24.

Es war Nacht, und der Wind blies um die Bar­tho­lo­mäus­kir­che auf dem Mark­te von Pil­sen. Gal­las saß bei Pic­co­lo­mi­ni und hielt eine ge­leer­te Fla­sche an das Licht mit der Be­mer­kung, es sei kein Trop­fen mehr dar­in, Pic­co­lo­mi­ni sol­le mehr Wein brin­gen las­sen. »Du hast ge­nug«, sag­te Pic­co­lo­mi­ni ab­leh­nend, »du willst in der Frü­he rei­sen.«

Ohne Wein hal­te er die Nacht nicht durch, sag­te Gal­las, Pic­co­lo­mi­ni sol­le ihn um Got­tes wil­len trin­ken las­sen. Wenn er wüss­te, was er, Gal­las, den Tag über aus­ge­stan­den hät­te!

Nun, er­wi­der­te Pic­co­lo­mi­ni, er sit­ze auch auf Dor­nen und müs­se noch län­ger blei­ben. Ein Die­ner brach­te eine vol­le Fla­sche, Gal­las schenk­te sich ein, goss das neu­ge­füll­te Glas hin­un­ter, schüt­tel­te sich und lehn­te sich tief in sei­nen Ses­sel zu­rück. Der Da­niel in der Lö­wen­gru­be sei bes­ser dar­an ge­we­sen, sag­te er. Mit dem Ge­ne­ral ver­trau­lich um­zu­ge­hen und das Ab­set­zungs­de­kret in der Ta­sche zu tra­gen, sei schon et­was selt­sam für einen Ka­va­lier; man kom­me sich vor wie ein Schelm.

»Wa­rum?« sag­te Pic­co­lo­mi­ni; »er ist so gut wie ein an­de­rer Feind des Kai­sers.«

Gal­las starr­te dumpf vor sich hin. Ja, ja, sag­te er, aber man ste­cke doch mit­ten im Kä­fig zwi­schen Lö­wen und Ti­gern, die einen je­den Au­gen­blick in Stücke rei­ßen könn­ten.

Das wohl, sag­te Pic­co­lo­mi­ni; aber der Löwe sei krank, und es schei­ne auch, als ob er noch kei­nen Arg­wohn ge­gen sie ge­schöpft habe. Er über­häu­fe sie ja mit Freund­schafts­be­zei­gun­gen.

Es könn­te auch falsches Spiel sein, mein­te Gal­las, das wür­de ihm glei­chen.

Nein, sag­te Pic­co­lo­mi­ni ent­schie­den, bis jetzt sei kein Trug da­bei. Wal­len­stein habe nun ein­mal Ver­trau­en zu ih­nen und sei ei­gen­sin­nig in sei­nen Ge­müts­nei­gun­gen; er hal­te sie für eben­sol­che Ver­rä­ter, wie er sei. Terz­ka und Illo frei­lich, die wür­den ih­nen gern ein paar Ban­di­ten über den Hals schi­cken.

Gal­las fuhr zu­sam­men; er woll­te ein Ra­scheln an der Haus­tür ge­hört ha­ben. Nicht doch, sag­te Pic­co­lo­mi­ni, der Wind schep­pe­re mit den Schin­deln auf den Dä­chern. Üb­ri­gens wä­ren nur zu­ver­läs­si­ge Leu­te im Hau­se. Pic­co­lo­mi­ni sol­le doch ein­mal aus dem Fens­ter se­hen, bat Gal­las, er habe es zu deut­lich ge­hört. Pic­co­lo­mi­ni stand auf und öff­ne­te das Fens­ter, dass der Wind hin­ein­fuhr und die schwe­ren Vor­hän­ge hin und her bog. Es sei al­les still, sag­te er; ein paar Män­ner kämen über den Platz von Wal­len­steins Hau­se her, er kön­ne sie nicht er­ken­nen. Gal­las zog sich in die Tie­fe des Zim­mers zu­rück; denn bis­wei­len flö­gen auch Ku­geln durchs Fens­ter, sag­te er, man müs­se sehr auf der Hut sein.

Zum Über­fluss wol­le er die Haus­tür dop­pelt be­set­zen las­sen, sag­te Pic­co­lo­mi­ni, un­ter­des­sen sol­le Gal­las sich schla­fen le­gen, Mit­ter­nacht sei längst vor­über, und er wol­le früh auf­bre­chen.

Die Un­ru­he las­se ihn nicht schla­fen, sag­te Gal­las; sie müss­ten ja auch noch ver­ab­re­den, wie sie es hal­ten woll­ten.

So­bald er Nach­richt von Aldrin­gen er­hiel­te, dass eine kla­re Re­so­lu­ti­on ge­fasst sei, sag­te Pic­co­lo­mi­ni, wol­le er auch ab­rei­sen und dazu das Aus­blei­ben des Gal­las zum Vor­wan­de neh­men.

