8.

Am Bet­te der al­ten Grä­fin Terz­ka, die auf den Tod lag, saß ein Prä­di­kant und be­te­te den neun­zigs­ten Psalm, der vom Ster­ben han­delt: ›Das macht dein Zorn, dass wir so ver­ge­hen, und dein Grimm, dass wir so plötz­lich da­hin müs­sen. Denn un­se­re Mis­se­tat stel­lest du vor dich, un­se­re un­er­kann­te Sün­de in das Licht vor dei­nem An­ge­sicht.‹ »Ich den­ke«, sag­te die alte Frau, in­dem sie sich be­müh­te, deut­lich zu spre­chen, »dass ich mein Le­ben lang rüs­tig für Gott und die Wahr­heit ge­kämpft habe; das Zeug­nis könnt Ihr mir aus­stel­len.«

»Wenn ich zu Euer Gna­den Fleisch und Blut sprä­che«, ant­wor­te­te der Prä­di­kant, »so wür­de ich sa­gen: ja, von gan­zem Her­zen, ich be­zeu­ge es. Da ich aber zu Euer Gna­den Ge­wis­sen und un­s­terb­li­cher See­le rede, sage ich: nein! nein! nein! Und Euer Gräf­li­che Gna­den weiß, was ich da­mit mei­ne.«

»Ja, ich weiß es; aber Ihr habt un­recht da­mit«, rief die Grä­fin hef­tig. Nach ei­ner Pau­se, wäh­rend sie nach Atem rang, be­fahl sie ihm, ihre Kis­sen hö­her zu rich­ten und das Fens­ter zu öff­nen, sie brau­che Luft.

Der Prä­di­kant ge­horch­te und frag­te am Fens­ter ste­hend, ob die Grä­fin wohl das lieb­li­che Ge­zwit­scher der Vö­gel in den Bü­schen höre?

Nein, er­wi­der­te sie, das sei nicht mehr für sie. Sie wol­le ihm jetzt Ant­wort ge­ben auf das, was er vor­her an­ge­deu­tet habe. Ja, es sei wahr, sie habe in dem Un­glücks­jah­re das pa­pis­ti­sche Hüt­lein auf­ge­setzt, es sei eine ver­fluch­te Mas­ke­ra­de ge­we­sen, aber kei­ne Tod­sün­de, weil kei­ne böse, son­dern eine gute Ab­sicht da­bei ge­we­sen sei. Sie habe es nicht aus Furcht vor dem Tode ge­tan oder um Hab und Gut nicht ein­zu­bü­ßen, ob­wohl es ohne der­glei­chen Schwach­heit, die ein­mal am Flei­sche haf­te, nicht ab­ge­he; aber die Haupt­sa­che sei ge­we­sen, dass sie die alte Mut­ter Böh­men nicht habe las­sen wol­len. Es sei ja nichts als schlech­tes, ver­rä­te­risches, je­sui­ti­sches Pack im Lan­de ge­blie­ben und ins Land ge­kom­men, die der Ar­men den Strick ge­dreht und sie hät­ten er­wür­gen wol­len. Hät­ten es mehr red­li­che Pro­tes­tan­ten wie sie ge­macht, so wä­ren doch Leu­te da­ge­we­sen, ihr bei­zu­ste­hen und die Schel­me bei gu­ter Ge­le­gen­heit hin­aus­zu­wer­fen.

Der Prä­di­kant schüt­tel­te den Kopf: das wä­ren Aus­flüch­te und Be­schö­ni­gun­gen, die die scham­haf­te See­le sich sel­ber webe, um ihre Blö­ße zu de­cken. Die ar­men Ex­u­lan­ten drau­ßen, die in des Kö­nigs von Schwe­den Dienst ge­tre­ten wä­ren, tä­ten mehr für ihr Va­ter­land als sie; wenn sie aber auch nichts aus­rich­te­ten, so müs­se man doch zu­erst Gott die Treue hal­ten.

