Die Sonne schien hell in das kleine Zimmer in Heiligenstadt, wo Graf Guébriant übernachtet hatte, und weckte ihn, der sich mit einem Seufzer auf die Obliegenheiten des Tages besann. Am liebsten hätte er geläutet und die Fenster verhängen lassen, damit er weiterschlafen könnte; aber er unterdrückte diese Regung und schloss nur die Augen, um sich zu sammeln, ehe er aufstände. Der Prinz von Longueville, im Grunde gesünder als er, lag zu dieser Zeit in Kassel bei guter Pflege, sorgfältig ernährt, frei von allen Widerwärtigkeiten, indes er, Guébriant, das Knäuel der von jenem begangenen Fehler entwirrte. Als Banér mit seinem ersten Vorschlage an sie herangetreten war, hatte Guébriant vor den Folgen gewarnt, die es für sie haben musste, wenn sie sich zu weit in Deutschland hineinziehen ließen: sie würden mitten in einem unbekannten, feindlich gesinnten, rauen Lande, abgeschnitten von heimischer Hilfe sein; wenn der unbändige Banér sie für seine Zwecke ausnützen wollte, wenn die trotzigen Direktoren des weimarschen Heeres anmaßend und unbotmäßig wären, im Fall einer Niederlage oder eines Verlustes würden sie rettungslos preisgegeben sein. Dies alles hatte Longueville eingesehen; als aber die Landgräfin von Hessen-Kassel eine Weile auf ihn eingeredet hatte, verflogen die vernünftigen Bedenken, und die gewagte, für Frankreich nutzlose Verbindung mit Schweden wurde vollzogen. Was hatte Guébriant seitdem ausgestanden: stets hatte er vermitteln, einlenken, vorbeugen, wieder gutmachen müssen. Longueville hatte die weimarschen Direktoren zu einer Zeit gereizt, wo man die Mittel nicht hatte, sie mit Gewalt zum Gehorsam zu bringen, und als die Verwickelung gefährlich zu werden drohte, hatte er sich ihr entzogen und ihm, Guébriant, die Lösung übertragen. Dennoch würde der Ruhm jeder geleisteten Tat Longueville als dem Heeresobersten zugeschrieben werden, nur der Vorwurf des Nichterreichten ihn treffen. Warum unterzog er sich denn diesen Quälereien? Warum verwickelte er sich immer tiefer in die Angelegenheiten dieses Krieges, von dem er ahnte, dass er ihm irgendwie zum Verhängnis werden würde? Er erinnerte sich des Tages, als er zuerst die unliebenswürdigen Laute der deutschen Sprache vernommen, diesen ruhelosen Himmel, die zackigen Städte und Wälder, die traurigen Heiden gesehen hatte: ein Schauer hatte ihn überlaufen, wie wenn der Tod an ihm vorübergegangen wäre.
Warum war er doch hier, da doch sein Leben und seines Lebens Güter alle in Frankreich waren?
Indem er sich diese Frage vorlegte und sich die Antwort gab, fühlte er, wie eitel solche Betrachtungen waren: er diente dem König und musste gehorchen, und als einem Edelmanne ziemte ihm, es willig und mit äußerster Kraft zu tun. Wenn er sich nie beklagt haben würde, dass er in einer Schlacht tödlichen Waffen entgegenreiten musste, wie töricht und unzusammenhängend war es, über andere Aufgaben zu murren, die er nun eben peinlich fand? Wie auch die Pflicht beschaffen war, sie musste ohne Zaudern und Zweifel so vollkommen wie möglich erfüllt werden.
Er stand rasch auf, nahm ein kleines Frühstück ein, wobei er sich überlegte, mit was für Gründen er den Direktoren und Offizieren des Heeres entgegentreten wollte, und ritt zur festgesetzten Vormittagsstunde auf das Rathaus, wo er sie versammelt wusste. Es war ein mäßig großer Fachwerkbau mit spitzen Erkern und Giebeln und kleinen, bleigefassten Fenstern, die ihn wie lauter spöttische Fratzen anzuglotzen und die Zunge gegen ihn auszustrecken schienen. Als er den Saal betrat, in dessen Mitte etwa hundert Offiziere auf einem Haufen standen, den Degen an der Seite, einer Meute von Bluthunden ähnlich, die beim Anblick des zu packenden Gegners ein leises, langgedehntes, lechzendes Knurren hören lassen, empfand er ein lähmendes Unbehagen; allein er überwand es, ging gelassen auf sie zu und bot den Direktoren höflich die Hand, die sie nicht auszuschlagen wagten.
Er freue sich, sagte er, die Herren so zahlreich versammelt zu finden, und betrachte das als ein Zeichen, dass sie, wie er, die bedauerlicherweise entstandenen Misshelligkeiten behoben zu sehen wünschten. Zunächst sprach er von dem Gerücht, als hätten die Direktoren mit dem Herzog von Lüneburg angeknüpft, um in dessen Dienst zu treten. Er habe den Herzog Georg darüber befragt und von ihm die Antwort erhalten, dass er keineswegs die Absicht habe, Frankreich seine ihm eidlich verpflichteten Soldaten abtrünnig zu machen, dass er vielmehr seine Dienste zur Vermittelung anbiete. Er, Guébriant, sei überzeugt, dass auch sie beschworene Verträge halten und den König nicht zwingen wollten, sie als fahnenflüchtig anzusehen.
