6.

»Ver­ges­se der Herr Oberst nicht, dass er zu sei­nem Ge­ne­ral und ei­nem deut­schen Reichs­fürs­ten spricht«, sag­te Her­zog Bern­hard zum Obers­ten Pfuel; »sonst zwingt er mich, an­statt der Hand des Ka­me­ra­den das Schwert des Herrn ge­gen ihn zu ge­brau­chen.«

Der Oberst sah dem Er­zürn­ten dreist in die Au­gen und sag­te: »Ich ver­traue auf mei­nes Ge­ne­rals und ei­nes tu­gend­haf­ten Fürs­ten Ge­rech­tig­keit. Wir kämp­fen alle nicht um­sonst, auch der Hei­li­ge rech­net auf einen Platz an Got­tes Sei­te.«

»Ich rede nicht von der Sa­che«, sag­te Bern­hard; »aber den dro­hen­den Ton sollt Ihr mä­ßi­gen.«

Stän­de Bern­hard ih­nen in der Sa­che bei, ant­wor­te­te Pfuel, so woll­ten sie den Ton gern um­stim­men; es sei in der Na­tur, dass man laut rie­fe, wenn man lei­se nicht ge­hört wür­de.

Er habe ge­hört, sag­te Bern­hard, und sich sehr ver­wun­dert, dass sie ihre Kla­gen in die­sem Au­gen­blick vor­bräch­ten. Wenn Ge­le­gen­heit zu ei­ner großen Ak­ti­on wäre, müs­se ein rech­ter Of­fi­zier Es­sen, Trin­ken und Schla­fen, ja das At­men dar­über ver­ges­sen; le­ben kön­ne man wie­der, wenn die Ge­le­gen­heit genützt sei. Wenn sie den Aldrin­gen jetzt ge­wor­fen hät­ten, wäre Bay­ern ih­nen of­fen ge­we­sen. Er selbst gebe ih­nen das Bei­spiel. Pfuel wis­se wohl, was für große Pro­jek­te er we­gen Re­gens­burg ge­habt hät­te: er habe sie fah­ren las­sen, um im Ve­rein mit dem Feld­mar­schall Horn Schwa­ben zu schir­men. Da­von, dass er auch vie­les, und mehr als die Obers­ten, vom schwe­di­schen Kanz­ler zu for­dern hät­te, wol­le er nicht re­den.

Und warum er nicht da­von re­de­te? frag­te Pfuel. Nun, Bern­hard sei ein großer Herr und Fürst und kom­me wohl im­mer noch zu dem Sei­ni­gen; sie, als arme Obers­ten und Pri­vat­leu­te, müss­ten sich bei­zei­ten um­tun. Je hö­her der Schuld­ner ste­he, de­sto un­si­che­rer sei er. Manch ein großer Kauf­herr sei um des Kai­sers wil­len zum Bett­ler ge­wor­den.

Her­zog Bern­hard stand still, bück­te sich nach ei­nem Lö­wen­zahn, der am Wege blüh­te, starr­te in den röt­lich­gel­ben Strah­len­kelch und ließ die Blu­me wie­der fal­len.

Geld sei ja jetzt vor­han­den, fuhr Pfuel fort, der fran­zö­si­sche Ge­sand­te streue mit vol­len Hän­den in Heil­bronn aus; aber bis an die Do­nau flie­ge der gol­de­ne Sa­men nicht. Ja, wer habe denn ei­gent­lich das Haupt­ver­dienst um die großen, wun­der­vol­len Erobe­run­gen, die ge­macht wor­den wä­ren? Etwa die schwe­di­schen Edel­leu­te, die Räte und Schrei­ber, die sich jetzt in Heil­bronn güt­lich tä­ten und mit gol­de­nen Ket­ten prunk­ten? Da müss­te die Son­ne vom Him­mel stür­zen, wenn es so auf Er­den zu­gin­ge, dass die Mü­ßig­gän­ger ge­mä­s­tet wür­den und die, wel­che Schweiß und Blut ver­a­cker­ten, leer aus­gin­gen!