Ja, wenn sie ein Mann ge­we­sen wäre, sag­te die Grä­fin, so wäre sie auch dem Kö­nig von Schwe­den nach­ge­lau­fen, das wis­se er so gut wie sie. Und was er üb­ri­gens ge­sagt habe, das tau­ge al­les mit­ein­an­der nicht. Ob sie etwa hier auf Ro­sen ge­bet­tet ge­we­sen wä­ren? Im­mer von Spio­nen um­schnüf­felt und in Ge­fahr des Le­bens! Und wo er, der Prä­di­kant, denn wäre, näm­lich am Gal­gen, wenn sie ihn und vie­le sei­nes­glei­chen nicht ver­steckt, er­nährt und be­hü­tet hät­te, da­mit sie das Evan­ge­li­um pre­di­gen könn­ten!

An sei­nem Le­ben sei nichts ge­le­gen, er­wi­der­te der Prä­di­kant, es hand­le sich jetzt um ihre See­le, die sie durch ih­ren Ab­fall be­fleckt habe. Er wol­le aber für sie be­ten, und sie sol­le es auch tun, dass Gott ihr die Sün­de ver­ge­be.

Nein, rief die Alte zor­nig, sie sei nicht ab­ge­fal­len! Sie habe im­mer den wah­ren Glau­ben im Her­zen be­hal­ten. Den Fer­di­nand und sei­ne Je­sui­ten und Klos­ter­schwei­ne habe sie be­tro­gen, das sehe sie aber für er­laubt und so­gar ver­dienst­lich an.

Über die­sem Wort­wech­sel kam der alte Graf Terz­ka mit ei­nem dürf­tig ge­klei­de­ten Freun­de aus dem Ne­ben­zim­mer her­ein und frag­te, ob es sei­ner Frau bes­ser gehe, weil sie so un­ge­stüm re­den kön­ne. Nein, sag­te sie schwach aus ih­ren Kis­sen her­aus, es gehe ihr sehr übel, der Pfaff hal­te ihr vor, sie habe ge­sün­digt, weil sie pa­pis­tisch ge­wor­den sei, ob­gleich er es doch bes­ser wis­sen müs­se. Da­bei hät­te sie es viel­leicht nicht ein­mal ge­tan, wenn er, ihr Mann, sie nicht ge­drängt hät­te, und ihm sei es frei­lich um den Kopf und um Hab und Gut ban­ge ge­we­sen.

Je nun, sag­te der Graf, die Wi­der­wär­ti­gen hät­ten ge­nug Blut böh­mi­schen Adels ge­sof­fen, er habe ih­nen das sei­ni­ge nicht noch dazu schen­ken wol­len. Auch tä­ten sie ja nun das Ih­ri­ge, um den wah­ren Glau­ben wie­der her­zu­stel­len.

Sie müss­ten es aber ganz an­ders an­fan­gen, wenn es er­kle­cken soll­te, keuch­te die Alte müh­sam; mit dem Fried­län­der wä­ren sie be­tro­gen, der füh­re sie nur am Nar­ren­seil.

Ach, sie wol­le ihm nun ein­mal nicht trau­en, ent­geg­ne­te er, und es kämen doch von ih­rem Sohn Adam die bes­ten Nach­rich­ten, wie er sich täg­lich mehr mit dem Hofe zer­rüt­te und dass schon al­les aus­ge­macht sei we­gen Böh­men, nur dür­fe man es nicht laut sa­gen.

Das eine sei frei­lich be­denk­lich, nahm der Freund das Wort, dass der Wal­len­stein so viel Re­bel­len­gut an sich ge­bracht hät­te. Ob er denn das wie­der her­aus­ge­ben wür­de?

Nun, sag­te Graf Terz­ka, wenn er erst oben auf dem Da­che sei, kön­ne er wohl die Lei­ter ver­bren­nen.

