Der Erzbischof von Trier, Philipp von Sötern, wurde in der Frühe durch lautes Puffen und Knattern von Schüssen aus dem Schlafe geschreckt. Er läutete, um zu fragen, was das zu bedeuten habe, und sagte ärgerlich zu seinem Kammerdiener Wiedmann, den der Lärm gleichfalls geweckt hatte und der im Schlafrock herbeikam, er müsse durchaus den Übermut der Franzosen dämpfen, ihre Prätentionen fingen an unleidlich zu werden. Er wäre neugierig, zu sehen, brummte Wiedmann, wie der Fürst den Franzosen die Großmäuligkeit und Vanität auszutreiben dächte; das wäre, wie wenn man der Sau die Borsten abgewöhnen wollte, Gott habe sie sich leider so aus der Hand schlüpfen lassen. Aber er könne nicht recht einsehen, fügte er hinzu, wie sie das Kanonenfeuer verursacht haben sollten, wenn es nur nichts anderes zu bedeuten hätte.
Was sollte es anderes zu bedeuten haben? sagte der Kurfürst. Die Franzosen schössen aus purem Mutwillen oder zum Schabernack.
Das Schießen nahm jetzt zu, und Wiedmann sprang ans Fenster, ob etwas wahrzunehmen wäre. Wenn seine Domherren nicht so aufrührerische und räuberische Leute wären, schalt der Kurfürst, so hätte er die Franzosen nicht nötig, könnte sich selbst gegen alle Übergriffe schützen und seine fürstliche Souveränität erhalten. Er wollte, dass die Schüsse stracks in ihr galliges Eingeweide führen, da sie allein seiner Leiden und beständigen Aufregungen Ursache wären.
»Jesus Maria!« rief Wiedmann vom Fenster her, »die Straßen sind voll Laufen, Schreien und Schießen! Wir müssen uns in Defension setzen!«
Narrheit! entgegnete der Kurfürst; er unterhalte ja die Franzosen zu seiner Defension, wolle hoffen, dass sie ihre Pflicht täten. Jetzt werde er aufstehen und nach dem Rechten sehen, es sei sicher nichts als eine Feuersbrunst oder sonst ein blinder Lärm, aber die Dummheit mache die Leute kopflos.
Während Wiedmann mit zitternden Händen den Kurfürsten ankleidete, kam ein französischer Adjutant mit der Meldung, die Spanier hätten sich bei der Morgendämmerung zu Schiff in die Festung eingeschlichen, sie gedächten sie aber schimpflich wieder hinauszujagen.
Was? Was? rief der Kurfürst. Ob die Hundsbuben schon in der Stadt wären? Ob denn die Besatzung nicht auf ihrem Posten gewesen wäre?
In der Stadt? schrie Wiedmann. Auf dem Schlosse würden sie gleich sein. Besatzung? Die Windbeutel hätten natürlich miteinander geschwatzt und gefaselt und darüber die Festung verloren. Hätte er doch die gleisnerischen Fratzen nie gesehen! Aber der Kurfürst habe die Vernunft zur rechten Zeit nicht annehmen wollen.
Dieser bot Wiedmann eine Maulschelle an, während er im Ungestüm vergebens in den Ärmel seines Oberkleides zu fahren suchte. Wenn Wiedmann ihn wahrhaft liebte, sagte er, würde er ihn jetzt nicht mit ungereimten Vorwürfen überlaufen.
»Hilf Gott«, rief Wiedmann, »wenn ich Eure Fürstliche Gnaden nicht so liebte, würde ich mir alles so zu Herzen nehmen? Habe ich Sie nicht auf den Knien gebeten, die Lausbuben von Franzosen nicht hereinzulassen? Habe ich nicht vorausgesagt, dass, wenn Gott auch ein Auge zudrückte, der Kaiser doch den Abfall nicht ungestraft lassen würde?«
»Lass dich aufhängen mit deinem Kaiser«, schimpfte der Kurfürst, »so hängen zwei Gauner an einem Strick.« Woher denn die Spanier kämen, und wer sie anführte?
Wiedmann lief fort und rief zurückkehrend schon in der Tür, der Maillard führe sie an, der früher beim Herrn von Metternich Sekretär gewesen sei, und der Metternich selbst sei auch da.