Er habe be­reits er­wi­dert, dass er ihre Sa­che füh­ren wol­le, sag­te Her­zog Bern­hard; ob sie bei ihm nicht in gu­ten Hän­den wäre?

Das wohl, ver­si­cher­te Pfuel, sie ver­trau­ten gänz­lich auf ihn; aber sie un­ter­stän­den sich, ihn zu er­in­nern, dass er den Au­gen­blick am Schop­fe fas­sen müs­se. Jetzt habe Mo­ses mit dem Stab an den Fel­sen ge­schla­gen, jetzt müs­se ein je­der sein Schäl­chen un­ter die Quel­le hal­ten.

Gut, sag­te Bern­hard, er wol­le mit Horn re­den und ver­bür­ge sich da­für, dass ihre For­de­run­gen dem Kanz­ler ein­ge­reicht und von ihm un­ter­stützt wer­den wür­den; da­ge­gen sol­le Pfuel ver­spre­chen, die Ar­mee zur Ruhe und zum Ge­hor­sam zu­rück­zu­brin­gen.

Lie­ber hät­te Bern­hard die Un­ter­re­dung mit Horn hin­aus­ge­scho­ben; al­lein er war ge­wöhnt, sich der drückends­ten Auf­ga­ben am schnells­ten zu ent­le­di­gen, und such­te den un­ge­lieb­ten Mit­feld­herrn so­fort auf. Horn hör­te Bern­hards Vor­schlag, sie woll­ten die For­de­run­gen der Obers­ten bei Oxens­tier­na ver­tre­ten, miss­bil­li­gend an; es wun­de­re ihn und sei noch nie er­lebt, sag­te er, dass ein Feld­herr sich meu­tern­der Sol­da­ten an­näh­me, die von Rechts we­gen an den Gal­gen ge­hör­ten.

Bern­hard rüg­te den schar­fen Aus­druck: wenn es Meu­te­rer wä­ren, wür­de er nicht für sie ein­tre­ten. Sie such­ten ihr Recht, und das ste­he frei­en Män­nern zu.

Jetzt gel­te kein an­de­res Recht für sie als das Sol­da­ten­recht, sag­te Horn. Wo­hin käme man, wenn Sol­da­ten we­gen aus­ste­hen­der For­de­run­gen den Dienst ver­wei­gern dürf­ten?

Wür­den be­rech­tig­te For­de­run­gen dau­ernd über­se­hen, so ver­lie­re man den Kre­dit, ent­geg­ne­te Bern­hard, und wer­de zu­letzt nie­mand mehr für einen ar­bei­ten. Horn sol­le sich ein­mal von der Stim­mung über­zeu­gen, die un­ter den Sol­da­ten herr­sche.

Auf den Be­fehl des Obers­ten Pfuel ka­men die Un­ter­of­fi­zie­re sei­nes Re­gi­ments, das vor Neu­burg lag, in sein Quar­tier, wo auch Bern­hard von Wei­mar und Horn sich ein­ge­fun­den hat­ten. Er habe im Sinn, am fol­gen­den Tage et­was ge­gen Eich­stätt zu ten­tie­ren, sag­te Pfuel zu den Un­ter­of­fi­zie­ren; vor Son­nen­auf­gang müs­se auf­ge­bro­chen wer­den.

Nach ei­ner Pau­se er­wi­der­te ei­ner der Un­ter­of­fi­zie­re, das sei un­mög­lich; wenn er den Be­fehl aus­gä­be, wür­de of­fe­ner Wi­der­stand aus­bre­chen. Sie woll­ten wohl ihr Le­ben in der Schlacht wa­gen, nicht aber sich von ei­ner wü­ten­den Sol­da­tes­ka er­wür­gen las­sen.

Pfuel zuck­te die Ach­seln und sag­te ge­gen Bern­hard ge­wen­det, er habe es vor­aus­ge­sagt, mit Ge­walt sei den er­bos­ten Leu­ten nicht mehr bei­zu­kom­men.

