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Matt­hi­as Ber­neg­ger las ver­schie­de­nen Freun­den die Lau­da­tio fu­nebris vor, die er auf den Tod Gu­stav Adolfs ver­fasst und in wel­cher er einen Ver­gleich mit Alex­an­der dem Gro­ßen durch­ge­führt hat­te. Lin­gels­heim lob­te die Ele­ganz der la­tei­ni­schen Aus­drucks­wei­se, die mo­der­ne Be­weg­lich­keit aus­at­me, ohne vom Geis­te des Al­ter­tums ab­zu­wei­chen, vor al­len Din­gen aber rühm­te er die fei­ne Iro­nie, mit der Ber­neg­ger füh­len las­se, dass in dem Ver­gleich mit Alex­an­der dem Gro­ßen, der die Grie­chen ih­rer Frei­heit be­raub­te, nur ein zwei­deu­ti­ges Lob lie­ge und dass die Deut­schen Ur­sa­che hät­ten, den Tod die­ses Hel­den, je mehr sie ihn ver­ehr­ten, de­sto mehr als ein Glück an­zu­sehn.

Si­cher­lich wäre die deut­sche Frei­heit sei­ner Uner­sätt­lich­keit zum Op­fer ge­fal­len, sag­te ein an­de­rer Pro­fes­sor, und es fra­ge sich doch, ob die ös­ter­rei­chi­sche Ty­ran­nei der schwe­di­schen nicht auf die Dau­er vor­zu­zie­hen sei. Nach mensch­li­cher Art wür­de Schwe­den des Kö­nigs liebs­tes Kind ge­blie­ben sein, und er wür­de Deutsch­land, das Fin­del­kind, aus­ge­so­gen ha­ben, um je­nes zu be­rei­chern. Im­mer­hin sei er ein großer Mann ge­we­sen; aber man kön­ne doch nicht wis­sen, wer nach ihm käme.

Wenn es nur nicht um die Re­li­gi­on wäre, mein­te Frau Ber­neg­ger. Man kön­ne sich doch nun und nim­mer wie­der un­ter das päpst­li­che Joch beu­gen.

Nun, sag­te Ber­neg­ger, es gebe jetzt doch schon an­sehn­li­che Stan­des­per­so­nen, die bil­lig däch­ten. Wal­len­stein pfle­ge zum Bei­spiel, wie hart er auch üb­ri­gens sei, die Pro­tes­tan­ten nicht zu ver­fol­gen, au­ßer auf sei­nen Gü­tern, wo es des Ge­hor­sams we­gen ge­sch­ehe. Der Kur­fürst von Tri­er, der frei­lich et­was lau­nen­haft und ex­or­bi­tant sei, neh­me un­ge­scheut Pro­tes­tan­ten in sei­nen Dienst, und mit Ärz­ten, Künst­lern oder Sän­gern pfle­ge man es oh­ne­hin nicht so ge­nau zu neh­men. Vi­el­leicht ei­nig­ten sich die Geis­ter doch all­mäh­lich in ei­nem lich­teren Reich, wo man nicht mehr über Na­men dis­pu­tier­te.

Zu den Freun­den ge­sell­te sich ei­ner vom Rat, der in gu­tem Ver­neh­men mit Ber­neg­ger stand, und trug ihm an, eine Lo­b­re­de auf Kö­nig Lud­wig XIII. zu schrei­ben. Man habe sich nun­mehr zu ei­nem en­ge­ren Zu­sam­men­hal­ten mit Frank­reich ent­schlos­sen, und dem­nach wer­de es dem Rat nicht un­lieb und un­dien­lich sein, wenn eine Schrift zu­guns­ten des Kö­nigs ver­brei­tet wer­de.

Wenn der Rats­herr ihm mit­tei­len wol­le, was sich zum Ruh­me des Kö­nigs sa­gen las­se, ant­wor­te­te Ber­neg­ger lä­chelnd, so ge­traue er sich schon, es in gu­tes La­tein zu brin­gen.

Da­für sei er Pro­fes­sor der Be­red­sam­keit, sag­te der Rats­herr ein we­nig emp­find­lich, ein sol­cher müs­se im­mer einen Vor­rat wohl­tö­nen­der Sen­ten­zen in Be­reit­schaft ha­ben.

Er kön­ne ja den Sue­ton zu Rate zie­hen, scherz­te Lin­gels­heim, da fin­de sich schon et­was Pas­sen­des.

Der fran­zö­si­sche Ge­sand­te, sag­te der Rats­herr, sei ein über­aus fei­ner Herr, wohl­mei­nend und auf­rich­tig, und habe aufs klars­te de­mons­triert, dass der fran­zö­si­sche Kö­nig sich kei­ne lie­be­ren Nach­barn wün­sche als die deut­schen Reichs­städ­te, die nicht auf Ver­grö­ße­rung aus­gin­gen, und dass er sie des­halb er­hal­ten wol­le. Das sei ein Ei­gen­nutz, aus dem er kein Hehl ma­che. We­gen Han­del und Ver­kehr habe er die bes­ten Zu­si­che­run­gen ge­ge­ben. Es drän­ge sich jetzt ein­mal al­les un­ter Frank­reichs Fit­tich, Bay­ern, Köln, Mainz und Tri­er, da wer­de man es den schutz­lo­sen Städ­ten erst recht nicht ver­den­ken kön­nen. Al­lein ste­hen kön­ne man in dem Kriegs­ge­tüm­mel, wo sich alle wie Wöl­fe an­fie­len, nicht, und von Frank­reich habe man zu­letzt am we­nigs­ten zu be­fah­ren, es sei reich, brau­che nichts von den an­de­ren, tei­le viel­mehr aus und has­se die Spa­nier. End­lich deu­te­te der Rats­herr an, dass die Stadt sich für einen sol­chen Dienst Ber­neg­gers, der bö­sen Zeit ent­spre­chend, er­kennt­lich zei­gen wer­de.

