13.

Der Quar­tier­meis­ter sol­le sich ge­fäl­ligst er­klä­ren, sag­te Feu­quières zu die­sem Herrn, ob der Kur­fürst von Sach­sen der Mei­nung sei, er sol­le sein Bett un­ter frei­em Him­mel auf­schla­gen oder er sol­le in der Vor­stadt blei­ben?

Ei be­wah­re, ant­wor­te­te der Quar­tier­meis­ter, da kön­ne ihm ja bei den un­ver­hoff­ten Ein­fäl­len des Feld­mar­schalls Holk eine feind­li­che Ku­gel ins Fens­ter schla­gen.

Ja, was der Kur­fürst denn mein­te? sag­te Feu­quières un­ge­dul­dig. Sei­ne Die­ner hät­ten kein pas­sen­des Ho­tel für ihn in Dres­den auf­trei­ben kön­nen.

Der Quar­tier­meis­ter er­klär­te sich be­reit, die Die­ner des Ge­sand­ten zu be­glei­ten; es wer­de sich schon ein Plätz­chen auf­trei­ben las­sen. Mit ei­nem Plätz­chen sei ihm nicht ge­dient, rief Feu­quières, er müs­se ein ge­räu­mi­ges Haus ha­ben, wie es sich für einen Ver­tre­ter des Kö­nigs von Frank­reich schi­cke.

»Wer sucht, der fin­det«, sag­te der Quar­tier­meis­ter. Er sei be­reit, bis Mit­ter­nacht zu su­chen.

Feu­quières stampf­te mit dem Fuße auf. Da­mit sei ihm aber nicht ge­dient! Er wol­le kei­ne Nacht mehr in der Vor­stadt zu­brin­gen.

Nun, dann wol­le er kei­ne Zeit ver­lie­ren, sag­te der Quar­tier­meis­ter und mach­te sich mit ei­ni­gen Die­nern des Ge­sand­ten auf den Weg. Nach ei­ner Lis­te der ver­füg­ba­ren Woh­nun­gen durch­lie­fen sie die Stra­ßen schwei­gend; denn aus Un­kennt­nis ih­rer Spra­chen konn­ten sie sich nur müh­sam ver­stän­di­gen. Vie­le Häu­ser lehn­ten die Die­ner des Ge­sand­ten schon nach flüch­ti­ger Be­trach­tung des Äu­ße­ren durch eine Ge­bär­de ab. Vor ei­nem ho­hen Ge­bäu­de, das einen ei­ni­ger­ma­ßen herr­schaft­li­chen Ein­druck mach­te, blie­ben sie ste­hen und sa­hen den Quar­tier­meis­ter fra­gend an, der zu­erst die Schul­tern zuck­te, dann mit dem Kop­fe ni­ckend sich ein­ver­stan­den er­klär­te, es an­zu­se­hen. Im Flur fiel ih­nen ein star­ker Ge­ruch auf, der aus Es­sig und Wa­chol­der ge­mischt zu sein schi­en. Auf ei­nem ei­che­nen Ti­sche stand eine Schüs­sel mit ir­gend­ei­nem steif­ge­wor­de­nen Brei und ein Tel­ler mit Brot; ein um­ge­fal­le­ner Krug hat­te sei­nen In­halt, au­gen­schein­lich Bier, auf den stei­ner­nen Bo­den er­gos­sen, und er stand, am Ran­de ver­siegt, zum Teil in dunk­ler La­che. Es sah aus, als hät­ten die Be­woh­ner in has­ti­ger Flucht das Haus ver­las­sen. Ei­ner der Fran­zo­sen öff­ne­te die nächs­te Tür, blieb aber mit ei­nem Schrei des Schre­ckens auf der Schwel­le ste­hen: auf ei­nem Bet­te lag ein To­ter, halb­nackt, mit ver­krümm­ten Glied­ma­ßen, blaue Fle­cke auf dem ver­zerr­ten Ge­sicht. Der Quar­tier­meis­ter pack­te den von Ent­set­zen Ge­lähm­ten am Arme und zog ihn aus dem Hau­se, den an­de­ren nach, die so­gleich da­von­ge­lau­fen wa­ren; erst nach ei­ner Wei­le blie­ben sie ste­hen, um den Quar­tier­meis­ter in fran­zö­si­scher Spra­che mit Vor­wür­fen zu über­häu­fen. Die­ser schüt­tel­te den Kopf und wies auf ein ro­tes Kreuz an ei­ner Haus­tür, wo­mit er sa­gen woll­te, ein sol­ches Zei­chen be­deu­te, dass hier je­mand an der Pest ge­stor­ben sei, und ein eben­sol­ches Zei­chen sei auch an dem be­tref­fen­den Hau­se ge­we­sen. Um die Fran­zo­sen zu ver­söh­nen und ihre blei­chen Ge­sich­ter wie­der zu fär­ben, führ­te er sie in das nächs­te Wirts­haus, ließ Wein brin­gen und er­zähl­te dem Wirt das häss­li­che Aben­teu­er. Die To­ten­grä­ber, er­klär­te die­ser, hät­ten sich am vo­ri­gen Abend trotz des Kla­gens der Nach­barn ge­wei­gert, den To­ten mit­zu­neh­men un­ter dem Vor­wan­de, ihr Kar­ren sei schon voll­ge­la­den, sie wä­ren müde und woll­ten Fei­er­abend ma­chen; nun schie­nen sie ihn lei­der ver­ges­sen zu ha­ben. »Das sind ver­fluch­te Ker­le«, sag­te der Quar­tier­meis­ter, »ehr­li­chen Leu­ten einen sol­chen Bra­ten auf­zu­ti­schen!«

