53.

Bern­hard von Wei­mar nahm sei­nen Helm ab und reich­te ihn ei­nem sei­ner Pa­gen mit der Bit­te, er sol­le ihm aus dem Ba­che, der zwi­schen den Hü­geln hin­un­ter­lief, Was­ser schöp­fen. Wäh­rend er trank, ka­men ein paar Of­fi­zie­re her­an­ge­rit­ten und rie­fen von wei­tem, der Werth sei auch ge­fan­gen, nun wä­ren alle Vö­gel in der Sch­lin­ge. Bern­hard er­kun­dig­te sich nach den Ein­zel­hei­ten und sag­te dann, es kom­me ihm wie ein Traum vor, ein sol­cher Sieg nach dem kürz­lich er­lit­te­nen Un­glück, wo er schon al­les ver­lo­ren ge­ge­ben hät­te. Es sei wirk­lich, als habe Gott die Fein­de mit Blind­heit ge­schla­gen. Sie wä­ren in gu­ter, ge­si­cher­ter Stel­lung ge­we­sen, hät­ten die Bau­ern im Schwarz­wald kampf­be­reit zur Stel­le ge­habt, die ih­nen Flan­ken und Rücken hät­ten frei hal­ten kön­nen, so­dass er den Über­fall für ein fast de­spe­ra­tes Stück ge­hal­ten hät­te, zu­mal nach dem er­lit­te­nen großen Ver­lust.

Oberst Hat­stein er­wi­der­te, es wäre auch si­cher­lich Ver­rat im Spie­le ge­we­sen. Der Fürs­ten­berg hät­te nicht recht se­kun­die­ren wol­len, möch­te fran­zö­si­sches Geld da­hin­ter­ste­cken.

Sie rit­ten jetzt über ein wel­li­ges, von kur­z­en Tan­nen­he­cken durch­schnit­te­nes Ge­län­de, wo als eine Spur des hef­ti­gen Kamp­fes, der hier statt­ge­fun­den hat­te, Tote und Ver­wun­de­te la­gen. Am Ran­de des Ba­ches, wo­hin er sich ge­schleppt ha­ben moch­te, wand sich ein Mann mit der wei­ma­ri­schen Feld­bin­de am Arme in To­des­krämp­fen. Wa­rum kein Pre­di­ger zur Stel­le sei? frag­te Bern­hard, die Brau­en run­zelnd, und sprang vom Pfer­de, um dem Un­glück­li­chen selbst bei­zu­ste­hen. Er knie­te ne­ben ihm nie­der, stütz­te sei­nen Kopf und woll­te ihm zu trin­ken ge­ben; aber der schüt­tel­te den Kopf und sah den Her­zog mit ei­nem Blick an, der zu sa­gen schi­en, das die­ne ihm nicht mehr. Bern­hard frag­te, sich über ihn beu­gend, ob er fest im lu­the­ri­schen Glau­ben sei und ob er sei­ne Sün­den be­reue? Für den Glau­ben habe er ge­kämpft, ein Söld­ner des ge­rech­ten Got­tes ge­gen den An­ti­chris­ten, der Herr der Hee­res­scha­ren wer­de ihm die ewi­ge Se­lig­keit zum Loh­ne ge­ben. Wäh­rend der Ster­ben­de die bre­chen­den Au­gen auf das über ihn ge­neig­te Ge­sicht hef­te­te, be­te­te Bern­hard mit fes­ter Stim­me: »Dass aber die To­ten auf­er­ste­hen, hat auch Mo­ses ge­deu­tet. Gott aber ist nicht der To­ten, son­dern der Le­ben­di­gen Gott; denn sie le­ben ihm alle.«

Die Of­fi­zie­re stan­den ent­blö­ßten und ge­senk­ten Haup­tes da­bei und war­te­ten, bis der Sol­dat ver­schie­den war.

»Es ist viel gu­tes Sol­da­ten­blut ge­flos­sen«, sag­te Bern­hard, als sie wie­der un­ter­wegs wa­ren, »aber ich will sor­gen, dass es nicht um­sonst für das Va­ter­land ge­we­sen sei.« Er ver­fiel in erns­te Ge­dan­ken, die nie­mand zu stö­ren wag­te. Nun es wie­der auf­wärts­gin­ge, dach­te er, und er den Fuß im El­saß hät­te, wür­de Ri­che­lieu al­les auf­bie­ten, um ihm die Beu­te zu ent­rei­ßen. Da­bei wür­de er sich auf den Ver­trag stüt­zen, den er, Bern­hard, hat­te ein­ge­hen müs­sen; ob mit Recht oder Un­recht, da­nach wür­de er nicht fra­gen. Die­ser zwei­te Kampf wür­de nicht we­ni­ger er­bit­tert sein als der, in dem er eben ge­siegt hat­te; er wür­de un­abläs­sig wach­sam, un­abläs­sig auf der Hut sein müs­sen, sonst wür­de sei­ne Ar­beit Deutsch­land zum Fluch statt zum Se­gen wer­den. Es über­lief sein Herz bit­ter, wenn er dar­an dach­te, wie die Fran­zo­sen sei­ne Schrit­te be­glei­te­ten, um wie die Har­pyi­en1 der Sage auf das Mahl, das ihn er­näh­ren soll­te, her­un­ter­zu­sto­ßen und es selbst zu ver­schlin­gen. Nicht sei­ne Schuld sei es, sag­te er sich, wenn sein Stre­ben miss­glück­te, son­dern die sei­ner Bluts­ver­wand­ten und Mit­fürs­ten, die ihn im Sti­che lie­ßen, be­schränk­te Si­cher­heit dem Stru­del des Krie­ges vor­zie­hend.