Das sei frei­lich nicht zu ver­ach­ten, seufz­te Ber­neg­ger, der Rats­herr wis­se ja­wohl, dass er in zwei Jah­ren kein Ge­halt emp­fan­gen habe.

Es müs­se sich jetzt ein je­der re­cken und stre­cken, sag­te der Rats­herr. Sie hät­ten eben erst be­schlos­sen, bei dem dies­jäh­ri­gen fest­li­chen Rats­mahl ein Ge­richt we­ni­ger auf­zu­stel­len und auch mit dem Wein eine ge­wis­se Ein­schrän­kung zu tun.

Die Lo­b­re­de auf Lud­wig XIII. ver­sprach Ber­neg­ger zu schrei­ben; der zu­neh­men­de Geld­man­gel ver­lang­te oh­ne­hin man­ches Op­fer, so gehe es in ei­nem hin, dach­te er. Weil we­nig mehr ge­druckt und ver­legt wur­de, hat­te er selbst eine Dru­cke­rei ein­ge­rich­tet, bei der sei­ne Schü­ler die Set­zer wa­ren; aber er ver­lor so viel Geld bei die­sem Un­ter­neh­men, dass er es bald wie­der ein­ge­hen las­sen muss­te. Ein Buch nach dem an­de­ren ent­schloss er sich zu ver­kau­fen und rück­te die üb­rig­ge­blie­be­nen sorg­fäl­tig zu­sam­men, da­mit ihn nicht die Lücke an den Ver­lust er­in­ne­re; aber er brach­te die lie­ben, lang­jäh­ri­gen Ge­fähr­ten und ihre ver­trau­ten Ge­sich­ter doch nicht aus dem Sinn. Zu den täg­li­chen Aus­ga­ben, die durch die stei­gen­den Prei­se der Le­bens­mit­tel be­stän­dig grö­ßer wur­den, ka­men die be­son­de­ren, die ihm ei­gen­tüm­lich wa­ren, wie zum Bei­spiel der äl­tes­te Sohn Kep­lers, Lud­wig, der Me­di­zin stu­dier­te, sich bit­tend an ihn wand­te, als er we­gen leicht­sin­ni­ger Schul­den in Ba­sel ein­ge­sperrt wer­den soll­te. Das Geld, das er dem Man­ne der Su­san­ne Kep­ler vor­ge­schos­sen hat­te, stand auch noch aus, da der jun­ge Mensch nach kur­z­er Ehe ge­stor­ben war und er die Frau, die so bald nach­ein­an­der Va­ter und Gat­ten ver­lo­ren hat­te, in ih­rer Trau­er­zeit nicht da­mit ängs­ti­gen moch­te. Noch we­ni­ger Aus­sicht war, dass er von Lud­wig je et­was zu­rück er­hiel­te, wenn er ihm jetzt aus­hül­fe; denn wie oft hat­te er schon Än­de­rung und Bes­se­rung in Aus­sicht ge­stellt, ohne dass es je über Ver­spre­chung und Hoff­nung hin­aus­ge­kom­men wäre. Konn­te er an­de­rer­seits den Sohn des großen Kep­ler, sei­nes ge­lieb­ten Freun­des, im Sti­che las­sen? Soll­te er den Kin­dern des Man­nes ge­gen­über gei­zen, der ihn wie die gan­ze Mensch­heit so reich be­schenkt hat­te?

In­dem er Lud­wig das Geld schick­te, schrieb er ihm: Zwei Din­ge habe sein Va­ter im Wel­ten­raum ge­schaut: das Ge­heim­nis und das Ge­setz. Nie­mand kön­ne er­grün­den, warum ein so himm­li­scher Geist zeit­le­bens im Stau­be nach der ir­di­schen Not­durft habe rin­gen müs­sen; aber er habe ei­nem in­ne­woh­nen­den Ge­set­ze fol­gend sei­ne Pf­licht ge­tan, ohne zu wis­sen, was es ihm ein­tra­ge und wo­hin es ihn füh­re, ob es ver­geb­lich und ein Nichts sei. Es tue ein Kö­nigs­sohn nicht frei­wil­lig sei­nen Pur­pur von sich, viel we­ni­ger sol­le er, Kep­lers Sohn, das Erb­teil der Tu­gend von sich wei­sen. Nie­mand habe Gott von An­ge­sicht ge­sehn; nie­mand wis­se den Ur­sprung des Kamp­fes und des Lei­dens, das Deutsch­land zer­rei­ße, noch sein Ende; nie­mand wis­se, ob, was wir wünsch­ten, un­ser Glück sei, oder un­ser Un­glück, was wir fürch­te­ten; so blei­be dem ge­brech­li­chen Men­schen nur das Ge­setz, das ihn durch sein Ge­wis­sen hei­ße, auch ohne Zweck, ja wenn es wäre, auch ohne Lie­be sei­ne Pf­licht zu tun.