Da­von wol­le er sich mit ei­ge­nen Au­gen über­zeu­gen, sag­te Horn, des­sen blas­ses Ge­sicht un­ge­dul­di­ger Zorn rö­te­te. Die Her­ren möch­ten ihn ins La­ger füh­ren.

In ver­hal­te­ner Er­re­gung rit­ten sie schwei­gend aus dem Tor her­aus, wo die La­ger­statt sich weit­hin er­streck­te. Das Trom­pe­ten­zei­chen, das die Trup­pen zu­sam­men­bla­sen soll­te, schi­en nie­mand zu hö­ren; erst nach ge­rau­mer Zeit, als Oberst Pfuel im Be­griff war, es wie­der­ho­len zu las­sen, er­ho­ben sich die Sol­da­ten lang­sam von ih­ren Plät­zen. Sie hat­ten schon ge­speist, denn es war Abend, aber die Son­ne noch nicht un­ter­ge­gan­gen, und sie wür­fel­ten mit Ka­me­ra­den oder spiel­ten mit ih­ren Kin­dern; ge­mäch­lich schlen­der­ten sie her­bei wie Neu­gie­ri­ge, die ge­le­gent­lich se­hen wol­len, was es gibt. Oberst Pfuel sah es mit Ge­nug­tu­ung, aber fast wi­der Wil­len em­pör­te ihn der An­blick der über­mü­ti­gen Un­ter­ge­be­nen, die sei­ne An­we­sen­heit kaum be­ach­te­ten, ge­schwei­ge denn, dass sie ih­nen Un­ter­wür­fig­keit ein­flö­ßte. »Kennt ihr eu­ren Obers­ten nicht?« schrie er die nächs­ten an. »Bin ich un­ter Bau­ern­rü­pel ge­ra­ten?«

Die Män­ner re­de­ten eine Wei­le un­ter­ein­an­der, dann trat ei­ner vor und sag­te, der Herr Oberst wis­se ihre Mei­nung: sie tä­ten kei­nen Dienst, be­vor sie nicht den rück­stän­di­gen Sold er­hal­ten hät­ten.

Horn war kaum im­stan­de, sei­ne Ent­rüs­tung zu be­meis­tern: Pfuel, der Oberst, und Bern­hard, der Ge­ne­ral, sa­hen der meu­te­ri­schen Auf­füh­rung die­ser Ker­le zu, ohne sich zu rüh­ren, als gehe es sie nichts an. Wür­den sich ge­mei­ne Sol­da­ten mit sol­cher Frech­heit her­vor­wa­gen, wenn sie sich nicht vor Stra­fe si­cher wüss­ten? Be­wies ihr Be­neh­men nicht, dass eine Ver­schwö­rung zwi­schen ih­nen und den Häup­tern be­stand, die ge­gen ihn und sei­nen Schwie­ger­va­ter, den Kanz­ler, ge­rich­tet war? Un­will­kür­lich griff er nach dem De­gen und mach­te eine Be­we­gung, als wol­le er vom Pfer­de sprin­gen und sich mit­ten un­ter die Trot­zi­gen wer­fen, um sie Ge­hor­sam zu leh­ren.

In­zwi­schen hat­te sich die gan­ze Mann­schaft ver­sam­melt und stand in ei­nem mas­si­gen Hau­fen zu­sam­men­ge­drängt ge­spannt er­war­tend da. Sie ka­men Horn vor wie ein ein­zi­ges gi­gan­ti­sches Tier, das, schein­bar be­we­gungs­los, die gan­ze Kraft sprung­be­reit macht, wäh­rend es das Ziel mit den Au­gen an sich reißt. Nur we­ni­ge von ih­nen hat­ten Waf­fen; aber sie be­durf­ten ih­rer so we­nig wie ein Ru­del Wöl­fe: mit Fäus­ten und Zäh­nen hät­ten sie ihn in ei­ner Mi­nu­te in Stücke ge­ris­sen. Ein Grau­en vor die­ser Bes­tie, die man sich zog, um einen Geg­ner zu er­le­gen, und die sich un­ver­se­hens auf den ei­ge­nen Herrn wer­fen konn­te, über­lief ihn. Wie ekel­te ihn vor die­sem Krie­ge und vor de­nen, die den Blut­durst der Bes­tie ent­fes­sel­ten, um sich zu be­rei­chern.

