In seinem Quartier in Pontarlier saß Guébriant am Fenster und las eine soeben erhaltene Instruktion, nach welcher er schleunig dazu schreiten sollte, Herzog Bernhard zur Übergabe Breisachs an Frankreich zu veranlassen; immerhin so, dass seine Empfindlichkeit möglichst geschont und seine Anhänglichkeit an den König erhalten bliebe. Als der Graf gelesen hatte, schob er das Schreiben in ein Taschenbuch und seufzte; dann zog er einen kleinen Handspiegel aus der Tasche, ordnete seine Locken und zupfte gedankenlos an dem schwarzen Pflästerchen, das er über einer vor Jahren empfangenen Wunde auf der Wange trug. Der Auftrag war ihm außerordentlich zuwider; denn er wusste gewiss, dass er Bernhard dadurch reizen, und ahnte, dass er ihn nicht würde beeinflussen können. Hatte Bernhard sich auch nie deutlich darüber ausgesprochen, so stand es doch über jedem Zweifel, dass er Breisach für sich selbst erobert hatte; so kämpfte niemand um eine Braut, die er für einen anderen freite. Guébriant dachte an den vergangenen Herbst zurück, als an den Schanzen gebaut und um die Schanzen gestritten wurde, Bernhard fieberkrank in Kolmar lag und von dort aus das große Werk mit seinem leidenschaftlich gespannten Geist beherrschte. Während sein Körper jämmerlich hingestreckt mit dem Tode rang, stand sein Wille wie ein Adler über dem furchtbaren Bollwerk, das er sich unterwerfen wollte. An jenen Oktobertag dachte Guébriant, als die zu einem unerwarteten Überfall vereinigte kaiserliche Macht heranrückte, die vordersten Schanzen eroberte und schon die große Schiffbrücke bedrohte, mit welcher der Zugang zur Festung in die Hände des Feindes gefallen wäre: wie er, von der Not des Augenblicks ergriffen, in seine Truppen drang, zur Verteidigung der Brücke anzurücken, wie sie sich weigerten, wie er mahnte und drohte, seine Offiziere bestürmte, und wie plötzlich Bernhard in ihrer Mitte erschien, alles mit sich reißend auf die Brücke sprengte und unerschüttert zwischen geschlachteten Opfern den Sieg auf seine Seite riss. Unvergesslich stand sein Bild vor ihm, wie er ihn an jenem Abend begrüßte: sein Gesicht war fahl, sein Auge wie von schwarzen Flören umwunden, das lange Haar klebte ihm an den Schläfen, und die Hand, mit der er das Spitzentuch an die Stirn führte, um sie zu trocknen, zitterte. Was er selbst Wunderbares geleistet hatte, schien er kaum zu wissen, anstatt dessen rühmte er Guébriants Tapferkeit und die Bundestreue, mit der er seine widerstrebenden Völker zur Schlacht geführt hatte.
Ein Gefühl der Befriedigung kam allmählich über Guébriant; er hatte sich in der Tat so gegen Bernhard benommen, wie ein Edelmann sollte, und wenn Bernhard war, wie er ihn einschätzte, musste er ihm ebenso begegnen. Bernhards verborgene Absichten durchschauend, die den gerechten Wünschen seines Königs entgegengesetzt waren, hatte er ihn doch stets mit Hintansetzung seiner eigenen Bequemlichkeit unterstützt und wie einen ergebenen Anhänger Frankreichs behandelt. Seine Feldherrngröße hatte er bewundert, ohne Neid zu empfinden oder sich durch Eitelkeit täuschen zu lassen; er hatte gezeigt, dass er, von allen zufälligen Umständen absehend, den Menschen schätzen konnte. Wenn nun der Augenblick da war, wo er in der Beschränkung seines Amtes auftreten und die Pflicht eines Vasallen des Königs ausüben musste, würde Bernhard so kleinlich sein, ihn deshalb weniger hoch zu achten? Er richtete sich gerade auf und entschloss sich, ohne Zögern fest in die Dornen zu greifen; hatte er doch gewusst, als er den Rhein überschritt, dass dies ein stygischer Fluss für ihn war, der ihn, vielleicht für immer, von Frankreich, dem Heimatlande der Sonne und der Freude, abschnitt.
