König Ferdinand von Ungarn wollte von strenger Bestrafung der Städte Regensburg und Nördlingen nichts wissen, nach altkaiserlichem Grundsatze die Städte im Reich als seine Stütze schonend und schirmend; der olympischen Natur des Kaisers, sagte er, stehe die Rache nicht an, was zu ihm gehöre, trete sofort in den Lichtkreis der Gnade. Hingegen sollte sein Blitz das feindliche Heer treffen, das nach der unglücklichen Schlacht aufgelöst, des einen seiner Feldherren, nämlich des gefangenen Horn, beraubt, durch stramme Verfolgung leicht hätte gänzlich vernichtet werden können. Allein der Kardinalinfant von Spanien glaubte die verwandtschaftliche Pflicht damit erfüllt zu haben, dass er durch sein Erscheinen dem österreichischen Vetter zum Sieg verholfen hatte. In einer Hinsicht war es Ferdinand zufrieden, seine Lorbeeren nicht länger mit dem Kardinalinfanten teilen zu müssen, und er begnügte sich, das feindliche Gebiet nach allen Seiten mit seinen Truppen zu überschwemmen. Zunächst wurde Schwaben betroffen, dessen junger Herzog Eberhard nach Straßburg entfloh und sich unter französischen Schutz stellte.
Von den Soldaten, die Tübingen einnahmen, fiel ein kleiner Trupp in das Haus des Professors Schickard ein, wo sich zurzeit nur seine Mutter, seine Schwester und sein kleiner Sohn befanden, während er selbst mit mehreren Kollegen in der Universität war, um Schutzwachen für dieselbe wie für den ganzen Lehrkörper zu erwirken. Die Tochter hatte der Mutter vorgeschlagen, als der Lärm in die Straße drang, sie wollten sich irgendwo, im Keller oder unter dem Dache, verbergen; allein die alte Frau erwiderte, sie habe keine Furcht, da sie in Gottes Hand stehe, und getraue sich, mit den Männern fertig zu werden; es würden ja keine Teufel sein. Das erste war, dass die Leute Wein verlangten, den die Mutter ihrer Tochter aus dem Keller zu holen befahl; allein jene rissen ihr die Schlüssel aus der Hand, zapften ihn selbst und tranken. Ein wenig berauscht, begannen sie Truhen und Kästen zu öffnen, Kleider und Kostbarkeiten herauszureißen und in Bündel zu packen, endlich drangen sie in das Arbeitszimmer des Professors und wühlten unter seinen Büchern. Die Frau, die bis dahin, die Tochter an der einen, den Enkel an der anderen Hand haltend, ruhig zugesehen hatte, trat jetzt auf die Soldaten zu mit den Worten, das wären die Bücher ihres Sohnes, des Professors, die dürften sie nicht anrühren. Einer der Soldaten herrschte sie an, sie solle schweigen, sie könnten ihr auch das Dach über dem Kopfe anzünden. »Was hättet ihr davon?« sagte die Frau, »und was habt ihr davon, diese Bücher zu zerreißen? Für euch sind sie wertlos; aber mein Sohn bedarf ihrer zur Arbeit.« Die Soldaten waren im Begriff, ihr nachzugeben, als einer rief, es wären ketzerische Bücher und verdienten verbrannt zu werden; wobei er mehrere ergriff, auseinanderriss, zu Boden warf und mit Füßen trat.
»Pfui!« rief die Alte, »den Wein mögt ihr verschütten und die Kleider zerreißen; aber wenn ihr das edle Geisteswort schändet, seid ihr Heiden und Mamelucken vergleichbar.«
Diese Anrede erregte die Wut der Soldaten, und sie packten sie an, um sie von den Bücherregalen, vor die sie sich wie zum Schutz gestellt hatte, wegzureißen. Dabei wurde sie verwundet, dass das Blut über ihre Hände lief, worüber der Kleine, der an ihrem Rocke hing, in ein Jammergeschrei ausbrach. Sie bückte sich zu ihm herab und flüsterte ihm zu, er solle sich im Dachboden verstecken, dagegen suchten er und ihre Tochter sie fortzuziehen. Mittlerweile schalten die Soldaten auf sie los, sie sei eine verfluchte ketzerische Hexe, glaube nicht an Gott und müsse hin werden. »Wenn ich nicht an Gott glaubte«, verteidigte sie sich, »so wäre ich vor euch davongelaufen; aber ich fürchte mich nicht, weil ich weiß, dass Gott über euch und über mir ist.« Einer zog ein Muttergottesbild aus der Tasche und hielt es ihr hin: wenn sie ihr Leben erhalten wolle, so solle sie das Bild anbeten. Sie schüttelte den Kopf und sagte, nein, das könne sie nicht; sie verehre die Mutter des Herrn, aber sie bete nur Gott an. Nun fielen die Soldaten, mit Gewehrkolben schlagend und mit Messern stechend, über sie her; auch ihre Tochter, die sich dazwischenwerfen wollte, wurde verletzt, indes der Kleine, um den Vater zur Hilfe zu holen, davonlief. Er traf ihn auf der Straße, sich einen Weg durch das Getümmel bahnend, und trieb ihn zu verdoppelter Eile an; im Hause, das die Plünderer inzwischen verlassen hatten, fanden sie die beiden Frauen anscheinend leblos zwischen den Büchern am Boden liegen.