Der Kurfürst schleuderte den Pantoffel, den er eben an den Fuß ziehen wollte, nach dem Kopfe seines Kammerdieners. Das Schloss solle besetzt werden! befahl er laut schreiend. Wenn es sonst nicht lange, müsse die Bürgerschaft her, ihn zu verteidigen. Der hundsföttische Metternich dürfe den Fuß nicht ins Schloss setzen. Die Bürgerschaft sei für den Galgen reif, wenn sie nicht ihr Blut einsetzte, um ihren fürstlichen Herrn vor Schimpf zu bewahren.
Da bilde sich der Kurfürst ein wenig zu viel ein, sagte Wiedmann; er habe die Bürgerschaft gar zuwenig respektiert, als dass sie ihn lieben sollte.
»Ich will sie’s lehren, die Schelme!« sagte der Fürst. Wenn aber das Galgengesicht, der Metternich, doch hereinkäme, so sollte er nicht etwa meinen, dass er, Sötern, sich die Sache zu Herzen nähme. Wiedmann solle ihm sogleich seine schöne rote Mütze und Kragen bringen, auch das Zetern und Händeringen beiseite setzen, damit die Bösewichter sich nicht ins Fäustchen lachten.
Es währte nicht lange, so hörte man trabende Pferde, Kommandieren und Durcheinanderlaufen, das Schloss wurde besetzt, und Metternich betrat mit dem Obersten Maillard, unangemeldet die Tür aufreißend, das Zimmer, wo der Kurfürst prächtig gekleidet und anscheinend gelassen in einem Sessel saß.
»Da haben wir den alten Wolf in der Falle!« rief Metternich lachend. »Nur herein in den Käfig!«
»Ist das die Art, seinen Fürsten zu begrüßen?« sagte der Kurfürst. Wo es denn Sitte sei, dass Kavaliere sich so bäurisch und ungebührlich aufführten?
Oberst Maillard machte eine kurze Verbeugung und sagte, der Kurfürst habe es selbst verschuldet, dass man so mit ihm umspringe. Er solle sich fügen, Widerbellen sei umsonst, er sei jetzt Gefangener des Kaisers und des Königs von Spanien, die würden weiter über ihn verfügen.
Er brauche nicht so viel Umstände mit dem Ächter zu machen, warf Metternich ein. Er habe den Kopf verwirkt, könne Gott danken, dass sie ihn noch verschonten.
»Du wirst deine losen Reden noch bereuen!« drohte der Kurfürst, die Faust gegen Metternich schüttelnd. Wer ihn denn in die Acht getan habe? Das sei eine neue Mode, die höchsten Reichs- und Kirchenfürsten, wie wenn man in der Türkei wäre, zu ächten. Der Papst und der König von Frankreich würden seinen Widersachern den Kopf waschen.
Jetzt heiße es Maul halten, befahl Metternich. Wenn er noch weiter sperenziere, würde man andere Mittel ergreifen.
Er weiche der Gewalt, sagte der Kurfürst. Wiedmann sei Zeuge, dass ihm Gewalt angetan werde.
Ach Gott, jammerte Wiedmann, der Fürst könne doch nicht so fort, ohne seine Morgensuppe gegessen zu haben.
Werde gut tun, sich beizeiten das Hungern anzugewöhnen, höhnte Metternich.
Sie wollten warten, sagte Maillard, bis der Kurfürst einen Imbiss genommen hätte. Er solle sich aber sputen.
Wiedmann läutete, bestellte das Frühstück und beschwor Maillard und Metternich, sie sollten ihm erlauben, den Kurfürsten zu begleiten. Der Kurfürst inkliniere schon zum Alter, fange mit allerlei Gebrechen zu laborieren an, müsse doch als ein hochvornehmer Herr Bedienung haben. Die Majestäten würden gewiss einem hohen Kirchenfürsten nicht verwehren, was einem einfachen Edelmann in der Gefangenschaft zustände.
Der Kurfürst habe Leib und Leben verwirkt, entgegnete Maillard, könne nur auf Gnade Anspruch machen. Aber es sei ihm bekannt, dass Wiedmann ein redlicher Mann und an den Exorbitanzien und Teufeleien seines Herrn unschuldig sei; wenn er es aus gutem Herzen tun wolle, so dürfe er ihn begleiten.