Der Herzog saß, als Guébriant bei ihm eintrat, in seinen Mantel gehüllt an einem Tisch und schrieb. Die Sonne sei noch gar zu winterlich, sagte er, es fröstele ihn durch und durch. Aber auch Guébriant sehe leidend aus; ob er von seiner Krankheit noch nicht ganz wiederhergestellt sei?
Davon wollten sie nicht reden, antwortete Guébriant; er hoffe es bald überwunden zu haben und schäme sich, wenn er sähe, wie unermüdlich Bernhard trotz seiner angegriffenen Gesundheit wäre. Es erscheine ein Wunder, wenn man den erbärmlichen Zustand Breisachs nach der Eroberung gesehen hätte, wie es sich jetzt wieder regte und schöner aufblühte. Das sei die Frucht von Bernhards einsichtigen Mühen. Was dabei störe und betrübe, sei nur der Gedanke, der aufgewandte Fleiß könne am Ende noch dem Feinde zum Vorteil gereichen.
Was Guébriant damit sagen wolle? fragte Bernhard, die Stirne runzelnd. Ob er ihn nicht Manns genug erachte, Erobertes festzuhalten?
O ja, das traue er ihm wohl zu, sagte Guébriant mit einem leisen Anflug von Spott. Aber der Mensch und zumal der Soldat stehe in Gottes Hand. Sollte Bernhard ein Unglück zustoßen, was Gott verhüten möge, so sei keine Vorsorge getroffen, dass Frankreich das Elsaß schützen könnte. Ohne Frage würde der Habsburger in solchem Falle Breisach sofort wieder an sich zu bringen suchen. Wer es dann verteidigen sollte?
Er habe das Vertrauen zu Gott, sagte Bernhard, dass er ihn zum Wohle Deutschlands und des Evangeliums noch einige Zeit werde leben lassen. Sollte er ihn aber abrufen, so liege die Pflicht, Breisach zu schützen, seinen Erben ob.
Nach einer Pause, während welcher Bernhard von Guébriant abgewendet aus dem Fenster sah, begann dieser, er könne sich dem Eindruck nicht verschließen, dass Bernhard dem Könige weniger ergeben sei als früher, und es würde ihn außerordentlich schmerzen, wenn Bernhard die Bande zu lösen beabsichtige, die ihn an Frankreich knüpften. Ob Bernhard vergessen habe, wie viel Dienste der König ihm geleistet, wie viel Opfer ihm gebracht hätte?
Nein, sagte Bernhard, noch auch diejenigen, die er gebracht hätte.
Ob er glaube, fuhr Guébriant fort, inskünftig der Hilfe des Königs entraten zu können?
Nein, er glaube es nicht, sagte Bernhard einlenkend, und habe auch nicht im Sinn, sich von dem Könige zu trennen, hoffe vielmehr, dass die erfochtenen Siege die bestehende Verbindung befestigen würden. Dem Könige solle sein Kampf um die Freigrafschaft zugute kommen. Gäbe er diese in die Hand des Königs, so rechne er darauf, dass der König dagegen ihm das Elsaß, auf das er Anspruch hätte, nicht antastete.
Der König denke nicht daran, Bernhards Rechte verkürzen zu wollen, sagte Guébriant, und nach dem Vertrage sei sein Recht auf die Einkünfte aus dem Elsaß unzweifelhaft. Anders verhalte es sich, wie er berichtet sei, mit den Hoheitsrechten und mit der Festung Breisach, die nicht im Elsaß begriffen sei.
Wäre das Recht des Vertrages zweifelhaft, warf Bernhard rasch ein, so hätte er doch das Recht der Eroberung. Was er mit seinem Heer eroberte, wolle er mit seinem Heer festhalten.
Guébriants hübsches, feingeformtes Gesicht errötete. »Das Heer ist dessen, der es bezahlt«, sagte er in höflichem Tone.
Bernhard fuhr zornig in die Höhe. Nicht auf das Heer komme es an, sondern auf des Heeres Herrn, und der sei frei, ein Fürst des Reichs, der von niemandem, nicht einmal vom Kaiser, Befehle annähme.
