57.

Im Dor­fe Grün­wald an der Isar bra­chen Sol­da­ten ein Häu­schen ab, des­sen Be­woh­ner an der Pest ge­stor­ben wa­ren, schlepp­ten Bret­ter und Bal­ken an den Rand ei­nes Fel­des, wo­bei ih­nen die Bau­ern be­hilf­lich sein muss­ten, und zün­de­ten Feu­er an, um sich zu wär­men; denn es war ein küh­ler Abend. Der grau­wei­ße Früh­lings­him­mel flog über der Ho­chebe­ne wie das ge­bläh­te Se­gel ei­nes vom Win­de ge­trie­be­nen Schif­fes; weit­hin rag­te nichts aus der stil­len Flä­che als der spit­ze, ein we­nig schie­fe Kirch­turm des Or­tes und die schwe­ben­den Kup­peln der noch un­be­laub­ten Lin­den. In ei­ner Grup­pe von La­gern­den wur­den Igel am Spie­ße ge­bra­ten und die Kin­der ge­lobt, die die Tie­re ge­fan­gen hat­ten; auch Rü­ben hat­ten sie noch ge­fun­den, aber sie hat­ten weit, fast bis an die Gren­ze der Stadt Mün­chen, da­nach su­chen müs­sen. Es wäre gut, sag­te eine Frau, dass es mor­gen wei­ter­gin­ge, sonst wür­den sie hier Erde fres­sen müs­sen, ob­wohl sie doch kei­nes­wegs nackt und bloß wä­ren. Sie zum Bei­spiel be­sä­ße wert­vol­le, mit Edel­stei­nen be­setz­te Ohr­rin­ge und sil­ber­ne Be­schlä­ge, die ihr Mann in Lands­berg von ei­nem Bu­che los­ge­ris­sen hät­te. Sie hät­ten da­mals we­gen des Bu­ches ge­zankt; denn aus Lust an den Bil­dern, die dar­in ge­we­sen wä­ren, hät­te sie es gern mit­neh­men wol­len; aber spä­ter, als sie kein Pferd mehr ge­habt hät­ten und sie den schwe­ren Band selbst wür­de ha­ben schlep­pen müs­sen, sei sie zu­frie­den ge­we­sen, dass er es weg­ge­wor­fen hät­te.

Mit Bü­chern sei es ihm auch ein­mal übel er­gan­gen, er­zähl­te ein Sol­dat, näm­lich in Mem­min­gen, wo er mit an­de­ren ein Klos­ter ge­plün­dert hät­te. Sei­ne Ka­me­ra­den wä­ren zu­erst in die Kel­ler und Vor­rats­kam­mern ge­lau­fen, er da­ge­gen sei in die Biblio­thek ge­ra­ten; denn weil er ein Leh­rers­bub sei und auch le­sen kön­ne, habe er eine Vor­lie­be für das Bü­cher­we­sen. Wie er das eine und an­de­re Buch auf­ge­macht hät­te, sei ihm eins mit schö­nen Hei­li­gen­ge­schich­ten vor­ge­kom­men, dar­in habe er zu le­sen an­ge­fan­gen und Ort und Stun­de ver­ges­sen, bis die Zeit um ge­we­sen sei und die Sol­da­ten zu­sam­men­ge­trom­melt wor­den wä­ren. Da habe er das schwe­re Buch auf­ge­packt, um sei­ner Frau we­nigs­tens et­was mit­zu­brin­gen, und habe es lan­ge mit­ge­schleppt, bis sie ein­mal bei der großen Käl­te ein Feu­er da­mit ge­macht hät­ten. Sei­ne Frau habe da­zu­mal nicht we­nig ge­schimpft we­gen der Esels­beu­te.

Er bräch­te auch im­mer das Ge­rings­te, sag­te die Frau grol­lend. Sie habe es sich lus­ti­ger ge­dacht, ein Sol­da­ten­weib zu sein. Nie­mals habe sie Ket­ten und Ohr­rin­ge, wie an­de­re, zu se­hen be­kom­men.

