Wie umständlich der Arzt auch dem Professor Besold in Ingolstadt klargemacht hatte, dass er sterben müsse, wollte er es doch nicht glauben. Wenn er nur dasselbe Pülverlein bekommen könnte, sagte er zu seiner Frau, das ihm früher so gut getan hätte, so würde er gleich gesund werden; aber das aus der Mohrenapotheke sei nicht das richtige.
Nun, erwiderte die Frau, sie wolle jetzt einmal in die Löwenapotheke gehen, vielleicht wäre es da aufzutreiben.
Und dann solle sie den Doktor nicht wieder zu ihm hereinlassen, fuhr Besold fort, so viel Dummheit müsse einen ja krank machen. Der habe gewiss einen Vertrag mit dem Totengräber.
In Stuttgart und Tübingen wären die Leute freilich anders, seufzte die Frau.
Besold spürte die Anzüglichkeit in ihrem Tone und war peinlich dadurch berührt. An die schwäbische Dummheit wären sie einmal gewöhnt gewesen, sagte er. Und nun möchte sie doch schnell in die Löwenapotheke gehn und das Pülverlein holen, fügte er hinzu.
Als er die gute, trauliche Gestalt durch die Tür verschwinden sah, wollte er ihr nachrufen, dass sie lieber bei ihm bleiben sollte, denn es schwamm ihm plötzlich dunkel vor den Augen; aber er brachte die Stimme nicht heraus, und gleich nachher erschien statt ihrer ein Jesuitenpater auf der Schwelle, der ihn, seit er krank war, häufig besuchte.
Nun, fragte der Pater, indem er sich an Besolds Bett setzte, ob Besold wohl vorbereitet auf den Himmel sei? Jetzt könne er sich in Muße das hochzeitliche Gewand anlegen, in dem er zur ewigen Freude eingehen sollte.
Ein Christ, sagte Besold mit etwas ungeduldiger Schärfe im Ton, müsse jederzeit vorbereitet sein. Im Grunde bedürfe es mehr Vorbereitung zum Leben als zum Tode.
Ja, sagte der Jesuit, das sei ein wahres und tiefsinniges Wort, wie man es von einem solchen Gelehrten und Weisen erwarten könne. Es laufe aber auch ein klein wenig Täuschung mit unter, indem man sich nach menschlicher Bequemlichkeit das Sterben zu obenhin ausmalte. Man müsse doch vorher sein Haus bestellt haben.
Natürlich, sagte Besold, das sei alles in Ordnung, sein Testament habe er längst gemacht.
So, also mit Brot und Kleidung und fleischlicher Wohlfahrt habe er seine Frau versehen, sagte der Pater; wie er denn aber für ihre Seele gesorgt habe? Ob ihm dabei kein hässlicher Widerspruch auffiele, wenn ihr Leib schwelgte und ihre arme Seele verschimpfen und verteufeln müsse? Als einem rechten christlichen Ehemanne müsse es ihm sauer werden, abzufahren, solange er ihre Seele in der pestilenzischen Höllenfinsternis wisse.
Was er denn anstellen sollte? seufzte Besold. Die Frau sei die beste, treueste Haut von der Welt, aber von unbesiegbarer Hartnäckigkeit in Glaubenssachen. Sie habe den Irrtum mit der Muttermilch eingesogen; das sitze viel fester als alle Weisheit und Vernunft, die er ihr jetzt predigen könnte.
Der Jesuit schüttelte lächelnd den Kopf und sagte: Ei, ei, das könne er doch nicht glauben. Ein Ehemann habe doch Gewalt über die Frau. Wenn ein Mann nur wolle, könne er ein Weiberköpflein regieren. Zumal Besold könne doch seine Frau daran mahnen, dass nach dreißig Jahren unfruchtbarer Ehe der Herr ihnen wunderbarerweise ein Kindlein geschenkt hätte, als Besold in den Schoß der Kirche zurückgekehrt sei, und dass, wenn sie in ihrem Trotz verharrte, es ihr zur Strafe und Belehrung wohl wieder genommen werden könnte. Ferner, wenn er ihr recht beweglich erklärte, dass er nicht ruhig sterben könne, bis sie im Arm der Kirche wohl aufgehoben sei, würde sie sich doch bequemen, wenn sie nicht ganz und gar von Stein wäre.
