1.

Der Kur­fürst von Sach­sen wur­de durch die Nach­richt von der be­vor­ste­hen­den An­kunft Oxens­tier­nas in Dres­den in üble Lau­ne ver­setzt; er habe ge­dacht, sag­te er, die schwe­di­sche Wirt­schaft sei mit dem Tode des Kö­nigs zu Ende, nun gehe es wie­der los; er wol­le ein­mal nichts da­mit zu tun ha­ben. Herr von Tau­be und die an­de­ren Räte such­ten ihn zu be­schwich­ti­gen und schlu­gen vor, den Kanz­ler wie den Kö­nig selbst zu emp­fan­gen, da­mit wo­mög­lich al­les glimpf­lich ge­ord­net wür­de; er be­to­ne ja sei­ne Frie­dens­lie­be, viel­leicht kön­ne man einen gu­ten Frie­den er­lan­gen. So­lan­ge Oxens­tier­na sich be­schei­den auf­füh­re, ent­schied der Kur­fürst, sol­le er nach Ge­bühr trak­tiert wer­den; lie­ße er sich aber ein­fal­len, den Herrn zu spie­len, so wol­le er als ein vor­neh­mer deut­scher Kur- und Reichs­fürst ihn Mo­res leh­ren. Be­son­ders der Ober­hof­pre­di­ger Hoë re­de­te dem Kur­fürs­ten zu, das schwe­di­sche Bünd­nis zu hal­ten; Gott habe die schwe­di­schen Waf­fen ge­seg­net und wer­de es fer­ner tun, Ab­fall und Un­treue stän­den ei­nem christ­li­chen Fürs­ten nicht an. Man kön­ne auch nicht wis­sen, wie Gott das ge­treue Aus­har­ren des Kur­fürs­ten noch loh­nen wer­de. Als ihn die Böh­men im Jah­re 1618 zum Kö­ni­ge hät­ten wäh­len wol­len, habe er die große Zu­kunft dem Kai­ser auf­ge­op­fert; viel­leicht krö­ne ihn da­für jetzt der Him­mel frei­wil­lig mit die­ser ur­al­ten und rei­chen Kro­ne. Es gehe ja al­les kopf­über, kopf­un­ter in Böh­men, die lie­be Re­li­gi­on lie­ge in den letz­ten Zü­gen, Mensch und Vieh kämpf­ten mit­ein­an­der um den letz­ten Gras­halm, und das wis­se ja je­der, wie die from­men böh­mi­schen Ex­u­lan­ten auf den Kur­fürs­ten als auf ih­ren Mes­si­as blick­ten. Der Kur­fürst brumm­te, er wol­le nichts, als was ihm mit Fug zu­ste­he, und der hart­köp­fi­ge böh­mi­sche Adel müs­se sich noch viel tiefer bücken, be­vor er sich mit ihm ein­lie­ße; aber das Pro­jekt ru­mor­te doch in sei­nem Kop­fe.

Ernst­li­cher gin­gen die Kur­fürs­tin und ihre Söh­ne mit dem Ge­dan­ken an Böh­men um; die jun­gen Prin­zen wä­ren glück­lich ge­we­sen, wenn sie der vä­ter­li­chen Ty­ran­nei hät­ten ent­rin­nen und au­ßer Lan­des einen an­sehn­li­chen fürst­li­chen Hof hät­ten ein­rich­ten kön­nen.

Ach, sag­te der schwe­di­sche Re­si­dent Ni­ko­lai, Trä­nen im Auge, zu Oxens­tier­na, als er ihn in Dres­den be­grüß­te, er sei ja so froh, den Kanz­ler zu se­hen; es sei ihm fast, als haf­te noch ein Stück­chen von des Kö­nigs See­le an ihm.

