Am Ostermorgen suchte Herzog Bernhard mit seiner anhaltinischen Base im Schlossgarten von Weimar das erste Veilchen, wobei sie sich in französischer Sprache unterhielten. Es sei noch zu früh im Jahr, sagte Bernhard, da wären nichts als Schneeglöckchen und Krokus. Die Base entgegnete, sie hätten auch andere Jahre um dieselbe Zeit Veilchen gefunden. Ob Bernhard sich nicht an jenes Osterfest erinnere, wo er ihr nach dem Gottesdienst von seinen Zukunftsplänen erzählt habe? Sie errötete dabei, denn sie dachte daran, wie er ihr zum Schluss, gleichsam zur Besiegelung des Gelöbnisses, einen Kuss gegeben hatte. Die kleine Base war ein geschmeidiges Figürchen mit silberblondem Haar, das in zierlichen Zöpfen um ihr blasses, schelmisches Gesicht herumgeflochten war; indem Bernhard ihr zusah, wie sie wegen der Taunässe behutsam in das Gras hineinstieg und sich dann und wann niederbeugte, kam sie ihm wie ein lockendes Phantom vor, das in unaufhaltsam sich wandelnden Traumarabesken vorübereilt. Er schickte sich eben an, ihr zu folgen, als sie sich umwandte und ihm mit neckendem Triumph ein Veilchen hinhielt: eine kurzgestielte, noch zusammengefaltete dunkle Knospe. Auf seine Bitte, ihm den Frühlingsherold als Andenken an den Ostermorgen schenken zu wollen, antwortete sie, ja, sie wolle es gern; aber er müsse ihr dafür versprechen, dazubleiben und sich nicht wieder in das abscheuliche Kriegswesen zu verfangen.
In Weimar bleiben? rief Bernhard; was er denn in Weimar tun solle?
Sie sah ihn ein wenig erstaunt an. Er könne sich einen schönen botanischen Garten anlegen, schlug sie vor, wie ihr Oheim, Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen, oder Schulmeister kommen lassen und dergleichen. Bernhard schüttelte den Kopf. »Das sind Weibersachen«, sagte er; er würde die Melancholie dabei bekommen.
Der Krieg scheine ihn aber auch nicht lustig zu machen, wandte die kleine Base ein.
Lustig? sagte Bernhard, nein, darauf sei es auch nicht abgelegt. Er müsse die Begierde in seiner Brust sättigen. Was für eine Begierde das sei? Die evangelische Kirche und das deutsche Vaterland frei und groß zu machen. Ob sie das denn gar nicht verstehen könne?
Ja, ja, ja, rief sie, sie könne es ja verstehen. Aber sie sähe doch und hörte es auch von anderen, dass vor dem Kriege alles viel besser gewesen sei.
Eben jene glückliche Zeit wolle er wiederbringen, wo das Deutsche Reich geehrt und gefürchtet gewesen sei. Wenn er jetzt das Schwert einsteckte, würden Tyrannei und Falschheit das ganze Reich und vielleicht alle Welt verschlingen. Jetzt sei es aber Zeit zum Gottesdienst, wenn der vorüber sei, wolle er ihr alles besser erklären.
So möchte er wenigstens, sagte sie, sich zärtlich an ihn schmiegend, so lange in Weimar bleiben, bis der Winter ganz vergangen sei; so viel verstehe sie auch, dass es noch zu früh zur Kampagne sei.
Wenn es sich tun ließe, sagte Bernhard, wolle er ihren Wunsch erfüllen. Das wisse sie jawohl, dass er immerdar bei ihr bleiben würde, wenn die Zeit nicht so ernst und gefährlich wäre und seiner bedürfte.
Es kam jedoch während des Gottesdienstes ein Bote, der meldete, dass Aldringen Straubing an der Donau erobert habe, wodurch Bernhards eben gefasster Entschluss umgeworfen wurde. Hatte zunächst auch Aldringen seine Quartiere wieder bezogen, so war doch klar, dass seine Absicht auf Regensburg ging, den kostbaren Gewinn des vergangenen Jahres, der um jeden Preis festgehalten werden musste. Ohnedies hatte man sich denken können, dass der Kaiser sich die Wiedereroberung dieses wichtigen Platzes sehr würde angelegen sein lassen wie dass er sich stark angreifen würde, um seinem Sohne Siegeslorbeeren zuzuwenden, die bewiesen, dass er mehr als Wallenstein vermöchte.
Dem hatte er, Bernhard, nicht viel mehr entgegenzusetzen als seinen Kriegsverstand und seine Tapferkeit. Glücklicherweise hatte Arnim, mit dem er vor einigen Tagen zusammengetroffen war, sich über die Maßen kriegslustig angestellt und erzählt, er habe seinem Kurfürsten rundheraus erklärt, zu Friedenstraktaten lasse er sich nicht mehr gebrauchen, nachdem es mit Wallenstein so übel ausgelaufen sei. Ganz ohne Nutzen habe er dabei seine Reputation eingebüßt und injuriöse Verleumdungen von allen Seiten verschlucken müssen. An den Einfall in Böhmen, hatte er gesagt, sei nun nicht mehr zu denken, anstatt dessen sich erboten, bei der Erhaltung Regensburgs zu konkurrieren.
