Im Dorfe Grünwald an der Isar brachen Soldaten ein Häuschen ab, dessen Bewohner an der Pest gestorben waren, schleppten Bretter und Balken an den Rand eines Feldes, wobei ihnen die Bauern behilflich sein mussten, und zündeten Feuer an, um sich zu wärmen; denn es war ein kühler Abend. Der grauweiße Frühlingshimmel flog über der Hochebene wie das geblähte Segel eines vom Winde getriebenen Schiffes; weithin ragte nichts aus der stillen Fläche als der spitze, ein wenig schiefe Kirchturm des Ortes und die schwebenden Kuppeln der noch unbelaubten Linden. In einer Gruppe von Lagernden wurden Igel am Spieße gebraten und die Kinder gelobt, die die Tiere gefangen hatten; auch Rüben hatten sie noch gefunden, aber sie hatten weit, fast bis an die Grenze der Stadt München, danach suchen müssen. Es wäre gut, sagte eine Frau, dass es morgen weiterginge, sonst würden sie hier Erde fressen müssen, obwohl sie doch keineswegs nackt und bloß wären. Sie zum Beispiel besäße wertvolle, mit Edelsteinen besetzte Ohrringe und silberne Beschläge, die ihr Mann in Landsberg von einem Buche losgerissen hätte. Sie hätten damals wegen des Buches gezankt; denn aus Lust an den Bildern, die darin gewesen wären, hätte sie es gern mitnehmen wollen; aber später, als sie kein Pferd mehr gehabt hätten und sie den schweren Band selbst würde haben schleppen müssen, sei sie zufrieden gewesen, dass er es weggeworfen hätte.
Mit Büchern sei es ihm auch einmal übel ergangen, erzählte ein Soldat, nämlich in Memmingen, wo er mit anderen ein Kloster geplündert hätte. Seine Kameraden wären zuerst in die Keller und Vorratskammern gelaufen, er dagegen sei in die Bibliothek geraten; denn weil er ein Lehrersbub sei und auch lesen könne, habe er eine Vorliebe für das Bücherwesen. Wie er das eine und andere Buch aufgemacht hätte, sei ihm eins mit schönen Heiligengeschichten vorgekommen, darin habe er zu lesen angefangen und Ort und Stunde vergessen, bis die Zeit um gewesen sei und die Soldaten zusammengetrommelt worden wären. Da habe er das schwere Buch aufgepackt, um seiner Frau wenigstens etwas mitzubringen, und habe es lange mitgeschleppt, bis sie einmal bei der großen Kälte ein Feuer damit gemacht hätten. Seine Frau habe dazumal nicht wenig geschimpft wegen der Eselsbeute.
Er brächte auch immer das Geringste, sagte die Frau grollend. Sie habe es sich lustiger gedacht, ein Soldatenweib zu sein. Niemals habe sie Ketten und Ohrringe, wie andere, zu sehen bekommen.
Dafür brächte er ihr auch keine Schläge heim, entschuldigte sich der Mann. Ja, dann wäre es kein Wunder, wenn seine Frau ein loses Maul hätte, lachte ein anderer, sie würde ihm auch schwerlich treu bleiben. Weiber wollten geprügelt sein, eine schwere Faust tue einem Weib wohler als ein schönes Gesicht. Überhaupt könne ohne Prügel keine Ordnung und kein großes Werk bestehen, das habe er eingesehen, als er unter dem Gallas gedient hätte, und sei auch deshalb davongelaufen. Da habe jeder getan, was ihm beliebt hätte, gesoffen, gehurt, gespielt, gehext, und der Profos habe alles mitgemacht. Einmal wären sie in der Nähe von Amberg zu zwanzig als Salvaguardia in ein adliges Haus geschickt, wo sie auch gut empfangen und bewirtet worden wären. Um Mitternacht, als alles in den Betten gewesen wäre, hätten sie das Schloss ausgeplündert und dann in Brand gesteckt, dass es mit Mann und Maus zu Asche verbrannt wäre. Es wäre eigentlich ein Schelmenstück gewesen und hätte ihn gereut, als er das Geschrei der brennenden Kinder gehört hätte; aber er habe sich’s nicht merken lassen dürfen. Die Hauptleute hätten ihren Anteil erhalten, und so sei die Missetat unbestraft geblieben. Er habe ein kleines goldenes Kruzifix bekommen und trage es seitdem auf der Brust zur Buße.
