»Vergesse der Herr Oberst nicht, dass er zu seinem General und einem deutschen Reichsfürsten spricht«, sagte Herzog Bernhard zum Obersten Pfuel; »sonst zwingt er mich, anstatt der Hand des Kameraden das Schwert des Herrn gegen ihn zu gebrauchen.«
Der Oberst sah dem Erzürnten dreist in die Augen und sagte: »Ich vertraue auf meines Generals und eines tugendhaften Fürsten Gerechtigkeit. Wir kämpfen alle nicht umsonst, auch der Heilige rechnet auf einen Platz an Gottes Seite.«
»Ich rede nicht von der Sache«, sagte Bernhard; »aber den drohenden Ton sollt Ihr mäßigen.«
Stände Bernhard ihnen in der Sache bei, antwortete Pfuel, so wollten sie den Ton gern umstimmen; es sei in der Natur, dass man laut riefe, wenn man leise nicht gehört würde.
Er habe gehört, sagte Bernhard, und sich sehr verwundert, dass sie ihre Klagen in diesem Augenblick vorbrächten. Wenn Gelegenheit zu einer großen Aktion wäre, müsse ein rechter Offizier Essen, Trinken und Schlafen, ja das Atmen darüber vergessen; leben könne man wieder, wenn die Gelegenheit genützt sei. Wenn sie den Aldringen jetzt geworfen hätten, wäre Bayern ihnen offen gewesen. Er selbst gebe ihnen das Beispiel. Pfuel wisse wohl, was für große Projekte er wegen Regensburg gehabt hätte: er habe sie fahren lassen, um im Verein mit dem Feldmarschall Horn Schwaben zu schirmen. Davon, dass er auch vieles, und mehr als die Obersten, vom schwedischen Kanzler zu fordern hätte, wolle er nicht reden.
Und warum er nicht davon redete? fragte Pfuel. Nun, Bernhard sei ein großer Herr und Fürst und komme wohl immer noch zu dem Seinigen; sie, als arme Obersten und Privatleute, müssten sich beizeiten umtun. Je höher der Schuldner stehe, desto unsicherer sei er. Manch ein großer Kaufherr sei um des Kaisers willen zum Bettler geworden.
Herzog Bernhard stand still, bückte sich nach einem Löwenzahn, der am Wege blühte, starrte in den rötlichgelben Strahlenkelch und ließ die Blume wieder fallen.
Geld sei ja jetzt vorhanden, fuhr Pfuel fort, der französische Gesandte streue mit vollen Händen in Heilbronn aus; aber bis an die Donau fliege der goldene Samen nicht. Ja, wer habe denn eigentlich das Hauptverdienst um die großen, wundervollen Eroberungen, die gemacht worden wären? Etwa die schwedischen Edelleute, die Räte und Schreiber, die sich jetzt in Heilbronn gütlich täten und mit goldenen Ketten prunkten? Da müsste die Sonne vom Himmel stürzen, wenn es so auf Erden zuginge, dass die Müßiggänger gemästet würden und die, welche Schweiß und Blut verackerten, leer ausgingen!
Er habe bereits erwidert, dass er ihre Sache führen wolle, sagte Herzog Bernhard; ob sie bei ihm nicht in guten Händen wäre?
Das wohl, versicherte Pfuel, sie vertrauten gänzlich auf ihn; aber sie unterständen sich, ihn zu erinnern, dass er den Augenblick am Schopfe fassen müsse. Jetzt habe Moses mit dem Stab an den Felsen geschlagen, jetzt müsse ein jeder sein Schälchen unter die Quelle halten.
Gut, sagte Bernhard, er wolle mit Horn reden und verbürge sich dafür, dass ihre Forderungen dem Kanzler eingereicht und von ihm unterstützt werden würden; dagegen solle Pfuel versprechen, die Armee zur Ruhe und zum Gehorsam zurückzubringen.
Lieber hätte Bernhard die Unterredung mit Horn hinausgeschoben; allein er war gewöhnt, sich der drückendsten Aufgaben am schnellsten zu entledigen, und suchte den ungeliebten Mitfeldherrn sofort auf. Horn hörte Bernhards Vorschlag, sie wollten die Forderungen der Obersten bei Oxenstierna vertreten, missbilligend an; es wundere ihn und sei noch nie erlebt, sagte er, dass ein Feldherr sich meuternder Soldaten annähme, die von Rechts wegen an den Galgen gehörten.