Vor­her müs­se er aber das Pa­tent ver­öf­fent­li­chen, er­in­ner­te Gal­las.

Na­tür­lich, sag­te Pic­co­lo­mi­ni, er wol­le für al­les Sor­ge tra­gen. Gott wer­de ihn be­schüt­zen.

Gal­las seufz­te tief. Lie­ber wäre es ihm ge­we­sen, wenn Wal­len­stein sich wie­der mit dem Kai­ser ver­söhnt hät­te. Aber die Re­bel­len hät­ten ihn im Garn, man kön­ne ihn nicht mehr her­aus­wi­ckeln.

Plötz­lich wur­de er sehr müde, warf sich auf ein Ru­he­bett und schlief ein. Be­vor die Son­ne auf­ging, brach er nach Linz auf, wo­hin Pic­co­lo­mi­ni ihm nach fünf Ta­gen folg­te. Er lang­te bei Nacht an und wur­de von Gal­las mit ei­ner Umar­mung emp­fan­gen. »Das ist ein Wie­der­se­hen, Bru­der­herz!« rief die­ser. Pic­co­lo­mi­ni wer­de er­mü­det sein, müs­se ihm aber doch das Wich­tigs­te erst mel­den.

Die letz­ten Tage wä­ren ihm heiß ge­wor­den, sag­te Pic­co­lo­mi­ni, er wol­le es nicht leug­nen.

»Das will ich glau­ben!« rief Gal­las. Er selbst sei erst in Linz wie­der zum Man­ne ge­wor­den. Und ob al­les gut ex­pe­diert sei? Ob Pic­co­lo­mi­ni das Pa­tent habe an­schla­gen las­sen?

Er habe es an die gut­ge­sinn­ten Of­fi­zie­re ver­teilt, ant­wor­te­te Pic­co­lo­mi­ni, mehr habe er nicht wa­gen dür­fen.

Gal­las nick­te nach­denk­lich. Ja, sie hät­ten ihr Le­ben ge­nug aus­ge­setzt, sag­te er. Das wür­de jetzt aber einen Tu­mult in Pil­sen ge­ben. Und was nun wer­den sol­le? Ob sie den Ge­ne­ral in Pil­sen be­la­gern woll­ten?

»Jetzt steht al­les auf des Schwer­tes Spit­ze«, sag­te Pic­co­lo­mi­ni. »Es kommt al­les dar­auf an, dass in Wien ein he­ro­i­scher Be­schluss ge­fasst wird.«

Aldrin­gen habe viel Ein­fluss in Wien, sag­te Gal­las, und wer­de sei­ne gan­ze Dex­te­ri­tät auf­bie­ten.

In­zwi­schen hat­te sich Pic­co­lo­mi­ni ein we­nig er­frischt und er­holt und kam auf sein Ver­hal­ten in Pil­sen zu­rück. Gal­las wer­de hof­fent­lich nicht zwei­feln, sag­te er, dass er be­reit ge­we­sen wäre, Wal­len­stein dort ge­fan­gen­zu­neh­men. Auf sein Re­gi­ment hät­te er sich ja ver­las­sen kön­nen. Aber ohne be­stimm­ten Be­fehl aus Wien hät­te er sich das doch nicht an­ma­ßen dür­fen.

Der Aus­gang wäre auch zwei­fel­haft ge­we­sen, sag­te Gal­las; man müs­se das ge­wal­ti­ge An­se­hen des Ge­ne­rals im La­ger be­den­ken.

Wie dem auch sei, sag­te Pic­co­lo­mi­ni, er wür­de es ge­wagt ha­ben.

Nach ei­nem kur­z­en Schwei­gen er­kun­dig­te sich Gal­las, wie Wal­len­stein sei­ne Ent­schul­di­gung, dass er krank sei, auf­ge­nom­men habe?

Die Krank­heit kom­me ihm un­ge­bühr­lich vor, habe er ge­sagt, die sich so un­zei­tig ein­stel­le, er­zähl­te Pic­co­lo­mi­ni, wor­auf er mit al­ler Un­be­fan­gen­heit geant­wor­tet hät­te, sie habe Gal­las schon in Pil­sen mo­les­tiert, und der Ge­ne­ral sei ja selbst da­mit be­haf­tet. Da habe er ihn mit dem prä­zi­sen Be­fehl, Gal­las zu ho­len, nach Linz ge­schickt.

Gott schei­ne sei­ne Hand im Spie­le zu ha­ben, sag­te Gal­las, dass der Knäu­el so glatt ab­lie­fe, wie sie ihn ge­wi­ckelt hät­ten.

Er müs­se ih­nen aber noch fer­ner bei­ste­hen, füg­te Pic­co­lo­mi­ni hin­zu; denn der Haupt­schlag sol­le noch ge­führt wer­den.