Das möge wohl so sein, nick­te Oxens­tier­na; denn er füh­le sich zu­wei­len zu Hand­lun­gen und Plä­nen ge­trie­ben, die er frü­her miss­bil­ligt hät­te und die er jetzt gleich­sam zu des Kö­nigs Ge­dächt­nis und wi­der sei­nen Wil­len tun müs­se. Frü­her sei er mit des Kö­nigs Her­um­stür­men im Reich nicht je­der­zeit ein­ver­stan­den ge­we­sen, habe ge­meint, es füh­re ihn zu weit ab von Schwe­den, und er habe ihm oft ge­ra­ten, sich mit ei­nem gu­ten Beu­tel voll Geld aus dem Knäu­el zu zie­hen, so­lan­ge es noch mit Ehren mög­lich sei. Jetzt steck­ten sie vollends wie die hei­li­gen Mär­ty­rer in ei­nem Lö­wen­zwin­ger, um­ringt von heim­li­chen und of­fe­nen Fein­den, los­ge­trennt von der Hei­mat, ein ver­schla­ge­nes Häuf­lein, nur der ei­ge­nen Fäus­te und des ei­ge­nen Kop­fes mäch­tig.

Des Kanz­lers Kopf zäh­le aber auch für vie­le, sag­te Ni­ko­lai, und er sei in­so­weit der al­ten neun­köp­fi­gen Hy­dra zu ver­glei­chen.

Oxens­tier­na lach­te und sag­te, er sei mit die­sem In­stru­ment zu­frie­den, brau­che es aber auch. Die ge­sam­ten evan­ge­li­schen Stän­de des Reichs, ei­gen­mäch­ti­ge und ver­schla­ge­ne Leu­te, samt Frank­reich un­ter einen Hut zu brin­gen, dazu müs­se man ein nüch­ter­nes Ge­hirn und einen fes­ten Schlaf ha­ben. Bis jetzt habe sich der Her­ku­les noch nicht ge­zeigt, der ihm das kost­ba­re Haupt­bü­schel vom Hal­se schlü­ge, si­cher sei es der Kur­fürst von Sach­sen nicht.

Ni­ko­lai schüt­tel­te be­denk­lich den Kopf. Es wür­den mehr Stäm­me durch wu­chern­des Un­kraut um­ge­bracht als durch den Blitz ge­fällt, sag­te er. Oxens­tier­na möge ihm ge­stat­ten, dass er, Ni­ko­lai, ihm mit sei­ner Er­fah­rung die­ne, und möge sich sei­ne War­nun­gen, mehr als der hoch­se­li­ge Kö­nig ge­tan hät­te, zu Ge­mü­te zie­hen. Er sei jetzt in Dres­den zu Hau­se, ken­ne sich aus mit säch­si­scher Falsch­heit und Hin­ter­list. Der Kur­fürst sei nie­mals auf­rich­tig schwe­disch ge­we­sen und wer­de es nie sein, eben­so­we­nig sei dem Ar­nim und dem Lau­en­bur­ger zu trau­en, wie sie sich auch an­stel­len möch­ten. Ein red­lich schwe­di­sches Ge­müt habe nur der alte Graf Ma­thes Thurn, frei­lich sei er nicht tief, wer­de leicht be­tro­gen und kön­ne schlecht dis­si­mu­lie­ren. Über­haupt mei­ne es nie­mand so treu mit den Schwe­den wie die böh­mi­schen Emi­gran­ten, weil das mit ih­rem Par­ti­ku­la­r­in­ter­es­se zu­sam­men­hän­ge.

Frei­lich, ohne Kö­der fan­ge man kei­ne Fi­sche, lach­te Oxens­tier­na; der säch­si­sche zap­pe­le ja schon an der böh­mi­schen Kro­ne, und dem bran­den­bur­gi­schen habe er auch einen aus­ge­wor­fen, näm­lich die schwe­di­sche Hei­rat des Kur­prin­zen Fried­rich Wil­helm. Das Würm­lein kom­me ih­nen zu Ber­lin fett ge­nug vor, und mit­tels Bran­den­burg hät­te er Sach­sen oh­ne­hin, da sich Sach­sen kaum von Bran­den­burg tren­nen wür­de.

