Am Bette der alten Gräfin Terzka, die auf den Tod lag, saß ein Prädikant und betete den neunzigsten Psalm, der vom Sterben handelt: ›Das macht dein Zorn, dass wir so vergehen, und dein Grimm, dass wir so plötzlich dahin müssen. Denn unsere Missetat stellest du vor dich, unsere unerkannte Sünde in das Licht vor deinem Angesicht.‹ »Ich denke«, sagte die alte Frau, indem sie sich bemühte, deutlich zu sprechen, »dass ich mein Leben lang rüstig für Gott und die Wahrheit gekämpft habe; das Zeugnis könnt Ihr mir ausstellen.«
»Wenn ich zu Euer Gnaden Fleisch und Blut spräche«, antwortete der Prädikant, »so würde ich sagen: ja, von ganzem Herzen, ich bezeuge es. Da ich aber zu Euer Gnaden Gewissen und unsterblicher Seele rede, sage ich: nein! nein! nein! Und Euer Gräfliche Gnaden weiß, was ich damit meine.«
»Ja, ich weiß es; aber Ihr habt unrecht damit«, rief die Gräfin heftig. Nach einer Pause, während sie nach Atem rang, befahl sie ihm, ihre Kissen höher zu richten und das Fenster zu öffnen, sie brauche Luft.
Der Prädikant gehorchte und fragte am Fenster stehend, ob die Gräfin wohl das liebliche Gezwitscher der Vögel in den Büschen höre?
Nein, erwiderte sie, das sei nicht mehr für sie. Sie wolle ihm jetzt Antwort geben auf das, was er vorher angedeutet habe. Ja, es sei wahr, sie habe in dem Unglücksjahre das papistische Hütlein aufgesetzt, es sei eine verfluchte Maskerade gewesen, aber keine Todsünde, weil keine böse, sondern eine gute Absicht dabei gewesen sei. Sie habe es nicht aus Furcht vor dem Tode getan oder um Hab und Gut nicht einzubüßen, obwohl es ohne dergleichen Schwachheit, die einmal am Fleische hafte, nicht abgehe; aber die Hauptsache sei gewesen, dass sie die alte Mutter Böhmen nicht habe lassen wollen. Es sei ja nichts als schlechtes, verräterisches, jesuitisches Pack im Lande geblieben und ins Land gekommen, die der Armen den Strick gedreht und sie hätten erwürgen wollen. Hätten es mehr redliche Protestanten wie sie gemacht, so wären doch Leute dagewesen, ihr beizustehen und die Schelme bei guter Gelegenheit hinauszuwerfen.
Der Prädikant schüttelte den Kopf: das wären Ausflüchte und Beschönigungen, die die schamhafte Seele sich selber webe, um ihre Blöße zu decken. Die armen Exulanten draußen, die in des Königs von Schweden Dienst getreten wären, täten mehr für ihr Vaterland als sie; wenn sie aber auch nichts ausrichteten, so müsse man doch zuerst Gott die Treue halten.
Ja, wenn sie ein Mann gewesen wäre, sagte die Gräfin, so wäre sie auch dem König von Schweden nachgelaufen, das wisse er so gut wie sie. Und was er übrigens gesagt habe, das tauge alles miteinander nicht. Ob sie etwa hier auf Rosen gebettet gewesen wären? Immer von Spionen umschnüffelt und in Gefahr des Lebens! Und wo er, der Prädikant, denn wäre, nämlich am Galgen, wenn sie ihn und viele seinesgleichen nicht versteckt, ernährt und behütet hätte, damit sie das Evangelium predigen könnten!
An seinem Leben sei nichts gelegen, erwiderte der Prädikant, es handle sich jetzt um ihre Seele, die sie durch ihren Abfall befleckt habe. Er wolle aber für sie beten, und sie solle es auch tun, dass Gott ihr die Sünde vergebe.