Der an­de­re rieb sich ki­chernd die Hän­de; er für sei­ne Per­son, mein­te er, möch­te lie­ber die Wal­len­stei­ni­schen Gü­ter als die böh­mi­sche Kro­ne ha­ben. »Ja«, lach­te Terz­ka, »solch ein schlech­tes Edel­männ­le, wie du bist! Aber der Wal­len­stein will hoch hin­aus, dem ist es um die Ehre und den Kö­nigs­na­men!«

Eine selt­sa­me Ehre, die der Lands­ver­rä­ter und Lands­ver­der­ber sich bis­her er­wor­ben habe, höhn­te sei­ne Frau.

Nun, sag­te der Graf ent­schul­di­gend, er habe sie doch im­mer mit Sal­va­guar­di­en ver­se­hen, um ih­nen das Ih­ri­ge zu er­hal­ten, wäh­rend er den Kar­di­nal von Diet­rich­stein zu Tode ge­är­gert habe mit Ein­quar­tie­run­gen und Kon­tri­bu­tio­nen, und selbst der Eg­gen­berg habe den Beu­tel auf­schnü­ren müs­sen. Ihrem Sohn Adam habe er für ge­wiss die Graf­schaft Glatz ver­spro­chen, wenn es so­weit wäre, und der zwei­fel­te gar nicht, dass es bald sei.

Da kön­ne der Adam sich freu­en, wenn er Glatz be­käme, sag­te der Freund, da wä­ren vor­züg­li­che Fors­ten.

Und die Hir­sche! füg­te der alte Terz­ka hin­zu, in ganz Schle­si­en und Böh­men sei kei­ne sol­che Hir­sch­jagd. Adam habe im Sinn, vom Gra­fen Schaff­gotsch Schmie­de­berg ein­zut­au­schen, dann gäbe es ein schö­nes, run­des Stück Land.

Der Prä­di­kant misch­te sich jetzt ein und sag­te, es neh­me ihn wun­der, dass die Her­ren sich so weit mit dem Fried­län­der ein­las­sen möch­ten, ei­nem Ab­trün­ni­gen, der nach man­cher Leu­te Da­für­hal­ten im Bünd­nis mit dem Teu­fel ste­he.

Je­den­falls sei es recht, wenn der Teu­fel ihn hol­te, stimm­te die Grä­fin bei; denn er sei nicht zum Schein und aus Not, son­dern mit Haut und Haa­ren pa­pis­tisch ge­wor­den.

Das be­stritt der alte Terz­ka; Wal­len­stein gäbe sich über­haupt nicht viel mit der Re­li­gi­on ab und habe erst kürz­lich ge­sagt, man sol­le doch den Läm­mer­mann, des Kai­sers Beicht­va­ter, end­lich auf­hän­gen, be­vor er zu zäh für die Ra­ben wür­de. Und in dem Brie­fe von Kins­ky, der heu­te ein­ge­trof­fen sei, ste­he doch auch ge­schrie­ben, der Wal­len­stein trak­tie­re über den Frie­den mit den Schwe­den, und die Haupt­pa­ra­gra­fen gin­gen, die böh­mi­schen Ex­u­lan­ten soll­ten in den al­ten Stand ge­setzt und die Je­sui­ten soll­ten aus Böh­men und dem Rei­che ge­wie­sen wer­den, da­mit der Frie­de ewi­gen Be­stand hät­te. Er zog einen sorg­sam zu­sam­men­ge­fal­te­ten Brief aus der Ta­sche und zeig­te ihn: die Schrift sei so blass, er­klär­te er, weil er mit heim­li­cher Tin­te ge­schrie­ben sei, über dem Feu­er wür­de sie sicht­bar. Aus Vor­sicht wol­le er ihn ver­bren­nen, wenn er ihn noch ein­mal ge­le­sen hät­te, das brau­che aber Zeit.