Der Graf von Nassau stemmte den Arm in die Seite und sagte, Guébriant solle nicht vergessen, dass er, als freier deutscher Reichsfürst, Bündnisse nach Belieben schließen könne.
Im Deutschen Reich möge er Reichsfürst sein, entgegnete Guébriant; in Beziehung zum König von Frankreich sei er dessen Oberster und gelte für ihn kein anderes Gesetz als für andere bestallte Offiziere.
Er wartete einen Augenblick, und da keine Antwort erfolgte, ging er zu dem Vertrage über, den die Direktoren in Breisach freiwillig unterschrieben und durch den sie sich verpflichtet hätten, dem Könige von Frankreich überallhin zu folgen und sich gegen jeden Feind gebrauchen zu lassen.
Rosen ergriff das Wort und sagte, sie bestritten das nicht; aber sie hätten den Vertrag in der Meinung abgeschlossen, dass der Krieg, wie es auch im Vertrage heiße, zur Wiederherstellung deutscher Freiheit geführt werde. Sie wären nicht ehrlose Söldner, die sich gleichgültig hierhin und dorthin schleppen und abschlachten ließen, sie wären deutschen Stammes, wollten für ihr Vaterland und nicht für eigennützige Fremde kämpfen.
Nun erwiderte Guébriant in längerer Rede: Sie hätten recht, für ihr Vaterland den Frieden erkämpfen zu wollen, was im Vertrage als Zweck des Krieges genannt wäre. Eben zu diesem Zwecke, durchaus nicht um des eigenen Nutzens willen, wäre der König von Frankreich in den Krieg eingetreten. Was für Vorteil er davon hätte? Was das französische Volk bewegen könnte, sein Blut im fremden Lande zu vergießen, als reinstes Wohlwollen für die unterdrückten deutschen Nachbarn? Nur um sie vor Tyrannen zu schützen, ihnen ihre uralte Freiheit wiederzugeben, habe er seit Jahren ungeheure Summen gespendet. Er erinnerte an Herzog Bernhard, den sie alle als Vorbild der Tapferkeit und des Edelsinns im Herzen trügen, wie oft er beteuert hätte, dass er sich nie von Frankreichs Fahnen trennen wolle; denn er wisse, dass auf französischen Siegen die Freiheit und der Frieden Deutschlands beruhe. Zum Schlusse verlas er den Vertrag von Breisach, um die gegenseitigen Verpflichtungen festzustellen.
Die Folge hiervon war, dass die Erregung der Offiziere, die zur Annahme des Vertrages durch die Direktoren überredet worden waren, sich plötzlich gegen diese wandte. Sie, die Direktoren, hätten, durch große Summen bestochen, das Heer in ein Verhältnis hineingezogen, aus welchem nur sie Vorteil zögen, für die Allgemeinheit nur Schmach und Untergang hervorginge. Als das Getümmel der Streitenden bedrohlich wurde, trat Guébriant zwischen sie und bat sie, die Schwierigkeiten der Lage nicht durch Uneinigkeit zu vermehren. Sie wären alle Männer von Ehre, hätten alle dasselbe Ziel, Deutschlands Heil; warum sie sich entzweien sollten? Ihrer aller persönliches Wohl liege dem König am Herzen. Das Geld zur Auszahlung des Soldes sei angelangt. Was die Offiziere vorgestreckt hätten, Verluste, die die Kriegsläufte mit sich gebracht hätten, alles werde der König ersetzen; er, Guébriant, sei ermächtigt, es in Ordnung zu bringen.
Als die Unterredung beendet war, atmete Guébriant auf, ohne doch ganz befriedigt zu sein. Für den Augenblick schien er den Sieg für Frankreich gewonnen zu haben; aber wie lange würde das dauern? Er kam sich vor wie einer, der in einen Käfig voll wilder Tiere geraten ist: eine Zeit lang kann er sie von sich abhalten, indem er ihnen etwas hinwirft, was sie benagen, aber der Augenblick ist vorauszusehen, wo sie sich zähnefletschend auf ihn werfen werden; denn mit dem bloßen Blick, sagte er sich, würde er sie auf die Dauer nicht bändigen können. Im Grunde, er fühlte es deutlich, hassten sie ihn als einen Fremden, der sich in ihre Angelegenheiten gemischt hatte, um sie irgendwie zu übervorteilen. Er sie übervorteilen! Er lächelte melancholisch. Wenn nicht sein Leben, so ließ er doch sicherlich sein Glück, seine Kraft und auch wohl seine Ehre in den deutschen Sümpfen. Frankreich, ja Frankreich, das würde und müsste endlich über diese Wilden triumphieren und ihnen, wie unverständig sie sich auch sperrten, den Segen seiner Kultur aufzwingen; aber er, der arme Guébriant, würde dabei zugrunde gehen. Möchte nur sein Name aus seiner Asche steigen, ein gereinigtes Feuer, das eine Weile wenigstens noch lebte und leuchtete!