Das hat­ten sie er­reicht, dass er sei­ne Ohn­macht ein­sah und sich trotz sei­nes Wi­der­wil­lens ent­schloss, nach Heil­bronn zu rei­sen und sei­nem Schwie­ger­va­ter die For­de­run­gen der Obers­ten vor­zu­le­gen, wäh­rend Bern­hard mit der einst­wei­len be­ru­hig­ten Ar­mee klei­ne Streif­zü­ge in der Um­ge­gend aus­führ­te. Oxens­tier­na er­le­dig­te die An­ge­le­gen­heit da­durch, dass er an­statt Geld die­je­ni­gen Gü­ter aus­zu­tei­len ver­sprach, mit de­nen der ver­stor­be­ne Kö­nig na­ment­lich wäh­rend sei­nes Auf­ent­hal­tes in Würz­burg ver­dien­te Of­fi­zie­re reich­lich be­schenkt hat­te; der Wert der zu ver­ge­ben­den Län­der wur­de auf vier bis fünf Mil­lio­nen Ta­ler ge­schätzt.

Es war Mit­te Mai, als Horn mit die­ser Nach­richt zu­rück­kehr­te. Wie wenn die Stür­me, die den Früh­ling brin­gen, sich le­gen und die er­schüt­ter­te Erde sich sam­melt, be­vor sie blüht, wur­de der Aufruhr in Bern­hards Brust plötz­lich still, und er emp­fand nichts als ein un­be­stimm­tes, fei­er­li­ches Ver­gnü­gen. Ohne zu­nächst sich zu äu­ßern, warf er sich auf sein Pferd und ließ es tra­ben; bald ra­scher, bald lang­sa­mer trug es ihn einen schma­len Weg an der Alt­mühl hin, eine An­hö­he hin­auf, wo er in der letz­ten Wo­che mehr­mals ge­we­sen war, um einen Über­blick über die Um­ge­gend zu ge­win­nen. Dort stieg er ab und leg­te sich ins Gras, um sich des­sen, was war und was er woll­te, be­wusst zu wer­den.

Dies war der Au­gen­blick: der Schatz blüh­te, er muss­te ihn er­grei­fen ohne Furcht vor Tod und Höl­le. Dass Oxens­tier­na nach­ge­ge­ben hat­te, be­wies sei­ne Schwä­che; er tat wi­der­wil­lig, was er muss­te, und eben­so wür­de er sei­ne, Bern­hards, For­de­run­gen be­wil­li­gen. Hat­te er ein­mal Schen­kun­gen des ver­stor­be­nen Kö­nigs an­er­kannt, so konn­te er auch ihm das Her­zog­tum Fran­ken, das Gu­stav Adolf ihm ver­spro­chen hat­te, nicht vor­ent­hal­ten: das Recht und die Not wan­den es ihm mit­ein­an­der aus den gei­zi­gen Fin­gern. War es mög­lich? Er war nicht der wag­hal­si­ge Beu­te­jä­ger mehr, der aben­teu­ern­de Heer­füh­rer, der ge­wis­sen­lo­se Söld­ner; er war re­gie­ren­der Fürst, ein mäch­ti­ger Stand des Reichs, Her­zog von Fran­ken. Er reih­te sich den Häup­tern an, die die Kai­ser­kro­ne tru­gen zu je­ner Zeit, wo die Kai­ser des hei­li­gen Reichs Im­pe­ra­to­ren der Welt wa­ren. Was nur Schi­mä­re für einen Schwe­den sein konn­te, wenn es auch ein Gu­stav war, er be­saß es in Wirk­lich­keit: die An­wart­schaft auf eine neue Kro­ne im neu­en Reich deut­scher Na­ti­on rei­nes deut­schen Glau­bens. Bis das ver­wirk­licht wer­den konn­te, muss­te er sich mit dem Schwert durch Dor­nen hau­en, aber das schreck­te ihn nicht; was sein Leh­rer ihm, dem Kna­ben, als Mot­to in sei­nen Plut­arch ge­schrie­ben hat­te: Per ig­nes et en­ses, das hat­te er sich ins Herz ge­gra­ben, und es hat­te sich un­ver­tilg­bar hin­ein­ge­wach­sen. Er hör­te es klir­ren und sau­sen, es schmet­ter­te wie ein Marsch vor ihm her: durch Flam­men und Schwer­ter; es wür­de ihn über den tiefs­ten Ab­grund tra­gen.

