22.

Schaff­gotsch ver­ließ Pil­sen in freu­dig er­reg­ter Stim­mung: der Ge­ne­ral hat­te ihn mit Aus­zeich­nung be­han­delt, ja ihm Ver­trau­en be­wie­sen, als ob er ein al­ter ver­dien­ter Of­fi­zier wäre, so­dass er zu­wei­len das Ge­fühl ge­habt hat­te, als hän­ge Wal­len­stein mehr von ihm ab als um­ge­kehrt. Das konn­te nur da­von kom­men, dass Wal­len­stein kör­per­lich einen so hilflo­sen Ein­druck mach­te; Schaff­gotsch ver­gaß dar­über nicht, wie schnell sei­ne her­ab­las­sen­de Stim­mung um­schla­gen konn­te und wie er, Schaff­gotsch, noch kürz­lich vor sei­nem Zor­ne ge­zit­tert hat­te. Im­mer­hin hat­te sich das Glück, das ihm an­ge­bo­ren zu sein schi­en, be­währt. Die­se ka­pri­zi­öse Dame lieb­te ihn nun ein­mal, viel­leicht weil er hübsch und lie­bens­wür­dig war; je­den­falls konn­te er es sich ge­fal­len las­sen. In sol­chen Be­trach­tun­gen war er, als sein Kam­mer­die­ner, Kon­stan­tin von Weg­ner, an sei­ne Sei­te ritt und ihn frag­te, ob es an dem sei, dass Bres­lau er­le­digt und ganz Schle­si­en frei und evan­ge­lisch wür­de?

Schaff­gotsch dreh­te sich um und zö­ger­te ein we­nig mit der Ant­wort. So weit sei es noch nicht, sag­te er dann. Wo­her Weg­ner das habe?

Er habe in Pil­sen der­glei­chen ge­hört, wis­se ja nicht, was dar­an sei, er­wi­der­te die­ser. Ob der Kai­ser und Wal­len­stein wirk­lich aus­ein­an­der wä­ren?

Das wä­ren nur Miss­hel­lig­kei­ten, sag­te Schaff­gotsch, die sich wohl wie­der zu­zö­gen. Der Kai­ser kön­ne sich nicht rüh­ren ohne Wal­len­stein, müs­se doch zu­letzt nach­ge­ben. Das gan­ze Heer hal­te wie ein Mann zum Ge­ne­ral, das habe sich jetzt klar ge­zeigt.

Weg­ner sag­te, viel­leicht wol­le Gott sich Wal­len­steins be­die­nen, um das Evan­ge­li­um zu ret­ten. Schaff­gotsch sol­le aber doch auf der Hut sein, es sei kein Treu und Glau­ben bei Wal­len­stein.

Wie­so? frag­te Schaff­gotsch schnell. Er, Schaff­gotsch, tue ja nichts Un­rech­tes, ge­hor­che nur sei­nes Ge­ne­rals Be­feh­len.

Es gehe aber ein un­glei­ches Ge­re­de über den Re­vers, den die Of­fi­zie­re un­ter­schrie­ben hät­ten. Er habe sa­gen ge­hört, sie hät­ten es sich nicht un­ter­ste­hen dür­fen, es sei Re­bel­li­on.

Schaff­gotsch fuhr zu­sam­men und wur­de rot. Sie hät­ten ja alle un­ter­schrie­ben, sag­te er, auch Pic­co­lo­mi­ni; da hät­te er sich doch nicht aus­schlie­ßen kön­nen.

Das Ge­spräch hat­te ihn nach­denk­lich ge­macht; denn in Wahr­heit wa­ren auch ihm in Pil­sen al­ler­lei Be­den­ken auf­ge­stie­gen, die die vie­len Ge­schäf­te und Ver­gnü­gun­gen zu­rück­ge­drängt hat­ten. Be­son­ders hat­te es ihm ge­schie­nen, als wi­che Pic­co­lo­mi­ni, des­sen An­sicht er doch so gern er­fah­ren hät­te, ei­ner ver­trau­li­chen Un­ter­re­dung mit ihm aus. Er nahm sich vor, mit Gal­las zu spre­chen, den er in Glo­gau tref­fen wür­de; al­lein­ste­hen woll­te er nicht, son­dern für alle Fäl­le durch die höchs­ten und an­ge­se­hens­ten Of­fi­zie­re ge­deckt sein.

Die­ser Ent­schluss stell­te sei­ne Stim­mung wie­der her, und er rich­te­te Gal­las fröh­lich aus, was Wal­len­stein ihm auf­ge­tra­gen hat­te: dass Gal­las nach Pil­sen ins Haupt­quar­tier kom­men und er, Schaff­gotsch, in­zwi­schen das Kom­man­do über­neh­men soll­te. Gal­las blieb eine Wei­le still und sag­te dann, er wer­de ge­hor­chen. Wie Schaff­gotsch denn den Ge­ne­ral und über­haupt al­les in Pil­sen an­ge­trof­fen habe?

