67.

Am Abend des letz­ten Au­gust wur­de der Him­mel gelb, die Son­ne erb­lich zu ei­ner fah­len Schei­be und ver­schwand, und die auf den Zel­ten des kai­ser­li­chen La­gers auf­ge­rich­te­ten Wim­pel und Fah­nen flat­ter­ten plötz­lich auf, als woll­ten sie has­tig Zei­chen dro­hen­der Ge­fahr ge­ben. Dann er­hob sich Sturm; er lau­er­te ge­duckt und kam mit ei­nem Sprun­ge wie ein Raub­tier, das sich auf wei­chen Tat­zen na­he­ge­schli­chen hat, um sich laut auf­brül­lend auf das über­rasch­te Op­fer zu wer­fen. In Staub­wir­beln flo­gen Müt­zen und Bän­der durch die Luft, man hör­te die Wäl­der von den Hü­geln her rau­schen und das Wie­hern der ge­schreck­ten Pfer­de. Nach ei­ner hal­b­en Stun­de leg­te sich der jähe Wind, und im La­ger be­gann man über die son­der­ba­re Er­schei­nung zu re­den.

Wenn es nur nichts Häss­li­ches zu be­deu­ten hät­te, sag­te Ge­ne­ral­feld­wacht­meis­ter von Beck. Sie sä­ßen oh­ne­hin fast wie Da­niel in der Lö­wen­gru­be.

So schlimm sei es nicht, sag­te Pic­co­lo­mi­ni. Der Feind sei doch nicht bes­ser dar­an als sie, eher schlech­ter, es ver­lau­te ja, dass sie sich selbst bei den Köp­fen hät­ten. Üb­ri­gens sei doch ein Wind kein por­ten­tum; er sähe ihn schlecht­weg für ein ver­schla­ge­nes Ge­wit­ter an.

Beck pfiff durch die Zäh­ne und blick­te nach dem Him­mel; denn sie stan­den vor dem Zel­te. Ge­wit­ter? wie­der­hol­te er. Da müss­te man doch Blitz und Don­ner ver­nom­men ha­ben. Es habe auch kei­ne ab­son­der­li­che Hit­ze vor­her ge­herrscht. Er wis­se nur so viel, dass vor der un­glück­li­chen Leip­zi­ger Schlacht Anno 1631 auch ein hef­ti­ger Wind ein­ge­fal­len sei, der je­der­mann in Er­stau­nen ge­setzt hät­te und den man her­nach, als das Un­glück ge­sche­hen sei, auch leicht hät­te deu­ten kön­nen.

Pic­co­lo­mi­ni war im Be­griff, sich über die Ur­sa­chen des Ver­lus­tes die­ser Schlacht aus­zu­spre­chen, als ein Leut­nant kam und be­rich­te­te, bei sei­nem Ba­tail­lon habe sich ein Wun­der be­ge­ben. Die Spit­zen meh­re­rer Hel­le­bar­den, die die Sol­da­ten nach ih­rer Art über Kreuz in die Erde ge­steckt hät­ten, wä­ren un­ter dem Sturm gleich­sam le­ben­dig und feu­rig ge­wor­den und hät­ten der­ma­ßen hin und her ge­zün­gelt, dass sie hüp­fen­den Irr­lich­tern ge­gli­chen hät­ten. Es herr­sche in­fol­ge­des­sen große Nie­der­ge­schla­gen­heit bei den Leu­ten, ob­gleich ei­ni­ge mein­ten, es deu­te auf ein blu­ti­ges Tref­fen und rei­che Beu­te. Er er­lau­be sich vor­zu­schla­gen, man kön­ne den War­ner dar­über be­fra­gen, den sie bei Chem­nitz ge­fan­gen hät­ten, der ein be­rühm­ter Pro­phet und Wahr­sa­ger sein sol­le und dem Kö­nig von Schwe­den alle sei­ne Sie­ge und auch an­de­re Ge­heim­nis­se vor­aus­ge­sagt hät­te.

Ja, sag­te Pic­co­lo­mi­ni, er wol­le sich den Men­schen gern ein­mal an­se­hen, man sol­le ihn vor­füh­ren.

Wäh­rend War­ner er­war­tet wur­de, sag­te Pic­co­lo­mi­nis Beicht­va­ter, er hal­te es nicht für rich­tig, dass man einen Ket­zer, der ver­mut­lich ein ge­fähr­li­cher Be­trü­ger oder gar He­xen­meis­ter sei, sich zei­gen lie­ße, als ob man ihn für einen Wun­der­tä­ter hiel­te. Wenn er sei­ne un­ter­tä­ni­ge Ge­sin­nung äu­ßern dür­fe, so sei der Tau der Pic­co­lo­mi­ni­schen Groß­mut in die­sem Fal­le auf ein schäd­li­ches Gift­kraut ge­fal­len, das man lie­ber aus­rot­ten soll­te.

Nein, er sei kein He­ro­des, lach­te Pic­co­lo­mi­ni, und kön­ne den ge­mei­nen Bau­ern­kerl auch nicht für schäd­lich hal­ten. Der ver­stor­be­ne Kö­nig von Schwe­den habe ihn ja mit­ge­führt und gut ge­hal­ten, also müs­se doch et­was dar­an sein. Etwa kön­ne er, Pic­co­lo­mi­ni, auch von ihm pro­fi­tie­ren.

Nach ei­ner Wei­le wur­de War­ner vor­ge­führt, der, als er ge­se­hen hat­te, dass es kein Ent­rin­nen gab, gut­wil­lig, aber in großer Angst mit­ge­kom­men war und Ge­be­te vor sich hin­mur­mel­te. Mit ei­nem ver­stoh­le­nen Blick den Feld­herrn her­aus­ken­nend, warf er sich Pic­co­lo­mi­ni zu Fü­ßen, hob die Hän­de auf und fleh­te um Gna­de.

