55.

Wie um­ständ­lich der Arzt auch dem Pro­fes­sor Be­sold in In­gol­stadt klar­ge­macht hat­te, dass er ster­ben müs­se, woll­te er es doch nicht glau­ben. Wenn er nur das­sel­be Pül­ver­lein be­kom­men könn­te, sag­te er zu sei­ner Frau, das ihm frü­her so gut ge­tan hät­te, so wür­de er gleich ge­sund wer­den; aber das aus der Moh­ren­apo­the­ke sei nicht das rich­ti­ge.

Nun, er­wi­der­te die Frau, sie wol­le jetzt ein­mal in die Lö­wen­apo­the­ke ge­hen, viel­leicht wäre es da auf­zu­trei­ben.

Und dann sol­le sie den Dok­tor nicht wie­der zu ihm her­ein­las­sen, fuhr Be­sold fort, so viel Dumm­heit müs­se einen ja krank ma­chen. Der habe ge­wiss einen Ver­trag mit dem To­ten­grä­ber.

In Stutt­gart und Tü­bin­gen wä­ren die Leu­te frei­lich an­ders, seufz­te die Frau.

Be­sold spür­te die An­züg­lich­keit in ih­rem Tone und war pein­lich da­durch be­rührt. An die schwä­bi­sche Dumm­heit wä­ren sie ein­mal ge­wöhnt ge­we­sen, sag­te er. Und nun möch­te sie doch schnell in die Lö­wen­apo­the­ke gehn und das Pül­ver­lein ho­len, füg­te er hin­zu.

Als er die gute, trau­li­che Ge­stalt durch die Tür ver­schwin­den sah, woll­te er ihr nach­ru­fen, dass sie lie­ber bei ihm blei­ben soll­te, denn es schwamm ihm plötz­lich dun­kel vor den Au­gen; aber er brach­te die Stim­me nicht her­aus, und gleich nach­her er­schi­en statt ih­rer ein Je­sui­ten­pa­ter auf der Schwel­le, der ihn, seit er krank war, häu­fig be­such­te.

Nun, frag­te der Pa­ter, in­dem er sich an Be­solds Bett setz­te, ob Be­sold wohl vor­be­rei­tet auf den Him­mel sei? Jetzt kön­ne er sich in Muße das hoch­zeit­li­che Ge­wand an­le­gen, in dem er zur ewi­gen Freu­de ein­ge­hen soll­te.

Ein Christ, sag­te Be­sold mit et­was un­ge­dul­di­ger Schär­fe im Ton, müs­se je­der­zeit vor­be­rei­tet sein. Im Grun­de be­dür­fe es mehr Vor­be­rei­tung zum Le­ben als zum Tode.

Ja, sag­te der Je­suit, das sei ein wah­res und tief­sin­ni­ges Wort, wie man es von ei­nem sol­chen Ge­lehr­ten und Wei­sen er­war­ten kön­ne. Es lau­fe aber auch ein klein we­nig Täu­schung mit un­ter, in­dem man sich nach mensch­li­cher Be­quem­lich­keit das Ster­ben zu oben­hin aus­mal­te. Man müs­se doch vor­her sein Haus be­stellt ha­ben.

Na­tür­lich, sag­te Be­sold, das sei al­les in Ord­nung, sein Te­sta­ment habe er längst ge­macht.

So, also mit Brot und Klei­dung und fleisch­li­cher Wohl­fahrt habe er sei­ne Frau ver­se­hen, sag­te der Pa­ter; wie er denn aber für ihre See­le ge­sorgt habe? Ob ihm da­bei kein häss­li­cher Wi­der­spruch auf­fie­le, wenn ihr Leib schwelg­te und ihre arme See­le ver­schimp­fen und ver­teu­feln müs­se? Als ei­nem rech­ten christ­li­chen Ehe­man­ne müs­se es ihm sau­er wer­den, ab­zu­fah­ren, so­lan­ge er ihre See­le in der pe­sti­len­zi­schen Höl­len­fins­ter­nis wis­se.