Ein Ausdruck ablehnender Missbilligung glitt über Guébriants Gesicht, aber seine Haltung und Rede blieben unverändert verbindlich. Niemand erkenne freudiger an, was für ein Held Bernhard sei, als der König, sagte er. Der König beklage es lebhaft, dass Bernhard nicht nach Paris gekommen sei, denn er hätte ihm seine Freundschaft zu beweisen gewünscht. Dem König liege es am Herzen, Bernhards Wohl zu befördern. Er könne nicht begreifen, warum Bernhard, der Erbe der alten sächsischen Kurfürsten, sich mit Lorbeerkränzen begnügen wollte, da er doch das älteste, das heiligste Diadem der Christenheit auf sein Haupt setzen könnte.
Bernhard legte sein blasses Gesicht in die Hände. »Sie vergessen«, sagte er, »dass ich evangelisch bin.«
Ach nein, sagte Guébriant, er müsse oft daran denken. Der König habe mit Schmerz erfahren, wie hart Bernhard gegen die Katholiken in Breisach verfahren sei. Viele Bürger, die schuldlos ihrer Ämter entsetzt wären, hätten sich mit bitterer Klage an den König als an ihren natürlichen Beschützer gewendet. Schon um der Religion willen, zu deren Schutz der König nach uraltem Herkommen verpflichtet sei, müsse er eine Obhut über Breisach und das Elsaß beanspruchen. Wäre der Dank zu groß dafür, dass der König Bernhard den Weg zur erhabensten Höhe im Reich zu ebnen geneigt sei?
Das wäre ein trauriger Kaiser, sagte Bernhard bitter, der damit anfinge, das Reich zu verhandeln.
Es sei niemals unziemlich, entgegnete Guébriant, Verträge einzuhalten und Freundschaft mit Freundschaft zu erwidern.
In Bernhards Gesicht zuckte es, und seine Finger spielten krampfhaft mit seiner Feder. »Es gibt keinen Vertrag und keine Freundschaft«, stieß er hervor, »in deren Namen ein Fürst seine Ehre opfern müsste.«
Guébriant trat einen Schritt zurück, und seine Nasenflügel weiteten sich in verhaltenem Befremden, das an Verachtung streifte. Auf seiner Zunge lag die Frage, ob denn das fürstliche Ehre sei, Geld anzunehmen und die bedungene Ware nicht zu liefern? Allein er schwieg, indem er erwog, dass er seinem Könige einen schlechten Dienst leisten würde, wenn er ihm Bernhard ganz entfremdete, und dass er deshalb jetzt nicht weiter in ihn dringen dürfe. Nach seinem Dafürhalten war es nicht ausgeschlossen, dass Bernhard, lieber als dass er das Elsaß an Frankreich auslieferte, sich den Schweden in die Arme würfe oder gar mit dem Kaiser aussöhnte. Es entging ihm nicht, wie viele Verbindungen Bernhard heimlich unterhielt: er stand mit der Landgräfin von Hessen, mit deren General Melander, mit der pfälzischen Familie, mit Arnim in Briefwechsel und plante mit ihnen neue Kombinationen. Ja, es war zu merken, dass er nicht mehr der geschlagene, flüchtige, arme Soldatenführer, sondern dass er mit französischem Gelde ein glücklicher Eroberer geworden war. Auch Gustav Adolf hatte einmal einem französischen Gesandten plump ins Gesicht gesagt, er solle seinen Herrn daran erinnern, dass er König und dass er siegreich sei; und die damals gemachten Erfahrungen wiederholten sich nun mit dem Herzog von Weimar: das französische Gold lockte die Barbaren und machte sie geschmeidig, solange sie seiner bedurften; waren sie dadurch mächtig geworden, so kehrten sie sich zähnefletschend gegen den lästigen Gläubiger.
Dennoch konnte Guébriant dem Herzoge nicht zürnen. Wie zwei heimatlos irrende Geister, die unendlichen Gram empfinden und einflößen, hatten ihn die aus seinem kranken Gesicht herausbrennenden Augen angesehen. Der Unglückliche hatte sich verstrickt, und die Bande würgten ihn, je mehr er daran zerrte. Wie konnte er ihn dahin bringen, einzusehen, dass ihn nicht nur die wahre Pflicht, sondern auch der wahre Vorteil mit Frankreich einten? Warum zögerte er, sich dem Könige ganz hinzugeben, dem mächtigsten und erlauchtesten Monarchen der Erde? Warum begriff er nicht, dass es rühmlicher für ihn wäre, dieses Monarchen Diener zu sein als der ungebundenste Fürst dieses wüsten, versoffenen, verschlemmten Reiches?