Bernhard rügte den scharfen Ausdruck: wenn es Meuterer wären, würde er nicht für sie eintreten. Sie suchten ihr Recht, und das stehe freien Männern zu.
Jetzt gelte kein anderes Recht für sie als das Soldatenrecht, sagte Horn. Wohin käme man, wenn Soldaten wegen ausstehender Forderungen den Dienst verweigern dürften?
Würden berechtigte Forderungen dauernd übersehen, so verliere man den Kredit, entgegnete Bernhard, und werde zuletzt niemand mehr für einen arbeiten. Horn solle sich einmal von der Stimmung überzeugen, die unter den Soldaten herrsche.
Auf den Befehl des Obersten Pfuel kamen die Unteroffiziere seines Regiments, das vor Neuburg lag, in sein Quartier, wo auch Bernhard von Weimar und Horn sich eingefunden hatten. Er habe im Sinn, am folgenden Tage etwas gegen Eichstätt zu tentieren, sagte Pfuel zu den Unteroffizieren; vor Sonnenaufgang müsse aufgebrochen werden.
Nach einer Pause erwiderte einer der Unteroffiziere, das sei unmöglich; wenn er den Befehl ausgäbe, würde offener Widerstand ausbrechen. Sie wollten wohl ihr Leben in der Schlacht wagen, nicht aber sich von einer wütenden Soldateska erwürgen lassen.
Pfuel zuckte die Achseln und sagte gegen Bernhard gewendet, er habe es vorausgesagt, mit Gewalt sei den erbosten Leuten nicht mehr beizukommen.
Davon wolle er sich mit eigenen Augen überzeugen, sagte Horn, dessen blasses Gesicht ungeduldiger Zorn rötete. Die Herren möchten ihn ins Lager führen.
In verhaltener Erregung ritten sie schweigend aus dem Tor heraus, wo die Lagerstatt sich weithin erstreckte. Das Trompetenzeichen, das die Truppen zusammenblasen sollte, schien niemand zu hören; erst nach geraumer Zeit, als Oberst Pfuel im Begriff war, es wiederholen zu lassen, erhoben sich die Soldaten langsam von ihren Plätzen. Sie hatten schon gespeist, denn es war Abend, aber die Sonne noch nicht untergegangen, und sie würfelten mit Kameraden oder spielten mit ihren Kindern; gemächlich schlenderten sie herbei wie Neugierige, die gelegentlich sehen wollen, was es gibt. Oberst Pfuel sah es mit Genugtuung, aber fast wider Willen empörte ihn der Anblick der übermütigen Untergebenen, die seine Anwesenheit kaum beachteten, geschweige denn, dass sie ihnen Unterwürfigkeit einflößte. »Kennt ihr euren Obersten nicht?« schrie er die nächsten an. »Bin ich unter Bauernrüpel geraten?«
Die Männer redeten eine Weile untereinander, dann trat einer vor und sagte, der Herr Oberst wisse ihre Meinung: sie täten keinen Dienst, bevor sie nicht den rückständigen Sold erhalten hätten.
Horn war kaum imstande, seine Entrüstung zu bemeistern: Pfuel, der Oberst, und Bernhard, der General, sahen der meuterischen Aufführung dieser Kerle zu, ohne sich zu rühren, als gehe es sie nichts an. Würden sich gemeine Soldaten mit solcher Frechheit hervorwagen, wenn sie sich nicht vor Strafe sicher wüssten? Bewies ihr Benehmen nicht, dass eine Verschwörung zwischen ihnen und den Häuptern bestand, die gegen ihn und seinen Schwiegervater, den Kanzler, gerichtet war? Unwillkürlich griff er nach dem Degen und machte eine Bewegung, als wolle er vom Pferde springen und sich mitten unter die Trotzigen werfen, um sie Gehorsam zu lehren.
Inzwischen hatte sich die ganze Mannschaft versammelt und stand in einem massigen Haufen zusammengedrängt gespannt erwartend da. Sie kamen Horn vor wie ein einziges gigantisches Tier, das, scheinbar bewegungslos, die ganze Kraft sprungbereit macht, während es das Ziel mit den Augen an sich reißt. Nur wenige von ihnen hatten Waffen; aber sie bedurften ihrer so wenig wie ein Rudel Wölfe: mit Fäusten und Zähnen hätten sie ihn in einer Minute in Stücke gerissen. Ein Grauen vor dieser Bestie, die man sich zog, um einen Gegner zu erlegen, und die sich unversehens auf den eigenen Herrn werfen konnte, überlief ihn. Wie ekelte ihn vor diesem Kriege und vor denen, die den Blutdurst der Bestie entfesselten, um sich zu bereichern.