Man sehe ih­nen den Schre­cken noch an, sag­te der Wirt; sie soll­ten nur fest trin­ken, der Wein sei wie Feu­er, fres­se das Pest­gift auf. Es sei noch nie ein Be­sof­fe­ner an der Pest ge­stor­ben.

Am fol­gen­den Tage er­schie­nen ei­ni­ge kur­fürst­li­che Räte bei dem er­zürn­ten Ge­sand­ten, um ihn zu be­schwich­ti­gen. Es tref­fe sich un­glück­lich, sag­ten sie, dass am Tage zu­vor das Ge­fol­ge des Prin­zen von Hol­stein ein­ge­trof­fen sei, des Ver­lob­ten der äl­tes­ten Toch­ter ih­res Herrn; da­her sei die Stadt über­füllt.

Sie wag­ten also, sag­te Feu­quières, ihm Leu­te vor­zu­zie­hen, de­ren Herr dem sei­ni­gen weit nach­ste­he! Das sei eine neue Be­lei­di­gung. Er sehe klar, dass der Kur­fürst sei­ne An­we­sen­heit nicht wün­sche, und wer­de da­nach han­deln. Bei sei­nem letz­ten Auf­ent­halt in Dres­den hät­ten sie ihm zu ver­ste­hen ge­ge­ben, dass der Kur­fürst gern 100.000 Reichs­ta­ler von sei­nem Kö­nig an­neh­men wer­de; er habe das be­rich­tet, und der Kö­nig habe es gut auf­ge­nom­men in der Hoff­nung, er set­ze da­durch den Kur­fürs­ten in­stand, den Krieg nach­drück­li­cher zu be­trei­ben. Un­ter den ob­wal­ten­den Um­stän­den kön­ne von dem Gel­de nicht mehr die Rede sein.

Oh, sag­ten die Räte, das wer­de dem Kur­fürs­ten sehr emp­find­lich sein. Es sei durch­aus nicht des Kur­fürs­ten Schuld, dass Feu­quières nicht sei­nem Ran­ge ge­mäß un­ter­ge­bracht sei, er sei sei­nem Schwie­ger­sohn ent­ge­gen­ge­reist und wer­de erst am nächs­ten Tage zu­rück­kom­men. Feu­quières kön­ne über­zeugt sein, dass der Kur­fürst ihn gut auf­neh­men wer­de; an dem Gel­de sei ihm au­ßer­or­dent­lich viel ge­le­gen.

Auch der Hof­pre­di­ger Hoë, der sich für emp­fan­ge­ne 2000 Reichs­ta­ler be­dank­te, mach­te einen Ver­such, sei­nen Herrn zu ent­schul­di­gen, wur­de aber von Feu­quières un­ter­bro­chen, der sag­te, da­durch ma­che Hoë die Sa­che nur schlim­mer. Wer den Kur­fürs­ten ent­schul­di­ge, be­lei­di­ge ihn glei­cher­wei­se.

Das sei lei­der nicht zu leug­nen, sag­te Hoë lä­chelnd, dass der säch­si­sche Hof eine ge­wis­se bäu­ri­sche Plump­heit noch nicht ganz ab­ge­streift habe. Er be­dau­re es sehr, dass ein so mäch­ti­ger Reichs­fürst die fei­ne Sit­te, wie Frank­reich sie un­über­treff­lich her­vor­ge­bracht und aus­ge­bil­det habe, nicht an­neh­men wol­le. So viel er kön­ne, wir­ke er dar­auf hin; aber man müs­se be­kann­ter­ma­ßen mit Fürs­ten glimpf­lich um­ge­hen, da sie sta­che­lig und ge­fähr­lich zu sein pfleg­ten.

Er fürch­te sich nicht, sag­te Feu­quières, und wer­de es den Kur­fürs­ten un­ver­hoh­len mer­ken las­sen, dass er sich für eine der­ar­ti­ge Be­hand­lung zu hoch schät­ze.