Am fol­gen­den Mor­gen wur­de ein Dank­got­tes­dienst auf dem Schlacht­fel­de ab­ge­hal­ten. Es war ein mil­der Tag; die Luft schmei­chel­te sich ge­lind wie der Pelz jun­ger Tie­re über die röt­lich­brau­nen Spit­zen der Wäl­der, über das zer­tre­te­ne Gras, über die Tür­me von Rhein­fel­den und die kni­en­den Sol­da­ten. Nach der Pre­digt stimm­te der Geist­li­che an: ›Ein fes­te Burg ist un­ser Got­t‹, und alle san­gen mit; die Töne mar­schier­ten wie ei­ser­ne Krie­ger ge­gen das Mord­feu­er ei­ner feind­li­chen Bat­te­rie.

Bern­hard dach­te an vie­le Stun­den sei­ner Kind­heit, wenn sei­ne ver­stor­be­ne Mut­ter, von man­cher­lei Un­bill be­drängt, na­ment­lich durch sei­nen miss­traui­schen und herrsch­süch­ti­gen Oheim und Vor­mund Jo­hann Ge­org, als schöp­fe sie Kraft dar­aus, dies Lied an­ge­stimmt und wie die star­ke, dunkle Stim­me sei­ne schwa­che, schwan­ken­de mit ge­tra­gen hat­te. Er glaub­te die geist­ge­wor­de­ne zu ver­neh­men, wie sie aus Got­tes Her­zen her­vor­quel­lend sich wie­der­um mit der des be­gna­de­ten Soh­nes ver­ein­te, und Trä­nen des Ent­zückens stie­gen in sei­ne Au­gen.

Zu dem Ban­kett, durch wel­ches der Sieg ge­fei­ert wur­de, wa­ren auch mit Aus­nah­me Speer­reu­ters, der als Über­läu­fer be­han­delt wur­de, die ge­fan­ge­nen Of­fi­zie­re ge­la­den. Sa­vel­li er­hielt sei­nem Ran­ge und Stan­de ge­mäß den Ehren­platz an Bern­hards Sei­te, Jo­hann von Werth und Adri­an En­ke­vort sa­ßen ih­nen ge­gen­über. Auf Bern­hards höf­li­che Er­kun­di­gung, ob die Her­ren mit Un­ter­kunft und Ver­pfle­gung zu­frie­den wä­ren, ant­wor­te­te Sa­vel­li, wenn sie nur an ihre ei­ge­ne Be­quem­lich­keit däch­ten, könn­ten sie sich nichts Bes­se­res wün­schen, als zeit­le­bens Bern­hards Ge­fan­ge­ne zu sein, ganz ab­ge­se­hen da­von, dass selbst ver­such­te Sol­da­ten von ei­nem sol­chen Hel­den noch ler­nen könn­ten.

Dies­mal hät­ten sie haupt­säch­lich ler­nen kön­nen, Glück zu ha­ben, sag­te Bern­hard lie­bens­wür­dig; er habe selbst auf sol­chen Sieg nicht ge­rech­net.

Jo­hann von Werth, der un­mu­ti­gen Ge­sichts auf sei­nen Tel­ler ge­st­arrt hat­te, warf einen grim­mi­gen Blick auf Sa­vel­li und sag­te, das wol­le er wohl glau­ben; aber was der Her­zog Glück nen­ne, hei­ße auf ih­rer Sei­te Lot­te­rei.

O nicht doch, sag­te Sa­vel­li spöt­tisch, Werth sei zu hart ge­gen sich.