Was er denn an­stel­len soll­te? seufz­te Be­sold. Die Frau sei die bes­te, treues­te Haut von der Welt, aber von un­be­sieg­ba­rer Hart­nä­ckig­keit in Glau­bens­sa­chen. Sie habe den Irr­tum mit der Mut­ter­milch ein­ge­so­gen; das sit­ze viel fes­ter als alle Weis­heit und Ver­nunft, die er ihr jetzt pre­di­gen könn­te.

Der Je­suit schüt­tel­te lä­chelnd den Kopf und sag­te: Ei, ei, das kön­ne er doch nicht glau­ben. Ein Ehe­mann habe doch Ge­walt über die Frau. Wenn ein Mann nur wol­le, kön­ne er ein Wei­ber­köpf­lein re­gie­ren. Zu­mal Be­sold kön­ne doch sei­ne Frau dar­an mah­nen, dass nach drei­ßig Jah­ren un­frucht­ba­rer Ehe der Herr ih­nen wun­der­ba­rer­wei­se ein Kind­lein ge­schenkt hät­te, als Be­sold in den Schoß der Kir­che zu­rück­ge­kehrt sei, und dass, wenn sie in ih­rem Trotz ver­harr­te, es ihr zur Stra­fe und Be­leh­rung wohl wie­der ge­nom­men wer­den könn­te. Fer­ner, wenn er ihr recht be­weg­lich er­klär­te, dass er nicht ru­hig ster­ben kön­ne, bis sie im Arm der Kir­che wohl auf­ge­ho­ben sei, wür­de sie sich doch be­que­men, wenn sie nicht ganz und gar von Stein wäre.

Sie stei­fe sich auf ih­ren ver­meint­li­chen Gott, ent­geg­ne­te Be­sold, und bil­de sich ein, er habe ihr das Kind­lein zum Tros­te we­gen sei­nes Ab­falls ge­schenkt. Au­ßer­dem sei es noch gar nicht so weit, er füh­le sich heu­te bes­ser, das in­gol­städ­ti­sche Kli­ma gehe ihm nur nicht ein, wäre er nur nach Ita­li­en ge­gan­gen, so wür­de er frisch und mun­ter sein. Sein Sinn sei noch nicht aufs Ster­ben ge­stellt.

Der Angst­schweiß stand Be­sold auf der Stirn, und sei­ne Frau er­schi­en ihm wie ein aus äu­ßers­ter Not er­ret­ten­der En­gel, als sie mit dem Pul­ver aus der Apo­the­ke zu­rück­kam. Sie warf einen miss­fäl­li­gen Blick auf den Pa­ter und sag­te zu ihm, ihr Mann müs­se jetzt eine Arz­nei ein­neh­men, schwit­zen und schla­fen, er sol­le ihn ge­fäl­ligst da­bei al­lein las­sen; wor­auf je­ner sich lä­chelnd emp­fahl, ohne dass der Pro­fes­sor ihn zu­rück­zu­hal­ten such­te. Ge­dul­dig ließ er sich das Ge­misch von ihr ein­flö­ßen, fass­te weh­mü­tig ihre Hand und bat sie, bei ihm zu blei­ben und ihn freund­lich an­zu­hö­ren.

Sie hät­ten nun über ein Men­schen­al­ter fried­lich und glück­lich mit­ein­an­der ge­haust und es stets treu und red­lich mit­ein­an­der ge­meint, sie möch­te nun auch sei­nen letz­ten Wunsch er­fül­len und sich zur al­ten, wah­ren Mut­ter­kir­che be­keh­ren las­sen.

Ach, da­von sol­le er doch schwei­gen, sag­te die Frau, der die Trä­nen in den Au­gen stan­den; es sei doch ge­nug, dass sie ihm sei­nen Ab­fall nicht nach­ge­tra­gen habe. Er wis­se es wohl, wie es ihr das Herz ge­bro­chen habe, als alle ehr­li­chen Leu­te in Tü­bin­gen und Schwa­ben ihn ver­ach­tet und ver­flucht hät­ten we­gen sei­ner Ab­trün­nig­keit und Falsch­heit. Sie habe doch in der al­ten Wei­se an ihm ge­han­gen und ih­ren Schmerz für sich hin­un­ter­ge­schluckt; mehr wer­de er in Ewig­keit nicht von ihr er­rei­chen und sol­le es auch nicht ver­lan­gen.

