73.

Nach dem blu­ti­gen Tref­fen um die Fes­tung Wol­fen­büt­tel wa­ren die Kai­ser­li­chen, die trotz der großen Ver­lus­te nichts er­reicht hat­ten, in ver­drieß­li­cher Stim­mung, be­son­ders Pic­co­lo­mi­ni wurm­te die Nie­der­la­ge; aber er trug die ihm ei­ge­ne un­be­küm­mer­te Lau­ne nach­drück­lich zur Schau.

Etwa zwei Tage nach der Schlacht bahn­te sich der bay­ri­sche Ge­ne­ral Ge­leen den Weg zu ihm, den Die­ner bei­sei­te schie­bend, der ihn ver­hin­dern woll­te. »Was gibt es?« frag­te Pic­co­lo­mi­ni, mit ge­spiel­tem Er­schre­cken von ei­nem Ru­he­bett auf­ste­hend. »Ist der Feind in Sicht?«

Ge­leen zuck­te ge­ring­schät­zig die Ach­seln und sag­te, er habe Drin­gen­des mit Pic­co­lo­mi­ni zu spre­chen.

Es wäre wohl nicht so drin­gend, sag­te Pic­co­lo­mi­ni, dass des­we­gen sein Mit­tags­schlaf hät­te un­ter­bro­chen wer­den müs­sen.

Er sei be­reits vor ei­ner Stun­de da­ge­we­sen, sag­te Ge­leen. In­zwi­schen hät­te Pic­co­lo­mi­ni nach sei­ner Mei­nung aus­schla­fen kön­nen.

Er pfle­ge zu schla­fen, bis er auf­wach­te, sag­te Pic­co­lo­mi­ni. Er habe das Recht, glau­be er, sei­ne Ge­wohn­hei­ten zu hal­ten.

Was ihn be­tref­fe, sag­te Ge­leen, so habe er die Ge­wohn­heit, das War­ten nicht er­tra­gen zu kön­nen. Er wol­le sich er­kun­di­gen, ob es wahr sei, dass Pic­co­lo­mi­ni in sei­nem Schlacht­be­richt den Ver­lauf so dar­ge­stellt hät­te, als habe das bay­ri­sche Fuß­volk auf dem lin­ken Flü­gel das Zei­chen zur Flucht ge­ge­ben? Das wol­le er nur wis­sen!

Wer ihm das ge­sagt habe? frag­te Pic­co­lo­mi­ni.

Das tue nichts zur Sa­che, ant­wor­te­te Ge­leen. Er wol­le nur die Tat­sa­che fest­stel­len.

Das las­se sich an wie ein Ver­hör! braus­te Pic­co­lo­mi­ni auf.

Im­mer­hin! sag­te Ge­leen. In ei­ner Sa­che, die sei­ne Ehre be­tref­fe, las­se er nicht mit sich spie­len.

Nun denn, sag­te Pic­co­lo­mi­ni, aus des­sen brau­nen Au­gen Wut und Rach­sucht blitz­ten, die Schlacht­be­rich­te pfle­ge sein Se­kre­tär aus­zu­fer­ti­gen; aber wenn Ge­leen sei­ne Mei­nung wis­sen wol­le, so sei der große An­griff Gué­bri­ants auf den lin­ken Flü­gel al­ler­dings das punc­tum sa­li­ens der Schlacht ge­we­sen, und wenn das bay­ri­sche Fuß­volk die­sen An­griff bes­ser re­fü­siert hät­te, so wür­de der Aus­gang an­ders ge­we­sen sein.

Ge­leen fuhr sich, vor Ent­rüs­tung zit­ternd, in die Haa­re. Das sei ja zum Aus­ein­an­der­bers­ten! rief er. Über sol­chen Ver­dre­hun­gen müss­te ja der Him­mel ein­fal­len! Ihm ins An­ge­sicht wage Pic­co­lo­mi­ni das zu sa­gen? Wo Pic­co­lo­mi­ni trotz sei­ner War­nung die of­fe­ne Feld­schlacht ge­gen den über­le­ge­nen Feind in güns­ti­ger Stel­lung ge­wollt und da­durch das Un­glück her­aus­ge­for­dert hät­te! Man brauch­te ja nur die To­ten aus­ein­an­der­zu­le­sen, um zu se­hen, wo am tap­fers­ten ge­kämpft wor­den wäre; er habe ja fast kein Fuß­volk mehr.

Wenn er recht ge­hört hät­te, sag­te Pic­co­lo­mi­ni mit der Hand am De­gen, so wol­le Ge­leen ihn der Lüge zei­hen?

Ja, ja, rief Ge­leen, ei­ner von ih­nen müs­se hin wer­den!

Er ste­he zu Diens­ten, sag­te Pic­co­lo­mi­ni; Ge­leen sol­le sei­ne Un­ge­duld nur be­zäh­men, bis sie drau­ßen wä­ren, hier sei es et­was eng. Er wis­se einen an­ge­neh­men Platz un­ter ho­hen Bäu­men an ei­nem Teich, wo es schat­tig sei.

Sie wa­ren im Be­griff auf­zu­bre­chen, als Erz­her­zog Leo­pold Wil­helm ein­trat und, die Lage über­bli­ckend, freund­lich sag­te: Da gebe es wohl ein klei­nes Miss­ver­ständ­nis? Nun, dann sei er ja im rech­ten Au­gen­blick ge­kom­men; Miss­ver­ständ­nis­se zwi­schen so vor­treff­li­chen, un­ent­behr­li­chen Ge­ne­ra­len müss­ten ge­schlich­tet wer­den kön­nen. Sie wüss­ten, dass er sie bei­de gleich hoch­schät­ze, und wür­den ihn des­halb gern als Schieds­rich­ter an­neh­men. Sein kai­ser­li­cher Bru­der wür­de ihm einen Vor­wurf ma­chen, wenn er ge­sche­hen lie­ße, dass so un­er­setz­li­chen Kriegs­häup­tern et­was zu­stie­ße.