Sie steife sich auf ihren vermeintlichen Gott, entgegnete Besold, und bilde sich ein, er habe ihr das Kindlein zum Troste wegen seines Abfalls geschenkt. Außerdem sei es noch gar nicht so weit, er fühle sich heute besser, das ingolstädtische Klima gehe ihm nur nicht ein, wäre er nur nach Italien gegangen, so würde er frisch und munter sein. Sein Sinn sei noch nicht aufs Sterben gestellt.
Der Angstschweiß stand Besold auf der Stirn, und seine Frau erschien ihm wie ein aus äußerster Not errettender Engel, als sie mit dem Pulver aus der Apotheke zurückkam. Sie warf einen missfälligen Blick auf den Pater und sagte zu ihm, ihr Mann müsse jetzt eine Arznei einnehmen, schwitzen und schlafen, er solle ihn gefälligst dabei allein lassen; worauf jener sich lächelnd empfahl, ohne dass der Professor ihn zurückzuhalten suchte. Geduldig ließ er sich das Gemisch von ihr einflößen, fasste wehmütig ihre Hand und bat sie, bei ihm zu bleiben und ihn freundlich anzuhören.
Sie hätten nun über ein Menschenalter friedlich und glücklich miteinander gehaust und es stets treu und redlich miteinander gemeint, sie möchte nun auch seinen letzten Wunsch erfüllen und sich zur alten, wahren Mutterkirche bekehren lassen.
Ach, davon solle er doch schweigen, sagte die Frau, der die Tränen in den Augen standen; es sei doch genug, dass sie ihm seinen Abfall nicht nachgetragen habe. Er wisse es wohl, wie es ihr das Herz gebrochen habe, als alle ehrlichen Leute in Tübingen und Schwaben ihn verachtet und verflucht hätten wegen seiner Abtrünnigkeit und Falschheit. Sie habe doch in der alten Weise an ihm gehangen und ihren Schmerz für sich hinuntergeschluckt; mehr werde er in Ewigkeit nicht von ihr erreichen und solle es auch nicht verlangen.
Und was er litte, fiel Besold ein, wenn er dächte, dass die vermaledeiten Lutherpfaffen ihr Gewissen beherrschten und sie nach seinem Tode wohl gar zwängen, ihn zu verfluchen!
Mit einem solchen, der das von ihr verlangte, würde sie nie etwas zu tun haben, entgegnete die Frau; er müsse sie gut genug kennen, um das zu wissen.
Wie er an seine Gegner in Schwaben dachte, erhitzte sich Besold und drang mit noch einmal aufflackernden Kräften auf seine Frau ein.
Wenn sie dächte, sagte sie mit gefalteten Händen und unter strömenden Tränen, dass sie, nachdem er sie verlassen haben würde, auch ihren alten Herrgott nicht mehr haben sollte, der sie treu durch ihr ganzes Leben geführt hätte, so müsse sie ganz verzweifeln und hätte im Himmel wie auf Erden keine Heimat mehr.
Besold bat sie um Gottes willen, nicht zu weinen; er könne sie durchaus nicht weinen sehen, das wisse sie ja. Nein, er wolle ihr nicht noch mehr Schmerz bereiten, sie habe ihm ja schon so viel zuliebe getan. Wenn sie es nicht freiwillig könne, so wolle er sie nicht bedrängen. Mit Gott habe es ja auch ein ganz anderes Wesen, als sie alle dächten, es habe der eine diesen und der andere einen anderen Gott, und über allem, was man erkennte und glaubte, sei Gott immer der eine und derselbe. Das Herz tue ihm weh, dass sie im Bekenntnis nicht wie in allem anderen beieinander wären; er wolle sich aber darein finden, sofern sie ihm nur verspräche, wenn er denn sterben müsste, seiner eingedenk zu sein und das Kind so aufzuziehen, dass es ihn lieb behielte.