Be­vor Ni­ko­lai sich ver­ab­schie­de­te, schlug er Oxens­tier­na vor, ihn mit dem Gra­fen Kins­ky be­kannt zu ma­chen. Der sei kein Heiß­sporn wie der alte Thurn, son­dern vor­sich­tig und ge­lin­de. Ar­nim habe ihn im Jah­re 1631 kriegs­ge­fan­gen aus Prag ge­bracht, seit­dem lebe er in Dres­den und ge­nie­ße das Wohl­wol­len des Kur­fürs­ten, weil er Anno 1618 nicht dem Pfäl­zer, son­dern ihm, dem Kur­fürs­ten, sei­ne Stim­me ge­ge­ben habe.

So, so, sag­te Oxens­tier­na, er den­ke das wohl jetzt noch zu ef­fek­tu­ie­ren?

Ni­ko­lai zuck­te die Schul­tern. Dass Kins­ky, als ein eif­ri­ger Pro­tes­tant, sein Va­ter­land wie­der in den vo­ri­gen Frei­heits- und Blü­ten­stand set­zen möch­te, sei ge­wiss; aber er ken­ne den Sach­sen zu wohl, um von ihm al­lein viel zu er­war­ten. Er wis­se, dass Böh­men das Heil nur von den Schwe­den kom­men kön­ne. Vor al­len Din­gen kön­ne er da­durch nütz­lich wer­den, dass er ver­mit­telst sei­ner Frau, die eine Terz­ka sei, in ge­nau­er Ver­bin­dung mit Wal­len­stein ste­he; er un­ter­hal­te auch meh­re­re Kund­schaf­ter bei dem Ge­ne­ral und sei von al­lem, was dort vor­ge­he, aufs bes­te un­ter­rich­tet.

Die Ver­hand­lun­gen Oxens­tier­nas mit den kur­fürst­li­chen Rä­ten woll­ten in­des­sen zu kei­nem Zie­le füh­ren, wie scharf er sie auch an­hielt, bei der Sa­che zu blei­ben. Ihre Ver­si­che­run­gen, dass der Kur­fürst des ge­op­fer­ten kö­nig­li­chen Blu­tes ein­ge­denk sei und von den Glau­bens­ge­nos­sen nicht wei­chen wol­le, un­ter­brach er bald mit der For­de­rung, die­se löb­li­chen Ab­sich­ten in Tat um­ge­setzt zu se­hen; na­ment­lich soll­ten sie sich er­klä­ren, in wel­cher Wei­se die Kräf­te der Evan­ge­li­schen künf­tig zu­sam­men­ge­fasst und ver­trags­mä­ßig kon­sti­tu­iert wer­den könn­ten.

Der Kur­fürst sei ge­son­nen, sag­ten die Räte, sei­ne Lie­be zu der ver­stor­be­nen schwe­di­schen Ma­je­stät auf den Kanz­ler zu über­tra­gen und sich nicht von ihm zu se­pa­rie­ren; das Wei­te­re wür­den Zeit und Ge­le­gen­heit ge­ben. Sach­sen sei ja vom Fein­de ge­säu­bert, der Kur­fürst wol­le sich aber da­mit nicht be­gnü­gen, son­dern sei­ne Waf­fen mit schwe­di­scher Hil­fe in Böh­men hin­ein­tra­gen und dem flüch­ti­gen Fein­de gänz­lich den Garaus ma­chen.

