Der Prediger der Hauptkirche in Pirna hatte den Segen ausgeteilt, und die sonntäglich schwarzgekleidete Gemeinde strömte langsam aus dem geöffneten Tore in die Helligkeit des Septembertages. Blassgelbes Licht war wie Wein ergossen und dämpfte und verschmolz die Häuser, Bäume und Menschen, dass sie wie ein fernes Bild in einem silbernen Zauberspiegel erschienen. Von den Kirchgängern, die paarweise unter halblauten Gesprächen heimgingen, blieben einige vor dem Hause des Apothekers am Markte stehen, dessen Mauer durch einen Rosenstrauch überwuchert war, und wiesen auf eine Rose, die sie zwischen den Blättern entdeckt hatten; es war eine gefüllte Rose von der weißen Farbe, wie man sie an vergilbtem Atlas oder an weißen Kirchenfenstern sieht. Der Apotheker wunderte sich, dass er sie noch nicht wahrgenommen hatte, und erklärte es damit, dass der Strauch nicht zweimal zu blühen pflege, er ihn also nicht daraufhin beachtet hätte.
Allerdings sei es fast ein Wunder, setzte seine Frau hinzu, dass der Strauch um diese Jahreszeit eine Rose trüge, noch dazu von solcher Lieblichkeit, und sie möge nichts anderes sein als eine Botin Gottes, die den armen Menschen den Frieden verkündigen sollte.
Ja, sagte ein Nachbar, und damit stimme es auch zusammen, dass im gegenüberliegenden Hause der kaiserliche Gesandte sein Quartier habe, der mit dem Kurfürsten wegen des Friedens traktiere. Wenn er der Apotheker wäre, würde er ihm die Rose zum Geschenk anbieten, als ein Symbolum, durch welches er vielleicht zu verdoppeltem Eifer angetrieben würde.
Der Apotheker billigte den Einfall, zumal bei der Gesandtschaft gute fromme Leute zu sein schienen. In Dresden hätten die Trompeter sogar einen lutherischen Psalm zum Fenster hinausgeblasen, woran sich alle Umwohnenden sehr erbaut hätten. Hingegen wollte seine Frau nichts davon wissen, sondern meinte, man verjage auch die Schwalben nicht, die im Hause nisteten, wie viel weniger solle man sich dieses zugeflogenen Gastes aus dem Paradiese berauben. Da jedoch der Pfarrer, der inzwischen auch herangekommen war, die Ansicht äußerte, dass das Gemüt des kaiserlichen Gesandten, Grafen Trauttmansdorff, durch die edle Blume etwa versöhnlich und friedliebend gestimmt und dadurch dem armen, notleidenden Vaterlande die hochnötige Hilfe könne zugewendet werden, gab sie nach und schnitt unter den gespannten und beifälligen Blicken der Nachbarschaft selbst die Rose aus dem Gesträuch.
Mittlerweile unterredete sich Graf Trauttmansdorff mit einem sächsischen Kammerherrn, der den Auftrag hatte, die Nachgiebigkeit, zu welcher Johann Georg bereits entschlossen war, nach Möglichkeit heroisch zu verkleiden und teuer zu verkaufen. Dem Kurfürsten, sagte er, wären die Traditionen seines Hauses heilig, und die vornehmste dieser Traditionen sei Anhänglichkeit an das Kaiserhaus. Er habe kein Opfer gescheut, um ihr treu zu bleiben, habe Land und Leute, Blut und Gut dahingegeben. Aber sein Glauben und seine Ehre wären ihm, als dem Haupte der Evangelischen im Reiche, gleichfalls heilig.
Freilich, freilich, antwortete Trauttmansdorff, der Kurfürst habe doch aber auch Land und Leute gewonnen. Der Kaiser sei bereit, den Kurfürsten im Besitz der Lausitz zu bestätigen und seinem Sohne das Erzbistum Magdeburg zu überlassen, und dass der Kaiser ihn, den Kurfürsten, bei seinem Augsburgischen Bekenntnis nicht perturbieren werde, daran werde der Kurfürst doch nicht zweifeln. Die alten Verträge wolle der Kaiser alle halten, nur sollten keine Neuerungen, wie die sogenannte kalvinische Religion, ins Reich eingenistet werden, zu welcher der Kurfürst ja auch kein Belieben trage. Es sei dem Kaiser durchaus darum zu tun, den alten Bund mit dem Kurfürsten zu erneuern und zu verstärken.
»Concordia res parvae crescunt, durch Eintracht wächst das Geringe«, sagte ein Trauttmansdorff beigeordneter junger Graf, der ein langes, fades Gesicht hatte und ratlos lächelte.
Das sei es ja eben, sagte der sächsische Kammerherr, der Kurfürst habe doch auch einen Bund mit den Schweden geschlossen, nicht aus dem Gemüt, sondern der Staatsvernunft wegen, und es sei seiner fürstlichen Ehre zuwider, diejenigen, die noch kürzlich seine Bundesverwandten und Mitkämpfer gewesen wären, mit dem Schwert aus dem Lande zu jagen.