Nach Besolds Tode beschlossen die Jesuiten, die Witwe auf dem Wege der List zu bekehren, da sie der Überredung nun einmal nicht hatte nachgeben wollen. Sie erkundeten, zu welcher Zeit die trostlose Frau das Grab ihres Mannes zu besuchen pflegte, und veranstalteten mittels eines hinter dem hohen Grabstein versteckten jungen Burschen einen Spuk, den die frühe Dämmerung des Septemberabends begünstigte. Die Trauernde vernahm, als sie weinend und betend neben dem Hügel kniete, einen langgedehnten Seufzer, der aus einem in Qualen sich windenden Herzen zu kommen schien. Sie schrak zusammen und sah sich um; neben ihr war die kahle Mauer der Kirche, eine schreckhafte Masse, wie wenn ein urweltliches Ungeheuer auf dem Bauche läge und versteinerte, auf der anderen Seite Denkmäler, an denen Kränze und trübe brennende Lämpchen hingen. Kein Blatt wisperte und kein Fußtritt raschelte, nur der gespenstische Seufzer hauchte durch die fröstelnde Öde.
Mit klopfendem Herzen horchte sie und vernahm nun deutlich ihren hingeseufzten Namen, was ihre Ahnung bestätigte, dass das Zeichen ihr gölte und von ihrem Manne käme. Sie raffte sich entsetzt auf und eilte nach Hause; aber am anderen Tage überwog die Sehnsucht, mit dem Verstorbenen in Verbindung zu treten, den Schrecken, und sie suchte den Kirchhof zur selben Stunde wieder auf, wo denn auch die überirdische Anrufung sich wiederholte.
Da die Frau in Ingolstadt weder Verwandtschaft noch Bekanntschaft hatte, konnte sie es nicht unterlassen, ihr Erlebnis dem Jesuitenpater anzuvertrauen, der ihren Mann so oft besucht hatte und nach seinem Tode häufig zu ihr kam, um ihr mit Trost, Rat und Tat beizustehen. Dass das Seufzen und Anrufen, äußerte sich dieser, von ihrem Manne herrühre, leide kaum einen Zweifel. Man habe schon oft ähnliches erlebt, wie denn erst kürzlich das Grab eines gewissen Mannes stets von einem schwarzen Vogel umkreist worden sei, bis die Witwe den Einfall gehabt hätte, eine Schuld zu zahlen, mit der der Verstorbene im Rückstande gewesen wäre; seitdem habe sich das verdächtige Vögelein nicht mehr blicken lassen. Sie solle doch gehörig nachdenken, ob etwas auf dem Gewissen ihres Mannes läge, weswegen er keine Ruhe im Grabe finden könnte. Die Frau dachte daran, dass Besold wohl wegen seines Abfalls Ursache zur Reue hätte und weil er den österreichischen so viel schwäbisches Klostergut in die Hände gespielt hatte; aber gleichzeitig lag ihr das letzte lange Gespräch mit ihm im Sinn, als er so traurig und herzlich gesagt hatte, er wolle sie nicht ferner quälen, wenn sie ihn nur lieb behielte. Es wollte ihr jetzt scheinen, als sei sie hartherzig gewesen, dass sie ihn ohne Trost und sichere Aussicht auf dereinstige Wiedervereinigung hatte sterben lassen. Ach, und was sollte ihr selbst die himmlische Seligkeit nützen, wenn sie dieselbe getrennt von ihrem lieben Manne genießen sollte? Hatte nicht Gott selbst den Ehefrauen geboten, ihre Herren über alles zu lieben und ihnen in allen Dingen nachzufolgen?
Die Unterweisung des katholischen Priesters, um die sie nun nachsuchte, leuchtete ihr zwar nicht sonderlich ein; aber gerade die Größe des Opfers lockte sie, weil sie umso mehr Erfolg zu verheißen schien, und so vollzog sie nach einiger Zeit den Übertritt, womit das seltsame Seufzen am Grabe denn auch ein Ende nahm.