Ja, hart sei er ge­gen sich, fiel die­ser rasch ein, aber an­ders, als Sa­vel­li mei­ne. Als er zu Augs­burg das Hand­brief­lein des Kai­sers er­hal­ten habe, der Her­zog von Wei­mar zie­le auf die ös­ter­rei­chi­schen Vor­lan­de, da habe er sich ge­ra­de die Ku­gel her­aus­schnei­den las­sen, die ihm noch vom ver­gan­ge­nen Jah­re her hin­ter dem Ohre ge­steckt habe. Der vor­treff­li­che Wund­arzt habe ge­sagt, er dür­fe bei­lei­be nicht zum Hee­re gehn, be­vor die Wun­de aus­ge­heilt sei, sonst kön­ne der Brand hin­ein­schla­gen und gar ein töd­li­ches Ende er­fol­gen; aber er habe geant­wor­tet, so­lan­ge er Le­ben habe, wol­le er es für den Kai­ser ein­set­zen, die Bank hal­te Gott. Her­zog Bern­hards Dis­kre­ti­on und Tap­fer­keit in Ehren, hät­te man sei­ner­zeit auf ihn, Jo­hann von Werth, ge­hört und ihn den Lauf­fen­bur­ger Pass ver­stär­ken las­sen, so wür­de ihn der Her­zog nicht ha­ben neh­men kön­nen; aber man habe lei­der dem Gra­fen von Fürs­ten­berg nach­ge­ge­ben, der nicht ge­wollt habe, dass ihm ein bra­ver deut­scher Mann auf die Fin­ger sähe. Wie sie dann die schö­ne Vik­to­ria da­von­ge­tra­gen hät­ten, das sei ja je­der­mann be­kannt, und wie der Her­zog von Sa­vel­li sich nach Rhein­fel­den ge­setzt habe, als sei der Bra­ten nun gar und brau­che nur ge­fres­sen zu wer­den. Sa­vel­li wer­de sich wohl er­in­nern, wie er, Jo­hann von Werth, noch am Vora­bend ge­warnt und das Un­glück vor­aus­ge­malt habe; da ihm aber nur eine spit­ze Ant­wort zu­teil ge­wor­den wäre, habe er das Maul zu­ge­klappt und ge­schwie­gen.

Nun, wenn Werth an die Sa­che rüh­re, sag­te Sa­vel­li scharf, so wol­le er jetzt be­mer­ken, dass, wenn Werth sein Be­den­ken ge­bühr­lich vor­ge­bracht hät­te, er einen Kriegs­rat be­ru­fen ha­ben wür­de, um die Sa­che zu un­ter­su­chen. Das habe Werth aber nicht ge­tan, son­dern ohne Be­grün­dung ge­gen sei­ne An­ord­nun­gen ge­murrt, was er na­tür­lich nicht be­ach­tet habe; denn wenn er Wert­hs Wi­der­spruch und Brum­men im­mer re­gar­die­ren woll­te, so wür­de er nicht einen Schritt vor den an­de­ren set­zen kön­nen. Werth stem­me sich ge­gen al­les, ver­der­be al­les durch sei­nen Un­ge­hor­sam, und dem Rech­te nach hät­te er, Sa­vel­li, schon ganz an­ders mit ihm ver­fah­ren dür­fen. Werth sei oh­ne­hin beim Kur­fürs­ten nicht gut an­ge­schrie­ben, weil er nur sei­nem ei­ge­nen stör­ri­schen Wil­len nach­gin­ge und den Krieg wie ein Frei­beu­ter mit Streif- und Raub­zü­gen be­trie­be.

We­nigs­tens sei er noch nie da­von­ge­lau­fen, rief Werth. Her­zog Bern­hard selbst sol­le be­zeu­gen, ob er je sei­nen Rücken ge­se­hen hät­te.

Nein, nie­mals, lach­te Bern­hard, au­ßer bei der gest­ri­gen Af­fä­re.

Auch Sa­vel­li lä­chel­te. Er habe ge­glaubt, sag­te er, Ka­va­lie­re mach­ten ihre Strei­tig­kei­ten un­ter­ein­an­der mit dem Schwer­te aus, nicht in Ge­sell­schaft mit der Zun­ge.

Die Mah­nung las­se er sich ge­fal­len, rief Werth auf­sprin­gend laut und hit­zig, er sei auf der Stel­le be­reit, die Sa­che aus­zu­tra­gen.

Nicht ohne Spott sag­te Bern­hard, er müs­se die Her­ren er­in­nern, dass sie au­gen­blick­lich kei­ne Schwer­ter hät­ten, und was ihn be­tref­fe, so sei er froh, die Ur­sa­che zu sein, die zwei so aus­ge­zeich­ne­te Ge­ne­ra­le ver­hin­der­te, ihr Blut zu ver­gie­ßen. Werth setz­te sich wie­der, und das Mahl nahm sei­nen Fort­gang; aber der Wein brach­te kei­ne Fröh­lich­keit, son­dern er­hitz­te nur die vor­han­de­ne Wut und Rach­sucht.


  1. ge­flü­gel­tes Mischwe­sen der grie­chi­schen My­tho­lo­gie  <<<