Die Brüder Jeremias und Joachim Gottwald, seit Jahren Diener des verstorbenen Grafen Schaffgotsch und Verwalter seiner Güter, schrieben Briefe über Briefe an die Vormünder seiner fünf hinterlassenen Kinder, sie sollten sich beim Kaiser dafür verwenden und durchzusetzen suchen, dass ihnen wenigstens diejenigen Güter erhalten blieben, die als ihres Vaters persönliches Eigentum der Konfiskation nicht anheimfielen; allein die Vormünder beteuerten zwar, die Verlassenen beschützen und ihre Rechte wahrnehmen zu wollen, kamen aber bei einer Zusammenkunft dahin überein, dass es unter den obwaltenden Umständen allzu keck sein würde, die herrschende Partei gegen sich aufzubringen, und dass sie sich anstatt dessen darauf beschränken müssten, die Sache dieser armen Waisen Gott anheimzustellen. Auch war Herr von Maltzan, der Gatte von Anna Ursula, der Stiefschwester des Hingerichteten, sehr unzufrieden, als seine Frau in die Angelegenheit eingriff; allein sie bestand darauf, den Mutterpflichten, die sie schon früher an den Mutterlosen ausgeübt hatte, auch jetzt in der Not nachzukommen, sei es mit Hintansetzung ihrer eigenen Kinder, und nahm das verscheuchte Häuflein in ihren Schutz. Von den Brüdern Gottwald und Konstantin von Wegner unterstützt, suchte sie sich der kaiserlichen Offiziere und Beamten zu erwehren, die nacheinander von allen Schaffgotschen Gütern Besitz ergriffen, musste jedoch am Ende froh sein, mit ihren Pfleglingen auf einem Schlosse des Kardinals von Dietrichstein Zuflucht zu finden. Anfänglich bemühte sie sich auch, die Kinder beim evangelischen Glauben zu erhalten, da sie aber sah, dass sie ihnen nur um den Preis ihres Übertritts einen kleinen Teil des väterlichen Vermögens würde erhalten können, gab sie den Widerstand auf.
Er sei im Zweifel, sagte Konstantin von Wegner eines Abends, nachdem die Kinder zu Bett gebracht waren, ob er länger bei ihnen bleiben könnte, nun sie sich akkommodierten. Das gehe wider sein Gewissen, und er hätte lieber mit seinem Herrn den Tod erlitten, als dass er den schrecklichen Abfall seiner Kinder mit erlebte.
Was sie denn aber sonst tun sollten? sagte Anna Ursula. Sie würden gewiss ihr Brot an den Türen erbetteln müssen, wenn sie nicht nachgäben. So könnten sie doch wenigstens das Leben nach ihrem Stande führen.
Ob es denn nicht besser wäre, zu betteln als seinen Gott zu verleugnen? sagte Wegner. Sollte denn der arme Märtyrer, ihr Vater, sein Blut umsonst vergossen haben?
Anna Ursula trocknete ihre fließenden Tränen und sagte, sie wisse eben keinen anderen Ausweg. Sie würde ja die Kinder gern bei sich aufnehmen, aber wenn auch ihr Mann es litte, so würde der Kaiser sie deswegen verfolgen und sie auch noch um das Ihrige bringen, und wie sie das vor ihren eigenen Kindern verantworten sollte?
Die Kinder seines Herrn sollten nicht betteln, solange er lebte, sagte Wegner, und die Brüder Gottwald würden sie auch nicht im Stiche lassen.
Ach, das wäre doch ein klägliches Leben! rief Anna Ursula. Und Wegner könne doch allein gegen die Übermacht des Antichristen nicht an. Er sähe ja, dass Anna Elisabeth ganz bereit zum Übertritt und Christoph Leopold sogar darauf erpicht wäre. Mit dem Kleinen würde es wohl einen harten Kampf geben, der wolle von seinen lutherischen Liedern und Gebetlein durchaus nicht lassen, verstecke sich und trotze, wenn die Jesuiten kämen; aber Anna Elisabeth habe leichtes Blut, verlange nach Lust und Lachen, und Christoph Leopold wolle durchaus ein großer Herr sein. Da werde auf die Dauer kein Widerstreben helfen.
Es gefalle ihm nicht, sagte Wegner, dass Christoph Leopold so schweigsam und so hinterhältig sei. Das sei seines Vaters Art nicht gewesen, der habe wohl auch leichtes Blut gehabt, aber man habe ihm doch nicht zürnen können, weder im Glück noch im Unglück.
Ach, bat Anna Ursula, Wegner solle ihr versprechen, die armen Kinder nicht zu verlassen, wenn sie auch schwach wären und papistisch würden. Er könnte sie doch zuweilen an das teure Gotteswort erinnern und ihnen etwa noch zur ewigen Seligkeit verhelfen.
Nach einigem Besinnen sagte Wegner, er habe es seinem armen verstorbenen Herrn versprochen, sie nicht zu verlassen, und wolle es halten, obwohl es ihm oft ins Herz schnitte, zu sehen, was er sähe. Dass es so schnell gehen würde, hätte er sich nie träumen lassen.