Das hatten sie erreicht, dass er seine Ohnmacht einsah und sich trotz seines Widerwillens entschloss, nach Heilbronn zu reisen und seinem Schwiegervater die Forderungen der Obersten vorzulegen, während Bernhard mit der einstweilen beruhigten Armee kleine Streifzüge in der Umgegend ausführte. Oxenstierna erledigte die Angelegenheit dadurch, dass er anstatt Geld diejenigen Güter auszuteilen versprach, mit denen der verstorbene König namentlich während seines Aufenthaltes in Würzburg verdiente Offiziere reichlich beschenkt hatte; der Wert der zu vergebenden Länder wurde auf vier bis fünf Millionen Taler geschätzt.
Es war Mitte Mai, als Horn mit dieser Nachricht zurückkehrte. Wie wenn die Stürme, die den Frühling bringen, sich legen und die erschütterte Erde sich sammelt, bevor sie blüht, wurde der Aufruhr in Bernhards Brust plötzlich still, und er empfand nichts als ein unbestimmtes, feierliches Vergnügen. Ohne zunächst sich zu äußern, warf er sich auf sein Pferd und ließ es traben; bald rascher, bald langsamer trug es ihn einen schmalen Weg an der Altmühl hin, eine Anhöhe hinauf, wo er in der letzten Woche mehrmals gewesen war, um einen Überblick über die Umgegend zu gewinnen. Dort stieg er ab und legte sich ins Gras, um sich dessen, was war und was er wollte, bewusst zu werden.
Dies war der Augenblick: der Schatz blühte, er musste ihn ergreifen ohne Furcht vor Tod und Hölle. Dass Oxenstierna nachgegeben hatte, bewies seine Schwäche; er tat widerwillig, was er musste, und ebenso würde er seine, Bernhards, Forderungen bewilligen. Hatte er einmal Schenkungen des verstorbenen Königs anerkannt, so konnte er auch ihm das Herzogtum Franken, das Gustav Adolf ihm versprochen hatte, nicht vorenthalten: das Recht und die Not wanden es ihm miteinander aus den geizigen Fingern. War es möglich? Er war nicht der waghalsige Beutejäger mehr, der abenteuernde Heerführer, der gewissenlose Söldner; er war regierender Fürst, ein mächtiger Stand des Reichs, Herzog von Franken. Er reihte sich den Häuptern an, die die Kaiserkrone trugen zu jener Zeit, wo die Kaiser des heiligen Reichs Imperatoren der Welt waren. Was nur Schimäre für einen Schweden sein konnte, wenn es auch ein Gustav war, er besaß es in Wirklichkeit: die Anwartschaft auf eine neue Krone im neuen Reich deutscher Nation reines deutschen Glaubens. Bis das verwirklicht werden konnte, musste er sich mit dem Schwert durch Dornen hauen, aber das schreckte ihn nicht; was sein Lehrer ihm, dem Knaben, als Motto in seinen Plutarch geschrieben hatte: Per ignes et enses, das hatte er sich ins Herz gegraben, und es hatte sich unvertilgbar hineingewachsen. Er hörte es klirren und sausen, es schmetterte wie ein Marsch vor ihm her: durch Flammen und Schwerter; es würde ihn über den tiefsten Abgrund tragen.
Indem er sich umblickte, sah er sich umschlungen von den Reigen und Chören der nahen und fernen und ferneren, weit hinten im bläulichen Horizont verschwimmenden Hügellinien; still lag er wie mitten im Kelch einer groß aufgerollten, ihre Vollendung feiernden Blume. Es mochte das letzte Mal vor den Kämpfen sein, die nun beginnen mussten. Das Nächste würde vielleicht das Allerschwerste sein: das hässliche, kleinliche Streiten mit Oxenstierna. Dieser würde Ausflüchte suchen; er würde sagen, dass er, solange der Krieg währte, wichtige Punkte wie Würzburg und Bamberg nicht aus der Hand geben dürfe; er, Bernhard, würde die Gemeinsamkeit der Interessen betonen und auf die Schenkungen weisen, die schwedische Offiziere erhalten hatten, namentlich Oxenstiernas Schwiegersohn Horn. Um sicher zu gehen, würde er die alleinige Direktion des Bundesheeres fordern, wie Gustav Adolf sie gehabt hatte; die würde der Kanzler ihm nie gewähren wollen und würde froh sein, den Verzicht darauf mit einem Herzogtum zu erkaufen. Er, Bernhard, wäre lieber Generalissimus als Herzog von Franken geworden; denn war er Herr des Heeres, so glaubte er zugleich Herr des Krieges, Herr im Reiche zu sein. Es wäre der geradere, kürzere Weg. Als Generalissimus wäre er unabhängig, als Herzog von Franken wurde er gebunden.