Die Sorge um Regensburg bewegte Bernhard so sehr, dass der Abschied von der kleinen Base trockener ausfiel, als sie erwartet hatte. Nachdem er während kurzer Zeit eines wohltätigen Friedens in seinem Inneren genossen hatte, begann es wieder zu wurmen und zu wühlen. Er ahnte die Schwierigkeiten, die Horn ihm bereiten würde, ohne den er doch nichts verrichten konnte. Hatte er jemals Hilfe von diesem ihm wider seinen Willen aufgeschnallten Gefährten gehabt? Was tat denn Horn? Womit verbrachte er die Zeit? Er nahm hie und da ein Plätzchen ein, das hernach mit einer Besatzung versehen werden musste, und zehrte, ohne Ertrag zu bringen. Zur Belohnung solcher Großtaten verpflegte er seine Armee im reichen Schwabenlande, während seine, Bernhards, Soldaten, die gearbeitet und etwas ausgerichtet hatten, in ausgesogenen Quartieren darbten. Wenigstens das wollte er jetzt durchsetzen, dass auch sein Heer sich in Schwaben erhalte. Oxenstierna und sein Schwiegersohn Horn sahen ihn nicht gern mächtig und wollten deshalb sein Heer, seine Waffe, schwächen; ihre böse Absicht zunichte zu machen, schien ihm sein Recht, ja seine Pflicht zu sein.
In Ulm, wo Bernhard und Horn sich trafen, kam es zwischen diesen beiden Feldherren zu einem Zusammenstoß.
Er habe sich in höchster Eile aufgemacht, den Herzog um eine Erklärung zu bitten, sagte Horn; wieso der Herzog gleichsam überfallsweise Schwaben überziehe, das ihm, Horn, zum Quartier angewiesen sei?
Schwaben sei noch wohl imstande, sie beide zu ernähren, sagte Bernhard kurz.
Mit dem sorglich geschonten Vorrat würde es nun bald ein Ende haben, entgegnete Horn. Er habe alles gut eingeteilt gehabt, sodass das Land und die Truppen, beide, zufrieden gewesen wären. Auf einmal liefen Klagen über Klagen ein: dies und jenes Bataillon habe seine Lieferungen nicht bekommen, weil die Weimaraner sie an sich gezogen hätten, dies und jenes Dorf solle auf einmal das Doppelte aufbringen, hie und da murre man über Einquartierung, die sich aufdränge, nachdem eben die letzte aufgebrochen sei.
Bei Horns Rede, sagte Bernhard, komme es ihm vor, als sei er in Feindesland.
Wenn Bernhard Schwaben für Feindesland gehalten hätte, erwiderte Horn, hätte er es wohl gemieden.
Wenn Bernhard die spitze, ein wenig aufgesträubte Nase Horns, seine nackten, nörgelnden Augen, seine ganze fröstelnde, herbe Erscheinung ansah, fasste ihn ein solcher Widerwillen, dass er sich schnell abwandte, um das unleidliche Gespenst nicht anzufallen und zu würgen. Als hätte ihn ein böser Geist damit verflucht, versperrte er ihm den Weg oder zerrte ihn rückwärts, wenn er vorwärts wollte; er saß auf seiner Brust und sog sein Blut, während er ihn mit hungrigen Augen anstarrte und zu bannen suchte.
Sie wollten jetzt klar und deutsch miteinander reden, begann er, seine Stimme stärker erhebend, den Blick in eine andere Ecke gerichtet. In Franken könne er sich nicht erhalten; mit der Daumschraube ließen sich da noch ein paar Tropfen auspressen, aber was hülfe das? Man würde das Land zugrunde richten, ohne sich selbst zu nützen. Da er sein Heer nicht verhungern lassen wollte, hätte er es nach Schwaben führen müssen, wo Überfluss sei. Wenn Oxenstierna und Horn es ihm wehrten, so schienen sie seinen Untergang zu wünschen. Ob das der Fall sei? Er wolle es wissen.
Indem der Herzog die Sachen so auf die Spitze triebe, sagte Horn, verwirre er sie nur mehr. Er, Horn, gönne persönlich dem Herzog alles Gute; aber wolle man sich nicht in Grund und Boden ruinieren, so müsse beim Kriegswesen eine gewisse Ordnung herrschen. Wie die Quartiere einmal verteilt wären, so müsse man damit auszukommen suchen, sonst hätte zuletzt keiner mehr etwas.
Wenn die Verteilung so sei, dass einer dabei krepieren müsste, so protestiere er dagegen, sagte Bernhard.
Er solle nach Frankfurt gehen und bei Oxenstierna protestieren, der die Leitung des Kriegswesens in Händen habe, antwortete Horn kalt.