Es zeigte sich, dass die Wunden, die Schickards Schwester empfangen hatte, nicht tödlich waren; aber für die alte Frau war keine Hoffnung. Wenn sie zuweilen zum Bewusstsein kam und ihren Sohn an ihrem Bette sitzen sah, den kummervollen Blick auf sie gerichtet, suchte sie ihn mit leiser Stimme zu trösten und ermahnte ihn, sich als ein Christ in den Willen Gottes zu ergeben. »Zu sterben bin ich bereit«, entgegnete er, »aber kann ein Baum grünen ohne Erde für seine Wurzeln? Meine Mutter war meine Erde, mein Luft und Licht, mein Tau und Regen.«
Dreißig Jahre lang, sagte die alte Frau träumerisch, sei sie nun Witwe und habe täglich ihr Herz stark gemacht, um ihren Kindern Vater und Mutter zu sein; nun dürfe sie ruhen. Nun sei es an ihren Kindern, festzustehen und weiterzukämpfen, bis Gott auch sie abriefe. Sie sollten seinen kleinen mutterlosen Sohn zu einem frommen, tapferen, redlichen Mann erziehen, damit sie einst alle in Gott vereinigt würden.
»Es wird kein Glück und Stern bei mir sein ohne meine Mutter«, sagte Schickard traurig.
Nachdem die Ordnung in der eroberten Stadt ein wenig wieder hergestellt war, kamen die Freunde der Familie und berichteten ein jeder von seinem Jammer. Was die Professoren besonders bewegte, war das Verhalten ihres Kollegen, des berühmten Rechtsgelehrten Besold, der sich dem Sieger zur Verfügung gestellt hatte mit der Erklärung, dass er bereits vor fünf Jahren heimlich zur katholischen Kirche übergetreten sei. Jahrelang hatte der Abtrünnige sie mit der Miene des Freundes betrogen, hatte jahrelang schelmisch die Früchte seines durch Lug und Trug bewahrten Amtes eingeheimst. Ein Spion und Wolf im Schafspelz war der scharfsinnige, gesellige und sanfte Mann geworden und frohlockte wohl nun mit den blutigen Eroberern über den Fall seines Vaterlandes.
Im Kampfe mit dem Teufel, sagte Schickards Mutter schwach aus ihren Kissen hervor, komme es darauf an, dass man ihm von Anfang an das Ohr verschließe. Lasse man sich seine süßen Schmeichelreden einmal eingehen, so sei damit eine Schlinge umgeworfen, mit der man bald festgebunden sei; dann sei man Sklave und müsse dem Tyrannen in die Hölle folgen. Tag und Nacht müsse man gerüstet sein und, wenn man den buhlerischen Atem des Verführers spüre, sich ritterlich wehren. Dazu sei der unglückliche Besold wohl zu weichlich und schwach gewesen.
Gerade die feinen und gelehrten Geister, sagte Professor Lansius, würden oftmals durch die Sophismen und jesuitische Scheinweisheit des Teufels betört, weil ihrem im Tüfteln geübten Geist solche Kost schmeckte. Nur wenn einfältige Treue und Wahrheit dabeibliebe, sei Gott die Gelehrsamkeit wohlgefällig.
»Ja«, sagte die Alte, »wäre Eva nicht ein Leckermaul gewesen, so hätte sie nicht in das Äpflein der Schlange gebissen, desgleichen Adam.«
In das Gespräch hinein scholl plötzlich Glockengeläut wie die schaurig ahnungsvolle Stimme des gewitterschwülen Sommernachmittags. Es würden alle diejenigen begraben, erklärte Lansius der kranken Frau, die an dem unheilvollen Tage von den Soldaten umgebracht oder sonst verunglückt wären. Wegen der großen Anzahl der Toten und weil der Weg zum Friedhof vor dem Tore gefährlich wäre, würden sie ohne geistlichen Beistand in eine gemeinsame Grube gelegt.
Die Alte faltete ihre zitternden Hände und dankte Gott, dass er sie ein Weilchen länger leben lasse; so würde sie doch vielleicht ein Ruhebettlein für sich und ein Gebet erhalten.
Diese Hoffnung verwirklichte sich; denn als sie Ende September starb, konnte man wagen, zum ersten Male wieder eine Beerdigung in der herkömmlichen Weise vorzunehmen. Schickard, ihr Sohn, wurde dadurch nicht getröstet, kaum vermochte ihn das Zureden der Schwester, sich ein wenig zusammenzunehmen. Obwohl selbst noch krank an ihren Wunden, stand sie auf, um sich des Hauswesens anzunehmen, und ermahnte ihn, sie hätten von der Mutter gelernt, dass es unchristlich sei, sich der Verzweiflung hinzugeben, er solle auf den Kleinen sehen, der still mit gefalteten Händen im Winkel auf dem Bänklein sitze, die Augen voll Tränen, jedoch ohne zu klagen. Es sei eben heute der Tag, an dem sie vor dreißig Jahren den Vater verloren und den sie von jeher mit Gedanken an Gott und Gottes wunderbare Ratschläge gefeiert hätten. Sie wollten es jetzt ebenso machen und eingedenk sein, dass ihre Mutter, obwohl unsichtbar, in ihrer Mitte weile.
Schickard nahm sich die Worte der Schwester zu Herzen; aber nach wenigen Wochen erklärte er, das Elend nicht länger ertragen und den Übermut der papistischen Söldner nicht länger ansehen zu können, und verließ mit seinem Sohne Tübingen.