Der Ge­ne­ral sei krank, sag­te Schaff­gotsch, und habe sich mit der Ab­sicht ge­tra­gen, ab­zu­dan­ken. Das hät­ten sie ihm aus­ge­re­det und auch ein Ver­bünd­nis ge­macht, sich nicht von ihm zu tren­nen, so­fern er das Steu­er be­hiel­te. Das sei we­gen der Int­ri­gen am Wie­ner Hofe ge­sche­hen, wo­von Gal­las wohl Be­scheid wis­se. Gal­las sag­te, dass er durch Pic­co­lo­mi­ni da­von un­ter­rich­tet sei.

Nun er­in­ner­te sich Schaff­gotsch ei­nes Brie­fes, den Pic­co­lo­mi­ni ihm für Gal­las an­ver­traut hat­te, zog ihn aus der Ta­sche und gab ihn ab. Wäh­rend Gal­las las, setz­te er sich ans Fens­ter, blick­te hin­aus und hör­te den in der Son­ne schmel­zen­den Schnee vom Da­che trop­fen; un­will­kür­lich klopf­ten sei­ne Fin­ger den lus­ti­gen Marsch­t­akt mit.

Er be­kom­me hier die Nach­richt, sag­te Gal­las end­lich, dass Schaff­gotsch sich nach Ohlau zu­rück­zie­hen und Col­lo­re­do das Ober­kom­man­do in Schle­si­en füh­ren sol­le.

Schaff­gotsch sprang auf und fuhr sich durch die blon­den Haa­re. »Sind wir denn alle när­risch ge­wor­den?« rief er. »Ver­zei­he mir der Herr Ka­me­rad«, fuhr er fort, »aber das tritt den Be­fehl mit Fü­ßen, den ich emp­fan­gen habe.«

Der Ge­ne­ral habe wohl sei­nen Sinn ge­än­dert, sag­te Gal­las; Schaff­gotsch wer­de hof­fent­lich nicht zwei­feln, dass es so sei, wie er ge­sagt habe.

Nein, sag­te Schaff­gotsch, das un­ter­ste­he er sich nicht. Aber ob ein sol­cher Wi­der­spruch Gal­las nicht auch ab­son­der­lich vor­kom­me?

Es gin­gen mehr ab­son­der­li­che Din­ge vor, sag­te Gal­las.

Schaff­gotsch horch­te auf und sah Gal­las auf­merk­sam, fast bit­tend an. Ob Gal­las glau­be, dass es zu ei­nem Bruch zwi­schen dem Kai­ser und Wal­len­stein kom­men wer­de? frag­te er.

Hof­fent­lich las­se es sich ver­mei­den, ant­wor­te­te Gal­las zö­gernd.

Es kam Schaff­gotsch vor, als wäre Gal­las nie so ein­sil­big ge­we­sen wie heu­te. Die Of­fi­zie­re, be­gann er wie­der, schie­nen sämt­lich mit Leib und See­le an Wal­len­stein zu hän­gen. Er, Schaff­gotsch, habe bis jetzt die Ma­xi­me ver­folgt, dem Ge­ne­ral un­be­dingt zu ge­hor­chen. Was ein Of­fi­zier von Ehre auch sonst tun kön­ne? Ob Gal­las es eben­so hiel­te?

»Ja, so­weit es sich mit dem Dienst des Kai­sers ver­trägt«, sag­te Gal­las.

»Das ist selbst­ver­ständ­lich«, sag­te Schaff­gotsch schnell; und wäh­rend er im Zim­mer auf und ab ging, re­de­te er wei­ter: Der lei­di­ge Kon­flikt! Genau be­trach­tet sei es ihm lieb, dass er das Ober­kom­man­do nicht füh­ren müs­se; umso we­ni­ger Verant­wor­tung habe er und brau­che nur zu ge­hor­chen wie ein ge­mei­ner Sol­dat.

Aus Gal­las war nichts an­de­res her­aus­zu­brin­gen, auch scheu­te sich Schaff­gotsch, mehr zu fra­gen. Wer konn­te ihm bür­gen, dass die­se Her­ren nicht Wal­len­stein hin­ter­brach­ten, was er sag­te, um ihm zu scha­den? Schi­en doch Wal­len­stein wie­der­um Miss­trau­en ge­gen ihn ge­schöpft zu ha­ben! So­lan­ge Wal­len­stein Ge­ne­ra­lis­si­mus war, konn­te es ihm nicht übel aus­ge­legt wer­den, wenn er sei­ne Be­feh­le aus­führ­te. Wur­de er vor die end­gül­ti­ge Wahl ge­stellt, stand es ihm im­mer noch frei, sich nach Gut­dün­ken zu ent­schlie­ßen. Be­fand er sich doch auch in Schle­si­en, mit­ten un­ter Lands­leu­ten und Glau­bens­ge­nos­sen, die an ihm hin­gen, und hat­te ein er­ge­be­nes Re­gi­ment, das ihn schüt­zen wür­de; er brauch­te sich nicht von schwar­zen Ge­dan­ken ängs­ti­gen zu las­sen.