Und was er lit­te, fiel Be­sold ein, wenn er däch­te, dass die ver­ma­le­dei­ten Luther­pfaf­fen ihr Ge­wis­sen be­herrsch­ten und sie nach sei­nem Tode wohl gar zwän­gen, ihn zu ver­flu­chen!

Mit ei­nem sol­chen, der das von ihr ver­lang­te, wür­de sie nie et­was zu tun ha­ben, ent­geg­ne­te die Frau; er müs­se sie gut ge­nug ken­nen, um das zu wis­sen.

Wie er an sei­ne Geg­ner in Schwa­ben dach­te, er­hitz­te sich Be­sold und drang mit noch ein­mal auf­fla­ckern­den Kräf­ten auf sei­ne Frau ein.

Wenn sie däch­te, sag­te sie mit ge­fal­te­ten Hän­den und un­ter strö­men­den Trä­nen, dass sie, nach­dem er sie ver­las­sen ha­ben wür­de, auch ih­ren al­ten Herr­gott nicht mehr ha­ben soll­te, der sie treu durch ihr gan­zes Le­ben ge­führt hät­te, so müs­se sie ganz ver­zwei­feln und hät­te im Him­mel wie auf Er­den kei­ne Hei­mat mehr.

Be­sold bat sie um Got­tes wil­len, nicht zu wei­nen; er kön­ne sie durch­aus nicht wei­nen se­hen, das wis­se sie ja. Nein, er wol­le ihr nicht noch mehr Schmerz be­rei­ten, sie habe ihm ja schon so viel zu­lie­be ge­tan. Wenn sie es nicht frei­wil­lig kön­ne, so wol­le er sie nicht be­drän­gen. Mit Gott habe es ja auch ein ganz an­de­res We­sen, als sie alle däch­ten, es habe der eine die­sen und der an­de­re einen an­de­ren Gott, und über al­lem, was man er­kenn­te und glaub­te, sei Gott im­mer der eine und der­sel­be. Das Herz tue ihm weh, dass sie im Be­kennt­nis nicht wie in al­lem an­de­ren bei­ein­an­der wä­ren; er wol­le sich aber dar­ein fin­den, so­fern sie ihm nur ver­sprä­che, wenn er denn ster­ben müss­te, sei­ner ein­ge­denk zu sein und das Kind so auf­zu­zie­hen, dass es ihn lieb be­hiel­te.

Nach Be­solds Tode be­schlos­sen die Je­sui­ten, die Wit­we auf dem Wege der List zu be­keh­ren, da sie der Über­re­dung nun ein­mal nicht hat­te nach­ge­ben wol­len. Sie er­kun­de­ten, zu wel­cher Zeit die trost­lo­se Frau das Grab ih­res Man­nes zu be­su­chen pfleg­te, und ver­an­stal­te­ten mit­tels ei­nes hin­ter dem ho­hen Grab­stein ver­steck­ten jun­gen Bur­schen einen Spuk, den die frü­he Däm­me­rung des Sep­tem­be­r­abends be­güns­tig­te. Die Trau­ern­de ver­nahm, als sie wei­nend und be­tend ne­ben dem Hü­gel knie­te, einen lang­ge­dehn­ten Seuf­zer, der aus ei­nem in Qua­len sich win­den­den Her­zen zu kom­men schi­en. Sie schrak zu­sam­men und sah sich um; ne­ben ihr war die kah­le Mau­er der Kir­che, eine schreck­haf­te Mas­se, wie wenn ein ur­welt­li­ches Un­ge­heu­er auf dem Bau­che läge und ver­stei­ner­te, auf der an­de­ren Sei­te Denk­mä­ler, an de­nen Krän­ze und trü­be bren­nen­de Lämp­chen hin­gen. Kein Blatt wis­per­te und kein Fuß­tritt ra­schel­te, nur der ge­spens­ti­sche Seuf­zer hauch­te durch die frös­teln­de Öde.

