58.

Um die Mit­te des Juni kam Her­zog Bern­hard nach Pon­tar­lier, um die end­gül­ti­ge Un­ter­re­dung mit Gué­bri­ant zu ha­ben, die doch ein­mal statt­fin­den muss­te. Er­lach schrieb ihm aus Pa­ris, dass sei­ne Sen­dung nicht nach Wunsch ver­lau­fe. Man be­ste­he auf der Ober­ho­heit über Brei­sach so­wohl wie über alle von Bern­hard noch zu ma­chen­den Erobe­run­gen in Deutsch­land; da­von wer­de al­les ab­hän­gig ge­macht. Bern­hards Ab­sicht, über den Rhein und an die Do­nau zu ge­hen, fin­de kei­nen Bei­fall, man habe nicht dazu Geld her­ge­ge­ben. Er, Er­lach, habe sich nur mit der Aus­flucht hel­fen kön­nen, dass er über die be­tref­fen­den Punk­te nicht in­stru­iert sei. Für sei­ne Per­son wer­de er mit Lie­bens­wür­dig­keit über­häuft und habe kei­nen Vor­wand mehr ge­fun­den, die Pen­si­on, die ihm auf­ge­drun­gen wer­de, zu­rück­zu­wei­sen. Dass Bern­hard nicht nach Pa­ris ge­kom­men sei, habe Ent­täu­schung und Arg­wohn er­regt. Gué­bri­ant sei neu­er­dings be­auf­tragt, Bern­hard da­hin zu be­ein­flus­sen, dass er ihn, Gué­bri­ant, als Gou­ver­neur nach Brei­sach set­ze, in­dem man dar­auf rech­ne, er kön­ne es sei­nem Waf­fen­ge­nos­sen und Freun­de nicht ab­schla­gen; doch habe Gué­bri­ant Be­fehl, es nicht zum Bru­che kom­men zu las­sen.

Auch von Hugo Gro­ti­us, dem Ver­tre­ter der schwe­di­schen In­ter­es­sen in Pa­ris, er­hielt Bern­hard einen Hin­weis auf die ei­gen­nüt­zi­gen und ver­derb­li­chen Ab­sich­ten der fran­zö­si­schen Re­gie­rung. Es sei ein Glück, schrieb die­ser, dass Bern­hard nicht nach Pa­ris ge­kom­men sei; wenn der fran­zö­si­sche Weih­rauch ihn nicht be­täubt hät­te, so hät­te leicht ein fran­zö­si­scher Dolch der Sche­re der Par­ze zu­vor­kom­men kön­nen. Nicht nur das Deut­sche Reich, die gan­ze evan­ge­li­sche Chris­ten­heit bli­cke hof­fend und ver­trau­end auf ihn; er sei be­ru­fen, den großen Gu­stav Adolf zu rä­chen und die Frei­heit des Nor­dens auf si­che­ren Fels zu grün­den.

So war denn für Bern­hard der Au­gen­blick ge­kom­men, wo er die Mas­ke ab­zie­hen und sei­nem ge­fähr­li­chen Be­schüt­zer das freie Ge­sicht zei­gen muss­te. Je­ner hat­te die Lö­wen­au­gen schon blit­zen ge­se­hen und sich doch im­mer noch so an­ge­stellt, als lie­fe ihm ein treu­er Jagd­hund nach. Die Ent­hül­lung wäre be­glückend ge­we­sen, wenn Bern­hard Frank­reichs nicht be­durft hät­te; aber ge­ra­de jetzt, wo er einen großen ent­schei­den­den Schlag wa­gen, Re­gens­burg zu­rück­erobern, den Kai­ser her­aus­for­dern woll­te, brauch­te er fran­zö­si­sches Geld.

