35.

Der Pre­di­ger der Haupt­kir­che in Pir­na hat­te den Se­gen aus­ge­teilt, und die sonn­täg­lich schwarz­ge­klei­de­te Ge­mein­de ström­te lang­sam aus dem ge­öff­ne­ten Tore in die Hel­lig­keit des Sep­tem­ber­ta­ges. Blass­gel­bes Licht war wie Wein er­gos­sen und dämpf­te und ver­schmolz die Häu­ser, Bäu­me und Men­schen, dass sie wie ein fer­nes Bild in ei­nem sil­ber­nen Zau­ber­spie­gel er­schie­nen. Von den Kirch­gän­gern, die paar­wei­se un­ter halb­lau­ten Ge­sprä­chen heim­gin­gen, blie­ben ei­ni­ge vor dem Hau­se des Apo­the­kers am Mark­te ste­hen, des­sen Mau­er durch einen Ro­sen­strauch über­wu­chert war, und wie­sen auf eine Rose, die sie zwi­schen den Blät­tern ent­deckt hat­ten; es war eine ge­füll­te Rose von der wei­ßen Far­be, wie man sie an ver­gilb­tem At­las oder an wei­ßen Kir­chen­fens­tern sieht. Der Apo­the­ker wun­der­te sich, dass er sie noch nicht wahr­ge­nom­men hat­te, und er­klär­te es da­mit, dass der Strauch nicht zwei­mal zu blü­hen pfle­ge, er ihn also nicht dar­auf­hin be­ach­tet hät­te.

Al­ler­dings sei es fast ein Wun­der, setz­te sei­ne Frau hin­zu, dass der Strauch um die­se Jah­res­zeit eine Rose trü­ge, noch dazu von sol­cher Lieb­lich­keit, und sie möge nichts an­de­res sein als eine Bo­tin Got­tes, die den ar­men Men­schen den Frie­den ver­kün­di­gen soll­te.

Ja, sag­te ein Nach­bar, und da­mit stim­me es auch zu­sam­men, dass im ge­gen­über­lie­gen­den Hau­se der kai­ser­li­che Ge­sand­te sein Quar­tier habe, der mit dem Kur­fürs­ten we­gen des Frie­dens trak­tie­re. Wenn er der Apo­the­ker wäre, wür­de er ihm die Rose zum Ge­schenk an­bie­ten, als ein Sym­bo­lum, durch wel­ches er viel­leicht zu ver­dop­pel­tem Ei­fer an­ge­trie­ben wür­de.

Der Apo­the­ker bil­lig­te den Ein­fall, zu­mal bei der Ge­sandt­schaft gute from­me Leu­te zu sein schie­nen. In Dres­den hät­ten die Trom­pe­ter so­gar einen lu­the­ri­schen Psalm zum Fens­ter hin­aus­ge­bla­sen, wor­an sich alle Um­woh­nen­den sehr er­baut hät­ten. Hin­ge­gen woll­te sei­ne Frau nichts da­von wis­sen, son­dern mein­te, man ver­ja­ge auch die Schwal­ben nicht, die im Hau­se nis­te­ten, wie viel we­ni­ger sol­le man sich die­ses zu­ge­flo­ge­nen Gas­tes aus dem Pa­ra­die­se be­rau­ben. Da je­doch der Pfar­rer, der in­zwi­schen auch her­an­ge­kom­men war, die An­sicht äu­ßer­te, dass das Ge­müt des kai­ser­li­chen Ge­sand­ten, Gra­fen Trautt­mans­dorff, durch die edle Blu­me etwa ver­söhn­lich und fried­lie­bend ge­stimmt und da­durch dem ar­men, not­lei­den­den Va­ter­lan­de die hoch­nö­ti­ge Hil­fe kön­ne zu­ge­wen­det wer­den, gab sie nach und schnitt un­ter den ge­spann­ten und bei­fäl­li­gen Bli­cken der Nach­bar­schaft selbst die Rose aus dem Ge­sträuch.

Mitt­ler­wei­le un­ter­re­de­te sich Graf Trautt­mans­dorff mit ei­nem säch­si­schen Kam­mer­herrn, der den Auf­trag hat­te, die Nach­gie­big­keit, zu wel­cher Jo­hann Ge­org be­reits ent­schlos­sen war, nach Mög­lich­keit he­ro­isch zu ver­klei­den und teu­er zu ver­kau­fen. Dem Kur­fürs­ten, sag­te er, wä­ren die Tra­di­tio­nen sei­nes Hau­ses hei­lig, und die vor­nehms­te die­ser Tra­di­tio­nen sei An­häng­lich­keit an das Kaiser­haus. Er habe kein Op­fer ge­scheut, um ihr treu zu blei­ben, habe Land und Leu­te, Blut und Gut da­hin­ge­ge­ben. Aber sein Glau­ben und sei­ne Ehre wä­ren ihm, als dem Haup­te der Evan­ge­li­schen im Rei­che, gleich­falls hei­lig.

