Es war November, und der Nebel lag dick im Hofe der Wiener Burg, als dem Kaiser, der mit seiner Frau und seinem Sohne beim Mittagessen saß, ein Billett Eggenbergs überreicht wurde. Er hielt es weit von sich und gab es dann der Kaiserin mit der Bemerkung, Eggenbergs Schrift werde immer kleiner und undeutlicher, er werde sie zuletzt mit dem Fernrohr suchen müssen.
Man brauche nicht erst zu lesen, sagte der König von Ungarn, er wisse ohnehin, dass Eggenberg sich wegen der heutigen Sitzung entschuldige. Wolle nicht dabei sein, wenn über den Friedländer beschlossen würde.
Der Wallenstein sei einmal sein Freund, sagte der Kaiser begütigend; er wisse aber genau, dass Eggenberg ihn, den Kaiser, über alles und auch mehr als den Wallenstein liebe.
»Wozu er auch verpflichtet ist«, sagte der König.
Nun, wendete sich die Kaiserin liebenswürdig zu ihrem Stiefsohn, sie wollten wegen des Briefes miteinander wetten. Er behaupte, dass Eggenberg nicht zur Sitzung kommen wolle, sie halte dagegen. Ob es um ein Paar florentinische Handschuh gehen sollte?
Er möchte am liebsten etwas Gesticktes von ihrer Hand, sagte der König, wenn es auch nur ein schlechtes Tuch wäre. Sie sollte, wenn sie gewönne, wählen, ob sie Handschuh oder ein Kleinod oder etwa ein paar Jagdhunde wolle; aber es werde nicht dazu kommen.
»Sonst würdest du auch nicht so splendid sein«, sagte der Kaiser lachend.
Er habe ihr doch kürzlich das hübsche Bild geschenkt, das von Rubens sein solle, sagte die Kaiserin.
Das habe er ja den Pragern abgepresst, sagte der Kaiser.
Er hätte es doch auch für sich behalten können, sagte sein Sohn ernsthaft. Nun solle aber die Kaiserin den Brief lesen, damit er eher zu seinem Vorteil käme.
Es zeigte sich, dass Eggenberg in der Tat mitteilte, er könne wegen eines heftigen Anfalls von Podagra an der heutigen Sitzung nicht teilnehmen. Er würde sein Votum aufgeschrieben haben, wenn es nicht misslich wäre, in einer so wichtigen Staatssache sich dem plauderhaften Papier anzuvertrauen. Nur so viel wolle er sagen, dass er dafür halte, wenn die bewusste hohe Person durch einen Vertrauten, etwa den Questenberg, zum freiwilligen Rücktritt veranlasst werden könnte, so scheine ihm das der beste Weg zum Ziele zu sein, falls man nicht bei bekannter großer Leibesschwachheit besagter Person eine wahrscheinlich nahe bevorstehende Fundamentalveränderung erwarten wolle.
Ob sie dem König einen Lorbeerkranz auf seine Schärpe sticken solle? schloss die Kaiserin; das würde dem künftigen Kriegshelden wohl anstehen.
Der junge König nahm eine majestätische Haltung an und stemmte den Arm in die Seite. Dessen könne sie gewiss sein, sagte er, dass er ihrem erhabenen Geschenk keine Schande machen werde. Gott lege den Kaisern die Kraft in die Wiege, deren sie bedürften, um ihre Feinde in den Staub zu werfen. Er halte sich für auserkoren, der himmlischen Glorie, die sein Vater erworben, die kriegerische hinzuzufügen.
»Wenn du erst das Römische Reich auf dem Buckel hast, wirst du nicht mehr solche Sprünge machen«, scherzte der Kaiser behaglich; aber seine schon etwas verblichenen Augen hingen doch mit verstohlener Bewunderung an seinem ernsten Sohne.
Der Oberstkanzler Slawata, der Vizekanzler Strahlendorff und der Hofkriegsratspräsident Schlick fanden sich zu der Sitzung ein und wurden vom Kaiser, der auf einem erhöhten Sessel saß, mit Handreichung begrüßt. Die Herren sollten ihm helfen, seinen Mitkaiser loszuwerden, sagte er vergnügt; für ein solches Monstrum sei kein Platz auf dem habsburgischen Throne.
