2.

Nach der Schlacht bei Lüt­zen stieß Her­zog Ge­org von Lü­ne­burg zum schwe­di­schen Hee­re und ver­trieb mit Bern­hard von Wei­mar die kai­ser­li­chen Be­sat­zun­gen aus Sach­sen, wor­auf sie bei Al­ten­burg Quar­tie­re be­zo­gen. Sie er­war­te­ten un­ge­dul­dig die An­kunft Oxens­tier­nas, um mit schwe­di­schem Bei­stan­de ihre Erobe­run­gen vollen­den zu kön­nen, Ge­org nach Nor­den, Bern­hard nach Sü­den stre­bend. In der Rei­se­kut­sche, die den Kanz­ler von Ber­lin nach Sach­sen führ­te, be­rei­te­te er sich auf das be­vor­ste­hen­de di­plo­ma­ti­sche Ge­fecht mit den bei­den Her­zö­gen vor, von de­nen er vor­aus­sah, dass sie durch des Kö­nigs Tod dop­pelt aus­ge­las­sen ge­wor­den sein wür­den und von Neu­em ge­bän­digt wer­den müss­ten. Gott sei Dank hat­te er einen fes­ten Blick und eine ge­schick­te Hand, und an Be­son­nen­heit und Selbst­be­herr­schung glaub­te er sei­nem ver­stor­be­nen Freun­de so­gar über­le­gen zu sein. Wäre der Au­gen­blick ge­eig­net ge­we­sen, eine an­sehn­li­che Ent­schä­di­gung zu er­pres­sen, so hät­te er den Krieg am liebs­ten ab­ge­bro­chen; da das nicht der Fall war, woll­te er so ope­rie­ren, dass er sich nicht in wei­taus­se­hen­de Plä­ne ver­wi­ckel­te, son­dern das Nächst­lie­gen­de und Er­reich­ba­re ver­folg­te. Es wäre wünsch­bar ge­we­sen, ein star­kes Heer mit ei­nem star­ken Feld­herrn auf­zu­stel­len; aber da sich ei­nem schwe­di­schen die deut­schen nicht un­ter­wer­fen wür­den, ein deut­scher sich aber ge­gen ihn, den Kanz­ler, auf­leh­nen könn­te, be­schloss er zu tun, was er an und für sich miss­bil­ligt hät­te, näm­lich das Heer zu tei­len. Am liebs­ten hät­te er ge­se­hen, wenn Her­zog Wil­helm von Wei­mar Ge­ne­ral­leut­nant der Ar­mee ge­blie­ben wäre, wie Gu­stav Adolf vor­sorg­lich an­ge­ord­net hat­te; aber Bern­hard hat­te dem äl­te­ren Bru­der den Ober­be­fehl be­reits aus der Hand ge­wun­den, und Oxens­tier­na hielt es für un­klug, das recht­mä­ßi­ge Ver­hält­nis wie­der her­stel­len zu wol­len, da er bei Bern­hards trot­zi­gem Cha­rak­ter so viel zu er­zwin­gen nicht hof­fen konn­te. Lie­ber woll­te er von vorn­her­ein an­er­ken­nen, was er nicht än­dern konn­te, da­mit es von ihm aus­zu­ge­hen schi­en, und wo­mög­lich kei­ne Be­feh­le er­las­sen, de­nen der Ge­hor­sam nicht si­cher wäre. Da­ge­gen woll­te er, wo er sei­nen Wil­len durch­set­zen könn­te, stand­haft da­bei blei­ben und mit Dro­hun­gen und Grob­hei­ten nicht spa­ren; das wür­de bei den deut­schen Fürs­ten bes­se­re Wir­kung tun, als wenn er sua­vi­ter und cau­te vor­gin­ge. In Ber­lin hat­te er schon gu­ten Er­folg ge­habt; viel­leicht, dach­te er, wür­de er mit Fuchs­schrit­ten wei­ter kom­men als der se­li­ge Kö­nig mit sei­nen Ross­s­prün­gen. Sei­ne Au­gen wur­den feucht, wie er an die tote Ma­je­stät dach­te: mit was für wei­ten Nüs­tern hat­te der die Le­bens­luft ver­schlun­gen, was für Fun­ken hat­te sein Ritt aus den Kie­seln ge­schla­gen! Es war fest­li­cher und kurz­wei­li­ger ge­we­sen an sei­ner Sei­te, und au­ßer dem, dass eine An­re­gung fehl­te, drück­te auch noch die schwe­re­re Last der Verant­wor­tung.

