In einem abseits liegenden Hause in Zweibrücken stand eine Frau an einer Bütte und wusch, während zwei Kinder, ein Mädchen und ein Knabe, auf einer Bank hinter dem Ofen lagen und schliefen. Durch Regen und Wind hörte die Frau plötzlich ein Klopfen an der Fensterscheibe und tastete sich durch das dunkle Zimmer, um zu sehen, wer da sei. Sie solle nicht erschrecken, rief eine leichte Kinderstimme, es sei nur die kleine Lise da, des Besenbinders Enkelkind; sie habe im Walde Reisig und Bucheckern für den Großvater gesucht und sei nun so müde, dass sie nicht mehr von der Stelle könne; ob sie sich ein Viertelstündchen ausruhen dürfte? Die Frau ließ das Mädchen eintreten und bückte sich dicht über sie, um sie zu betrachten. Ja, sie solle nur dableiben, sagte sie dann, in der Kammer stehe ihr Bett, da dürfe sie schlafen. Das Mädchen dankte erschrocken, es sei ja genug, wenn sie in einem Winkel ein wenig rasten dürfte; aber die Frau beruhigte sie: sie selbst müsse noch waschen, und die Kinder lägen hinter dem Ofen, sie, die kleine Lise, zittere ja vor Nässe und Kälte am ganzen Leibe, sie solle ins Bett. Dabei fasste sie das Mädchen am Arm, um sie in die anstoßende Kammer zu ziehen. Der Kleinen wurde es plötzlich bange. Ob sie nicht bei den Kindern hinter dem Ofen liegen dürfe? fragte sie. Ach nein, sagte die Frau, da sei kein Platz mehr für sie. Sie solle ins Bett kriechen, es sei auch noch ein kleines Stück Brot da, das wolle sie ihr geben, weil sie so durchnässt und erfroren sei, Gott würde es ihr lohnen.
Als die Frau zurückkam und hinter den Ofen blickte, hatte sich das kleine Mädchen halb aufgerichtet und starrte die Mutter mit großen Augen an. Warum sie das fremde Mädchen in die Kammer gebracht hätte? fragte sie. Sie solle schlafen, entgegnete die Frau, was sie das angehe?
Und warum die Mutter dem fremden Mädchen ihr letztes Stücklein Brot gegeben hätte? fragte das Kind weiter; sie hätten doch selbst so großen Hunger.
Sie würde es schon wieder einbringen, sagte die Frau mit einem leisen Lachen. Wie sie das meine? fragte das Kind, die Frau am Rock fassend. Und warum sie vorhin, als sie aus der Kammer gekommen wäre, gemurmelt hätte: das Mädchen habe ihr der Herrgott ins Haus geschickt?
Die Frau zog ihren Rock aus der Hand des Kindes und befahl ihr flüsternd, indem sie drohend die Faust erhob, ruhig zu sein, damit der Bruder nicht aufwache. Das Kind zog sich in seinen Winkel zurück und verfolgte mit den Augen in der Dunkelheit die Mutter, wie sie erst an einen Kasten ging, dann sich vor eine Truhe kniete und einen starken Strick herauszog, dessen Länge sie prüfte, dann an die Kammertür ging und horchte. Es konnte sich nicht mehr zurückhalten, lief zur Mutter hin und fragte, was sie vorhabe? Sie wolle ja dem fremden Mädchen etwas zuleide tun. Die Frau befahl dem Kinde Schweigen. Es sei jetzt ein Lamm im Stall, flüsterte sie, das wolle sie schlachten, damit sie morgen einen Braten hätten.
Nein, nein, schluchzte das Kind, es wolle keinen Braten essen. Die Mutter hätte dem Mädchen das Brot nicht geben sollen.
So? sagte die Frau. Aber das Häslein habe ihnen doch geschmeckt, das sie letzthin gebraten habe?
Ja, das Häslein, sagte das Kind. Die Mutter solle wieder ein Häslein im Walde fangen. Das Häslein sei auf zwei Beinen gelaufen, sagte die Frau, und sei der Bub gewesen, mit dem sie damals in den Wald gegangen sei. Wenn sie jetzt stillschwiege, bekäme sie morgen etwas zu essen. Oder ob sie alle zusammen verhungern wollten?
Die Kleine kroch wieder hinter den Ofen und klammerte sich an ihren schlafenden Bruder. Ihr Herz klopfte stark, und sie zog die Decke über ihr Gesicht, während sie zugleich horchte. Als sie ein Wimmern aus der Kammer vernahm, fing sie zu weinen an und stopfte sich die Decke fester in die Ohren. Noch eine lange Weile lag sie vor Angst zitternd wach, dann überwanden sie Müdigkeit und Schwäche, dass sie einschlief.