Schlick räusperte sich und sagte, die seraphische Gnädigkeit und Arglosigkeit des Kaisers habe einem gefährlich wuchernden Schwamme Zeit und Gelegenheit gegeben, sich auszubreiten und anzukleben, weswegen es nun großer Kraft und zugleich Behutsamkeit bedürfe, ihn zu entfernen. Für notwendig halte er es allerdings, da sonst, was jedem aufrichtigen Diener des Kaisers zu Herzen gehe, dessen Ansehen verkleinert und Erblande und Reich verderbt würden.
Von der heiligen Religion nicht zu reden, sagte Slawata, dessen Rücken ein wenig gekrümmt war und der den Kopf stets mit kläglicher Gebärde auf die linke Schulter geneigt trug. Wenn man die Gottlosigkeit ausrotten wolle, die heutzutage floriere, müsse man vor allen Dingen den Stamm umhauen, der ihr Halt gewähre. Nach seiner Erfahrung resultiere alles Übel aus der Gottlosigkeit.
Ob denn der Herzog von Friedland von der heiligen katholischen Religion abtrünnig geworden sei? fragte der Kaiser neugierig und ängstlich.
Nein, in forma wohl nicht, sagte Strahlendorff mit dröhnender Stimme, die er nicht mäßigen konnte, er nehme vielmehr überhaupt Abstand von der Religion. Es sei offenbar ein gewisses Nihil oder Vakuum beim Herzog von Friedland an Stelle der Religion vorhanden. Darum sei seine Meinung, dass man sich zunächst einmal über die facta hermachen solle, zum Beispiel über den so höchst ruinösen Fall von Regensburg.
Das sei auch seine Ansicht, sagte der König von Ungarn, wenn sein Vater ihm die Meinungsäußerung gestatte. Regensburg hätte nun und nimmer fallen dürfen. Wenn ein Generalissimus, der das ganze Reich, Fürsten, Adel und Untertanen, arm gemacht hätte, einen so wichtigen Pass in die Hände der Feinde geraten ließe, so sei er entweder untauglich oder ein Schelm.
Slawata bückte und krümmte sich in Bewunderung der Worte des Thronfolgers. Der Heilige Geist müsse sie ihm eingegeben haben, sagte er. Auch Schlick fand, der Pfeil habe ins Schwarze getroffen; es sei überflüssig, vielmehr unmöglich, noch etwas hinzuzusetzen. Ohne Zweifel, brüllte Strahlendorff, bedürfe die Weisheit des Erzhauses der Räte nicht, um in der Sache zu entscheiden. Da der Kaiser sie aber herbeschieden hätte, um ihm ihre Meinungen zu unterbreiten, so wolle er noch hinzufügen, dass der Herzog von Friedland allerdings sich damit defendiert habe, dass er die bayrische Garnison aus Regensburg habe ausschaffen wollen, dass der Kurfürst von Bayern es aber hintertrieben und also die Verantwortung auf sich behalten habe. Allein die kaiserliche Majestät habe trotzdem von ihm verlangen dürfen, dass er eine so ansehnliche kaiserliche Stadt vorsichtig im Auge behielte und den Kurfürsten von Bayern eventualiter sekundierte.
Der Kaiser rückte beunruhigt in seinem Sessel. Es wäre wohl besser gewesen, sagte er, man hätte das vielfältige Bitten der guten Stadt, ihr die bayrische Besatzung abzunehmen, erhört; aber es sei ja allbekannt, was für ein wunderliches Kramen mit seinem Vetter von Bayern sei.
Ja, die Furcht, bayrisch werden zu sollen, habe das arme Regensburg wohl etwas vom Kaiser abalieniert, sagte Strahlendorff.
Besser bayrisch als schwedisch, sagte Ferdinand von Ungarn. Er halte zwar die Stadt Regensburg, wo so viele Reichs- und Kurfürstentage von jeher abgehalten worden wären, für einen kostbaren Augapfel des Reichs, wolle sie sich auch nicht aus der Hand winden lassen; aber klar sei es, dass die Bürgerschaft durch Ketzerei verderbt sei und verräterischerweise mit dem Weimaraner und den Schweden unter einer Decke gespielt habe. Der Kurfürst von Bayern, sein Oheim, habe es redlich gemeint; Wallenstein dagegen, der es in der Hand gehabt hätte, Regensburg zu retten, habe es böswillig unterlassen, sei es aus Rachsucht gegen den Kurfürsten oder aus Begünstigung des Feindes oder aus beiden Ursachen zugleich.