Oxens­tier­na lehn­te sich in den Ses­sel zu­rück und spiel­te mit sei­ner Fe­der. So weit wä­ren sie noch nicht, sag­te er ab­leh­nend, es sei nicht rat­sam, das Kriegs­thea­ter wei­ter aus­zu­deh­nen, be­vor noch eine Ba­sis für den Krieg ge­schaf­fen sei. Man müs­se zu­erst wis­sen, wie die Mit­tel für den Krieg auf­zu­brin­gen wä­ren und wer künf­tig das We­sen zu di­ri­gie­ren hät­te, da­mit der Brei nicht ver­sal­zen wür­de, wie es bei all­zu vie­len Häup­tern zu ge­sche­hen pfle­ge.

Dass dem Kur­fürs­ten, als der vor­nehms­ten evan­ge­li­schen Säu­le des Reichs, der ge­büh­ren­de Re­spekt zu­teil wer­de, ant­wor­te­ten die Räte, ver­ste­he sich wohl von selbst. Ob Oxens­tier­na Ur­sa­che habe, dem Kur­fürs­ten zu miss­trau­en?

Dies höf­lich ver­nei­nend, mach­te Oxens­tier­na die Her­ren dar­auf auf­merk­sam, dass er vie­le Ge­schäf­te zu er­le­di­gen hät­te und des­halb den Sa­chen ge­ra­de auf den Leib zie­hen müs­se. Er habe sich aus­ge­rech­net, dass das evan­ge­li­sche Kriegs­we­sen auf drei­er­lei Wei­se könn­te ge­ord­net wer­den: Ers­tens könn­ten wie bis­her alle Glie­der zu ei­nem Cor­pus for­miert wer­den, das un­ter schwe­di­scher Di­rek­ti­on ste­he; oder aber es könn­ten zwei ge­trenn­te Cor­po­ra ge­macht wer­den, von de­nen eins Schwe­den, das an­de­re den Kur­fürs­ten von Sach­sen zum Haup­te hät­te; drit­tens könn­te, falls die Deut­schen der schwe­di­schen Hil­fe nicht mehr zu be­nö­ti­gen mein­ten, die­se Kro­ne durch eine bil­li­ge Ent­schä­di­gung be­frie­digt wer­den, wor­auf sie sich gänz­lich aus dem Krie­ge zu­rück­zie­hen wür­de. Die Räte möch­ten die­se drei Punk­te dem Kur­fürs­ten vor­le­gen und einen schleu­ni­gen Ent­schluss zu­we­ge brin­gen.

Jo­hann Ge­org hör­te den Be­richt der be­stürz­ten Her­ren ent­rüs­tet an. Das feh­le noch, sag­te er, dass er sich von ei­nem schwe­di­schen Ad­li­gen an die Wand drücken lie­ße! Man müs­se doch Zeit zum Be­sin­nen und Über­le­gen ha­ben, auf ein Ent­we­der-Oder lie­ße er sich über­haupt nicht stel­len.

Es sei nicht zu leug­nen, mein­ten jene, dass der Kanz­ler sehr ge­reizt und emp­find­lich zu sein schei­ne; man müs­se sich wohl oder übel ent­schlie­ßen, über die vor­ge­schla­ge­nen drei Punk­te zu be­ra­ten.

Dazu brau­che er kei­nen Rat, schalt der Kur­fürst, um zu wis­sen, dass er sich nicht un­ter einen schwe­di­schen Edel­mann stel­len wol­le; einen sol­chen Schimpf kön­ne er sich nicht selbst an­tun.

Das er­war­te Oxens­tier­na wohl auch nicht, sag­ten die Räte; und der ers­te Punkt sei also von selbst hin­fäl­lig. Der zwei­te Punkt sei aber auch hei­kel, weil Sach­sen da­durch ganz iso­liert wer­den wür­de.