Wiedmann bedankte sich und machte sich mit der Morgensuppe zu schaffen. Nun sei ihm das Herz ein wenig leichter, sagte er, da er selbst für den Fürsten sorgen könne. Ob der Fürst nicht ein paar Krebsaugen in Wasser zu sich nehmen wolle?
Wiedmann scheine zu glauben, dass er sich alteriert habe, sagte der Kurfürst scharf mit einem bösen Blick auf seinen Diener. Er fühle sich heiter und wohlauf als einer, der im Recht sei. Die möchten zittern, die ein böses Gewissen hätten.
Sowie der Fürst gegessen hatte, wurde er nebst Wiedmann in eine Kutsche gesetzt und zunächst nach Luxemburg, dann nach Brüssel und endlich nach Wien geführt und gefangen gehalten. Durch diese Gewaltmaßregel behauptete der König von Frankreich, als Schutzherr des Kurfürsten von Trier, beleidigt zu sein, und nachdem er ein Bündnis mit Holland geschlossen hatte, erklärte er dem König von Spanien förmlich und feierlich den Krieg, nicht aber dem Kaiser, den er einstweilen nur mittelbar bekämpfen wollte.
An jenem Frühlingstage, als die Spanier in Trier einfielen, zog sich der Straßenkampf zuletzt beim Jesuitenkloster zusammen, hinter welchem die Franzosen sich verschanzt hatten und aufs äußerste verteidigten. Ihre Bitte um Einlass, damit sie einen festen Platz gewännen, schlug der Profeß ab; aber er gestattete, dass einige Väter, unter denen Friedrich von Spee war, hinausgingen, um die Verwundeten beider Parteien beiseite zu tragen und zu erquicken und den Sterbenden beizustehen. Ein schwerverwundeter Deutscher, dem Spee Wasser einzuflößen versuchte, verlangte nach einem evangelischen Geistlichen; mit den Jesuiten wolle er nichts zu tun haben. Freundlich sich über den Sterbenden beugend, sagte Spee, er wisse nicht, wo ein evangelischer Feldprediger sei, könne jetzt auch nicht suchen; sie wären alle eines Gottes Kinder, der Soldat möge zulassen, dass er, Spee, mit ihm betete. Nein, stöhnte jener, den Kopf gewaltsam von der Wasserflasche wegwendend, jesuitisch gebetet sei schlimmer als geflucht. Mit der Erde sei es jetzt vorbei, so wolle er sich den Himmel nicht verscherzen. »Quäle dein Herz nicht mit Hass«, bat Spee, »vergib deinen Feinden, damit Gott dir deine Sünden vergebe!«
»Fort, du Teufel!« röchelte der Verwundete, indem er Spee mit seiner letzten Kraft zurückstieß und dann, mit dem Kopf auf das Pflaster schlagend, verschied. Spee betete bei dem Toten, drückte ihm die Augen zu, faltete seine Hände und ging traurig weiter.
Wie er sich unbekümmert zwischen den Kämpfenden bewegte, traf ihn eine Kugel an der Schulter, welche Verletzung anfangs für ungefährlich gehalten wurde, aber nach einigen Monaten seinen Tod herbeiführte.
Während seines langen Krankenlagers hielt ihm sein Beichtvater vor, er habe unrecht getan, indem er beim Einfall der Spanier sich auch der sterbenden Ketzer angenommen habe, ohne sie zu bekehren, ja sie sogar trotz ihres Irrglaubens der Gnade Gottes vertröstet habe. Spee entschuldigte sich damit, dass keine Zeit zum Disputieren gewesen wäre, worauf der Beichtvater erwiderte, es handle sich nicht um Disputieren, sie hätten sich vielleicht in der Todesangst bekehrt, wenn sie sonst keinen Beistand gefunden und die Hölle recht sichtbar vor Augen gehabt hätten. Das habe er sich nicht getraut, sagte Spee zaghaft, von der Todesangst der armen Leute zu profitieren. Der Beichtvater entrüstete sich. Man tue ihnen ja Gnade über Verdienst an, wenn man sie zur Kirche brächte, sagte er, sei es auch mit etwas Schleppen und Stoßen. Nun wären sie ja verdammt und voraussichtlich auf ewig in der Hölle, wo ihnen weit ärger zugesetzt würde als mit ein paar Fußtritten oder Rippenstößen.