Anna Elisabeth, die anfangs untröstlich über den Verlust ihres Vaters gewesen war, ließ nun wieder ihr Lachen hören, das bald hell plätscherte, bald leise rieselte und zuweilen wie eine glitzernde Kaskade sprang und jubelte. Wenn sie ihrer Tante oder Wegners ansichtig wurde, fiel sie ihnen um den Hals und bat sie, nicht grämlich zu sein, die Messe sei gar nicht so arg, wie sie dächten, die Priester und auch die Jesuiten wären gute, freundliche Leute, der Teufel könne nicht dabei im Spiele sein. Sie behalte ja doch ihr altes Herz, das könne ihr niemand nehmen und umwandeln; ob sie glaubten, sie hätte sie weniger lieb als früher? Sie würde sich dankbar erweisen, wenn sie erst wieder in Trachenberg oder auf dem Kynast wäre.
Ach, sagte Anna Ursula lächelnd und seufzend, sie solle sich nicht zu viel einbilden, das habe der Kaiser schon alles vergeben; wenn sie nur das kleinste, schlechteste Gütlein behielten, müssten sie sich glücklich schätzen.
Nun, sagte Anna Elisabeth nach einer Pause, sie müsste doch einmal heiraten, ihr Gemahl würde ja auch Güter und ein Schloss haben, dahin wolle sie Wegner mitnehmen. Sie würde die Heirat davon abhängig machen, dass ihr Mann es erlaubte.
Da der Kaiser den Wunsch aussprach, Anna Elisabeth, von der er gehört hatte, dass sie sehr schön sei, zu sehen, begab sich die Tante mit ihr nach Wien, wo sie im Hause des Grafen Schlick Aufnahme fanden. Während der Kaiser in Gesellschaft seines Sohnes Leopold Wilhelm ihren Besuch erwartete, sagte dieser, wenn die Kinder sich bequemt hätten, müsse ihnen doch von den vielen Gütern ihres Vaters etwas zugesprochen werden.
Ja, das sei eine heikelige Sache, sagte der Kaiser, es sei schon so viel ausgeteilt und versprochen, dass er sich schier nicht zu helfen wisse. Er würde in des Teufels Küche kommen, wenn er dem Hatzfeld Trachenberg nicht ließe. Solche Eile habe es am Ende auch nicht. Schlick habe gemeint, man dürfe mit der Gnade nicht zu flink sein, sonst habe es das Ansehen, als wolle man ein Unrecht wieder gutmachen. Das Mädchen müsse man so schnell wie möglich verheiraten, damit es versorgt sei.
Als die Erwartete hereingeführt wurde, machte sie Miene, dem Kaiser, wie es sie gelehrt war, zu Füßen zu fallen, woran er sie hinderte. Zuerst solle sie einmal den Schleier zurückschlagen, sagte er, sie sähe ja wie eine alte Parze aus, die ihm den Lebensfaden abschneiden wollte. Er winkte Leopold Wilhelm, mit der Kerze, die auf dem Tische stand, zu leuchten, denn es war Abend, und schaute ihr nah ins Gesicht und schlug dann in komisch übertreibender Bewunderung die Hände zusammen. Ja, nun sei er einverstanden damit, sagte er, dass sie einen dicken Schleier trüge, sonst bräche das Gesichtlein allen Männern die Herzen und wäre er zuletzt ein Herr ohne Diener. Er müsse ihr durchaus einmal über die Wangen streichen, ob sie gemalt wären.
Nein, sie male sich nicht, sagte Anna Elisabeth rasch, sie sei nur rot, weil das Herz ihr so stark geklopft hätte.
Ach, sie müsse keine Angst vor ihm haben, lachte der Kaiser, sie sei viel gefährlicher als er, und er wolle sie geschwind in einen Käfig sperren, damit sie nicht noch schlimme Stücklein anrichtete.
Anna Elisabeth schlug die Augen nieder. Sie sei noch jung, sagte sie, habe zurzeit noch nicht an Heiraten gedacht.
Nun, sie solle gestehen, fuhr der Kaiser fort, warum sie von dem Lamboy nichts wissen wolle; er sei doch ein hochangesehener, vortrefflicher, auch stattlicher General.
Anna Elisabeth warf einen hilfesuchenden und zugleich mutwilligen Blick auf den Kaiser. Der Lamboy schnaufe so stark, sagte sie, er komme ihr vor wie ein Bär, und einen solchen könne sie doch nicht heiraten.
Darüber lachte der Kaiser bis zu Tränen und tröstete sie, er wolle sie nicht wider ihren Willen verheiraten, habe es eben erst seinem Sohn, dem Leopold Wilhelm, versprochen. Vielleicht habe das Fräulein seine Augen schon auf einen anderen geworfen?
Anna Elisabeth errötete und machte ein frommes Gesicht. Sie unterwerfe sich dem gnädigen Willen des Kaisers, sagte sie leise.