Nein, rief die Alte zornig, sie sei nicht abgefallen! Sie habe immer den wahren Glauben im Herzen behalten. Den Ferdinand und seine Jesuiten und Klosterschweine habe sie betrogen, das sehe sie aber für erlaubt und sogar verdienstlich an.
Über diesem Wortwechsel kam der alte Graf Terzka mit einem dürftig gekleideten Freunde aus dem Nebenzimmer herein und fragte, ob es seiner Frau besser gehe, weil sie so ungestüm reden könne. Nein, sagte sie schwach aus ihren Kissen heraus, es gehe ihr sehr übel, der Pfaff halte ihr vor, sie habe gesündigt, weil sie papistisch geworden sei, obgleich er es doch besser wissen müsse. Dabei hätte sie es vielleicht nicht einmal getan, wenn er, ihr Mann, sie nicht gedrängt hätte, und ihm sei es freilich um den Kopf und um Hab und Gut bange gewesen.
Je nun, sagte der Graf, die Widerwärtigen hätten genug Blut böhmischen Adels gesoffen, er habe ihnen das seinige nicht noch dazu schenken wollen. Auch täten sie ja nun das Ihrige, um den wahren Glauben wieder herzustellen.
Sie müssten es aber ganz anders anfangen, wenn es erklecken sollte, keuchte die Alte mühsam; mit dem Friedländer wären sie betrogen, der führe sie nur am Narrenseil.
Ach, sie wolle ihm nun einmal nicht trauen, entgegnete er, und es kämen doch von ihrem Sohn Adam die besten Nachrichten, wie er sich täglich mehr mit dem Hofe zerrütte und dass schon alles ausgemacht sei wegen Böhmen, nur dürfe man es nicht laut sagen.
Das eine sei freilich bedenklich, nahm der Freund das Wort, dass der Wallenstein so viel Rebellengut an sich gebracht hätte. Ob er denn das wieder herausgeben würde?
Nun, sagte Graf Terzka, wenn er erst oben auf dem Dache sei, könne er wohl die Leiter verbrennen.
Der andere rieb sich kichernd die Hände; er für seine Person, meinte er, möchte lieber die Wallensteinischen Güter als die böhmische Krone haben. »Ja«, lachte Terzka, »solch ein schlechtes Edelmännle, wie du bist! Aber der Wallenstein will hoch hinaus, dem ist es um die Ehre und den Königsnamen!«
Eine seltsame Ehre, die der Landsverräter und Landsverderber sich bisher erworben habe, höhnte seine Frau.
Nun, sagte der Graf entschuldigend, er habe sie doch immer mit Salvaguardien versehen, um ihnen das Ihrige zu erhalten, während er den Kardinal von Dietrichstein zu Tode geärgert habe mit Einquartierungen und Kontributionen, und selbst der Eggenberg habe den Beutel aufschnüren müssen. Ihrem Sohn Adam habe er für gewiss die Grafschaft Glatz versprochen, wenn es soweit wäre, und der zweifelte gar nicht, dass es bald sei.
Da könne der Adam sich freuen, wenn er Glatz bekäme, sagte der Freund, da wären vorzügliche Forsten.
Und die Hirsche! fügte der alte Terzka hinzu, in ganz Schlesien und Böhmen sei keine solche Hirschjagd. Adam habe im Sinn, vom Grafen Schaffgotsch Schmiedeberg einzutauschen, dann gäbe es ein schönes, rundes Stück Land.
Der Prädikant mischte sich jetzt ein und sagte, es nehme ihn wunder, dass die Herren sich so weit mit dem Friedländer einlassen möchten, einem Abtrünnigen, der nach mancher Leute Dafürhalten im Bündnis mit dem Teufel stehe.
Jedenfalls sei es recht, wenn der Teufel ihn holte, stimmte die Gräfin bei; denn er sei nicht zum Schein und aus Not, sondern mit Haut und Haaren papistisch geworden.