Ja, anders könne das Problem nicht gelöst werden, stimmte Strahlendorff bei.
Ach Gott, und wenn es nur um die Stadt Regensburg ginge, sagte Slawata, so möchte es leidlich sein; wenn aber die ganzen österreichischen Erblande dem Satan in die Hände gespielt würden, so möchte einem billig das Herz darüber brechen.
Solange er lebe, werde das nicht geschehen, sagte Ferdinand; er habe keine Furcht, wisse, dass Gott und die Heilige Jungfrau für ihn wären.
Slawata faltete die Hände und sagte zum Kaiser gewendet, er sei selig zu preisen, dass er der Kirche und dem Reich einen solchen Bekehrer und Befreier geschenkt habe.
Der Kaiser, dem vor Schläfrigkeit die Augen zufallen wollten, fuhr in die Höhe und erwiderte, ja, der Ferdinand und der Leopold Wilhelm wären sein Trost in allen Widerwärtigkeiten. Wenn nur die Sache mit dem Herzog von Friedland einmal ins reine gebracht wäre, er wolle wissen, woran er sei.
Im Augenblick wollten sie die dornige Sache anfassen, rief Strahlendorff beherzt und forderte die Herren auf, Vorschläge zu machen.
Nach einer langen Pause zog Schlick einen Zettel aus der Tasche und sagte, er habe sich da einige flüchtige und unvorgreifliche Notizen gemacht und die hochwichtige Sache in drei Haupt- und verschiedene Unterparagrafen zerlegt, welche einzeln untersucht werden müssten. Die drei Hauptparagrafen wären folgende: Erstens, ob der General seines Amtes gänzlich oder teilweise zu entsetzen und, wenn teilweise, in welcher Gegend des Reiches er zu belassen sei. Zweitens, ob der gänzliche oder teilweise Entsatz gütlich oder mit Gewalt, gleichsam per processum poenale zu vollziehen sei, und endlich drittens, ob weder das eine noch das andere, sondern ein mehr akzidentieller und opportuner Methodus beliebt werden wolle.
Ein beifälliges Nicken begrüßte die Vorlage, und Strahlendorff fragte, ob sie die Punkte nacheinander besprechen oder ob einer als vorzüglich in Betracht kommend herauszugreifen sei?
Es trat Stillschweigen ein, bis Slawata das Wort nahm und sagte, er wolle voranschicken, dass die weisen Schriftsteller des Altertums, Cicero, Herodot, Sallust und andere, die halben Mittel zu verabscheuen lehrten, wie auch die Heilige Schrift bei jeder Gelegenheit gegen Lauheit und Halbheit zu Felde ziehe. Darum halte er für die beste Richtschnur des Lebens, dass man, wenn einmal ein Eingriff als notwendig erkannt sei, denselben sofort und gründlich an die Hand nehme.
Die Herren gaben teils murmelnd, teils brüllend ihre Zustimmung zu erkennen, und der König von Ungarn sagte, die erste Frage sei auch insofern bald erledigt, als der Herzog von Friedland unlängst im Freundeskreise habe verlauten lassen, dass er sich das Kommando nun und nimmermehr würde entwinden lassen. Seine diesbezüglichen Anerbietungen wären als ganz und gar erlogen zu betrachten, habe er sich doch schon wie ein Rasender gebärdet, als Schlick ihm einige wohlmeinende Erinnerungen der kaiserlichen Majestät habe insinuieren wollen. Also sei seine Meinung, dass man gleich zu den folgenden Punkten übergehen könne.
Wer die Historien studiert und dabei eine gewisse Kenntnis des menschlichen Herzens erlangt habe, sagte Slawata, den Kopf tiefer auf die Seite neigend, dem sei es bekannt, dass die herrschbegierigen Tyrannen zu freiwilliger Abdankung der usurpierten Macht niemals die geringste Inklination verspüren ließen.