In der Tat hatte sich ihr Herz für einen Obersten in polnischem Dienst, Jakob von Weiher, entschieden, den sie, da er ein häufiger Gast ihres Vaters gewesen war, seit ihrer Kindheit kannte, und sie war beglückt, als die erwünschte Verlobung zustande kam. Der Kaiser selbst rüstete ihr die Vermählung aus und ordnete an, dass sie in Regensburg bei Gelegenheit der dort tagenden Kurfürstenversammlung gefeiert werde. Am Hochzeitsmorgen begab sich Konstantin von Wegner schweren Herzens zur Braut, die schon geputzt war und wie ein von Frühtau benetztes Rosenbäumchen funkelte. Als ein runder Heiligenschein stand das blonde Gekräusel des Haares um das lachende Gesicht herum, und über der rosigbraunen Haut lag ein silberner Schimmer, wie wenn sie sich gepudert hätte. Er warf einen Blick auf ihren Arm und sagte, sie habe ja das Brasselett nicht, das ihr Vater ihr vor seinem Tode vererbt habe. Ja, das hätte sie fast vergessen, sagte sie, holte es aus einer Kassette hervor, küsste es und schob es über die Hand. Dann schlang sie beide Arme um Wegners Hals und sagte, sie könne sein liebes altes Gesicht nicht traurig sehen. Heute sei ja ein Freudentag! Auch ihr Vater würde froh sein, wenn er ihr Glück sehen könnte. Wegner nickte. Aber wenn sie über den Platz ›Auf der Heide‹ führen, sagte er, solle sie ihres armen Vaters gedenken und dass er ritterlich in unverschuldeten Tod gegangen sei.
Anna Elisabeth versprach es, und als die Kutsche, in der sie neben der Gräfin Schlick saß, am Gasthof zum Goldenen Kreuz vorbeirollte, sah sie aus dem Fenster und versuchte sich vorzustellen, wie er aus jener Tür gegangen und auf das Schafott zugeschritten war; aber die aufgeregte Erwartung, welchen Eindruck sie auf ihren Bräutigam und die Hofgesellschaft machen und was der Kaiser zu ihr sagen würde, zerstreute das Bild im Entstehen.
Inzwischen hatte Wegner mit sich gekämpft, ob er in den Dom eintreten sollte. Es war ihm, als dürfe er das Kind nicht ohne Aufsicht lassen, bis es demjenigen anvermählt sei, der künftig sein Beschützer sein würde. Konnte er andererseits seinem Gewissen Gewalt antun und der abscheulichen Abgötterei beiwohnen, an der die Tochter des armen Märtyrers teilnahm? Er beschloss, am Portal stehenzubleiben und dort das Ende der heillosen Zeremonie zu erwarten. Eine nach der anderen sah er die Kutschen und Sänften ankommen, aus denen die Herrschaften stiegen; der Kaiser, vergnügt, wenn auch müde, Graf Slawata, gekrümmt und etwas vernachlässigt in der Kleidung, mit gottseligem Lächeln, die popanzartig hergerichteten Damen. Wie er die Bettler, zwischen denen er stand, die Hände ausstrecken und Almosen empfangen sah, dachte er, dahin möchte es leicht mit ihm kommen, wenn seine Herrschaft nichts mehr von ihm wissen wollte. Vielleicht würde sein Anblick ihnen bald ein lästiger Vorwurf sein, wenn er auch zu allem schwieg, was er nicht ändern konnte. Anna Elisabeth zwar hing an ihm wie an einem Vater, sie würde ihn niemals verlassen können. Hatte sie auch einen leichten Sinn, so war ihr Herz doch gut; er hätte lieber an sich selbst als daran zweifeln mögen. Es fiel ihm ein, während er dastand und träumte, sich ein Zeichen zu machen; wenn sie beim Herausgehen aus der Kirche sich nach ihm umsehen und ihn finden würde, sollte das bedeuten, dass ihr Herz gut bleiben und dass sie ihn nie verlassen würde.
Er wartete mit Ungeduld, und doch hätte er die fliehenden Minuten gern zurückgehalten; ja allmählich wurde seine Aufregung so groß, dass seine Knie zu wanken anfingen und er am liebsten fortgegangen wäre, um der Entscheidung auszuweichen. Endlich entstand eine Bewegung unter den Zuschauern, sie drängten vom Portal zurück und machten den Weg frei, und da kam sie am Arm ihres Mannes, der eine hohe, pelzbesetzte polnische Mütze trug und sich mit einem Tüchlein den Schweiß von der Stirn trocknete. Sie blieb stehen, witterte mit der feinen Nase die wohltätige Luft, blickte um sich, und nun, als wäre ihr plötzlich etwas Schönes eingefallen, drehte sie den Kopf dahin, wo er stand, und nickte ihm eifrig zu, während ein glückliches Lachen über ihr Kindergesicht flog. Die Tränen liefen ihm aus den Augen, und er schalt sich einen grämlichen, lieblosen Zweifler. Er gelobte sich, bis an seinen Tod für sie betend und über sie wachend bei ihr zu bleiben, ja bis über den Tod hinaus, wenn Gott es gewährte, damit er sie am Tage der großen Auferstehung ihrem Vater in die Arme führen könnte.