Da­für bräch­te er ihr auch kei­ne Schlä­ge heim, ent­schul­dig­te sich der Mann. Ja, dann wäre es kein Wun­der, wenn sei­ne Frau ein lo­ses Maul hät­te, lach­te ein an­de­rer, sie wür­de ihm auch schwer­lich treu blei­ben. Wei­ber woll­ten ge­prü­gelt sein, eine schwe­re Faust tue ei­nem Weib woh­ler als ein schö­nes Ge­sicht. Über­haupt kön­ne ohne Prü­gel kei­ne Ord­nung und kein großes Werk be­ste­hen, das habe er ein­ge­se­hen, als er un­ter dem Gal­las ge­dient hät­te, und sei auch des­halb da­von­ge­lau­fen. Da habe je­der ge­tan, was ihm be­liebt hät­te, ge­sof­fen, ge­hurt, ge­spielt, ge­hext, und der Pro­fos habe al­les mit­ge­macht. Ein­mal wä­ren sie in der Nähe von Am­berg zu zwan­zig als Sal­va­guar­dia in ein ad­li­ges Haus ge­schickt, wo sie auch gut emp­fan­gen und be­wir­tet wor­den wä­ren. Um Mit­ter­nacht, als al­les in den Bet­ten ge­we­sen wäre, hät­ten sie das Schloss aus­ge­plün­dert und dann in Brand ge­steckt, dass es mit Mann und Maus zu Asche ver­brannt wäre. Es wäre ei­gent­lich ein Schel­men­stück ge­we­sen und hät­te ihn ge­reut, als er das Ge­schrei der bren­nen­den Kin­der ge­hört hät­te; aber er habe sich’s nicht mer­ken las­sen dür­fen. Die Haupt­leu­te hät­ten ih­ren An­teil er­hal­ten, und so sei die Mis­se­tat un­be­straft ge­blie­ben. Er habe ein klei­nes gol­de­nes Kru­zi­fix be­kom­men und tra­ge es seit­dem auf der Brust zur Buße.

Ja, jetzt trei­be man’s lie­der­lich, sag­te ein al­ter weiß­haa­ri­ger Mann. Er sei vor vier­zig Jah­ren un­ter Schwar­zen­berg in den Tür­ken­krie­gen ge­we­sen, da sei es an­ders zu­ge­gan­gen. Wenn ei­ner des Abends um acht Uhr nach der Trom­mel nicht im La­ger ge­we­sen sei, so habe der Pro­fos ihn auf­ge­knüpft, ohne wei­ter zu fra­gen. Der Pro­fos sei ein krum­mes, ma­ge­res Männ­lein, aber stark ge­we­sen; er habe sich auf die Schwar­ze Kunst ver­stan­den, Mit­tel ge­gen alle Schmer­zen und Wun­den ge­wusst und sei­nen Lieb­lin­gen um­sonst da­von aus­ge­teilt. Er habe weit über hun­dert Jah­re auf dem Bu­ckel ge­habt und die großen Schwei­zer­krie­ge un­ter dem al­ten Kai­ser Ma­xi­mi­li­an mit­ge­macht, wo­von er gan­ze Näch­te lang wun­der­li­che Ge­schich­ten er­zählt hät­te. Die­ser Pro­fos habe eine ge­wal­ti­ge Ha­ken­na­se mit wei­ten Na­sen­lö­chern ge­habt, in de­nen habe er eine Spin­ne ge­zo­gen, die sei ganz zahm ge­we­sen, und wenn er eine Flie­ge oder Mücke auf die Ba­cke ge­setzt hät­te, sei sie aus ih­rer Höh­le ge­kro­chen, um das Fut­ter zu ho­len. In den Mu­ße­stun­den habe er Sal­ben und Trän­ke und Amu­let­te zu­be­rei­tet, wozu er auch Men­schen­kno­chen und Men­schen­haut ge­braucht hät­te, und wenn sein Kram ihm aus­ge­gan­gen wäre, habe er frisch ein paar Ker­le her­aus­ge­grif­fen und auf­ge­hängt; man habe ihn aber zu sehr ge­fürch­tet und ge­liebt, um sich ge­gen ihn auf­zu­leh­nen.