Wie das Schiedsgericht in Frankfurt ausfiele, rief Bernhard, außer sich vor Wut, wisse er zum voraus. Verflucht solle der Augenblick sein, wo er, ein freier deutscher Reichsfürst, sich selbst Fesseln angelegt habe; aber er könne sie auch wieder zerreißen. Die sollten es büßen, die ihn für einen hungrigen Söldner nähmen, der sich schindete, um seine Brotgeber groß zu machen. Möchte immerhin Regensburg verloren gehn, möchte der Kaiser Schwaben überziehn, nach Frankfurt gehn und die Schweden ins Meer jagen; wie sie ihn in der Not verließen, so wolle er ihrem Untergang mit gekreuzten Armen zusehn.
Trotzdem reiste Bernhard am Ende nach Frankfurt, um seine Klagen und Vorwürfe gegen Oxenstierna zu wiederholen, womit er freilich nicht zum gewünschten Ziele kam. Wenn auch mit artigen Worten, entschied Oxenstierna doch dahin, dass Horn die Quartiere betreffend im Rechte sei; ohnehin sei es jetzt Zeit, den Feldzug zu beginnen und für Regensburgs Erhaltung Sorge zu tragen.
Nun betonte Bernhard, um diese Aufgabe zu lösen, müsse er frei über sein Heer verfügen können. Nur dadurch, dass er Generalissimus gewesen sei, hätte Gustav Adolf so große Taten verrichten können; ebenso Wallenstein; er würde sich vergeblich verbluten, wenn er niemals seine ganze Kraft ungehemmt gebrauchen könnte.
Zu Lebzeiten der verstorbenen Majestät, erinnerte Oxenstierna spöttisch, habe Bernhard die Obergewalt des Königs vielfach ungern verspürt.
Das sei ihm wohl bewusst, sagte Bernhard dunkel errötend; es habe dazumal politische Diffikultäten gegeben; jetzt handle es sich nur darum, den gemeinsamen Feind zu besiegen.
Ausweichend versprach der Kanzler, Bernhard solle empfinden, wie eifrig er bestrebt sei, ihn zu sekundieren. Er werde alles Erdenkliche zur Erhaltung Regensburgs aufwenden und Horn anweisen, sich mit ihm, Bernhard, zu diesem Zweck zu konjungieren.
Einigen Trost fand der entrüstete Herzog in Nürnberg, wo der Rat ihn bereitwillig, wenn auch nicht ohne Wehmut, mit Proviant unterstützte. Ihr Haushalt befinde sich in abscheulicher Unordnung, sagte einer der Ratsherren vertraulich zu Bernhard, viele fürstliche Schuldner wären im Rückstande, und dem armen Untertan ließe sich auch nicht mehr viel auspressen. Sie hätten sich aber aus Liebe zum teuren Evangelium mit dem verstorbenen König von Schweden eingelassen und wollten nun auch ihr Äußerstes an Herzog Bernhard setzen, der jenem an Redlichkeit und Gottesfurcht gleiche und noch dazu deutscher Nation sei.
Bernhard sprach davon, wie große Stücke Gustav Adolf auf die Stadt Nürnberg gehalten und dass er oft gesagt habe, wenn alle seine Bundesgenossen im Reich vom Feinde bedroht wären, würde er Nürnberg vor allen zu retten suchen.
Der Ratsherr nickte trübe und sagte, Bernhard werde ihrer hoffentlich auch nicht vergessen, wenn sie angegriffen würden.
Sie wären die einzigen, erwiderte Bernhard, bei denen er nie vergebens anklopfte, das werde er den Herren treu gedenken. In Frankfurt sei er, der allein noch Libertät und Evangelium verteidigte, wie ein lästiger Bettler behandelt worden. Wohin wäre die Liebe des Vaterlandes gekommen! Um das Ihre in Ruhe genießen zu können, verkauften sie das anvertraute Reich an Frankreich.
Auch ihnen habe das nicht gefallen wollen, sagte der Ratsherr. Ein anderes Ding sei es mit den Schweden gewesen, die das Evangelium in höchster Bedrängnis vor dem Papsttum gerettet hätten. Verhandelte man sich aber an den katholischen König von Frankreich, so sei zu fürchten, dass Gott das nicht ungestraft passieren ließe. Es könne doch kein Evangelischer das warnende Exempel der gräulichen Bartholomäusnacht und des stromweis vergossenen Heiligenbluts vergessen, noch sei zu glauben, dass derselbe König, der die Evangelischen im eigenen Lande grausam verfolge und noch dazu seit alters begehrlich nach dem Rheine schiele, es mit den armen Deutschen redlich meine. Sie wollten ihre Stimme in Frankfurt ernstlich gegen einen solchen Handel erheben und hätten auch ihre bundesverwandten Städte ermahnt, das Ihre zu tun, damit Philippsburg nicht übergeben würde.
Dergleichen fromme altdeutsche Gesinnung, sagte Bernhard, sei leider ausgestorben. Er setze aber seine Hoffnung auf Gott; wenn sie ausharrten und seine Gebote hielten, so werde er ihre Treue krönen, wenn möglich auf Erden, sonst aber in der Ewigkeit.