Als Oxens­tier­na den schwe­di­schen Feld­mar­schäl­len Horn und Banér aus­ein­an­der­setz­te, warum er das Heer zu tei­len be­ab­sich­ti­ge, und dass er sie aus­er­se­hen habe, die deut­schen Häup­ter, na­ment­lich Her­zog Ge­org und Her­zog Bern­hard, zu be­ob­ach­ten und zu zü­geln, sah Horn miss­ver­gnügt vor sich nie­der, und Banér lach­te ge­ra­de­her­aus. Die Rol­le pas­se nicht für ihn, sag­te er, er habe nicht das Zeug zu ei­nem Je­sui­ten und Spi­on. Es sei be­kannt, wie er mit sei­ner Mei­nung her­aus­zu­fah­ren pfle­ge, er wür­de al­les ver­der­ben. Er glau­be nicht, un­ver­träg­lich zu sein, aber einen Ka­me­ra­den am Ober­be­fehl kön­ne er nicht lei­den, der Kanz­ler sol­le ihn al­lein schal­ten las­sen, so wer­de es recht, zu zweit sei er nicht zu brau­chen.

Horn, Oxens­tier­nas Schwie­ger­sohn, er­klär­te, er sei be­reit, sich zu fü­gen, ge­hor­che ja über­haupt in die­sem Kriegs­we­sen mehr der Not­wen­dig­keit, als dass er Lust dazu habe; aber es sei eine un­dank­ba­re Auf­ga­be, die Eule oder Kas­san­dra zu spie­len, er habe auch vom ver­stor­be­nen Kö­nig we­nig Dank für sei­ne wohl­ge­mein­ten War­nun­gen ge­ern­tet. Das habe er je­doch hin­ge­hen las­sen, weil es sein Kö­nig ge­we­sen sei; von ei­nem Deut­schen und jun­gen, un­er­fah­re­nen Drauf­gän­ger wie Her­zog Bern­hard Wi­der­spruch und Wi­der­stand zu er­tra­gen, sei här­ter.

Oxens­tier­na ver­sprach, ihn ge­treu­lich zu flan­kie­ren und nicht im Sti­che zu las­sen. Er leis­te dem Va­ter­lan­de einen wich­ti­gen Dienst; denn da man die bei­den Her­zö­ge ein­mal nicht aus der Welt schaf­fen kön­ne, müs­se man se­hen, sich ih­rer zu mög­lichst großem Vor­teil und mög­lichst ge­rin­gem Scha­den zu be­die­nen. Sie hät­ten ja auch schon man­cher­lei genützt und wä­ren durch ihr In­ter­es­se mit der Kro­ne Schwe­den ver­knüpft, man dür­fe die we­ni­gen Freun­de, die man im Reich hät­te, nicht ver­scher­zen. Der Lü­ne­bur­ger sei fast ge­fähr­li­cher als der Wei­ma­ra­ner; denn bei­de wä­ren stolz und woll­ten hoch hin­aus; aber Bern­hard las­se sich durch Ge­müt und Fan­ta­sie be­ein­flus­sen, Ge­org da­ge­gen fra­ge we­nig nach Glau­ben und Ehre, de­sto mehr nach Ge­winn und Vor­teil, und mit dem Ka­te­chis­mus wür­den eher Rei­che auf Er­den er­rich­tet.

Horn schlug vor, Oxens­tier­na sol­le wo­mög­lich Kny­phau­sen die Auf­sicht über Her­zog Ge­org an­ver­trau­en; Kny­phau­sen habe dem ver­stor­be­nen Kö­nig treu ge­dient, sei als ein nie­der­säch­si­scher Rit­ter dem nie­der­säch­si­schen Fürs­ten nicht son­der­lich ge­wo­gen, wer­de nun auch alt und den­ke dar­an, sich zu ver­sor­gen, also wer­de er für einen Re­kom­pens emp­fäng­lich sein.