Es gäbe auch jetzt noch sol­che, die sich das Le­ben ver­län­gern könn­ten, sag­te ein Sol­dat; aber es gehe ge­fähr­lich und in Teu­fels Na­men da­bei zu, sei auch wi­der Got­tes Ge­bot. Er wur­de be­stürmt, sich nä­her dar­über aus­zu­las­sen, als die Auf­merk­sam­keit durch einen Bau­er ab­ge­lenkt wur­de, der sich durch das La­ger schlich. Man er­griff ihn und frag­te ihn, wo­hin er wol­le? Er sei vom Pflu­ge weg­ge­lau­fen, das gehe nicht an, er müs­se ar­bei­ten, bis das Feld um­ge­ackert sei.

Der an­de­re sei um­ge­fal­len und habe Krämp­fe be­kom­men, sag­te der Bau­er, wer­de jetzt schon hin sein. Er al­lein kön­ne es nicht schaf­fen, da er ja auch kein Vieh hät­te.

So sol­le er we­nigs­tens den To­ten fort­tra­gen, sag­ten die Sol­da­ten.

Das sei des To­ten­grä­bers Sa­che, er­wi­der­te der Bau­er, er rüh­re kei­ne Pest­lei­che an.

Ei­ner frag­te la­chend, warum er so hei­kel sei? Wenn er sich auf die Erde leg­te, wür­den die Wür­mer ge­wiss auch an ihn ge­hen.

Nun frei­lich, sag­te eine mit­lei­di­ge Frau, ob sie nicht sä­hen, dass der arme Mensch ver­hun­gert sei? Man sol­le ihm einen Schluck Bier und eine Rübe ge­ben, so wer­de er wie­der ar­bei­ten kön­nen.

Wäh­rend der Bau­er ver­schlang, was ihm ge­reicht wur­de, schalt ein Sol­dat, wenn die Lum­pen­hun­de merk­ten, dass sie noch et­was hät­ten, wür­den sie der Bett­ler nicht los­wer­den. Üb­ri­gens kön­ne es ih­nen gleich sein, ob das Feld ge­pflügt wür­de oder nicht, da sie ab­zö­gen; etwa käme es so­gar noch dem Fein­de zu­gu­te.

Der Ort war so ver­pes­tet und ver­armt, dass, als nach ei­ni­gen Ta­gen das Re­gi­ment auf­brach, auch die Kränks­ten sich mit­schlepp­ten, um nicht im Dor­fe dem Hun­ger oder der Seu­che an­heim­zu­fal­len. Nur ei­ner, dem im Win­ter bei­de Füße ab­ge­fro­ren wa­ren, muss­te in sei­nem Quar­tier blei­ben, ei­ner win­zi­gen Hüt­te, de­ren Be­sit­zer vor Mo­na­ten ge­stor­ben war. Die Wit­we, eine ha­ge­re, ge­bück­te, schweig­sa­me Frau, hat­te ihm das Bett ih­res Man­nes über­las­sen und ihn, so gut sie konn­te, ver­pflegt, wo­für er sich dank­bar er­wies, in­dem er ihr nach Kräf­ten, an zwei Krücken hin­kend, bei der Ar­beit half, auch ih­ren Kin­dern et­was Le­sen und Schrei­ben bei­brach­te. Nach­dem das Re­gi­ment fort und kein Arzt und kei­ner­lei Un­ter­stüt­zung mehr zur Hand war, starb er zum Kum­mer der Frau, die einen gut­mü­ti­gen Ge­hil­fen an ihm ver­lo­ren hat­te. In Ab­we­sen­heit der Kin­der zer­hack­te sie den Leich­nam, mach­te ein Feu­er und briet ein Stück, um es mit den aus­ge­hun­ger­ten Kin­dern zu ver­zeh­ren, wenn sie heim­kämen. Das üb­ri­ge ver­grub sie schwe­ren Her­zens un­ter der Re­gen­ton­ne.