Das bestritt der alte Terzka; Wallenstein gäbe sich überhaupt nicht viel mit der Religion ab und habe erst kürzlich gesagt, man solle doch den Lämmermann, des Kaisers Beichtvater, endlich aufhängen, bevor er zu zäh für die Raben würde. Und in dem Briefe von Kinsky, der heute eingetroffen sei, stehe doch auch geschrieben, der Wallenstein traktiere über den Frieden mit den Schweden, und die Hauptparagrafen gingen, die böhmischen Exulanten sollten in den alten Stand gesetzt und die Jesuiten sollten aus Böhmen und dem Reiche gewiesen werden, damit der Friede ewigen Bestand hätte. Er zog einen sorgsam zusammengefalteten Brief aus der Tasche und zeigte ihn: die Schrift sei so blass, erklärte er, weil er mit heimlicher Tinte geschrieben sei, über dem Feuer würde sie sichtbar. Aus Vorsicht wolle er ihn verbrennen, wenn er ihn noch einmal gelesen hätte, das brauche aber Zeit.
Die alte Frau hatte sich inzwischen die Kissen wieder fortnehmen lassen, weil sie nicht mehr sitzen könne, und lag schwer atmend da. Ihre Tochter, sagte sie mühsam, habe wohl Mut, aber es sei doch nur ein Fünklein, und sie besorge, es werde erlöschen, wenn sie es nicht mehr anblasen könne. Der Kinsky, ihr Tochtermann, sei sonst gut, aber ein Ofenhocker und Träumer; auch sei es ihr zuwider, dass er sich an den Kurfürsten von Sachsen gehängt habe, der sei vom Geschlecht der Fische, könne nichts als in Bier schwimmen und glotzen. Indem sie den Kopf erschöpft auf die Seite legte, sagte sie, auf Erden gäbe es nur Weiber, sie möchte wissen, ob sie im Himmel einen Mann träfe.
Nun, sagte der Graf, sie rede gar jungfräulich, habe doch einen trefflichen Mann und auch Kinder gehabt.
Sie lag eine Weile mit geschlossenen Augen da, dann gab sie ihm die Hand und sagte, ja, er sei ihr ein guter Mann gewesen, sie danke ihm dafür, und er solle ihrer gedenken. Jetzt solle er sie mit dem Geistlichen allein lassen, denn das Ende sei da.
Nachdem der weinende Graf mit seinem Freunde das Zimmer verlassen hatte, sagte die Sterbende, wenn Gott Gott sei, müsse er in ihr Herz sehen können und dass es immer recht evangelisch gewesen sei; aber sie wisse wohl, dass das Fleisch sündhaft sei, darum möge der Prädikant für sie beten und ihr die Beichte abnehmen, wie es in der Ordnung sei. Er nahm darauf die Bibel wieder zur Hand, las den Psalm zu Ende und fragte sie, sich über sie neigend, ob sie Feinde habe und ob sie ihnen vergeben wolle.
»Meine Feinde sind Gottes Feinde«, sagte sie, »denen kann ich nicht vergeben.«
Der Prädikant besann sich und schlug vor, ob sie nicht sagen wolle, sie für ihre Person vergebe ihnen, das übrige stelle sie Gott anheim.
»Nein«, sagte sie, »das will ich nicht sagen. Wenn ich ein Mann und jung wäre, so wollte ich das Blut meiner Feinde vergießen, bis Böhmen gerächt und frei wäre; hernach könnte ich ihnen vergeben.«
Er glaube und hoffe, sagte der Prädikant, dass Gott ihr diese unversöhnliche Gesinnung nicht als Sünde anrechnen werde.
Schon verdunkelten sich ihre Augen, und sie tastete mit unsicherer Hand nach einer Kassette, die neben ihrem Bette stand; mit der Hilfe des Prädikanten fand sie, was sie suchte, nämlich das auf Gold gestochene Bildnis des Königs von Schweden, das sie an einem Bande auf der Brust getragen hatte. »In diesem niederträchtigen Jahrhundert«, röchelte sie, »hat es nur zwei Männer gegeben, die sind nun hin: der eine war der König, der andere war ich.«