Langsam verschattete sich sein frohes Gemüt unter diesem Gedanken. Dieser Schlinge konnte er sich nicht entziehen: begehrte und nahm er das Land als ihm vom König erteiltes Geschenk, so wurde er Vasall der schwedischen Krone. Er hatte oft lange darüber gegrübelt und mit seinem Lehrer Hortleder, der in den staatsrechtlichen Fragen bewandert war, darüber gesprochen; es war ihm nie so bitter erschienen wie in dieser Stunde, die eben noch so leicht gewesen war. Hätte der König gelebt, so hätte er sich wenigstens vor einem Höheren beugen müssen, nicht vor einem Edelmann; andererseits, hätte der König gelebt, wie viel schwerer und gefährlicher wäre die Lehenschaft für ihn gewesen! Von dem königlichen Kind Christine drüben in Schweden hatte er nichts zu besorgen; der schwedische Graf stand zu tief unter ihm, als dass er ihn ernstlich gefürchtet hätte.
Dennoch blieb es eine Demütigung, ein Wagnis, ein Frevel, eine Qual; niemand, auch nicht Gott, konnte es ihm schneidender sagen, als er selbst es sich sagte. Was hätte er geantwortet, wenn eine Stimme vom Himmel ihn angerufen hätte: ›Luzifer! Rebell!‹
Sein Herz schlug laut, und unwillkürlich lauschte er in die leise hauchende Stille. Gott rief ihn nicht; und hätte er’s getan, er, Bernhard, hätte doch Rede gestanden. Gab es denn einen anderen Weg, Vaterland und Glauben zu retten? Diese Zweifel gehörten mit zu der ihm auferlegten Prüfung. Die Ritter, die auszogen, um Verzauberte zu erlösen, hatten nicht nur ritterliche Kämpfe auszufechten: Drachen, Fratzen, Unholde und Würmer versperrten ihren Weg und gaukelten ihnen die Hölle vor. Nicht das war das Schwerste, dem Tode zu trotzen, sondern Verhasstes und Niedriges zu tun. Herkules hatte den Stall vom Unrat gereinigt, er war des unwürdigen Mannes und des Weibes Knecht gewesen, bevor das Feuer ihn zum Gott verklärte.
Der Herzog stand auf und atmete tief. Wenn er es nicht vermöchte, was er sich vorgesetzt hatte, dann wäre er schuldig; aber er war der Mann, es hinauszuführen, er, keiner außer ihm. Sie alle suchten den Genuss, sei es den Rausch oder die Liebe, den Ruhm, die Bequemlichkeit; er opferte alles der heiligen Sache. Die Flamme, die in ihm brannte, verzehrte den unreinen Stoff, mochte sie immerhin zuletzt ihn selbst verzehren.
Indem er sein Pferd lockte und an den großen König dachte, dem es gehört und den es zum Grabe getragen hatte, tauchte flüchtig die Sorge um seine Gesundheit in ihm auf. Seinen Körper hätte er kräftiger wünschen mögen; es kam ihm vor, als ob die Bäder, die er auf den Rat der Ärzte gebraucht hatte, ohne bessernde Wirkung geblieben wären. Er tröstete sich damit, dass sein Wille diese Schwäche ersetzen würde; er hatte es noch immer möglich gemacht, zu tun, als sei ihm wohl, wenn er sich krank fühlte.
Heimreitend sah er von der kürzlich erstürmten Willibaldsburg, die wie ein heidnischer Opferblock dalag, weiße Rauchringe in die kosende Luft schweben. So, dachte er, würde er einst, wenn sein Werk getan wäre, zu Gott auferstehen, nicht mehr ein Fürst, nicht mehr ein Sklave, sondern eines Helden Seele, gottgeworden, frei.