Der Kaiser klopfte dem neben ihm Sitzenden auf die Schulter und sagte, das sei ganz wie sein gelehrter Slawata gesprochen und sehr tiefsinnig. Das Projekt der Abdankung komme ihm auch etwas schwer und ungereimt vor.
Ja, ungereimt, rief Strahlendorff unter donnerndem Lachen; denn wozu hätte sich der Wallenstein eigentlich so gewaltig aufgeschwungen?
Ein greifbarer Vorschlag, sagte Slawata, sei, so viel er wisse, noch nicht gemacht worden. Der Kaiser sei seiner Natur nach ein ewig fließender Gnadenstrom, und ein jeder wünschte wohl, dass die leidige Sache ohne Disput und zu allseitiger Satisfaktion geordnet werde. Die Frage sei, ob das ebenso möglich wie wünschbar sei.
Hierauf entstand unter den Räten ein Zwinkern und Tuscheln, das sich immer lebhafter fortpflanzte und endlich die Aufmerksamkeit des Kaisers erregte. Auf Befragen erklärte Schlick, der Kaiser wisse jawohl, was für eine hitzige Person der spanische Gesandte sei. Dieser habe sich verlauten lassen, gordische Knoten pflege ein Alexander mit dem Messer zu durchhauen, und er könne nicht begreifen, warum in der Wallensteinischen Sache nicht nach dem Exemplum und Rezept vorgegangen werde.
Der Kaiser lachte vergnügt und kopfschüttelnd in sich hinein: Ja, die Spanier wären scharf, sagte er. Was man ihm denn darauf geantwortet hätte?
Wenn er dabeigewesen wäre, sagte Slawata, würde er geantwortet haben, möge jener mazedonische Alexander immerhin ein blutiger Herodes gewesen sein – was er aber dahingestellt sein lassen wolle –, so sei doch die kaiserliche Majestät vom Geiste des Heilands voll und werde sich durch keine Bosheit der Feinde darin irren lassen. Indessen glaube er, man dürfe den Kurfürsten von Bayern nicht aus dem Auge verlieren, der ein treuer Erzengel am kaiserlichen Throne sei, und müsse seine immer lauteren Klagen über die Treulosigkeit des Herzogs von Friedland erhören. Nach der Behauptung des Kurfürsten periklitiere sein gesamtes Reich und werde leider gänzlich exterminiert werden, wenn der Kaiser nicht einen gründlichen Modum gegen den Generalissimus effektuieren wollte.
Inzwischen war der Kaiser eingeschlafen, und die Herren setzten die Unterhaltung halblaut fort: dass die Prozedur mit großer Behutsamkeit vorgenommen werden müsse wegen der Unbedenklichkeit von Wallensteins Charakter; dass auch Piccolomini und Gallas der Ansicht wären, sie setzten ihr Leben aufs Spiel, wenn nicht die strengste Heimlichkeit gewahrt würde; dass deshalb zunächst alles im gleichen bleiben und der vertrauliche Verkehr mit dem Verräter fortgesetzt werden müsse, er vielmehr durch besondere Begünstigung in dem Glauben zu erhalten sei, als genieße er mehr Favor als je bei Hofe.
Ja, sagte Strahlendorff, Ungetüme durch ein liebliches Karmen einzuschläfern, die Politik habe man von dem Helden Herkules gelernt, der in solcher Weise mit der gräulichen Schlange dissimuliert habe.
Die Stimme seines Vizekanzlers weckte den Kaiser, und er öffnete die Augen, indem er sagte, von der Schärfe wolle er nun einmal nichts wissen, der Kurfürst von Bayern müsse noch ein wenig vertröstet werden. Inzwischen wolle er nochmals versuchen, Wallenstein durch ernstliches Anziehen der kaiserlichen Obergewalt auf den Weg des Guten zu führen, damit seine Langmut und Gerechtigkeit vor der ganzen Welt stabiliert werde.
Untereinander Blicke wechselnd, nahmen die Räte diese Willensäußerung ihres Herrn beifällig und bewundernd auf, und es wurde ein Brief an Wallenstein aufgesetzt, in welchem der Kaiser ihm nachdrücklich befahl, Regensburg zurückzuerobern und Quartier im Feindesland zu nehmen.