Mit klop­fen­dem Her­zen horch­te sie und ver­nahm nun deut­lich ih­ren hin­ge­seufz­ten Na­men, was ihre Ah­nung be­stä­tig­te, dass das Zei­chen ihr göl­te und von ih­rem Man­ne käme. Sie raff­te sich ent­setzt auf und eil­te nach Hau­se; aber am an­de­ren Tage über­wog die Sehn­sucht, mit dem Ver­stor­be­nen in Ver­bin­dung zu tre­ten, den Schre­cken, und sie such­te den Kirch­hof zur sel­ben Stun­de wie­der auf, wo denn auch die über­ir­di­sche An­ru­fung sich wie­der­hol­te.

Da die Frau in In­gol­stadt we­der Ver­wandt­schaft noch Be­kannt­schaft hat­te, konn­te sie es nicht un­ter­las­sen, ihr Er­leb­nis dem Je­sui­ten­pa­ter an­zu­ver­trau­en, der ih­ren Mann so oft be­sucht hat­te und nach sei­nem Tode häu­fig zu ihr kam, um ihr mit Trost, Rat und Tat bei­zu­ste­hen. Dass das Seuf­zen und An­ru­fen, äu­ßer­te sich die­ser, von ih­rem Man­ne her­rüh­re, lei­de kaum einen Zwei­fel. Man habe schon oft ähn­li­ches er­lebt, wie denn erst kürz­lich das Grab ei­nes ge­wis­sen Man­nes stets von ei­nem schwar­zen Vo­gel um­kreist wor­den sei, bis die Wit­we den Ein­fall ge­habt hät­te, eine Schuld zu zah­len, mit der der Ver­stor­be­ne im Rück­stan­de ge­we­sen wäre; seit­dem habe sich das ver­däch­ti­ge Vö­ge­lein nicht mehr bli­cken las­sen. Sie sol­le doch ge­hö­rig nach­den­ken, ob et­was auf dem Ge­wis­sen ih­res Man­nes läge, wes­we­gen er kei­ne Ruhe im Gra­be fin­den könn­te. Die Frau dach­te dar­an, dass Be­sold wohl we­gen sei­nes Ab­falls Ur­sa­che zur Reue hät­te und weil er den ös­ter­rei­chi­schen so viel schwä­bi­sches Klos­ter­gut in die Hän­de ge­spielt hat­te; aber gleich­zei­tig lag ihr das letz­te lan­ge Ge­spräch mit ihm im Sinn, als er so trau­rig und herz­lich ge­sagt hat­te, er wol­le sie nicht fer­ner quä­len, wenn sie ihn nur lieb be­hiel­te. Es woll­te ihr jetzt schei­nen, als sei sie hart­her­zig ge­we­sen, dass sie ihn ohne Trost und si­che­re Aus­sicht auf der­eins­ti­ge Wie­der­ver­ei­ni­gung hat­te ster­ben las­sen. Ach, und was soll­te ihr selbst die himm­li­sche Se­lig­keit nüt­zen, wenn sie die­sel­be ge­trennt von ih­rem lie­ben Man­ne ge­nie­ßen soll­te? Hat­te nicht Gott selbst den Ehe­frau­en ge­bo­ten, ihre Her­ren über al­les zu lie­ben und ih­nen in al­len Din­gen nach­zu­fol­gen?

Die Un­ter­wei­sung des ka­tho­li­schen Pries­ters, um die sie nun nach­such­te, leuch­te­te ihr zwar nicht son­der­lich ein; aber ge­ra­de die Grö­ße des Op­fers lock­te sie, weil sie umso mehr Er­folg zu ver­hei­ßen schi­en, und so voll­zog sie nach ei­ni­ger Zeit den Über­tritt, wo­mit das selt­sa­me Seuf­zen am Gra­be denn auch ein Ende nahm.