Ja, jetzt treibe man’s liederlich, sagte ein alter weißhaariger Mann. Er sei vor vierzig Jahren unter Schwarzenberg in den Türkenkriegen gewesen, da sei es anders zugegangen. Wenn einer des Abends um acht Uhr nach der Trommel nicht im Lager gewesen sei, so habe der Profos ihn aufgeknüpft, ohne weiter zu fragen. Der Profos sei ein krummes, mageres Männlein, aber stark gewesen; er habe sich auf die Schwarze Kunst verstanden, Mittel gegen alle Schmerzen und Wunden gewusst und seinen Lieblingen umsonst davon ausgeteilt. Er habe weit über hundert Jahre auf dem Buckel gehabt und die großen Schweizerkriege unter dem alten Kaiser Maximilian mitgemacht, wovon er ganze Nächte lang wunderliche Geschichten erzählt hätte. Dieser Profos habe eine gewaltige Hakennase mit weiten Nasenlöchern gehabt, in denen habe er eine Spinne gezogen, die sei ganz zahm gewesen, und wenn er eine Fliege oder Mücke auf die Backe gesetzt hätte, sei sie aus ihrer Höhle gekrochen, um das Futter zu holen. In den Mußestunden habe er Salben und Tränke und Amulette zubereitet, wozu er auch Menschenknochen und Menschenhaut gebraucht hätte, und wenn sein Kram ihm ausgegangen wäre, habe er frisch ein paar Kerle herausgegriffen und aufgehängt; man habe ihn aber zu sehr gefürchtet und geliebt, um sich gegen ihn aufzulehnen.
Es gäbe auch jetzt noch solche, die sich das Leben verlängern könnten, sagte ein Soldat; aber es gehe gefährlich und in Teufels Namen dabei zu, sei auch wider Gottes Gebot. Er wurde bestürmt, sich näher darüber auszulassen, als die Aufmerksamkeit durch einen Bauer abgelenkt wurde, der sich durch das Lager schlich. Man ergriff ihn und fragte ihn, wohin er wolle? Er sei vom Pfluge weggelaufen, das gehe nicht an, er müsse arbeiten, bis das Feld umgeackert sei.
Der andere sei umgefallen und habe Krämpfe bekommen, sagte der Bauer, werde jetzt schon hin sein. Er allein könne es nicht schaffen, da er ja auch kein Vieh hätte.
So solle er wenigstens den Toten forttragen, sagten die Soldaten.
Das sei des Totengräbers Sache, erwiderte der Bauer, er rühre keine Pestleiche an.
Einer fragte lachend, warum er so heikel sei? Wenn er sich auf die Erde legte, würden die Würmer gewiss auch an ihn gehen.
Nun freilich, sagte eine mitleidige Frau, ob sie nicht sähen, dass der arme Mensch verhungert sei? Man solle ihm einen Schluck Bier und eine Rübe geben, so werde er wieder arbeiten können.
Während der Bauer verschlang, was ihm gereicht wurde, schalt ein Soldat, wenn die Lumpenhunde merkten, dass sie noch etwas hätten, würden sie der Bettler nicht loswerden. Übrigens könne es ihnen gleich sein, ob das Feld gepflügt würde oder nicht, da sie abzögen; etwa käme es sogar noch dem Feinde zugute.
Der Ort war so verpestet und verarmt, dass, als nach einigen Tagen das Regiment aufbrach, auch die Kränksten sich mitschleppten, um nicht im Dorfe dem Hunger oder der Seuche anheimzufallen. Nur einer, dem im Winter beide Füße abgefroren waren, musste in seinem Quartier bleiben, einer winzigen Hütte, deren Besitzer vor Monaten gestorben war. Die Witwe, eine hagere, gebückte, schweigsame Frau, hatte ihm das Bett ihres Mannes überlassen und ihn, so gut sie konnte, verpflegt, wofür er sich dankbar erwies, indem er ihr nach Kräften, an zwei Krücken hinkend, bei der Arbeit half, auch ihren Kindern etwas Lesen und Schreiben beibrachte. Nachdem das Regiment fort und kein Arzt und keinerlei Unterstützung mehr zur Hand war, starb er zum Kummer der Frau, die einen gutmütigen Gehilfen an ihm verloren hatte. In Abwesenheit der Kinder zerhackte sie den Leichnam, machte ein Feuer und briet ein Stück, um es mit den ausgehungerten Kindern zu verzehren, wenn sie heimkämen. Das übrige vergrub sie schweren Herzens unter der Regentonne.