So­wohl Ge­leen wie Pic­co­lo­mi­ni wa­ren un­wil­lig über die Stö­rung, hiel­ten aber der un­be­fan­ge­nen Ge­müt­lich­keit des Erz­her­zogs ge­gen­über an sich.

Die­ser setz­te sich, zog einen Brief aus der Ta­sche und sag­te, da sei eben ein Schrei­ben von den braun­schwei­gi­schen Her­zö­gen ein­ge­lau­fen, sie ent­schul­dig­ten sich mit fle­hent­li­chen Wor­ten, dass ihre Trup­pen am Kamp­fe teil­ge­nom­men hät­ten; sie hät­ten nach wie vor die Ab­sicht, sich de­fen­siv zu ver­hal­ten, die vor­ge­fal­le­ne Be­tä­ti­gung ih­rer Trup­pen sei nicht als Kon­junk­ti­on, son­dern als eine zu­fäl­li­ge Ver­wi­cke­lung auf­zu­fas­sen.

Nach sei­nem Da­für­hal­ten, sag­te Ge­leen, soll­te man die­se braun­schwei­gi­schen Schel­me als Re­bel­len trak­tie­ren, die sie wä­ren.

Die rühm­lich be­kann­te Mil­de des ho­hen Erz­hau­ses, sag­te Pic­co­lo­mi­ni, ver­grif­fe sich hier al­ler­dings wohl ein we­nig. Hät­te man Anno 1625 Wol­fen­büt­tel dem se­li­gen Pap­pen­heim oder Til­ly ge­ge­ben, so wäre man we­gen die­ser Län­der jetzt bes­ser ver­si­chert.

Ja, ja, lach­te der Erz­her­zog, die Braun­schwei­ger hät­ten da­mals einen mäch­ti­gen Für­spre­cher ge­habt, den es viel­leicht jetzt selbst ge­reue. Nun, so viel er ur­tei­len kön­ne, lie­ßen sich die ärgs­ten Nach­tei­le viel­leicht wie­der ein­brin­gen. Die Kund­schaf­ter mel­de­ten, dass es beim Fein­de kopf­über, kopf­un­ter zu­gin­ge. Das schwe­di­sche Heer löse sich auf, ein paar Obers­ten wä­ren be­stimmt auf die kai­ser­li­che Sei­te ge­bracht. Mit Schwe­den woll­ten sie alle nichts zu tun ha­ben. Gott habe den Banér doch auch nicht um­sonst ster­ben las­sen, jetzt müs­se nur ein we­nig nach­ge­hol­fen wer­den, dann lie­ge der tö­ner­ne Ko­loß am Bo­den.

Ge­leen krau­te sich ver­le­gen in den Haa­ren. Wenn man nur den neu­en Kur­fürs­ten von Bran­den­burg ge­win­nen könn­te, sag­te er nach ei­ner Pau­se; aber des­sen Rat­ge­ber leg­ten sich alle auf die schwe­di­sche Sei­te.

Es sei merk­wür­dig, seufz­te der Erz­her­zog, dass alle Ket­zer ein un­fried­fer­ti­ges Ge­müt hät­ten. Was für Nut­zen hät­ten sie da­von? Was ihn be­tref­fe, so sei er des Krie­ges schon herz­lich müde.

Ja, sag­te Pic­co­lo­mi­ni, wenn alle Men­schen so en­gel­glei­cher Sin­nes­art wä­ren wie der Erz­her­zog, wür­de die Welt leicht zu re­gie­ren sein.

Un­ter den Sie­gern herrsch­te nicht min­de­re Nie­der­ge­schla­gen­heit. Gué­bri­ant be­rich­te­te über den er­run­ge­nen Vor­teil nach Pa­ris, rühm­te die Tap­fer­keit ver­schie­de­ner Of­fi­zie­re und schrieb den glück­li­chen Aus­gang haupt­säch­lich dem Feh­ler der Geg­ner zu, sie in ge­si­cher­ter Stel­lung an­ge­grif­fen zu ha­ben. Im gan­zen sei sei­ne Lage durch den Sieg nicht ge­bes­sert. Nur durch täg­lich neu auf­ge­wende­te Kunst vor­sich­tig ver­teil­ter Über­re­dung und Dro­hung kön­ne er die Wei­ma­ra­ner bei dem Ver­tra­ge fest­hal­ten. Wenn das Geld nicht ge­lie­fert wür­de, das man ver­trags­ge­mäß schul­de und wor­auf er im­mer wie­der ver­trös­te­te, sehe er vor sich, dass er nicht nur sein Le­ben, son­dern auch sei­ne Ehre in Deutsch­land wür­de las­sen müs­sen. Er habe drei Jah­re lang un­ter Ent­beh­run­gen und De­mü­ti­gun­gen aus­ge­harrt, von de­nen man in Frank­reich kei­ne Vor­stel­lung hät­te: nun bit­te er um sei­nen Ab­schied. Kön­ne er nicht bald nach Frank­reich zu­rück­keh­ren, so wür­de sei­ne Schwer­mut ihn ganz dienst­un­fä­hig ma­chen und für im­mer vom Schau­platz großer Ta­ten ent­fer­nen.