tha­ri­na Char­lot­te ein ein­sam ein­tö­ni­ges Le­ben in dem großen Düs­sel­dor­fer Schlos­se. Sie bang­te sich zu­wei­len nach ih­rem Man­ne, ob­wohl sie sich al­lein in man­cher Hin­sicht woh­ler fühl­te; denn wenn er da war, be­drück­te sie sei­ne Un­zu­frie­den­heit über die­ses und je­nes, zum Bei­spiel über ih­ren Ver­kehr mit dem re­for­mier­ten Pfar­rer, den sie mit­ge­bracht hat­te, oder über die re­for­mier­te Kin­der­frau, die er stets für ir­gen­det­was ver­ant­wort­lich mach­te, wo­mit sie gar nichts zu tun hat­te, und die­se Ta­del­sucht ließ sie nie zur Ruhe kom­men. Nun saß sie abends am Ka­min, in dem sie sich, ob­wohl es Som­mer war, der Käl­te we­gen ein Feu­er an­zün­den ließ, und spiel­te mit ih­rem klei­nen Kin­de, bis es für die Nacht schla­fen ge­legt wur­de. An den Wän­den des ho­hen dunklen Zim­mers hin­gen die Bil­der der al­ten Her­zö­ge von Kle­ve: Her­zog Wil­helms des Rei­chen, der in Geis­tes­schwach­heit ge­stor­ben war, und sei­ner schwer­mü­ti­gen habs­bur­gi­schen Ge­mah­lin, Wolf­gang Wil­helms Groß­mut­ter, im star­ren dun­kel­ro­ten Klei­de und mit weißem, angst­vol­lem Ge­sicht, die so da­stand, als ob sie sich vor dem Blick des Be­schau­ers in die Mau­er ver­krie­chen möch­te; fer­ner des letz­ten Her­zogs Jan Wil­lem, der in Me­lan­cho­lie und ge­fähr­li­chem Blöd­sinn ge­lebt hat­te, und sei­ner ers­ten Ge­mah­lin, der ba­di­schen Ja­ko­be, mit rot­brau­nen Haa­ren, die aus­sa­hen, als ob das Feu­er der un­ter­ge­hen­den Son­ne dar­auf schie­ne, und von der man sag­te, dass sie ih­ren Mann ver­zau­bert hät­te und dass sie ge­heim­nis­voll er­mor­det wor­den sei. Die­se ge­mal­ten Fi­gu­ren wä­ren ihr eine trau­ri­ge und furcht­ba­re Ge­sell­schaft ge­we­sen, wenn sie das Kind nicht ge­habt hät­te, das mit sei­nem klei­nen, un­schul­di­gen Le­ben wie ein Bild und Zeug­nis von Got­tes Ge­gen­wär­tig­keit war. Sie leg­te sei­nen zar­ten run­den Kör­per gern auf den dun­kel­ro­ten Tep­pich oder sah sei­ne tief­dun­kelblau­en Au­gen in die hüp­fen­de Flam­me stau­nen, wie wenn es sie kenn­te und sie ihm vor na­men­lo­sen Zei­ten ein­mal ver­traut ge­we­sen wäre; nur dass es so still lag und fast nie­mals lach­te oder stram­pel­te, ängs­tig­te sie zu­wei­len so, dass sie die Kin­der­frau rief, um ihre Mei­nung dar­über zu ver­neh­men. Die­se pfleg­te sie zu trös­ten und zu sa­gen, dass die schwäch­li­chen Kin­der oft zäh wä­ren; frei­lich sei sie selbst, Ka­tha­ri­na Char­lot­te, noch ein gar jun­ges und ge­brech­li­ches Fräu­lein zur Ehe ge­we­sen; man müs­se es aber Gott an­heim­stel­len.


  1. Fern­rohr/Fern­glas  <<<