Die alte Frau hat­te sich in­zwi­schen die Kis­sen wie­der fort­neh­men las­sen, weil sie nicht mehr sit­zen kön­ne, und lag schwer at­mend da. Ihre Toch­ter, sag­te sie müh­sam, habe wohl Mut, aber es sei doch nur ein Fünk­lein, und sie be­sor­ge, es wer­de er­lö­schen, wenn sie es nicht mehr an­bla­sen kön­ne. Der Kins­ky, ihr Toch­ter­mann, sei sonst gut, aber ein Ofen­ho­cker und Träu­mer; auch sei es ihr zu­wi­der, dass er sich an den Kur­fürs­ten von Sach­sen ge­hängt habe, der sei vom Ge­schlecht der Fi­sche, kön­ne nichts als in Bier schwim­men und glot­zen. In­dem sie den Kopf er­schöpft auf die Sei­te leg­te, sag­te sie, auf Er­den gäbe es nur Wei­ber, sie möch­te wis­sen, ob sie im Him­mel einen Mann trä­fe.

Nun, sag­te der Graf, sie rede gar jung­fräu­lich, habe doch einen treff­li­chen Mann und auch Kin­der ge­habt.

Sie lag eine Wei­le mit ge­schlos­se­nen Au­gen da, dann gab sie ihm die Hand und sag­te, ja, er sei ihr ein gu­ter Mann ge­we­sen, sie dan­ke ihm da­für, und er sol­le ih­rer ge­den­ken. Jetzt sol­le er sie mit dem Geist­li­chen al­lein las­sen, denn das Ende sei da.

Nach­dem der wei­nen­de Graf mit sei­nem Freun­de das Zim­mer ver­las­sen hat­te, sag­te die Ster­ben­de, wenn Gott Gott sei, müs­se er in ihr Herz se­hen kön­nen und dass es im­mer recht evan­ge­lisch ge­we­sen sei; aber sie wis­se wohl, dass das Fleisch sünd­haft sei, dar­um möge der Prä­di­kant für sie be­ten und ihr die Beich­te ab­neh­men, wie es in der Ord­nung sei. Er nahm dar­auf die Bi­bel wie­der zur Hand, las den Psalm zu Ende und frag­te sie, sich über sie nei­gend, ob sie Fein­de habe und ob sie ih­nen ver­ge­ben wol­le.

»Mei­ne Fein­de sind Got­tes Fein­de«, sag­te sie, »de­nen kann ich nicht ver­ge­ben.«

Der Prä­di­kant be­sann sich und schlug vor, ob sie nicht sa­gen wol­le, sie für ihre Per­son ver­ge­be ih­nen, das üb­ri­ge stel­le sie Gott an­heim.

»Nein«, sag­te sie, »das will ich nicht sa­gen. Wenn ich ein Mann und jung wäre, so woll­te ich das Blut mei­ner Fein­de ver­gie­ßen, bis Böh­men ge­rächt und frei wäre; her­nach könn­te ich ih­nen ver­ge­ben.«

Er glau­be und hof­fe, sag­te der Prä­di­kant, dass Gott ihr die­se un­ver­söhn­li­che Ge­sin­nung nicht als Sün­de an­rech­nen wer­de.

Schon ver­dun­kel­ten sich ihre Au­gen, und sie tas­te­te mit un­si­che­rer Hand nach ei­ner Kas­set­te, die ne­ben ih­rem Bet­te stand; mit der Hil­fe des Prä­di­kan­ten fand sie, was sie such­te, näm­lich das auf Gold ge­sto­che­ne Bild­nis des Kö­nigs von Schwe­den, das sie an ei­nem Ban­de auf der Brust ge­tra­gen hat­te. »In die­sem nie­der­träch­ti­gen Jahr­hun­dert«, rö­chel­te sie, »hat es nur zwei Män­ner ge­ge­ben, die sind nun hin: der eine war der Kö­nig, der an­de­re war ich.«