Den er­bos­ten Ein­wurf ih­res Herrn, warum denn nicht da­von die Rede sei, dass er, der Kur­fürst, das gan­ze We­sen di­ri­gie­re, was doch dem Leip­zi­ger Schlus­se ge­mäß sei, scho­ben die Räte mit der Be­mer­kung zu­rück, bei der ex­or­bi­tan­ten Mei­nung, die Oxens­tier­na von sei­ner Kro­ne habe, könn­ten sie sich nicht wohl ge­trau­en, einen sol­chen Vor­schlag ein­zu­brin­gen. Der ver­stor­be­ne Kö­nig habe ja mit dem Kö­nig von Frank­reich stets An­stän­de dar­über ge­habt, dass er mit die­sem auf glei­chem Fuße habe trak­tiert sein wol­len. Da nun die Ent­schä­di­gung vollends gar schwer fal­le, wüss­ten sie nichts an­de­res, als einen Mo­dus zu er­sin­nen, wie man sich je­der be­stimm­ten Ant­wort über­haupt ent­schlü­ge.

Bald je­doch mel­de­ten die Räte, der schwe­di­sche Kanz­ler habe einen sol­chen Hu­mor, dass ver­stän­di­ge Leu­te nicht mit ihm aus­kom­men könn­ten. Er habe ihre wohl­ge­mein­ten In­si­nua­tio­nen rotun­de von sich ge­wie­sen und in ei­nem fast im­pe­rio­si­schen Tone ge­sagt, er wol­le auf sei­ne deut­li­che Fra­ge eine ka­te­go­ri­sche Re­so­lu­ti­on ha­ben.

Nun habe er es satt, rief der Kur­fürst aus. Die fan­tas­ti­sche Ein­bil­dung die­ses Men­schen sei durch den kö­nig­li­chen Empfang, den er ihm wi­der Wil­len und bes­se­re Ein­sicht be­rei­tet hät­te, völ­lig ins När­ri­sche aus­ge­schla­gen. Er sol­le sich die Re­so­lu­ti­on aus sei­nen Fin­gern sau­gen und da­mit ab­fah­ren; ihm dür­fe von nun an kei­ner mehr mit dem schwe­di­schen Bünd­nis kom­men.

Wäh­rend die­se Ver­hand­lun­gen sich hin­schlepp­ten, tra­fen an ei­nem der letz­ten De­zem­ber­ta­ge Oxens­tier­na und Graf Kins­ky bei Ni­ko­lai zu­sam­men. Es war nach Kins­kys Wunsch eine spä­te Abend­stun­de ge­wählt wor­den, da­mit der Be­such wo­mög­lich ge­heim blie­be, und beim Ein­tre­ten haf­te­ten sei­ne Bli­cke scheu in den düs­te­ren Win­keln des nied­ri­gen holz­ver­tä­fel­ten Zim­mers. Wäh­rend Ni­ko­lai ihm half, sich sei­nes Pelz­man­tels zu ent­le­di­gen, sag­te er er­klä­rend, die Her­ren kenn­ten ja die wun­der­li­che Ge­müts­be­schaf­fen­heit des Kur­fürs­ten, wie er bald mit die­sem, bald mit je­nem un­zu­frie­den sei und dass er ihm, Kins­ky, Spä­her nach­zu­schi­cken pfle­ge, die ihm alle sei­ne Schrit­te hin­ter­bräch­ten. Er wür­de so­gleich et­was Ver­rä­te­risches da­hin­ter wit­tern, wenn er mit Oxens­tier­na zu­sam­men­trä­fe, ob­gleich er doch der Her­ren Schwe­den Bun­des­freund wäre.

Ihm, ei­nem al­ten Di­plo­ma­ten, sag­te Oxens­tier­na be­ru­hi­gend, kön­ne Kins­ky Vor­sich­tig­keit und Ver­schwie­gen­heit zu­trau­en. Üb­ri­gens habe er nicht im Sin­ne, die­sen Abend Staats­sa­chen zu trak­tie­ren, wol­le sich im Ge­gen­teil da­von er­ho­len. Er freue sich, die Be­kannt­schaft ei­nes so hoch­ge­lehr­ten, weit­be­rühm­ten Man­nes zu ma­chen, wie Kins­ky sei; es stän­den viel böh­mi­sche Ex­u­lan­ten als Of­fi­zie­re im schwe­di­schen Heer, der ver­stor­be­ne Kö­nig habe sie wohl zu schät­zen ge­wusst, und es sei sein Wunsch ge­we­sen, den ar­men Mär­ty­rern zu hel­fen und sie in ihr Va­ter­land zu­rück­zu­füh­ren. Ihm, Oxens­tier­na, wä­ren des Kö­nigs Wün­sche hei­lig, und wenn er es ver­möch­te, wür­de er die böh­mi­schen Her­ren in den Frie­den ein­schlie­ßen, so­fern es ein­mal dazu käme.