Der Kanz­ler at­me­te auf, als er die­se schwe­re An­ge­le­gen­heit der Lö­sung nahe sah. So wol­le er denn Banér, sag­te er, al­lein ins Zen­trum set­zen, da­mit er das gan­ze Kriegs­thea­ter über­bli­cken und, je nach­dem es sich not­wen­dig er­wei­se, hier­hin und da­hin ei­len könn­te. Vor al­len Din­gen müs­se er mit dem Land­gra­fen Wil­helm von Hes­sen in ste­ter Kor­re­spon­denz blei­ben, ihm in der Not bei­sprin­gen oder ihn, als den ver­läss­lichs­ten Bun­des­ge­nos­sen, we­nigs­tens mit gu­ten Wor­ten ver­trös­ten. Banér, mit die­ser Ein­rich­tung zu­frie­den, war gu­ter Din­ge und hat­te Lust zu fei­ern und zu ban­ket­tie­ren; aber we­der Her­zog Ge­org noch Her­zog Bern­hard stand der Sinn da­nach.

Aus Ober­sach­sen sei der Feind ver­trie­ben, sag­te Ge­org, nun wol­le er Nie­der­sach­sen säu­bern; es sei hohe Zeit, dass man sich in je­nen Or­ten zei­ge, wo seit dem Tode des Kö­nigs Treu­lo­sig­keit und Ab­fall um­gin­ge. Der Her­zog von Wol­fen­büt­tel, Fried­rich Ul­rich, dem der Krieg nie recht an­ge­stan­den habe, wol­le sei­nen, Ge­orgs, Trup­pen kein Quar­tier mehr ge­ben und er­ken­ne sein Recht auf die Stadt Ein­beck nicht an, die Gu­stav Adolf ihm, nebst meh­re­ren Äm­tern, an­ge­wie­sen habe; habe so­gar das Amt Us­lar, das dazu ge­hö­re, sei­nem ei­ge­nen Feld­haupt­mann, dem von Us­lar, ver­schrie­ben. Nun sei es of­fen­bar, dass ein Heer nicht in der Luft kam­pie­ren kön­ne, und wenn der Sol­dat sei­ne Not­durft nicht er­hal­te, habe man aus­ge­kriegt; Oxens­tier­na möge dazu tun, dass Fried­rich Ul­rich bei der Pf­licht er­hal­ten wer­de.

Ja, er habe schon ver­nom­men, er­wi­der­te die­ser, dass der Her­zog von Wol­fen­büt­tel sich wi­der­wär­tig an­stel­le und große Lust mit dem Kai­ser zu trak­tie­ren spü­ren las­se. Er rüs­te heim­lich und habe auch einen nie­der­säch­si­schen Kreis­tag aus­ge­schrie­ben, wozu er doch nicht das min­des­te Recht hät­te, als wel­ches dem Ad­mi­nis­tra­tor von Mag­de­burg zu­käme. Ob Her­zog Ge­org wis­se, wer das wäre? Er, Oxens­tier­na, sei jetzt Ad­mi­nis­tra­tor von Mag­de­burg; wer au­ßer ihm einen nie­der­säch­si­schen Kreis­tag aus­schrei­be, maße es sich wi­der­recht­lich an, und er wer­de einen sol­chen zu be­stra­fen wis­sen.

Oxens­tier­na hat­te sich im Re­den er­hitzt und sah Ge­org her­aus­for­dernd an, der nur ein we­nig stutz­te und dann wie­der ru­hig die Dau­men um­ein­an­der dreh­te. Er wol­le es dem Kanz­ler dan­ken, sag­te er, wenn er Fried­rich Ul­rich, sei­nen Vet­ter, bei der Pf­licht er­hiel­te. Der­sel­be sei ein schwa­cher Mann, lei­der all­zu leicht von duns­ti­gen Ein­fäl­len und Schi­mä­ren oder von falschen Rä­ten zu re­gie­ren, und da er ohne Lei­be­ser­ben sei, habe die Ge­samt­fa­mi­lie ein großes In­ter­es­se dar­an, ihn zu be­auf­sich­ti­gen, da­mit er nicht durch lie­der­li­che Po­li­tik Land und Leu­te ver­zet­te­le. Was ihn, Ge­org, be­tref­fe, so sei er ge­son­nen, treu bei dem mit dem ver­stor­be­nen Kö­nig ab­ge­schlos­se­nen Würz­bur­ger Trak­tat zu ver­blei­ben, und wün­sche, dass die Kro­ne Schwe­den den­sel­ben be­stä­ti­ge. Es sei Oxens­tier­na ge­wiss be­kannt, wie der Kö­nig von Frank­reich gol­de­ne Sch­lin­gen nach den evan­ge­li­schen Reichs­fürs­ten aus­wer­fe, ihm ge­fal­le aber das fran­zö­si­sche We­sen nicht, und er wer­de sich nicht fan­gen las­sen. Da­ge­gen möge Oxens­tier­na be­den­ken, was er zu­ge­setzt, wie er sein Amt Herz­berg preis­ge­ge­ben habe und kaum einen Stein am Wege, um sei­ne Fa­mi­lie zu be­hau­sen, be­sit­ze. Ohne die rech­ten Mit­tel kön­ne er als Ge­ne­ral nicht ope­rie­ren und das ge­mei­ne evan­ge­li­sche Wohl nicht be­för­dern. – Hier­nach wur­de das mo­nat­li­che Ge­halt des Her­zogs auf 18 000 Reichs­ta­ler fest­ge­setzt, wor­auf die Ver­hand­lun­gen mit ihm vor­läu­fig ab­ge­schlos­sen wa­ren.