Frei­lich, frei­lich, ant­wor­te­te Trautt­mans­dorff, der Kur­fürst habe doch aber auch Land und Leu­te ge­won­nen. Der Kai­ser sei be­reit, den Kur­fürs­ten im Be­sitz der Lau­sitz zu be­stä­ti­gen und sei­nem Soh­ne das Erz­bis­tum Mag­de­burg zu über­las­sen, und dass der Kai­ser ihn, den Kur­fürs­ten, bei sei­nem Augs­bur­gi­schen Be­kennt­nis nicht per­tur­bie­ren wer­de, dar­an wer­de der Kur­fürst doch nicht zwei­feln. Die al­ten Ver­trä­ge wol­le der Kai­ser alle hal­ten, nur soll­ten kei­ne Neue­run­gen, wie die so­ge­nann­te kal­vi­ni­sche Re­li­gi­on, ins Reich ein­ge­nis­tet wer­den, zu wel­cher der Kur­fürst ja auch kein Be­lie­ben tra­ge. Es sei dem Kai­ser durch­aus dar­um zu tun, den al­ten Bund mit dem Kur­fürs­ten zu er­neu­ern und zu ver­stär­ken.

»Con­cor­dia res par­vae cres­cunt, durch Ein­tracht wächst das Ge­rin­ge«, sag­te ein Trautt­mans­dorff bei­ge­ord­ne­ter jun­ger Graf, der ein lan­ges, fa­des Ge­sicht hat­te und rat­los lä­chel­te.

Das sei es ja eben, sag­te der säch­si­sche Kam­mer­herr, der Kur­fürst habe doch auch einen Bund mit den Schwe­den ge­schlos­sen, nicht aus dem Ge­müt, son­dern der Staats­ver­nunft we­gen, und es sei sei­ner fürst­li­chen Ehre zu­wi­der, die­je­ni­gen, die noch kürz­lich sei­ne Bun­des­ver­wand­ten und Mit­kämp­fer ge­we­sen wä­ren, mit dem Schwert aus dem Lan­de zu ja­gen.

Trautt­mans­dorff zuck­te die Ach­seln. Der Bund sei durch den Tod des ver­stor­be­nen Gu­stav Adolf auf­ge­ho­ben ge­we­sen, sag­te er. Nach­her sei al­les ver­än­dert, und in Wien wis­se man ge­nau, wie un­wil­lig der Kur­fürst die Prä­ten­tio­nen des hof­fär­ti­gen Oxens­tier­na und das Ty­ran­ni­sie­ren des gro­ben Banér er­tra­gen habe. Der Kur­fürst wer­de, wie an­de­re Stän­de auch, fröh­lich auf­at­men, wenn die hung­ri­gen Heuschre­cken ein­mal ins Meer ge­wor­fen wä­ren.

»Non sit al­te­ri­us qui suus esse po­test«, sag­te der jun­ge Graf, »wer sein selbst ei­gen sein kann, soll kei­nem an­de­ren an­ge­hö­ren.«

Al­ler­dings wäre dem Kur­fürs­ten nichts lie­ber, sag­te der Kam­mer­herr; aber sich selbst da­bei hand­ge­mein zu ma­chen, das sei doch eine an­de­re Sa­che. Auch wäre vor­aus­zu­se­hen, dass die Schwe­den sich nicht gut­wil­lig wer­fen lie­ßen, und so hät­te der Kur­fürst an­statt des er­wünsch­ten Frie­dens einen neu­en und viel hit­zi­ge­ren Krieg auf dem Hal­se, des­sen Been­di­gung nicht ein­mal von ihm ab­hin­ge, wenn er ihn nicht im ei­ge­nen Na­men, son­dern un­ter der Di­rek­ti­on des Kai­sers führ­te.