Er sol­le auf­ste­hen, sag­te Pic­co­lo­mi­ni, es ge­sch­ehe ihm nichts zu­lei­de. Wenn er der Pro­phet sei, für den er sich aus­ge­be, so sol­le er er­klä­ren, was das eben vor­ge­fal­le­ne Un­wet­ter zu be­deu­ten habe.

Er sei ja gar kein Pro­phet, jam­mer­te War­ner, und es sei ganz ge­wiss nicht sei­ne Schuld, dass man es von ihm sage. Er wis­se wohl, dass Pro­phe­zei­en eine ver­bo­te­ne Sün­de sei, und habe viel zu viel Ehr­furcht vor ho­hen Herr­schaf­ten, als dass er sich mit sei­ner We­nig­keit so ho­her Din­ge un­ter­fan­gen wür­de.

Der ver­stor­be­ne Kö­nig von Schwe­den, sag­te Pic­co­lo­mi­ni, habe ihn doch aber des­we­gen mit­ge­führt, und es sei all­be­kannt, dass er sei­nen letz­ten Sieg und Tod rich­tig vor­her­ge­sagt habe.

Er wis­se nichts da­von, mein­te der Bau­er, bei Gott und sei­ner Se­lig­keit, er wis­se es nicht. Wenn er es ge­tan hät­te, so habe er es nicht mit Wil­len und Ab­sicht ge­tan. Al­ler­dings möch­te es sein, dass Gott ihn aus­er­se­hen habe, um ihm in Träu­men sei­nen Wil­len zu of­fen­ba­ren, denn der un­er­forsch­li­che Rat­schluss Got­tes be­die­ne sich zu­wei­len un­schein­ba­rer und nie­der­träch­ti­ger Ge­fäße; aber es ge­sch­ehe ohne sein Zu­tun, und er ge­trös­te sich, dass ein so herr­li­cher Fürst wie Pic­co­lo­mi­ni es ihn nicht wer­de ent­gel­ten las­sen.

Es sol­le ihm nichts zu­lei­de ge­sche­hen, sag­te Pic­co­lo­mi­ni; wenn er ihn hät­te wol­len hän­gen las­sen, so hät­te er es längst ge­tan. Es sol­le ihm im Ge­gen­teil ein gu­tes Hand­geld ge­reicht wer­den, wenn er die Wahr­heit über das Un­wet­ter be­ken­ne.

Der Bau­er ver­dreh­te sich nach al­len Sei­ten und sag­te, Gott habe ihm, dem un­wür­di­gen Ge­fäß, zwar man­cher­lei of­fen­bart, aber ins­ge­heim; denn die Men­schen wä­ren viel zu böse, um die War­nun­gen zu ver­ste­hen. Wenn er denn aber durch­aus re­den sol­le, so habe der Sturm ganz si­cher­lich ein Zei­chen der War­nung sein sol­len, da­mit die Men­schen, na­ment­lich die Sol­da­ten und die Bau­ern, vom Hu­ren und Sau­fen ablie­ßen; was es aber ins­be­son­de­re zu be­deu­ten hät­te, das wäre nichts an­de­res, als dass Gott im Sin­ne hät­te, ei­nem ho­hen Haup­te das Le­bens­licht aus­zu­bla­sen. Er wol­le sich aber lie­ber die Zun­ge aus­rei­ßen und die Ohren ab­schnei­den las­sen, als dass er ver­rie­te, wer das sei; denn er habe über­haupt nicht frei­wil­lig pro­phe­zeit, und es kön­ne sich auch leicht al­les ganz an­ders ver­hal­ten.

Jetzt nahm Beck das Wort und drang ernst­lich in War­ner, we­nigs­tens zu sa­gen, ob das hohe Haupt auf kai­ser­li­cher, fran­zö­si­scher oder schwe­di­scher Sei­te oder wo sonst fal­len wür­de; wor­auf War­ner nach vie­lem Seuf­zen und Au­gen­ver­dre­hen sag­te, kai­ser­li­cher­seits habe Gott nichts ver­lau­ten las­sen, es wer­de also wohl die Schwe­den an­ge­hen.

Nach­dem War­ner ab­ge­führt war, un­ter­hiel­ten sich die Her­ren über ihn, in­dem Beck be­geis­tert er­klär­te, er habe al­ler­dings die Al­lü­ren und Qua­li­tä­ten ei­nes wah­ren Pro­phe­ten, wo­hin­ge­gen Pic­co­lo­mi­ni fand, er sehe nicht an­ders als ein gu­ter, dum­mer Bau­ern­kerl aus, und der Beicht­va­ter da­bei blieb, er sei ein Teu­fels­kind, und das Un­wet­ter sei viel­leicht des­halb ge­kom­men, weil sie einen sol­chen ab­ge­feim­ten Erz­ket­zer mit sich her­um­schlepp­ten. Pic­co­lo­mi­ni ent­schied, er wol­le ihn bei nächs­ter Ge­le­gen­heit lau­fen las­sen, bis da­hin sol­le er so gut wie die an­de­ren Ge­fan­ge­nen ge­hal­ten wer­den. Man kön­ne nicht wis­sen, ob er nicht etwa doch zau­bern könn­te, und wenn er ein Narr sei, was er für wahr­schein­li­cher hiel­te, so pfle­ge er sich an der­glei­chen Krea­tu­ren auch nicht zu ver­grei­fen.