In­dem er sich um­blick­te, sah er sich um­schlun­gen von den Rei­gen und Chö­ren der na­hen und fer­nen und fer­ne­ren, weit hin­ten im bläu­li­chen Ho­ri­zont ver­schwim­men­den Hü­gel­li­ni­en; still lag er wie mit­ten im Kelch ei­ner groß auf­ge­roll­ten, ihre Vollen­dung fei­ern­den Blu­me. Es moch­te das letz­te Mal vor den Kämp­fen sein, die nun be­gin­nen muss­ten. Das Nächs­te wür­de viel­leicht das Al­ler­schwers­te sein: das häss­li­che, klein­li­che Strei­ten mit Oxens­tier­na. Die­ser wür­de Aus­flüch­te su­chen; er wür­de sa­gen, dass er, so­lan­ge der Krieg währ­te, wich­ti­ge Punk­te wie Würz­burg und Bam­berg nicht aus der Hand ge­ben dür­fe; er, Bern­hard, wür­de die Ge­mein­sam­keit der In­ter­es­sen be­to­nen und auf die Schen­kun­gen wei­sen, die schwe­di­sche Of­fi­zie­re er­hal­ten hat­ten, na­ment­lich Oxens­tier­nas Schwie­ger­sohn Horn. Um si­cher zu ge­hen, wür­de er die al­lei­ni­ge Di­rek­ti­on des Bun­des­hee­res for­dern, wie Gu­stav Adolf sie ge­habt hat­te; die wür­de der Kanz­ler ihm nie ge­wäh­ren wol­len und wür­de froh sein, den Ver­zicht dar­auf mit ei­nem Her­zog­tum zu er­kau­fen. Er, Bern­hard, wäre lie­ber Ge­ne­ra­lis­si­mus als Her­zog von Fran­ken ge­wor­den; denn war er Herr des Hee­res, so glaub­te er zu­gleich Herr des Krie­ges, Herr im Rei­che zu sein. Es wäre der ge­ra­de­re, kür­ze­re Weg. Als Ge­ne­ra­lis­si­mus wäre er un­ab­hän­gig, als Her­zog von Fran­ken wur­de er ge­bun­den.

Lang­sam ver­schat­te­te sich sein fro­hes Ge­müt un­ter die­sem Ge­dan­ken. Die­ser Sch­lin­ge konn­te er sich nicht ent­zie­hen: be­gehr­te und nahm er das Land als ihm vom Kö­nig er­teil­tes Ge­schenk, so wur­de er Va­sall der schwe­di­schen Kro­ne. Er hat­te oft lan­ge dar­über ge­grü­belt und mit sei­nem Leh­rer Hort­le­der, der in den staats­recht­li­chen Fra­gen be­wan­dert war, dar­über ge­spro­chen; es war ihm nie so bit­ter er­schie­nen wie in die­ser Stun­de, die eben noch so leicht ge­we­sen war. Hät­te der Kö­nig ge­lebt, so hät­te er sich we­nigs­tens vor ei­nem Hö­he­ren beu­gen müs­sen, nicht vor ei­nem Edel­mann; an­de­rer­seits, hät­te der Kö­nig ge­lebt, wie viel schwe­rer und ge­fähr­li­cher wäre die Le­hen­schaft für ihn ge­we­sen! Von dem kö­nig­li­chen Kind Chris­ti­ne drü­ben in Schwe­den hat­te er nichts zu be­sor­gen; der schwe­di­sche Graf stand zu tief un­ter ihm, als dass er ihn ernst­lich ge­fürch­tet hät­te.