Noch nie war er so er­bit­tert ge­gen die evan­ge­li­schen Fürs­ten ge­we­sen, die nach sei­ner Mei­nung an die­sem Ver­häng­nis die Schuld tru­gen. Wäre er we­nigs­tens Hes­sens und Lü­ne­burgs si­cher ge­we­sen, so hät­te er viel­leicht Frank­reich ent­beh­ren kön­nen. So­wie er in Pon­tar­lier an­ge­kom­men war, be­glück­wünsch­te er Banér we­gen sei­nes bei Chem­nitz er­foch­te­nen Sie­ges und fuhr dann fort: Er habe Banérs Vor­wurf wohl ver­stan­den, als habe er ihn im ver­gan­ge­nen Jah­re nicht un­ter­stützt und den Feind auf ihn ab­ge­wälzt; aber sein Ge­wis­sen spre­che ihn frei, und wenn Banér be­kannt wäre, mit was für Frat­zen er sich hät­te schla­gen müs­sen, wür­de er viel­mehr Mit­lei­den mit ihm tra­gen. Jetzt wol­le er al­ler Welt sein auf­rich­ti­ges Ge­müt zei­gen, sein Herz schla­ge voll Un­ge­duld, mit Banér ver­eint et­was Ent­schei­den­des zu un­ter­neh­men.

Dann schrieb er an die Land­grä­fin von Hes­sen: Die letz­ten von ihr emp­fan­ge­nen Nach­rich­ten hät­ten ihn ent­täuscht. Auf sie, die aus der Sünd­flut die­ses Kriegs stets un­er­schüt­tert wie der hei­li­ge Berg Ara­rat ge­stie­gen wäre, hät­te er zu­ver­sicht­lich ge­baut; soll­te es nun da­hin ge­kom­men sein, dass die Kla­gen der Fei­gen und Fal­schen, die nur ihr Pri­vat­wohl be­däch­ten, ihr Herz er­weicht hat­ten? Er be­grei­fe der Lan­des­fürs­tin Sor­ge um ihr Land, das viel ge­lit­ten und ge­op­fert hät­te; es sei je­doch des Chris­ten Na­tur, lie­ber al­les Ir­di­sche als das höchs­te Gut ver­lie­ren zu wol­len. Um Got­tes und des Va­ter­lan­des wil­len bit­te er sie, sich nicht jetzt aus dem Kamp­fe zu­rück­zu­zie­hen, nun der Sie­ges­preis end­lich win­ke.

Er be­dach­te sich, ob er ei­ni­ge Wor­te hin­zu­fü­gen soll­te, die auf eine et­wai­ge ehe­li­che Ver­bin­dung zwi­schen ihm und der seit zwei Jah­ren ver­wit­we­ten Land­grä­fin Be­zug hät­ten; aber nach­dem er eine Wei­le un­schlüs­sig auf das Pa­pier ge­st­arrt hat­te, fal­te­te er es zu­sam­men und pe­tschier­te es, ohne die An­ge­le­gen­heit be­rührt zu ha­ben.

Me­lan­der, dem hes­si­schen Ge­ne­ral, dank­te er für Ver­si­che­run­gen der Ver­eh­rung und Dienst­fer­tig­keit. Auch er, Bern­hard, hege Be­wun­de­rung für Me­lan­ders Ta­ten und ver­spre­che sich Gro­ßes von ih­rem Zu­sam­men­wir­ken. Was Me­lan­der von ei­ner drit­ten Par­tei im Rei­che für Ge­dan­ken habe, kom­me ihm tief­sin­nig und wich­tig vor, nur hal­te er da­für, dass es noch ver­früht sein wür­de, sich auf De­fen­si­on zu be­schrän­ken. Der­lei Ver­mit­te­lung kön­ne leicht auf einen neu­en Pra­ger Frie­den hin­aus­lau­fen, wo­durch dann das Va­ter­land dem ge­mei­nen Fein­de in die Hän­de ge­spielt wür­de. Erst müs­se das edle Klein­od der Frei­heit er­kämpft sein, dann wer­de der Frie­de von sel­ber fol­gen, wie al­les Le­ben dem Lich­te nach­streb­te.