Spee schlug klagend die Hände vor sein abgezehrtes Gesicht, in das die dünnen grauen Haare fielen. Wenn er etwas an den Unglücklichen versäumt hätte, sagte er, so hoffe er, dass Gott es an ihm und nicht an ihnen heimsuche. Sein Gewissen irre vielleicht; er habe aber nicht besser entscheiden können.
Freilich irre das menschliche Gewissen, sagte der Beichtvater strafend, darum sei der Gehorsam da, wodurch Irrtum verhindert und den Schwachen fruchtloser Kampf erspart würde. Aber eben am Gehorsam habe es Spee von jeher gemangelt. Unter der Larve der Demut sei er eigensinnig, verstockt, selbstwillig, hochmütig, rebellisch. Er habe gesündigt, indem er sich nach der eigenen Vernunft habe regulieren wollen, und wenn er es nicht bereute, so müsse er ohne Absolution hinfahren und habe im Jenseits böse Folgen zu befürchten.
Christus sei doch aber für die Heiden gestorben, ohne ihnen zu fluchen, wandte Spee schüchtern ein.
Er wolle sich wohl gar mit Christus vergleichen? schalt der Beichtvater. Da sehe man, zu was für Freveln der Hochmut führe. Eben weil Christus für die Heiden gestorben sei, habe sich Spee dergleichen nicht anzumaßen, dergleichen sei viel zu hoch für ihn. Gott wolle von ihm nur das Opfer des Gehorsams; alles andere sei vom Teufel eingeblasen.
Spee atmete leichter, wenn er das Gesicht des Beichtvaters nicht mehr wie einen Felsklotz auf sich herunterdrohen sah.
Ja, einer Sünde war er sich bewusst; dass er als Jüngling, nachdem er ein Tier, einen armen kleinen Esel, unter den Schlägen seines Treibers hatte zusammenbrechen sehn, in ein Kloster gegangen war, um sich vor dem Anblick des Leidens der Kreatur zu schützen, und um ihn zu strafen, hatte Gott ihn bestimmt, allezeit und allerwärts Leiden zu sehen und mit zu leiden; so viel hatte er mitgelitten, dass es ihm war, als habe er sein Leben damit aufgezehrt und müsse sterben, weil ihm die Kraft, zu leiden, ausgegangen sei. Sollte es möglich sein, dass er irrte, wenn er zu helfen suchte? Griff er damit in Gottes Weltplan ein, der diese Leiden vielleicht angeordnet hatte? Was bedeutete denn auch eine helfende Hand unter tausend Händen, die quälten!
In seiner Erinnerung tauchten die Frauen mit blutigen Augen und von der Folter verkrümmten Gliedern auf, die er in Würzburg im Feuer hatte sterben sehn; um sich vor diesen Bildern zu retten, kehrte er den Blick nach dem Fenster, durch das er über einer bräunlichen Mauer den Sommerhimmel blitzen sah. Wenn er nur einmal noch, dachte er, vor der Stadt auf einer Wiese liegen könnte, von Himmel und Erde umschlossen, ein zitternder Staub in der Hand Gottes! Immer hatte er sich draußen in der Weite der göttlichen Liebe am nächsten gefühlt und unfehlbar gewusst, dass Gott mit ihm war, wenn er, so gut er es verstand und vermochte, denen half, die litten, und denen wehrte, die quälten.
Sehnsüchtig heftete er die trockenen Augen auf das Stückchen Himmel, das er funkeln sah wie das lockende Ufer der Ewigkeit. Würde dort wieder Kampf und Leiden oder würde dort der Friede sein? Was immer, er gab sich willig hin. Indem er die Hände faltete und die Augen schloss, wurde es in ihm licht, und er fühlte sich hoch und höher hinauffliegen. Himmel und Erde schienen zu weichen und verschmelzend und verschwindend einer neuen strahlenden Hülle Raum zu geben, in die er wie eine aus dem Käfig erlöste Lerche freiheitberauscht und von den wiedererkannten Elementen fortgerissen stürzte.