Den­noch blieb es eine De­mü­ti­gung, ein Wa­g­nis, ein Fre­vel, eine Qual; nie­mand, auch nicht Gott, konn­te es ihm schnei­den­der sa­gen, als er selbst es sich sag­te. Was hät­te er geant­wor­tet, wenn eine Stim­me vom Him­mel ihn an­ge­ru­fen hät­te: ›Lu­zi­fer! Re­bell!‹

Sein Herz schlug laut, und un­will­kür­lich lausch­te er in die lei­se hau­chen­de Stil­le. Gott rief ihn nicht; und hät­te er’s ge­tan, er, Bern­hard, hät­te doch Rede ge­stan­den. Gab es denn einen an­de­ren Weg, Va­ter­land und Glau­ben zu ret­ten? Die­se Zwei­fel ge­hör­ten mit zu der ihm auf­er­leg­ten Prü­fung. Die Rit­ter, die aus­zo­gen, um Ver­zau­ber­te zu er­lö­sen, hat­ten nicht nur rit­ter­li­che Kämp­fe aus­zu­fech­ten: Dra­chen, Frat­zen, Un­hol­de und Wür­mer ver­sperr­ten ih­ren Weg und gau­kel­ten ih­nen die Höl­le vor. Nicht das war das Schwers­te, dem Tode zu trot­zen, son­dern Ver­hass­tes und Nied­ri­ges zu tun. Her­ku­les hat­te den Stall vom Un­rat ge­rei­nigt, er war des un­wür­di­gen Man­nes und des Wei­bes Knecht ge­we­sen, be­vor das Feu­er ihn zum Gott ver­klär­te.

Der Her­zog stand auf und at­me­te tief. Wenn er es nicht ver­möch­te, was er sich vor­ge­setzt hat­te, dann wäre er schul­dig; aber er war der Mann, es hin­aus­zu­füh­ren, er, kei­ner au­ßer ihm. Sie alle such­ten den Ge­nuss, sei es den Rausch oder die Lie­be, den Ruhm, die Be­quem­lich­keit; er op­fer­te al­les der hei­li­gen Sa­che. Die Flam­me, die in ihm brann­te, ver­zehr­te den un­rei­nen Stoff, moch­te sie im­mer­hin zu­letzt ihn selbst ver­zeh­ren.

In­dem er sein Pferd lock­te und an den großen Kö­nig dach­te, dem es ge­hört und den es zum Gra­be ge­tra­gen hat­te, tauch­te flüch­tig die Sor­ge um sei­ne Ge­sund­heit in ihm auf. Sei­nen Kör­per hät­te er kräf­ti­ger wün­schen mö­gen; es kam ihm vor, als ob die Bä­der, die er auf den Rat der Ärz­te ge­braucht hat­te, ohne bes­sern­de Wir­kung ge­blie­ben wä­ren. Er trös­te­te sich da­mit, dass sein Wil­le die­se Schwä­che er­set­zen wür­de; er hat­te es noch im­mer mög­lich ge­macht, zu tun, als sei ihm wohl, wenn er sich krank fühl­te.

Heim­rei­tend sah er von der kürz­lich er­stürm­ten Wil­li­balds­burg, die wie ein heid­nischer Op­fer­block dalag, wei­ße Rauch­rin­ge in die ko­sen­de Luft schwe­ben. So, dach­te er, wür­de er einst, wenn sein Werk ge­tan wäre, zu Gott auf­er­ste­hen, nicht mehr ein Fürst, nicht mehr ein Skla­ve, son­dern ei­nes Hel­den See­le, gott­ge­wor­den, frei.