So­fern es ein­mal dazu käme, wie­der­hol­te Kins­ky, in­dem er sei­ne trau­ri­gen schwar­zen, ein we­nig star­ren Au­gen auf den Kanz­ler hef­te­te. Es er­öff­ne sich ja nir­gend eine Aus­sicht. Und so wie es in Böh­men jetzt ste­he, ver­lan­ge es ihn auch gar nicht heim; es sei nichts als Un­treue und Un­frie­den da zu fin­den.

Ihm kom­me es selt­sam vor, sag­te Ni­ko­lai, dass die böh­mi­schen Her­ren sich so still un­ter dem ös­ter­rei­chi­schen Joch ver­hiel­ten. So klu­ge, mäch­ti­ge und stol­ze Her­ren! Man soll­te mei­nen, es hän­ge nur von ih­rem Wil­len ab, ob sie wie­der frei wür­den.

»Sie sind stark zur Ader ge­las­sen«, sag­te Kins­ky, »das Blut von 1621 ist noch nicht er­setzt.«

»Und noch nicht ge­rächt«, füg­te Ni­ko­lai hin­zu.

Er wol­le die Ge­rich­te­ten von 1621, de­nen Gott gnä­dig sei, nicht ver­tei­di­gen, sag­te Kins­ky; sie hät­ten kei­ne ganz rei­ne Sa­che ge­habt, und er hät­te sich des­halb in ihre Re­bel­li­on nicht ein­ge­las­sen. Man müs­se nicht un­sin­nig auf die ei­ge­ne Kraft po­chen, son­dern auch den Geg­ner recht ein­schät­zen, und nie einen Fuß he­ben, be­vor man wis­se, wo man ihn wie­der auf­set­zen kön­ne.

Der Graf fuhr zu­sam­men, als in die­sem Au­gen­blick dröh­nend an die Haus­tür ge­schla­gen wur­de, und er wand­te sein gel­bes Ge­sicht ängst­lich hor­chend nach dem Fens­ter, an dem große Schnee­flo­cken, laut­los aus dem Dun­kel ins Dun­kel tau­chend, vor­über­g­lit­ten. Das sei nichts Be­sorg­li­ches, sag­te Ni­ko­lai gut­mü­tig, viel­leicht sei es ein Bote mit Brief­schaf­ten für ihn. Es könn­ten aber auch Kin­der sein, die das alte Jahr aus­trei­ben woll­ten.

Kins­ky er­klär­te, er sei schreck­haft, weil er krank sei, la­bo­rie­re schon seit Jah­ren an Ma­gen­schwä­che. Es lä­gen ihm auch zu Hau­se zwei Kin­der krank, so sei er im­mer auf eine Hiobs­post ge­fasst.