»Mars gra­vi­or sub pace la­tet«, sag­te der jun­ge Graf, »un­ter dem lie­ben Frie­den pflegt oft ein är­ge­rer Krieg zu lau­ern.«

Mit dem Frie­den wer­de es viel­leicht lei­der noch eine Wei­le an­stehn, sag­te Trautt­mans­dorff. Es sei aber we­nigs­tens ein­mal die Ba­sis für eine zu­künf­ti­ge Ord­nung im Reich ge­schaf­fen, wenn Kai­ser und Kur­fürst wie­der zu­sam­men­gin­gen. Erst müs­se das alte Sys­tem wie­der her­ge­stellt wer­den, das sei das ver­trau­te Nest, in wel­chem der wie­der­keh­ren­de Frie­de sich si­cher an­sie­deln wer­de. Was die Schwe­den an­be­tref­fe, so be­stä­tig­ten täg­lich ein­tref­fen­de Nach­rich­ten, dass der jun­ge kai­ser­li­che Ad­ler sie bei Nörd­lin­gen völ­lig zer­zaust hät­te; man brau­che ih­nen nur noch den Gna­den­stoß zu ge­ben.

Mit der Er­wäh­nung der Nörd­lin­ger Schlacht leg­te Trautt­mans­dorff dem Kam­mer­herrn gleich­sam eine Schrau­be an, in wel­cher er sich krümm­te, ohne so­fort eine Er­wi­de­rung zu fin­den, und in der da­durch ent­ste­hen­den Pau­se trat der Apo­the­ker, die Rose in der Hand, nebst zwei an­de­ren Bür­gern ein. Er neh­me sich her­aus, sag­te der Apo­the­ker, dem Herrn Gra­fen die Rose zu über­rei­chen, die in die­ser herbst­li­chen Jah­res­zeit in sei­nem Gar­ten er­blüht sei und von je­der­mann als ein Wun­der­zei­chen be­trach­tet wer­de. In ih­rem Duft und ih­rer Sanft­heit glei­che sie ei­nem Bal­sam, wie ihn wohl Ärz­te auf blu­ten­de Wun­den stri­chen und wie das frie­de­ver­lan­gen­de Deutsch­land ihn be­nö­ti­ge; des­halb sei er mit der Bür­ger­schaft über­ein­ge­kom­men, sie dem Gra­fen Trautt­mans­dorff, als dem viel­ver­mö­gen­den Be­för­de­rer des Frie­dens, dar­zu­brin­gen.

Trautt­mans­dorff nahm die Rose ent­ge­gen, und in­dem er sie be­trach­te­te, wur­den ihm un­ver­se­hens die Au­gen feucht. Die­ser Kelch, sag­te er, sei so jung­fräu­lich wie der Schoß der Ma­don­na, und so möge er al­ler­dings den Hei­land ver­hei­ßen, der Frie­den hei­ße.

Ja, das glaub­ten sie alle, sag­te der Apo­the­ker, die Hän­de fal­tend, Gott habe die­se Trost­blu­me ge­wiss nicht um­sonst er­blü­hen las­sen, und er habe sie in Über­ein­stim­mung mit dem Herrn Pfar­rer rosa pa­cis, Frie­dens­ro­se, ge­nannt.

»Eti­am no­men pa­cis sua­ve et ama­bi­le«, sag­te der lä­cheln­de jun­ge Graf, »schon der Name des Frie­dens ist süß und lie­bens­wür­dig.«

Es wer­de ja nun auch nicht lan­ge mehr da­mit an­ste­hen, sag­te der Kam­mer­herr; der Kur­fürst las­se sich’s nicht ver­drie­ßen, Tag und Nacht zu ar­bei­ten, da­mit er sei­nem Vol­ke die­se Him­mels­ga­be be­sche­ren könn­te.

Die Rose sei nur ein ge­brech­li­ches Gleich­nis, sag­te der Apo­the­ker; aber der Frie­de, auf den sie deu­te, möge dau­ern wie Bäu­me, ja wie Fel­sen.

Er wol­le den zar­ten Spät­ling, sag­te Trautt­mans­dorff, in ein Was­ser­glas un­ter das Bild des Ge­kreu­zig­ten, also gleich­sam in gött­li­che Ob­hut stel­len, da­mit sie sich lan­ge er­hal­te.

Der Apo­the­ker blick­te miss­trau­isch nach dem Kru­zi­fix, das über ei­nem Bet­sche­mel in ei­ner Ecke des Zim­mers an­ge­bracht war; in­des­sen nach­dem er sich be­son­nen und ei­ni­ge Male ge­räus­pert hat­te, sag­te er, sie wä­ren zwar, wie dem Herrn Gra­fen be­kannt sein wer­de, evan­ge­lisch, aber der Gott der Ka­tho­li­ken sei dem ih­ri­gen wohl nicht so fremd, dass sie ihm nicht gern, aus de­mü­ti­gem Her­zen und um des Frie­dens wil­len, ein lie­bes Klein­od op­fer­ten.

Trautt­mans­dorff ver­sprach, die löb­li­che Ge­sin­nung der Pir­na­er Bür­ger­schaft dem Kai­ser zu mel­den; der Lohn wer­de nicht aus­blei­ben.