Noch schrieb er an die Kur­fürs­tin-Wit­we Eli­sa­beth von der Pfalz im Haag, da­mit sie ih­ren Bru­der, den Kö­nig von Eng­land, zu ei­ner Geld­hil­fe ver­möch­te. Wenn sein Feld­zug glück­te, so schrieb er dem Kur­prin­zen Karl Lud­wig, hof­fe er ihn in sein Land wie­der ein­set­zen zu kön­nen und wür­de da­für die Ab­tre­tung grö­ße­rer pfäl­zi­scher Ge­biets­tei­le for­dern, die sein neu­es Reich am Rhein ab­run­den soll­ten.

Die Fe­der lief nicht schnell ge­nug für das Un­ge­stüm von Bern­hards Wün­schen und Hof­fen. Die Höhe des Som­mers war bald er­reicht, es muss­te schnell ge­han­delt wer­den, wenn die Auf­ga­be die­ses Jah­res er­füllt wer­den soll­te. In vier Wo­chen muss­te der Rhein über­schrit­ten, wo­mög­lich die Ve­rei­ni­gung mit Banér voll­zo­gen sein. Banér war her­risch, un­lenk­sam, hoch­fah­rend; aber so­lan­ge ihr Wil­le auf das glei­che Ziel ge­rich­tet war, wür­de das nicht stö­ren. Dann wür­de er die alte Spur wie­der be­tre­ten, die un­heil­vol­le, die er als ein ver­hüll­ter Bett­ler, vom sieg­rei­chen Fein­de aus dem Rei­che ge­drängt, ge­zeich­net hat­te; aber jene auch, auf der er Re­gens­burg er­obert hat­te.

Es schi­en ihm, als wäre er da­mals, vor sechs Jah­ren, noch jung und un­er­fah­ren ge­we­sen. Wohl hat­te er schon Ent­beh­run­gen, Ent­täu­schun­gen und Ver­lus­te er­lit­ten ge­habt; aber es war Frie­den in sei­ner Brust ge­we­sen.

Die Stun­de war da, wo er die­sen Frie­den wie­der­ge­win­nen wür­de; ging er be­herzt in den letz­ten schwe­ren Kampf, so wür­de Gott ihm bei­ste­hen. Al­len An­grif­fen, Vor­wür­fen und höf­lich ein­ge­klei­de­ten Dro­hun­gen Gué­bri­ants setz­te er die Er­klä­rung ent­ge­gen, dass er das El­saß mit Brei­sach als un­be­schränk­tes Ei­gen­tum be­trach­te und sich auch in der tes­ta­men­ta­ri­schen Ver­fü­gung über die Nach­fol­ge nicht bin­den las­sen wer­de. Dazu ver­lang­te er noch eine be­trächt­li­che Er­hö­hung der fran­zö­si­schen Hilfs­gel­der. Zwar be­teu­er­te er münd­lich und schrift­lich ge­gen Gué­bri­ant sei­ne treue An­häng­lich­keit an den fran­zö­si­schen Kö­nig, doch ver­stand die­ser des Her­zogs Wil­len deut­lich und mel­de­te die we­sent­li­che Ver­än­de­rung in Bern­hards Wor­ten und Ton nach Hau­se. Ri­che­lieu ge­riet in Ver­le­gen­heit und ver­moch­te nicht so­fort einen Ent­schluss zu fas­sen. Ver­zich­ten woll­te er nicht auf den Kampf­preis; aber war es klug, jetzt einen Bruch her­bei­zu­füh­ren, wo Bern­hard sieg­reich und ver­gleichs­wei­se mäch­tig war, wo er, wie man in Pa­ris wohl wuss­te, Ver­bin­dun­gen mit Schwe­den und ver­schie­de­nen evan­ge­li­schen Fürs­ten an­ge­knüpft hat­te? Ging man hin­ge­gen auf sei­ne For­de­run­gen ein, was wür­de die Fol­ge da­von sein? Wür­de die Vor­se­hung Frank­reich ein zwei­tes Mal im rech­ten Au­gen­blick von ei­nem un­dank­ba­ren Schütz­ling be­frei­en?