»Ja, ja«, sag­te Ni­ko­lai, »die Pest ist es, die jetzt ge­fähr­lich her­um­geht, vom Krie­ge ist der­ma­len we­ni­ger zu be­fürch­ten.«

Kins­ky war auf­ge­stan­den und blick­te auf die Stra­ße hin­un­ter, wo ein paar Kna­ben stan­den und mit dün­ner Stim­me ein Lied absan­gen, zog ein Geld­stück aus der Ta­sche und warf es hin­aus, das Fens­ter be­hut­sam ein we­nig öff­nend. Dann sag­te er, an Ni­ko­lais Wor­te an­knüp­fend, die kai­ser­li­che Ar­mee un­ter Wal­len­stein sei al­ler­dings zur­zeit nicht for­mi­da­bel. Dazu ste­cke sie so voll Pro­tes­tan­ten, dass gar kein Mut zum Krie­ge ge­gen die Glau­bens­ge­nos­sen dar­in herr­schen kön­ne. Auch sei Wal­len­stein selbst krank und lie­ge meis­ten­teils zu Bet­te. Ei­ner sei­ner Lei­bärz­te habe ge­sagt, wenn er das Jahr über­le­be, so sei es nur eine Gna­den­frist, die Gott ihm be­wil­li­ge.

Er habe auch der­glei­chen ge­hört, sag­te Oxens­tier­na, es aber für Ge­schwätz ge­hal­ten. Das Pod­agra hät­ten an­de­re auch, das brin­ge einen Fünf­zig­jäh­ri­gen nicht ins Grab.

Das sei je nach­dem, sag­te Kins­ky, von den Ärz­ten wer­de er für einen Mann des To­des aus­ge­ge­ben.

»So hät­ten wir frei­lich einen mäch­ti­gen Bun­des­ge­nos­sen«, sag­te Oxens­tier­na.

Kins­ky wieg­te den Kopf und sag­te zö­gernd, es sei die Fra­ge, ob die Schwe­den nicht mehr Ur­sa­che hät­ten, Wal­len­steins Le­ben als sei­nen Tod zu wün­schen. Vie­le woll­ten wis­sen, dass der Ge­ne­ral kei­ne Lust mehr zum Krie­ge habe und den Evan­ge­li­schen eher wohl als übel wol­le.

»Ja, wer hät­te denn noch Lust zum Krie­ge!« rief Oxens­tier­na auf­seuf­zend. Üb­ri­gens wis­se er von sei­nem se­li­gen Kö­ni­ge, dass Wal­len­stein ein Was­ser ohne Grund sei, in dem sich kein Schiff ver­an­kern könn­te. Es sei­en da al­ler­lei Kno­ten ge­schürzt ge­we­sen, aber nie­mals zu­ge­zo­gen wor­den. Auf Trak­ta­te mit Wal­len­stein kön­ne man kei­nen Wert le­gen, ja nicht ein­mal auf sei­ne Ta­ten. Er ma­che es wie ge­wis­se Leu­te beim Brett­spiel, die je­der Zug ge­reu­te, den sie eben ge­tan hät­ten. Nach sei­ner An­sicht sei ein of­fe­ner Feind bes­ser als ein zwei­deu­ti­ger Freund, de­ren er lei­der oh­ne­hin ge­nug hät­te.

Oxens­tier­nas Ab­leh­nung schi­en Kins­ky ein we­nig zu rei­zen; so viel er wis­se, sag­te er, habe es das eine Mal an Gu­stav Adolf ge­le­gen, dass das Pro­jekt nicht zu­stan­de ge­kom­men sei. Wal­len­stein sei da­zu­mal sehr emp­find­lich und der alte Thurn ganz de­spe­rat ge­we­sen. Frei­lich, setz­te er hin­zu, wä­ren das sub­ti­le Sa­chen, von de­nen schwer zu re­den wäre.

Als die Her­ren sich trenn­ten, hat­te Kins­ky den Ein­druck, dass Oxens­tier­nas Miss­trau­en ge­gen Wal­len­stein schwer zu über­win­den sei und dass er si­cher­lich dem kai­ser­li­chen Ge­ne­ral nicht ent­ge­gen­kom­men wer­de. Da aber Wal­len­stein, wie er nun ein­mal war, den ers­ten Schritt nicht tun wür­de, müs­se man, so dach­te er, mehr Sa­men aus­streu­en; viel­leicht, dass auf ei­nem an­de­ren Acker et­was auf­gin­ge.