Trauttmansdorff zuckte die Achseln. Der Bund sei durch den Tod des verstorbenen Gustav Adolf aufgehoben gewesen, sagte er. Nachher sei alles verändert, und in Wien wisse man genau, wie unwillig der Kurfürst die Prätentionen des hoffärtigen Oxenstierna und das Tyrannisieren des groben Banér ertragen habe. Der Kurfürst werde, wie andere Stände auch, fröhlich aufatmen, wenn die hungrigen Heuschrecken einmal ins Meer geworfen wären.
»Non sit alterius qui suus esse potest«, sagte der junge Graf, »wer sein selbst eigen sein kann, soll keinem anderen angehören.«
Allerdings wäre dem Kurfürsten nichts lieber, sagte der Kammerherr; aber sich selbst dabei handgemein zu machen, das sei doch eine andere Sache. Auch wäre vorauszusehen, dass die Schweden sich nicht gutwillig werfen ließen, und so hätte der Kurfürst anstatt des erwünschten Friedens einen neuen und viel hitzigeren Krieg auf dem Halse, dessen Beendigung nicht einmal von ihm abhinge, wenn er ihn nicht im eigenen Namen, sondern unter der Direktion des Kaisers führte.
»Mars gravior sub pace latet«, sagte der junge Graf, »unter dem lieben Frieden pflegt oft ein ärgerer Krieg zu lauern.«
Mit dem Frieden werde es vielleicht leider noch eine Weile anstehn, sagte Trauttmansdorff. Es sei aber wenigstens einmal die Basis für eine zukünftige Ordnung im Reich geschaffen, wenn Kaiser und Kurfürst wieder zusammengingen. Erst müsse das alte System wieder hergestellt werden, das sei das vertraute Nest, in welchem der wiederkehrende Friede sich sicher ansiedeln werde. Was die Schweden anbetreffe, so bestätigten täglich eintreffende Nachrichten, dass der junge kaiserliche Adler sie bei Nördlingen völlig zerzaust hätte; man brauche ihnen nur noch den Gnadenstoß zu geben.
Mit der Erwähnung der Nördlinger Schlacht legte Trauttmansdorff dem Kammerherrn gleichsam eine Schraube an, in welcher er sich krümmte, ohne sofort eine Erwiderung zu finden, und in der dadurch entstehenden Pause trat der Apotheker, die Rose in der Hand, nebst zwei anderen Bürgern ein. Er nehme sich heraus, sagte der Apotheker, dem Herrn Grafen die Rose zu überreichen, die in dieser herbstlichen Jahreszeit in seinem Garten erblüht sei und von jedermann als ein Wunderzeichen betrachtet werde. In ihrem Duft und ihrer Sanftheit gleiche sie einem Balsam, wie ihn wohl Ärzte auf blutende Wunden strichen und wie das friedeverlangende Deutschland ihn benötige; deshalb sei er mit der Bürgerschaft übereingekommen, sie dem Grafen Trauttmansdorff, als dem vielvermögenden Beförderer des Friedens, darzubringen.
Trauttmansdorff nahm die Rose entgegen, und indem er sie betrachtete, wurden ihm unversehens die Augen feucht. Dieser Kelch, sagte er, sei so jungfräulich wie der Schoß der Madonna, und so möge er allerdings den Heiland verheißen, der Frieden heiße.
Ja, das glaubten sie alle, sagte der Apotheker, die Hände faltend, Gott habe diese Trostblume gewiss nicht umsonst erblühen lassen, und er habe sie in Übereinstimmung mit dem Herrn Pfarrer rosa pacis, Friedensrose, genannt.
»Etiam nomen pacis suave et amabile«, sagte der lächelnde junge Graf, »schon der Name des Friedens ist süß und liebenswürdig.«
Es werde ja nun auch nicht lange mehr damit anstehen, sagte der Kammerherr; der Kurfürst lasse sich’s nicht verdrießen, Tag und Nacht zu arbeiten, damit er seinem Volke diese Himmelsgabe bescheren könnte.
Die Rose sei nur ein gebrechliches Gleichnis, sagte der Apotheker; aber der Friede, auf den sie deute, möge dauern wie Bäume, ja wie Felsen.
Er wolle den zarten Spätling, sagte Trauttmansdorff, in ein Wasserglas unter das Bild des Gekreuzigten, also gleichsam in göttliche Obhut stellen, damit sie sich lange erhalte.
Der Apotheker blickte misstrauisch nach dem Kruzifix, das über einem Betschemel in einer Ecke des Zimmers angebracht war; indessen nachdem er sich besonnen und einige Male geräuspert hatte, sagte er, sie wären zwar, wie dem Herrn Grafen bekannt sein werde, evangelisch, aber der Gott der Katholiken sei dem ihrigen wohl nicht so fremd, dass sie ihm nicht gern, aus demütigem Herzen und um des Friedens willen, ein liebes Kleinod opferten.
Trauttmansdorff versprach, die löbliche Gesinnung der Pirnaer Bürgerschaft dem Kaiser zu melden; der Lohn werde nicht ausbleiben.