Un­ver­weilt brach Ge­org auf und er­öff­ne­te sei­nen Of­fi­zie­ren, er ge­den­ke stracks die We­ser zu über­schrei­ten und mit der Wie­de­r­er­obe­rung der Stadt Ha­meln zu be­gin­nen. Die Of­fi­zie­re be­trach­te­ten das als eine un­ge­wöhn­lich hit­zi­ge Ex­pe­di­ti­on, und be­son­ders Kny­phau­sen er­klär­te sich rund­her­aus da­ge­gen. Man sei jetzt im An­fang des Fe­bru­ar, sag­te er, der Win­ter habe erst recht be­gon­nen, da sei es wohl­be­grün­de­ter Usus, die Trup­pen in gute Quar­tie­re zu le­gen und zu ver­pfle­gen, da­mit sie im Früh­jahr de­sto bes­ser bei der Hand wä­ren. Eine Be­la­ge­rung im Win­ter ver­schlin­ge Zeit und Leu­te, im ge­fro­re­nen Bo­den rich­te man in Mo­na­ten nicht aus, wo­mit man im Früh­jahr in Ta­gen zu­stan­de käme.

Her­zog Ge­org wen­de­te da­ge­gen ein, mit dem Stil­lie­gen las­se man auch dem Fein­de Zeit, sich zu stär­ken, und es sei al­le­mal leich­ter, ein Heer bei der Ar­beit im­stan­de und in der Dis­zi­plin zu er­hal­ten, als in den Quar­tie­ren. Kny­phau­sen sol­le aber im­mer­hin mit den Un­lus­ti­gen zu­rück­blei­ben, wäh­rend er mit den Wil­li­gen und Ge­hor­sa­men ans Werk gin­ge.

Im Krei­se ver­trau­ter Freun­de schimpf­te Kny­phau­sen auf die Hab­gier des Her­zogs: da kön­ne al­les in Grund und Bo­den ver­der­ben, wenn er sich nur sein Fürs­ten­tum zu­sam­men­kratz­te. Für den ver­stor­be­nen Kö­nig habe er, Kny­phau­sen, sein Gut und Blut dar­an­ge­setzt und Ruhe und Ge­sund­heit ge­op­fert, der habe aber auch an an­de­re ge­dacht und kö­nig­lich zu be­loh­nen ge­wusst. Die­ser gei­zi­ge Her­zog je­doch ästi­mie­re nie­man­den, um nie­man­den be­schen­ken zu müs­sen, und ob­gleich er kei­nen Schwert­streich für das Reich oder die Kir­che tun wür­de, hal­te er doch je­der­mann für schul­dig, ihm auf sei­nen Raub­zü­gen bei­zu­ste­hen. – Trotz­dem ent­schloss sich Kny­phau­sen, dem Her­zo­ge zu fol­gen, den er nach sei­nen Ab­ma­chun­gen mit Oxens­tier­na doch nicht wohl sich selbst über­las­sen durf­te und der ihn etwa noch vor der gan­zen Welt um sei­ne wohl­er­wor­be­ne Re­pu­ta­ti­on ge­bracht hät­te, in­dem er ihn für fei­ge aus­schrie. Also über­schritt in den ers­ten März­ta­gen an ei­ner seich­ten Stel­le, wo im Som­mer das Vieh durch­zu­wa­ten pfleg­te, das Heer die We­ser, und die Kai­ser­li­chen, die es hat­ten ge­sche­hen las­sen, zo­gen sich flie­hend auf Ha­meln zu­rück.